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Bereits während des Ersten Weltkriegs, in dem er als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, "warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen" (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm er ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (Kast 2014, 38).  
 
Bereits während des Ersten Weltkriegs, in dem er als Arzt tätig war, stellte sich Jung die Frage, "warum Menschen lieber ihre Brüder töten, als in sich selbst nach ihren Schatten zu suchen" (Sadigh 2011). In den 1920er Jahren unternahm er ausgedehnte Reisen, die ihn zu den Pueblo-Indianern nach Nordamerika sowie nach Nord- und Ostafrika führten. Während dieser Zeit gelangte Jung zunehmend zu der Überzeugung, dass die Analyse von Symbolen, die der eigenen imaginativen Erfahrung entspringen, in einem dialektischen Prozess zu einer Integration des Unbewussten ins Bewusstsein führen müsste, indem das Ich selbst in die Träume oder die Imagination eindringt und in einen Dialog mit den dort agierenden, unbewussten Figuren tritt (Kast 2014, 38).  
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Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet werden können. Mit dem zeitlichem Voranschreiten der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise jedoch immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche.<ref>Vgl. u.a. Jungs "persönliche Gleichung", GW 10, 25 f.; für die allgemeine Einordnung von Jungs Haltung gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert (1984) Gess (1994), Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair (2005), Kirsch (2012), Sorge (2016)</ref> So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (Bair 2005, 638-639). Auch innerhalb seines wissenschaftlichen Werks versuchte Jung seit der Mitte der 1930er Jahre verstärkt jeglicher Vereinnahmung durch Politik oder Religion entgegenzuwirken.  
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Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel Jung in den Jahren 1933 und 1934 mehrfach mit öffentlichen Äußerungen auf, die antisemitisch gedeutet werden können. Mit dem zeitlichem Voranschreiten der nationalsozialistischen Diktatur änderte Jung seine Rhetorik und öffentliche Handlungsweise jedoch immer deutlicher: Nicht nur verbal, sondern auch mit Taten stellte Jung sich während der 1930er Jahre zusehends gegen jedwede nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuche.<ref>Vgl. u.a. Jungs "persönliche Gleichung", GW 10, 25 f.; für die allgemeine Einordnung von Jungs Haltung gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut: Grunert 1984, Gess 1994, Adler und Jaffé 2001 (1973), Bair 2005, Kirsch 2012, Sorge 2016.</ref> So bemühte sich Jung als Präsident der 1934 neugeschaffenen Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP) um die Einhaltung von elementaren, rechtlichen Strukturen der bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Zürich ansässigen Gesellschaft. Diese sollte von Deutschland unabhängig und politisch neutral bleiben sowie darüber hinaus dezidiert auch jüdischen Psychotherapeuten, die von der deutschen Landesgruppe ausgeschlossen worden waren, zu einer individuellen Gesellschaftsmitgliedschaft verhelfen (Bair 2005, 638-639). Auch innerhalb seines wissenschaftlichen Werks versuchte Jung seit der Mitte der 1930er Jahre verstärkt jeglicher Vereinnahmung durch Politik oder Religion entgegenzuwirken.  
    
Diese späte Einsicht in die religionspolitische Neutralitätsverpflichtung spiegelt sich auch in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' wider. Anstelle von religiösen Einflussfaktoren rücken nunmehr alchemistische Argumentationsketten in den Vordergrund. Besonders an Textstellen, welche die Entschlüsselung von überindividuellen Traumsymbolen thematisieren, kommt Jungs denkerische Distanzierung vom Christentum nunmehr deutlich zum Ausdruck. Insbesondere die Erfahrung seiner Indienreise (1938) könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben; in deren Verlauf besuchte er unter anderem das buddhistische Kloster von Bhutia Busty und sprach mit dem "lamaistischen Rimpotche namens Lindam Gomchen über das Mandala" (TS 115). Zugleich ereignete sich Jungs Idee, einem verborgenen Konnex zwischen Buddhismus, Alchemie und Psychologie in den Tiefen des menschlichen Unbewussten nachzuspüren, keineswegs zufällig. Bereits seine vor der Indienreise begonnene Lektüre des Naturmystikers Paracelsus (1493/94-1541) gab ihm entsprechende Impulse, weil er in dessen Werk eine seinem eigenen Denken ähnliche geistige Konfliktlinie zwischen "Wissen und Glauben" (GW 13, 131) entdeckt zu haben meinte. Seine im zunehmenden Alter gesteigerte Skepsis gegenüber der Verschiebbarkeit "der Grenze des Erkennbaren" innerhalb der psychologischen Disziplin verschriftliche er schließlich in seinem Werk ''Mysterium Coniunctionis'' (GW 14, 130).  
 
Diese späte Einsicht in die religionspolitische Neutralitätsverpflichtung spiegelt sich auch in ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' wider. Anstelle von religiösen Einflussfaktoren rücken nunmehr alchemistische Argumentationsketten in den Vordergrund. Besonders an Textstellen, welche die Entschlüsselung von überindividuellen Traumsymbolen thematisieren, kommt Jungs denkerische Distanzierung vom Christentum nunmehr deutlich zum Ausdruck. Insbesondere die Erfahrung seiner Indienreise (1938) könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben; in deren Verlauf besuchte er unter anderem das buddhistische Kloster von Bhutia Busty und sprach mit dem "lamaistischen Rimpotche namens Lindam Gomchen über das Mandala" (TS 115). Zugleich ereignete sich Jungs Idee, einem verborgenen Konnex zwischen Buddhismus, Alchemie und Psychologie in den Tiefen des menschlichen Unbewussten nachzuspüren, keineswegs zufällig. Bereits seine vor der Indienreise begonnene Lektüre des Naturmystikers Paracelsus (1493/94-1541) gab ihm entsprechende Impulse, weil er in dessen Werk eine seinem eigenen Denken ähnliche geistige Konfliktlinie zwischen "Wissen und Glauben" (GW 13, 131) entdeckt zu haben meinte. Seine im zunehmenden Alter gesteigerte Skepsis gegenüber der Verschiebbarkeit "der Grenze des Erkennbaren" innerhalb der psychologischen Disziplin verschriftliche er schließlich in seinem Werk ''Mysterium Coniunctionis'' (GW 14, 130).  

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