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Anhand des im ersten Traum dominanten Lieblingsmärchens wird ein Konflikt zwischen dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal der ''femme fragile'' und den naiven und mitunter von Omnipotenzfantasien geprägten Sichtweisen der Protagonistin deutlich. Die Märchenprinzessin erweist sich als ähnlich passiv wie bekannte Märchenfiguren (etwa Dornröschen und Schneewittchen), die keine eigenen Entscheidungen treffen, sondern lediglich auf einen Prinzen warten, der sie wachküsst und den sie heiraten, ohne eine Wahlmöglichkeit in Betracht zu ziehen (Röllecke 1985, 83). Dieses ,Ideal' weiblicher Passivität und Manipulierbarkeit bestimmt zunächst den romantischen Blick Ljubows auf die Beziehung von Mann und Frau und macht sie so attraktiv für Valdevenen. Das Motiv des Zauberschlafs wird auch auf die wache Wahrnehmung der Figur bezogen, sodass die kindliche Weltwahrnehmung mit dem Zustand des Schlafs enggeführt ist. Im letzten Teil des geschilderten Traums wird deutlich, dass die Projektionen und Forderungen des männlichen Gegenübers (Valdevenen) vom Verhalten des Märchenprinzen in Ljubows Lieblingsmärchen abweichen. Angesiedelt ist diese schockierende Erkenntnis an den Rändern des eigentlichen Traumgeschehens, in einem Zustand des Aufwachens. Die Opposition von Traum und Wirklichkeit bzw. Ideal und Trieb lassen sich auch auf das Dornröschen-Prinzip übertragen. Rekurriert Andreas-Salomé doch mit dem Ende des ersten Traums auf die Wurzeln des ''Dornröschen''-Märchens, da die schlafende Schöne in Giambattista Basiles Version (''Sole, Luna e Talia'', 1634) von einem verheirateten König während der Jagd im Schlaf geschändet (und geschwängert) wird. Unmittelbar darauf zieht der König weiter und vergisst den Vorfall bald wieder.
 
Anhand des im ersten Traum dominanten Lieblingsmärchens wird ein Konflikt zwischen dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal der ''femme fragile'' und den naiven und mitunter von Omnipotenzfantasien geprägten Sichtweisen der Protagonistin deutlich. Die Märchenprinzessin erweist sich als ähnlich passiv wie bekannte Märchenfiguren (etwa Dornröschen und Schneewittchen), die keine eigenen Entscheidungen treffen, sondern lediglich auf einen Prinzen warten, der sie wachküsst und den sie heiraten, ohne eine Wahlmöglichkeit in Betracht zu ziehen (Röllecke 1985, 83). Dieses ,Ideal' weiblicher Passivität und Manipulierbarkeit bestimmt zunächst den romantischen Blick Ljubows auf die Beziehung von Mann und Frau und macht sie so attraktiv für Valdevenen. Das Motiv des Zauberschlafs wird auch auf die wache Wahrnehmung der Figur bezogen, sodass die kindliche Weltwahrnehmung mit dem Zustand des Schlafs enggeführt ist. Im letzten Teil des geschilderten Traums wird deutlich, dass die Projektionen und Forderungen des männlichen Gegenübers (Valdevenen) vom Verhalten des Märchenprinzen in Ljubows Lieblingsmärchen abweichen. Angesiedelt ist diese schockierende Erkenntnis an den Rändern des eigentlichen Traumgeschehens, in einem Zustand des Aufwachens. Die Opposition von Traum und Wirklichkeit bzw. Ideal und Trieb lassen sich auch auf das Dornröschen-Prinzip übertragen. Rekurriert Andreas-Salomé doch mit dem Ende des ersten Traums auf die Wurzeln des ''Dornröschen''-Märchens, da die schlafende Schöne in Giambattista Basiles Version (''Sole, Luna e Talia'', 1634) von einem verheirateten König während der Jagd im Schlaf geschändet (und geschwängert) wird. Unmittelbar darauf zieht der König weiter und vergisst den Vorfall bald wieder.
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Da sich Ljubow während der Verführung in einem Zustand des Halbschlafs befindet, vermischt sich das Erlebte mit den Träumen der Nacht. Der Vorfall wird daher zu einem traumgleichen Erlebnis, dessen Deutung Ljubows Kompetenzen übersteigt. Ob als Traum im Traum, oder als Verschachtelung verschiedener Träume, deren Ränder sich überlagern - die geschilderte Melange aus romantisch verklärtem Sehnsuchtstraum und prophetischem Angsttraum ist überaus bemerkenswert, da dieser hybride Traumcharakter das ambivalente Seelenleben der adoleszenten Hauptfigur eindrucksvoll veranschaulicht. Die divergierenden Gefühle und Sichtweisen zeichnen sie als unzuverlässige Erzählerin aus. Während ihre Beschreibungen nahelegen, dass die Verführung Teil des Traumgeschehens ist, lässt die Reaktion Valdevenens auf ihren träumerisch sehnsuchtsvollen Blick auf die vorbeiziehende Wolgalandschaft am nächsten Morgen einen anderen Schluss zu: „Aber können Sie immer noch nicht genug bekommen, Sie kleine Unersättliche? Heute, nach der gestrigen Nacht, hätten Sie eigentlich ein Recht darauf, müde zu sein“ (W 320 f.) Für sie selbst scheinen sich die Fäden erst nach und nach zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Erst allmählich bemerkt sie, dass es tatsächlich seine Schritte waren, die sie im Traum vernommen hat:
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Da sich Ljubow während der Verführung in einem Zustand des Halbschlafs befindet, vermischt sich das Erlebte mit den Träumen der Nacht. Der Vorfall wird daher zu einem traumgleichen Erlebnis, dessen Deutung Ljubows Kompetenzen übersteigt. Ob als Traum im Traum oder als Verschachtelung verschiedener Träume, deren Ränder sich überlagern - die geschilderte Melange aus romantisch verklärtem Sehnsuchtstraum und prophetischem Angsttraum ist überaus bemerkenswert, da dieser hybride Traumcharakter das ambivalente Seelenleben der adoleszenten Hauptfigur eindrucksvoll veranschaulicht. Die divergierenden Gefühle und Sichtweisen zeichnen sie als unzuverlässige Erzählerin aus. Während ihre Beschreibungen nahelegen, dass die Verführung Teil des Traumgeschehens ist, lässt die Reaktion Valdevenens auf ihren träumerisch sehnsuchtsvollen Blick auf die vorbeiziehende Wolgalandschaft am nächsten Morgen einen anderen Schluss zu: „Aber können Sie immer noch nicht genug bekommen, Sie kleine Unersättliche? Heute, nach der gestrigen Nacht, hätten Sie eigentlich ein Recht darauf, müde zu sein“ (W 320 f.) Für sie selbst scheinen sich die Fäden erst nach und nach zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Erst allmählich bemerkt sie, dass es tatsächlich seine Schritte waren, die sie im Traum vernommen hat:
    
: Sie hörte auf seinen Schritt hin. Sie hörte ihn heraus unter all den anderen, ruhig und fest. „Wie auf den Steinfliesen vom Traumhof!“ dachte sie wieder. Ja, gewiß: das war sein Schritt gewesen, heute früh auf dem Deck, – kein anderer. Und dadurch war er also auch in ganzer Gestalt in den Traum hineingeraten – – (W 321 f.).
 
: Sie hörte auf seinen Schritt hin. Sie hörte ihn heraus unter all den anderen, ruhig und fest. „Wie auf den Steinfliesen vom Traumhof!“ dachte sie wieder. Ja, gewiß: das war sein Schritt gewesen, heute früh auf dem Deck, – kein anderer. Und dadurch war er also auch in ganzer Gestalt in den Traum hineingeraten – – (W 321 f.).

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