"Wolga" (Lou Andreas-Salomé): Unterschied zwischen den Versionen

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== Entstehungs- und Druckgeschichte ==
== Entstehungs- und Druckgeschichte ==
Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in dem eingangs zitierten, im Reisetagebuch vermerkten Gedicht, als auch in der gleichnamigen Novelle verarbeitete. Publiziert wurde die Novelle im Jahr 1902 in dem Novellenzyklus Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger (Stuttgart/Berlin). Schon im Jahr 1901 wurde sie in der von F. W. Hackländer herausgegebenen Deutsche Roman-Bibliothek (Jg. 29) vorabgedruckt. Wie Britta Benert hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (vgl.: Benert 2013, 392ff). Gewidmet ist der Novellenzyklus ihrer Cousine Emma Flörke, geb. Wilm „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.
Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in dem eingangs zitierten, im Reisetagebuch vermerkten Gedicht, als auch in der gleichnamigen Novelle verarbeitete. Publiziert wurde die Novelle im Jahr 1902 in dem Novellenzyklus ''Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen'' in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger (Stuttgart/Berlin). Schon im Jahr 1901 wurde sie in der von F. W. Hackländer herausgegebenen Deutsche Roman-Bibliothek (Jg. 29) vorabgedruckt. Wie Britta Benert hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (vgl.: Benert 2013, 392ff). Gewidmet ist der Novellenzyklus ihrer Cousine Emma Flörke, geb. Wilm „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.




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Die Birken, mit denen sie sich zunächst identifiziert, erscheinen nach diesem Halbschlaf plötzlich als das Fremde und Andere eines vergangenen Lebens. Sie befindet sich tatsächlich in einem Zwischenland, dessen zahlreiche Unwägbarkeiten durch den Zustand des Halbschlafs zur Darstellung gelangen.
Die Birken, mit denen sie sich zunächst identifiziert, erscheinen nach diesem Halbschlaf plötzlich als das Fremde und Andere eines vergangenen Lebens. Sie befindet sich tatsächlich in einem Zwischenland, dessen zahlreiche Unwägbarkeiten durch den Zustand des Halbschlafs zur Darstellung gelangen.


== Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit ==
=== Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit ===
In Adoleszenzerzählungen kommt dem Traum als Zwischenstadium von Gestern/Vergangenem und Morgen/Künftigem eine besondere Bedeutung zu, die auch in Andreas-Salomés Novelle präsent ist. Eine Besonderheit besteht in der Verwendung von Erzählweisen des Volksmärchens. Auf die Traumhaftigkeit des Erzählens in Volksmärchen macht bereits Lüthi aufmerksam (vgl.: Lüthi 2005, 79). Wie Träume sind sie stets auf das unmittelbare Erleben der Figuren fokussiert und stellen lediglich dar und stellen nichts in Frage, erklären und fordern nichts. Zudem wird auch in den Grimm’schen Volksmärchen häufig die Adoleszenz der Figuren thematisiert, was insbesondere in der ersten Konfrontation mit Liebe und Tod zur Darstellung gelangt (vgl.: Rölleke 1985, 82). So ist es charakteristisch für das (Grimm’sche) Märchen, dass Reifevorgänge immer auch Todeserfahrungen implizieren, wobei letztere häufig symbolischen Charakter haben und auf den Verlust der Kindheit oder Bindungen an Personen (Eltern/Geschwister) bezogen werden (vgl.: ebd.). Diese Todeserfahrung kommt im wachen Erleben Ljubows etwa in der Konfrontation mit dem plötzlichen Einsatz Valdevenens während des Landgangs zum Ausdruck und im Traum bzw. dem fiktiven Lieblingsmärchen in der Aufgabe, die schlafende Prinzessin in den tiefen Brunnen zu werfen. Auch nach den Gesprächen mit Valdevenen wird Ljubow immer wieder an dieses Bild erinnert, etwa wenn sie sich vorstellt, der Grund der Wolga wäre der tiefe Brunnen, in den Valdevenen sie stoßen könnte:
In Adoleszenzerzählungen kommt dem Traum als Zwischenstadium von Gestern/Vergangenem und Morgen/Künftigem eine besondere Bedeutung zu, die auch in Andreas-Salomés Novelle präsent ist. Eine Besonderheit besteht in der Verwendung von Erzählweisen des Volksmärchens. Auf die Traumhaftigkeit des Erzählens in Volksmärchen macht bereits Lüthi aufmerksam (vgl.: Lüthi 2005, 79). Wie Träume sind sie stets auf das unmittelbare Erleben der Figuren fokussiert und stellen lediglich dar und stellen nichts in Frage, erklären und fordern nichts. Zudem wird auch in den Grimm’schen Volksmärchen häufig die Adoleszenz der Figuren thematisiert, was insbesondere in der ersten Konfrontation mit Liebe und Tod zur Darstellung gelangt (vgl.: Rölleke 1985, 82). So ist es charakteristisch für das (Grimm’sche) Märchen, dass Reifevorgänge immer auch Todeserfahrungen implizieren, wobei letztere häufig symbolischen Charakter haben und auf den Verlust der Kindheit oder Bindungen an Personen (Eltern/Geschwister) bezogen werden (vgl.: ebd.). Diese Todeserfahrung kommt im wachen Erleben Ljubows etwa in der Konfrontation mit dem plötzlichen Einsatz Valdevenens während des Landgangs zum Ausdruck und im Traum bzw. dem fiktiven Lieblingsmärchen in der Aufgabe, die schlafende Prinzessin in den tiefen Brunnen zu werfen. Auch nach den Gesprächen mit Valdevenen wird Ljubow immer wieder an dieses Bild erinnert, etwa wenn sie sich vorstellt, der Grund der Wolga wäre der tiefe Brunnen, in den Valdevenen sie stoßen könnte:


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* Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. In: Deutsche Roman-Bibliothek 29 (1901), 657-668, 679-688, 701-708 (Vorabdruck in einer Zeitschrift).
* Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. In: Deutsche Roman-Bibliothek 29 (1901), 657-668, 679-688, 701-708 (Vorabdruck in einer Zeitschrift).


* Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Stuttgart, Berlin: J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1902 (Erstausgabe).
* Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Stuttgart, Berlin: J.G. Cotta’sche Buchhandlung 1902 (Erstausgabe).


* Lou Andreas-Salomé: Wolga. In: Dies.: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Hg. von Britta Benert in Zusammenarbeit mit dem Lou Andreas-Salomé-Archiv in Göttingen. Taching am See: MedienEdition Welsch 2013, 276-340 (zitiert mit der Sigle W).
* Lou Andreas-Salomé: Wolga. In: Dies.: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Hg. von Britta Benert in Zusammenarbeit mit dem Lou Andreas-Salomé-Archiv in Göttingen. Taching am See: MedienEdition Welsch 2013, 276-340 (zitiert mit der Sigle W).