"Werde munter mein GemĂŒte" (Johann Rist): Unterschied zwischen den Versionen

Aus Lexikon Traumkultur
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==Abendliedgenre==
 
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Der heute gelĂ€ufige Titel ''Werde munter mein GemĂŒte'' ergibt sich durch den ersten Vers des barocken Abendliedes. Die darin enthaltene Aufforderung erstreckt sich noch weiter ĂŒber die erste Strophe: „WErde munter mein GemĂŒte/ vnd jr Sinne geht herfĂŒr/ Daß jhr preiset Gottes GĂŒte“. Sie erinnert an das wenig spĂ€ter erschienene, vermutlich prominenteste Abendlied des 17. Jahrhunderts, Paul Gerhardts (1607-1676) ''Nun ruhen alle WĂ€lder'' (ED 1647), welches mit einem Ă€hnlichen Aufruf beginnt: „Ihr aber/ meine sinnen/ Auf/ auf/ ihr sollt beginnen/ Was eurem Schöpffer wol gefĂ€llt.“<ref>Gerhardts Abendlied ''Nun ruhen alle WĂ€lder'' erschien erstmals 1647 als Lied Nr. 19 in CrĂŒgers ''Praxis Pietatis Melica''.</ref> Beide Appelle an das eigene GemĂŒt bzw. die eigenen Sinne spiegeln die praktische Ausrichtung des Abendliedgenres wider: Abendlieder sind einerseits als Handlung zu verstehen, als „Aufruf zum Lob oder Trost oder Wendung an Gott in Bitte und Dank und Preis“, andererseits als „Heilmittel des inwendigen Menschen“ (Thomas/Ameln 1930, 5 f.). Eine heilende Wirkung soll vor allem dadurch erzielt werden, dass das Abendlied, gerade im Barockzeitalter, einen Moment des Innehaltens bedeutet: HĂŒbert beschreibt die frĂŒhneuzeitliche Empfindung von Abend und Nacht „als Zeit der Stille zwischen Tag und Traum, in der die Seele, befreit von dem tĂ€tigen Einsatz des Menschen bei Tage, endlich 'zu Wort' kommen kann“ (HĂŒbert 1963, 223). Die dem Abendlied folglich zufallende „Funktion eines ZwiegesprĂ€chs mit Gott“ (Scherf 2020, 6) kann in Rists ''Werde munter mein GemĂŒte'' anschaulich beobachtet werden. Daneben erfĂŒllt sein Gedicht durch die Schlussstrophe auch die dem Abendliedgenre zugesprochene Gebetsfunktion (Scherf 2020, 6).
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Der heute gelĂ€ufige Titel ''Werde munter mein GemĂŒte'' ergibt sich durch den ersten Vers des barocken Abendliedes. Die darin enthaltene Aufforderung erstreckt sich noch weiter ĂŒber die erste Strophe: „WErde munter mein GemĂŒte/ vnd jr Sinne geht herfĂŒr/ Daß jhr preiset Gottes GĂŒte“. Sie erinnert an das wenig spĂ€ter erschienene, vermutlich prominenteste Abendlied des 17. Jahrhunderts, Paul Gerhardts (1607-1676) ''Nun ruhen alle WĂ€lder'' (ED 1647), welches mit einem Ă€hnlichen Aufruf beginnt: „Ihr aber/ meine sinnen/ Auf/ auf/ ihr sollt beginnen/ Was eurem Schöpffer wol gefĂ€llt“.<ref>Gerhardts Abendlied ''Nun ruhen alle WĂ€lder'' erschien erstmals 1647 als Lied Nr. 19 in CrĂŒgers ''Praxis Pietatis Melica''.</ref> Beide Appelle an das eigene GemĂŒt bzw. die eigenen Sinne spiegeln die praktische Ausrichtung des Abendliedgenres wider: Abendlieder sind einerseits als Handlung zu verstehen, als „Aufruf zum Lob oder Trost oder Wendung an Gott in Bitte und Dank und Preis“, andererseits als „Heilmittel des inwendigen Menschen“ (Thomas/Ameln 1930, 5 f.). Eine heilende Wirkung soll vor allem dadurch erzielt werden, dass das Abendlied, gerade im Barockzeitalter, einen Moment des Innehaltens bedeutet: HĂŒbert beschreibt die frĂŒhneuzeitliche Empfindung von Abend und Nacht „als Zeit der Stille zwischen Tag und Traum, in der die Seele, befreit von dem tĂ€tigen Einsatz des Menschen bei Tage, endlich 'zu Wort' kommen kann“ (HĂŒbert 1963, 223). Die dem Abendlied folglich zufallende „Funktion eines ZwiegesprĂ€chs mit Gott“ (Scherf 2020, 6) kann in Rists ''Werde munter mein GemĂŒte'' anschaulich beobachtet werden. Daneben erfĂŒllt sein Gedicht durch die Schlussstrophe auch die dem Abendliedgenre zugesprochene Gebetsfunktion (Scherf 2020, 6).
  
 
==(Alb-)TrÀume in Abendliedern==
 
==(Alb-)TrÀume in Abendliedern==

Version vom 16. Mai 2022, 05:26 Uhr

Werde munter mein GemĂŒte (ED 1642) ist ein bekanntes Abendlied des Barockdichters Johann Rist (1607-1667) mit einer bis in die heutige Zeit andauernden Rezeptionsgeschichte. Im Lied wird eine ĂŒber den Traum geschaffene Verbindung zu Gott ersehnt, die vor den Gefahren der Nacht schĂŒtzen soll. Diese signifikante Positionierung des Traums unterscheidet das Abendlied von der Mehrzahl anderer Texte des Genres, in denen TrĂ€ume eine eher untergeordnete und meist negativ konnotierte Rolle spielen.

PrimÀrtext

Christliches Abend=Lied/ Sich dem Schutz des Allerhöhesten zu befehlen.
1.
WErde munter mein GemĂŒte/
vnd jr Sinne geht herfĂŒr/
Daß jhr preiset Gottes GĂŒte/
die er hat gethan an mir/
da er mich den gantzen Tag/
fĂŒr so mancher schweren Plag’/
hat erhalten und beschĂŒtzet/
daß mich Satan nicht beschmitzet.
2.
Lob und Danck sey dir gesungen
Vater der Barmhertzigkeit
Daß mir ist mein Werck gelungen
Daß du mich fĂŒr allem Leyd’
Und fĂŒr SĂŒnden mancher Art
So getrewlich hast bewahrt
Auch die Feind’ hinweg getrieben.
Daß ich unbeschĂ€digt blieben.
3.
Keine Klugheit kan außrechnen
Deine GĂŒt und Wunderthat
Ja kein Redner kan außsprechen
Was dein’ Hand erwiesen hat/
Deiner Wolthat ist zu viel
Sie hat weder Maaß noch Ziel
Ja du hast mich so gefĂŒhret/
Daß kein Unfall mich berĂŒhret.
4.
Dieser Tag ist nun vergangen
Die betrĂŒbte Nacht bricht an/
Es ist hin der Sonnen prangen
So uns all’ erfrewen kan/
Stehe mir O Vater bey/
Daß dein Glantz stets vor mir sey
Und mein kaltes Hertz erhitze
Wenn ich gleich im Finstern sitze.
5.
HERR/ verzeyhe mir aus Gnaden
Alle SĂŒnd und Missethat
Die mein armes Hertz beladen
Und so gar vergifftet hat/
Daß auch Satan durch sein Spiel
Mich zur Hellen stĂŒrtzen wil/
Da kanst du allein’ retten/
Straffe nicht mein Ubertretten.
6.
Bin ich gleich von dir gewichen/
Stell’ ich mich doch wieder ein/
Hat uns doch dein Sohn vergliechen
Durch sein’ Angst und TodesPein/
Jch verlÀugne nicht die Schuld/
Aber deine Gnad’ und Huld
Jst viel grösser als die SĂŒnde
Die ich stets in mir befinde.
7.
O du Liecht der frommen Seelen
O du Glantz der Ewigkeit/
Dir wil ich mich gantz befehlen
Diese Nacht und allezeit/
Bleibe doch mein GOtt bey mir
Weil es nunmehr dunkel schier/
Da ich mich so sehr betrĂŒbe/
Tröste mich mit deiner Liebe.
8.
SchĂŒtze mich fĂŒrs Teuffels Netzen
FĂŒr der Macht der Finsternis/
Die mir manche Nacht zusetzen
Und erzeigen viel Verdrieß/
Laß mich dich O wahres Liecht
Nimmermehr verlieren nicht/
Wenn ich dich nur hab’ im Hertzen
FĂŒhl’ ich nicht der Seelen Schmertzen.
9.
Wenn mein’ Augen schon sich schliessen
Und ermĂŒdet schlaffen ein/
Muß mein Hertz dennoch gefliessen
Und auff dich gerichtet seyn/
Meiner Seele mit Begier
TrÀume stets O Gott von dir/
Daß Ich fĂ€st an dir bekleibe/
Und auch schlaffend dein verbleibe.
10.
Laß mich diese Nacht empfinden
Eine sanfft’ und sĂŒsse Ruh’/
Alles Ubel laß verschwinden/
Decke mich mit Segen zu/
Leib und Seele/Muth und Blut/
Weib und Kinder/ Haab’ und Gut/
Freunde/ Feind’ und Haußgenossen
Seyn in deinen Schutz geschlossen.
11.
Ach bewahre mich fĂŒr Schrecken
SchĂŒtze mich fĂŒr Uberfall/
Laß mich Kranckheit nicht auffwecken/
Treibe weg des Krieges=Schall/
Wende Fewr und WassersNoth/
Pestilentz und schnellen Tod/
Laß mich nicht in SĂŒnden sterben
Noch an Leib’ und Seel verderben.
12.
O du grosser Gott erhöre
Was dein Kind gebeten hat/
Jesu den ich stets verehre
Bleibe ja mein Schutz und Raht/
Und mein Hort du wehrter Geist
Der du FreĂŒnd und Tröster heißt
Höre doch mein sehnlichs Flehen/
Amen/ ja/ das sol geschehen.

Entstehung und Rezeption

Das Abendlied erschien erstmals 1642 unter dem Titel Christliches Abend=Lied/ Sich dem Schutz des Allerhöhesten zu befehlen im dritten Band von Johann Rists Liedersammlung Himlische Lieder (1641/42). Die Sammlung wurde zusammen mit dem Hamburger Ratsmusiker und Kantor Johann Schop (1590-1644) herausgegeben, welcher die Melodien der meisten darin enthaltenen Lieder komponierte. In der ĂŒberarbeiteten, neu angeordneten Ausgabe der Himlische[n] Lieder von 1652 ist das Abendlied in einer von der Erstveröffentlichung minimal abweichenden Version im fĂŒnften und letzten Teil unter der Rubrik „Lob= und Danklieder“ vorzufinden; eingeleitet wird es dort mit der Angabe „Das siebende Lied/ Ist Ein Abendgesang/ Mit welcher sich ein jedweder frommer Christ/ weil er sich zur Ruhe wil legen/ der gnĂ€digen Obhuht und vĂ€terlichen Beschirmung des Allerhöchsten kan befehlen“. Es liegen einige weitere Bearbeitungen des Abendliedes vor, welche teilweise durch den Verfasser selbst, teilweise bei der Aufnahme des Liedes in verschiedene GesangbĂŒcher zustande kamen. WĂ€hrend die Ă€ltere Forschung die 1657 im ersten Teil von Rists Geistliche[n] Poetische[n] Schriften erschienene Fassung des Abendliedes bevorzugt, „da man sie in Wahrheit eine verbesserte nennen“ könne (Fischer 1878, 356; mit Verweis auf MĂŒtzell 1855), wird im vorliegenden Artikel der Originaltext von 1642 nach der kritischen Ausgabe Himmlische Lieder (2012) zitiert.

Rists Abendlied wurde von Zeitgenoss:innen vielfach rezipiert: Es findet sich in zahlreichen Kirchenliedersammlungen, etwa in verschiedenen Ausgaben von Johann CrĂŒgers (1598-1662) Gesangbuch Praxis Pietatis Melica (seit 1648), einer der bedeutendsten protestantischen Liedersammlungen des 17. Jahrhunderts. Auch in die Hildesheimer Ausgabe des Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s] von 1700 wurde das Lied aufgenommen. Wie fĂŒr die frĂŒhneuzeitliche Lieddichtung und -rezeption typisch, finden sich zahlreiche Variationen des Abendliedes: Die von Schop stammende Melodie wurde mehrfach wiederverwendet, Rists Text, wie erwĂ€hnt, teilweise von ihm selbst, teilweise durch andere Dichter:innen umgestaltet. Die GrĂ€fin Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (auch: Emilie; 1637-1706) beispielsweise verwendete Rists Abendlied als Vorlage fĂŒr ihren Text Ein Lied einer Person/ welche die Letzte von ihrem Geschlechte.[1]

Auch ĂŒber das 17. Jahrhundert hinaus verlor Rists Abendlied nicht an AktualitĂ€t: In Fischers Kirchenlieder-Lexikon aus dem Jahr 1879 ist es als „Kernlied“ markiert, was bedeutet, dass es in nahezu allen fĂŒr die Zusammenstellung des Lexikons verwendeten Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert vertreten ist. Heute ist es als Lied Nr. 475 unter der Rubrik „Abend“ in aktuellen Ausgaben des Evangelischen Gesangbuchs abgedruckt. Der Text dieser Version unterscheidet sich an einigen Stellen von Rists Erstfassung: Die Eröffnungsstrophe beispielweise schließt nicht mit dem Dank des Sprecher-Ichs fĂŒr Gottes Schutz vor dem Teufel („da er mich den gantzen Tag/ fĂŒr so mancher schweren Plag’/ hat erhalten und beschĂŒtzet/ daß mich Satan nicht beschmitze“), sondern listet andere Qualen auf, vor denen Gott das Ich bewahrt hat: „da er mich den ganzen Tag vor so mancher schweren Plag, vor BetrĂŒbnis, Schand und Schaden treu behĂŒtet hat in Gnaden“. Weitere Abweichungen vom Original sind u. a. in der dritten („mich umgebe und beschĂŒtze“ statt „Und mein kaltes Hertz erhitze“) und vierten Strophe („lösen von der SĂŒnde Ketten“ statt „Straffe nicht mein Ubertretten“) festzustellen. Zudem wurde Rists Abendlied hier auf acht der ursprĂŒnglich zwölf Strophen gekĂŒrzt: Die Strophen 3, 7 und 8 sowie die fĂŒr vorliegenden Artikel interessante ‚Traumstrophe‘ (Str. 9) der Originalfassung sind nicht mehr enthalten.

Autor

Lebensstationen

Johann (auch: Johannes) Rist wurde am 8. MĂ€rz 1607 in Ottensen bei Hamburg als Sohn eines evangelischen Pastors geboren. Er wurde zunĂ€chst durch den Vater unterrichtet und besuchte anschließend das Hamburger Johanneum sowie das Bremer Gymnasium illustre. Ab 1626 studierte er an der UniversitĂ€t Rostock Theologie, Naturwissenschaften sowie Medizin und Pharmazie. 1629 fĂŒhrte er sein Studium an der UniversitĂ€t Rinteln fort, wo er auf den Theologen und Kirchenlieddichter Josua Stegmann (1588-1632) traf, der Rists Interesse fĂŒr die deutsche Literatur weckte. Nachdem er etwa zwei Jahre lang als Hauslehrer gearbeitet hatte, wurde Rist 1635 als Pastor nach Wedel im sĂŒdlichen Schleswig-Holstein berufen (Diecks 2003, 646f.).

In Wedel war Rist neben seiner pastoralen TĂ€tigkeit auch als Forscher aktiv und betrieb naturwissenschaftliche, pharmazeutische sowie botanische Studien. Der Großteil seines literarischen Schaffens und Wirkens fand ebenfalls in Wedel statt. 1645 wurde Rist unter dem SchĂ€fernamen „Daphnis aus Cimbrien“ in den Pegnesischen Blumenorden aufgenommen, 1647 trat er unter dem Pseudonym „Der RĂŒstige“ der Fruchtbringenden Gesellschaft bei. Etwa zehn Jahre spĂ€ter grĂŒndete Rist den Elbschwanenorden, welchem er als „Palatinus“ vorstand (DĂŒnnhaupt 1991, 3374). 1646 wurde er zum Diakon ernannt, im selben Jahr erhielt er die Dichterkrone. 1654 erfolgte die Erhebung zum kaiserlichen Hofpfalzgrafen, die das „Zenit seiner öffentlichen Ehrungen“ (DĂŒnnhaupt 1991, 3374) bedeutete. Er starb am 31. August 1667 in Wedel.

Traum im Werk Johann Rists

Rist zĂ€hlt zu den produktivsten Autoren der Barockzeit: Er hinterließ zwölf Lyriksammlungen, die sowohl weltliche als auch geistliche Dichtung enthalten. Daneben schrieb er 30 Dramen, von denen allerdings nur vier ĂŒberliefert sind (Diecks 2003, 646f.). Bekannt sind vor allem Rists geistliche Lieder, von denen er ĂŒber 650 verfasste, „die ihm bis in die heutige Zeit unverlöschlichen Ruhm eintrugen“ (DĂŒnnhaupt 1991, 3374).

Das Motiv des Traums nimmt im Gesamtwerk des Dichters zwar keine prominente Stellung ein, ist jedoch in einigen seiner Texte unterschiedlicher Genres und Gattungen durchaus vertreten: Das SchĂ€fergedicht Traurige Nachtklage (ED 1656) beispielsweise handelt von der unerwiderten Liebe des SchĂ€fers Dafnis – Rists Pseudonym im Pegnesischen Blumenorden –, der sich wĂŒnscht, seiner Geliebten zumindest in deren TrĂ€umen zu gefallen (Str. 6 und 10). Im KlagGedicht Der verliebten SchĂ€fferin SYLVIA (ED 1634) beweint die Sprecherin ihre trĂŒgerischen, hier durch den Liebesgott erzeugten TrĂ€ume, die ihr eine erfĂŒllte Liebe zum SchĂ€fer Philistel vorspielen:

Es ist mein’ arme Seel so lang’ im Traum erfĂŒllet
Mit sĂŒsser Liebes Frewd/ biß AMOR selbst verhĂŒllet
Sein zartes Angesicht/ vnd machet sich gleich blind/
Kompt drauf geflogen her mit Waffen gar geschwind/
Zerstöret meinen Traum/ mein frewen/ kĂŒssen/ lachen/
Verjaget PHILISTEL, vnd lesset mich erwachen/
So ist mein Lieb davon/ CUPIDO hat mich nur
Betrogen mit dem Traum/ dem Schatten vnd FIGUR,
Jch arme SchÀfferin! Mein SchÀffer ist verschwunden/
Mein SchĂ€ffer/ der mirs Hertz’ im Traum’ auch kan verwunden;
(V. 73-82)

In Gedichten aus Rists Sammlung Neuer Teutscher Parnass (1652) taucht das Traummotiv ebenfalls auf: Im Klaglied Uber die schnelle FlĂŒchtigkeit dises irdischen und trĂŒbseligen Lebens unterstĂŒtzt der Traum die VergĂ€nglichkeitsmetaphorik (Str. 4 und 5), Ă€hnlich verhĂ€lt es sich in einem seiner Ehrengedichte (EhrengedĂ€chtniß/ Dem Weiland WolEhrenvesten/ Großachtbaren und wolbenamten Herren/ H. Eberhard Schlaeff):

Der spöttische Betrug/ wodurch Er in dem Orden
Der SchlĂ€ffer/ nakkend/ matt und dĂŒrftig ist geworden/
Ey spricht Er/ war Mir doch der Traum so trefflich sĂŒss/
Daß Mich bedĂ€ucht’ Jch wer in Einem Paradiß/
Nun ist es Phantasey. So geht des Menschen Leben
Gleich trĂ€umend auch dahin. Wir sehen fĂŒr uns schweben
So manche sĂŒsse Lust/ so mache FreĂŒd’ und Pracht/
Kaum kennet man Sie recht/ so gibt man gute Nacht.
(V. 61-68)

Auch in Rists Dramen ist der Traum vertreten: In seinem StĂŒck Perseus (ED und UrauffĂŒhrung 1634) etwa hat die Figur Eudocia einen auf den melancholischen Zustand ihres zukĂŒnftigen Ehemanns Demetrius vorausdeutenden Traum, wie aus folgendem Dialog zwischen ihr und ihrem Bruder Alexander hervorgeht:

EUDOCIA: [
] Jtzo aber stehe ich vnd betrachte den sehr trawrigen Traum/ der mir die nechstverwichene Nacht im schlaffe ist vorkommen/ welches Traums wegen/ ich fast diesen gantzen Tag ĂŒber sehr bestĂŒrtzet bin gewesen. [
]
ALEXANDER: Ob ich zwahr nicht viel auff TrĂ€ume halte/ dennoch bitte ich/ die Schwester wolle mir diesen jhren Traum erzehlen. Aber wen sehe ich dar so gahr trawrig vnd betrĂŒbt herĂŒmmer gehen/ ist mir recht/ so ist es niemandt anders alß der Printz Demetrius.

Die genannten Textbeispiele geben erste EindrĂŒcke von Rists dichterischer Umsetzung des Traummotivs. Um ein aussagekrĂ€ftigeres Bild zu erhalten, bedĂŒrfte es einer intensiveren Sichtung des umfangreichen Gesamtwerks.

Kontextualisierung

Abendliedgenre

Der heute gelĂ€ufige Titel Werde munter mein GemĂŒte ergibt sich durch den ersten Vers des barocken Abendliedes. Die darin enthaltene Aufforderung erstreckt sich noch weiter ĂŒber die erste Strophe: „WErde munter mein GemĂŒte/ vnd jr Sinne geht herfĂŒr/ Daß jhr preiset Gottes GĂŒte“. Sie erinnert an das wenig spĂ€ter erschienene, vermutlich prominenteste Abendlied des 17. Jahrhunderts, Paul Gerhardts (1607-1676) Nun ruhen alle WĂ€lder (ED 1647), welches mit einem Ă€hnlichen Aufruf beginnt: „Ihr aber/ meine sinnen/ Auf/ auf/ ihr sollt beginnen/ Was eurem Schöpffer wol gefĂ€llt“.[2] Beide Appelle an das eigene GemĂŒt bzw. die eigenen Sinne spiegeln die praktische Ausrichtung des Abendliedgenres wider: Abendlieder sind einerseits als Handlung zu verstehen, als „Aufruf zum Lob oder Trost oder Wendung an Gott in Bitte und Dank und Preis“, andererseits als „Heilmittel des inwendigen Menschen“ (Thomas/Ameln 1930, 5 f.). Eine heilende Wirkung soll vor allem dadurch erzielt werden, dass das Abendlied, gerade im Barockzeitalter, einen Moment des Innehaltens bedeutet: HĂŒbert beschreibt die frĂŒhneuzeitliche Empfindung von Abend und Nacht „als Zeit der Stille zwischen Tag und Traum, in der die Seele, befreit von dem tĂ€tigen Einsatz des Menschen bei Tage, endlich 'zu Wort' kommen kann“ (HĂŒbert 1963, 223). Die dem Abendlied folglich zufallende „Funktion eines ZwiegesprĂ€chs mit Gott“ (Scherf 2020, 6) kann in Rists Werde munter mein GemĂŒte anschaulich beobachtet werden. Daneben erfĂŒllt sein Gedicht durch die Schlussstrophe auch die dem Abendliedgenre zugesprochene Gebetsfunktion (Scherf 2020, 6).

(Alb-)TrÀume in Abendliedern

Das Motiv des Traums, das Rist in seinem Abendlied als Verbindungsmöglichkeit zu Gott fruchtbar macht, ist im Abendliedgenre nicht unĂŒblich. In Scherfs Abendliedersammlung beispielsweise finden sich mindestens um die 40 von insgesamt 526 Abendliedern aus fĂŒnf Jahrhunderten, in denen der Traum zur Sprache kommt (Scherf 2020). AuffĂ€llig ist, dass etwa die HĂ€lfte dieser Lieder (1) der Barockepoche zuzuordnen ist und (2) den Traum in einen negativen Zusammenhang stellt: So werden in der Regel nur „böse“ TrĂ€ume in einer Reihe mit Gespenstern und anderen Gefahren der Nacht thematisiert, wie etwa bei Johann Franck (auch: Frank; 1618-1677): „Oeffne deiner gĂŒte fenster/ Sende deine macht herab/ Daß die schwartzen nacht=gespenster/ Daß des todes finstres grab/ Daß das ĂŒbel so bey nacht/ Unsern leib zu fĂ€llen tracht’t/ Mich nicht mit dem netz ĂŒmdecke/ Noch ein böser traum mich schrecke.“ (Str. 5)[3] In einem vergleichbaren Abendlied soll Gott, so bittet das Ich, dabei helfen, „[d]aß kein gespenst im schlaff mich thör/ Noch böser traum mein ruh verstöhr“ (Str. 9);[4] in einem anderen Beispiel heißt es: „FĂŒr bösen trĂ€umen mich bewahr/ Entzeuch mich aller angst=gefahr“ (Str. 4).[5] Auch in der Abendlieddichtung Georg Philipp Harsdörffers (1607-1658) ist das TrĂ€umen mit negativen Implikationen verbunden; in einem seiner Lieder bittet die Sprechinstanz beispielsweise um ruhigen Schlaf „[o]hn böse TrĂ€um und Schmertz“ (Str. 7).[6]

Rists Werde munter mein GemĂŒte prĂ€sentiert einen Gegenentwurf zu dieser im Abendliedgenre verbreiteten negativen Trauminszenierung: In seinem Abendlied geht es nicht um böse, sondern um göttliche, vor den Gefahren der Nacht schĂŒtzende TrĂ€ume. Statt dass der Traum die Ängste vor Nacht und Schlaf noch steigert, erfĂŒllt er hier eine Verbindungs- und zugleich eine Art WĂ€chterfunktion: Über ihn wird eine Glaubensbindung an Gott geschaffen, die selbst im Schlaf eine bestimmte Form der Wachsamkeit und dadurch einen gewissen Schutz vor den Gefahren der Nacht ermöglichen soll. Andere Abendliedbeispiele, in denen der Traum auf diese produktive Weise eingesetzt wird, finden sich etwa im Werk der bereits erwĂ€hnten GrĂ€fin Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt.[7]

Analyse und Interpretation

Form

Rists Werde munter mein GemĂŒte weist eine regelmĂ€ĂŸige formale Gestalt auf, die die Sangbarkeit des Abendliedes unterstĂŒtzt: Es besteht aus zwölf Strophen mit jeweils acht Versen. Das Reimschema setzt sich zusammen aus einem Kreuzreim gefolgt von zwei Paarreimen (ababccdd) mit regelmĂ€ĂŸig wechselnden weiblichen (a- und d-Reim) und mĂ€nnlichen Kadenzen (b- und c-Reim). Das Metrum ist ein vierhebiger TrochĂ€us. Die schlichte Form ist charakteristisch fĂŒr barocke (Abend-)Lieder bzw. geistliche Barockdichtung im Allgemeinen: „Die Gestalt der geistlichen Lyrik ist weitgehend durch die Tradition bestimmt. Ihre Themen werden seit Luthers Tagen von Generation zu Generation weitergegeben. Die alten Melodien bestimmen den Rhythmus der Lieder; nur sehr zögernd dringt der Alexandriner in das Kirchenlied ein“ (Zell 1971, 80). Ebenso ist Rists Abendlied (wie auch vergleichbare geistliche Lieder des Barock) hinsichtlich der Sprache eher einfach gehalten; der zeitgenössische Schriftsteller Albert Graf Curtz (1600-1671) spricht von der „Einfalt deß heyligen Lieds“ (Curtz 1659, Ax r.). Als Stilprinzip der geistlichen Barocklyrik tritt anstelle der rhetorischen AusschmĂŒckung die (hĂ€usliche) Andacht (Zell 1971).

Thema und HinfĂŒhrung

Zentrales Thema des Abendliedes ist die Bitte um göttlichen Schutz vor der Bedrohlichkeit der Nacht. Dieses transportiert Rist u. a. ĂŒber die Gegenspieler Gott und Teufel bzw. Satan sowie verwandte Antonyme, etwa Segen versus Unheil, Licht versus Finsternis, Tag versus Nacht. Das letzte Gegensatzpaar findet explizite ErwĂ€hnung in der vierten Strophe durch die Antithese „Dieser Tag ist nun vergangen Die betrĂŒbte Nacht bricht an“, die zugleich den (spĂ€ten) Abend als konkreten Sprechzeitpunkt des Textes markiert. In den drei vorangehenden Strophen findet eine Art Tagesrekapitulation und eine daraus hervorgehende Lobrede auf Gott statt, in der das Sprecher-Ich letzterem fĂŒr das Be- und Überstehen der tĂ€glichen Aufgaben und Herausforderungen dankt. Der in der vierten Strophe angekĂŒndigte Eintritt der Nacht ist mit Ängsten des sich zu Bett begebenden Ichs besetzt: Die bevorstehende Schlafenszeit bedeutet eine BeeintrĂ€chtigung der tagsĂŒber gegebenen Wachsamkeit und somit eine AnfĂ€lligkeit fĂŒr potenzielle Gefahren der Nacht. Zur Veranschaulichung des verĂ€ngstigten Zustands des Ichs wird das Bild eines in der Nacht erkalteten Herzens entworfen, das durch den „Glantz“ Gottes „erhitz[t]“ werden soll (Str. 4). Dieses Bild wird im Folgenden weitergefĂŒhrt: In der fĂŒnften Strophe beschreibt die Sprechinstanz ihr Herz als von SĂŒnden und schlechten Taten „beladen/ Und so gar vergifftet“, was sie fĂŒr den Teufel empfĂ€nglich mache: „Daß auch Satan durch sein Spiel Mich zur Hellen stĂŒrtzen wil“ (Str. 5). Dem entgegen steht die positive Darstellung des von Gott erfĂŒllten Herzens in der achten Strophe: „Wenn ich dich nur hab’ im Hertzen FĂŒhl’ ich nicht der Seelen Schmertzen.“

Traumdarstellung

In Strophe neun wird die Herzensmetaphorik um einen weiteren Aspekt ergĂ€nzt, indem Rist sie mit dem Schlaf- bzw. Traumvorgang verknĂŒpft: Dem Herzen wird die Funktion eines Verbindungsmediums zwischen schlafendem Ich und Gott zugeschrieben: Wenn sich die Augen des Ichs beim Einschlafen schließen, soll das Herz dennoch wachsam bzw. bestrebt („gefliessen“)[8] auf Gott fokussiert sein; es löst sozusagen die Augen als (Seh-)Sinnesorgan im Schlaf ab. Die Vorstellung eines dem Herrn entgegenblickenden Herzens erinnert an eine Bibelstelle aus dem Buch Samuel, an der sich ein vergleichbares Bild mit umgekehrter Blickrichtung findet: „Ein Mensch sihet was fur augen ist/ der HERR aber sihet das hertz an [Hervor. d. Verf.]“ (1 Sam 16,7). Die im Bibeltext beschriebene Anschauung kann als göttliche ErgrĂŒndung des Herzens und damit, aufgrund der Verwobenheit der entsprechenden Begriffe, als ErgrĂŒndung der Seele verstanden werden: „In vielen FĂ€llen lĂ€sst sich die Bezeichnung 'Herz' entweder als Synonym oder – sofern man ernst nimmt, dass das Herz in seiner Lokalisierbarkeit, MaterialitĂ€t und Sterblichkeit der Seele nicht entspricht – wenigstens als eine Art 'Metapher' fĂŒr die Seele betrachten. Auch von einer metonymischen ReprĂ€sentation der Seele durch das Herz könnte man, dieses als Seelensitz begreifend, sprechen“ (Doms 2010, 115). Diese Verflechtung von Herz und Seele geht aus Rists Abendlied deutlich hervor: Auf die Schilderung des auf Gott konzentrierten Herzens folgt unmittelbar die Aufforderung an die Seele, „mit Begier“ (Str. 9) und immerzu von Gott zu trĂ€umen. Statt von einer Verflechtung könnte hier auch von einer Verschaltung gesprochen werden, denn wĂ€hrend die Herzensausrichtung die Grundlage fĂŒr den Kontaktaufbau mit Gott bildet, ist es im zweiten Schritt die Seele des Ichs, die die erwĂŒnschte Verbindung zu Gott ĂŒber den Traum ermöglicht. Entsprechend der frĂŒhneuzeitlichen, u. a. auf die Traumtheorie Philipp Melanchthons (1497-1560) zurĂŒckgehenden Vorstellung von göttlichen TrĂ€umen als etwas Widerfahrendes, „nit ohn gefĂ€hr/ auch nicht auß natĂŒrlichen vrsachen/ sonder von oben herab“[9] Kommendes fĂ€llt der Seele dabei die Funktion eines Empfangsmediums zu. Dies wird vor allem anhand der im 17. Jahrhundert verbreiteten Dativkonstruktion des Verbs 'trĂ€umen'[10] in den beiden SchlĂŒsselversen „Meiner Seele mit Begier TrĂ€ume stets O Gott von dir“ deutlich, auf deren Wirkung auch Schirrmeister aufmerksam macht: „In der im Deutschen (nicht aber im Englischen oder Französischen) möglichen Formulierung ihm trĂ€umte anstatt des ĂŒblichen er trĂ€umte scheint noch die Vorstellung des TrĂ€umenden als Objekt statt eines Subjekts seiner TrĂ€ume auf“ (Schirrmeister 2001, 298).

DarĂŒber hinaus vermischen sich in Rists Traumdarstellung geistige und körperliche Verbundenheit: Das lyrische Ich erhofft sich von seinen nĂ€chtlichen TrĂ€umen, Gott als BeschĂŒtzer im Geiste bei sich zu haben, um „auch schlaffend“ sein zu verbleiben (Str. 9); das Adverb „auch“ betont dabei das tiefe Gottvertrauen des Ichs, denn es impliziert, dass die im Schlaf (bzw. in der Nacht) erbetene Verbundenheit im Wachzustand (bzw. bei Tag) bereits gegeben ist. Gleichzeitig sehnt sich das Ich danach, an Gott zu „bekleiben“, will also physisch mit ihm verbunden sein, an ihm ‚kleben‘.[11] Mit BerĂŒhrungsmetaphorik wird auch in den vorangehenden Strophen gespielt, indem das Ich seine Ängste vor sowohl irrealen als auch realen Gefahren als körperliche Angriffe ebendieser darstellt: Es bittet um göttlichen Beistand, vom Teufel „nicht beschmitzet“ (Str. 1) zu werden und von seinen Feinden „unbeschĂ€digt“ (Str. 2) zu bleiben. Dem gegenĂŒber steht das bereits erwĂ€hnte schmerzfreie GefĂŒhl, Gott im Herzen zu tragen (Str. 8).

Schluss

Das Bild vom göttlichen BeschĂŒtzer in der Nacht wird in den abschließenden drei Strophen erweitert: Der Segen Gottes wird als Bettdecke metaphorisiert, die sich schĂŒtzend ĂŒber das schlafende Ich legen soll. Gott soll jedoch nicht nur das Ich selbst behĂŒten, sondern, den christlichen Wertevorstellungen der Zeit folgend, auch all das, was diesem zugehörig oder wichtig ist – selbst seine Feinde: „Leib und Seele/ Muth und Blut/ Weib und Kinder/ Haab’ und Gut/ Freunde/ Feind’ und Haußgenossen/ Seyn in deinen Schutz geschlossen“ (Str. 10). Mit der Formulierung „Weib und Kinder“ wird dabei erstmals eine geschlechtliche Markierung des lyrischen Ichs angedeutet. Eine mĂ€nnliche Sprechinstanz erscheint insofern plausibel, als davon auszugehen ist, dass das Vorsingen von Abendliedern traditionell durch den Hausvater erfolgte, dem in der frĂŒhen Neuzeit sowie darĂŒber hinaus die (An-)Leitung hĂ€uslicher Andachten zufiel (Meyer 2020, 476), wie etwa auch das ein Jahrhundert spĂ€ter erschienene Abend- und heutige Volkslied Der Mond ist aufgegangen (ED 1779)[12] von Matthias Claudius (1740-1815) impliziert (Str. 3 und 7).

An die WĂŒnsche fĂŒr die Mitmenschen schließt sich die Bitte um Schutz vor Unheil an: Gott soll das Sprecher-Ich vor Krankheit, Krieg und Umweltkatastrophen bewahren. Wie aus der Bitte „Laß mich nicht in SĂŒnden sterben Noch an Leib’ und Seel verderben“ (Str. 11) hervorgeht, fĂŒrchtet sich das Ich insbesondere vor einem sĂŒndvollen Tod. Beim zweiten Teil dieses Verses, der als Anspielung auf die Machenschaften des Teufels zu verstehen ist und damit einen RĂŒckbezug zu den ersten drei Strophen herstellt, handelt es sich vermutlich um eine weitere Bibelreferenz: „VND fĂŒrchtet euch nicht fur denen/ die den Leib tödten/ vnd die Seele nicht mögen tödten. FĂŒrchtet euch aber viel mehr fur dem/ der Leib vnd Seele verderben mag/ in die Helle [Hervorh. d. Verf.]“ (Mt 10,28).

Der Gebetscharakter des Liedes kommt in der letzten Strophe am stĂ€rksten zum Vorschein: „Amen/ ja/ das sol geschehen“ (Str. 10). Indem das lyrische Ich seine bittenden Worte an Gott, Jesus und den Heiligen Geist richtet, wird der christliche TrinitĂ€tsgedanke aufgegriffen. Schlaf und Traum kommen hier zwar nicht mehr zur Sprache, jedoch spielt die Metaphorisierung des Geistes als „Hort“ auf ein (endgĂŒltiges) Ruhen des Ichs in Gott an.

Lina Saar

Literatur

PrimÀrliteratur

Christliches Abend=Lied und andere Traumtexte von Johann Rist (in der Reihenfolge ihrer Nennung im vorliegenden Artikel)

Werde munter mein GemĂŒte
  • Rist, Johann/Johann Schop: Himmlische Lieder (1641/42). Kritisch hg. u. komm. von Johann Anselm Steiger. Kritische Edition des Notentextes von Konrad KĂŒster. Mit einer EinfĂŒhrung von Inge Mager. Berlin: Akademie 2012, 238-242.
  • Rist, Johann: Johann Risten H. P. Himlischer Lieder. Mit sehr anmuhtigen, von Herrn Johann: Schopen, dero löblichen Stadt Hamburg Capellmeistern gesetzten Melodeyen. Das Dritte Zehn. LĂŒneburg: Johann u. Heinrich Stern 1642, 45-50; online.
  • Rist, Johann: Johann Risten Himlische Lieder [
] Nunmehr auffs neĂŒe wiederum ĂŒbersehen/ in Eine gantz andere und richtigere Ordnung gebracht/ an vielen Ohrten verbessert/ und mit Einem nĂŒtzlichen Blatweiser beschlossen. LĂŒneburg: Johann u. Heinrich Stern 1652, 326-332; online.
  • Rist, Johann: Johann Risten Geistlicher Poetischer Schriften Erster Theil/ In sich begreiffend NeĂŒe Himlische Lieder/ nebenst deroselben Ubersetzung in die Latinische Sprache/ M. Tobias Petermans/ [
] In dise NeĂŒe geschmeidige Form gebracht/ und ĂŒm so viel fĂŒglicher zu gebrauchen/ wolmeinentlich herfĂŒr gegeben. LĂŒneburg: Johann u. Heinrich Stern 1657, 476-485; online.
  • CrĂŒger, Johann: PRAXIS PIETATIS MELICA. Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen GesĂ€ngen [
]. Berlin: Christoff Runge 1653, 45-48; online.
  • Neu=vermehrtes Geistliches Gesangbuch/ In welchem ĂŒber 800. schöne Psalmen/Lob-GesĂ€nge und geistliche Lieder/ zur Beförderung der Hauß=und Kirchen=Andacht gefunden werden [
]. Hildesheim: Peter StĂŒrtz 1700, 993-995; online.
  • Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe fĂŒr die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Niedersachsen und fĂŒr die Bremische Evangelische Kirche. Hannover: Lutherisches Verl.Haus 1994.


Traurige Nachtklage
  • Rist, Johann: Florabella [1656]. In: Ders.: SĂ€mtliche Werke. 12 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. XI: Dichtungen 1653-1660. Hg. von Alfred Noe u. H.-G. R. Berlin: de Gruyter 2017, 325-329.


KlagGedicht Der verliebten SchÀfferin SYLVIA
  • Rist, Johann: Musa Teutonica [1634]. In: Ders.: SĂ€mtliche Werke. 12 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. III: Dichtungen 1634-1642. Hg. von Alfred Noe u. H.-G. R. Berlin: de Gruyter 2017, 156-159.


Klaglied Uber die schnelle FlĂŒchtigkeit dises irdischen und trĂŒbseligen Lebens
  • Rist, Johann: Neuer Teutscher Parnass [1652]. In: Ders.: SĂ€mtliche Werke. 12 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. X/2: Neuer Teutscher Parnass 1652. Hg. von Alfred Noe u. H.-G. R. Berlin: de Gruyter 2017, 736-738.


EhrengedĂ€chtniß/ Dem Weiland WolEhrenvesten/ Großachtbaren und wolbenamten Herren/ H. Eberhard Schlaeff
  • Rist, Johann: Neuer Teutscher Parnass [1652]. In: Ders.: SĂ€mtliche Werke. 12 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. X/2: Neuer Teutscher Parnass 1652. Hg. von Alfred Noe u. H.-G. R. Berlin: de Gruyter 2017, 755-759.


Perseus
  • Rist, Johann: Perseus [1634]. In: Ders.: SĂ€mtliche Werke. 12 Bde. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. I: Dramatische Dichtungen (Irenaromachia, Perseus). Hg. von Eberhard Mannack unter Mitw. von Helga Mannack. Berlin: de Gruyter 1967, 117-282.


Abendlieder anderer Dichter:innen

  • Anonymus: DUhast/ o Vater/ tag und nacht. In: Neu=vermehrtes Geistliches Gesangbuch/ In welchem ĂŒber 800. schöne Psalmen/Lob-GesĂ€nge und geistliche Lieder/zur Beförderung der Hauß=und Kirchen=Andacht gefunden werden [
]. Hildesheim: Peter StĂŒrtz 1700, 989-991; online.
  • Anonymus: HJnunter ist der sonnen=schein. In: Neu=vermehrtes Geistliches Gesangbuch/ In welchem ĂŒber 800. schöne Psalmen/Lob-GesĂ€nge und geistliche Lieder/zur Beförderung der Hauß=und Kirchen=Andacht gefunden werden [
]. Hildesheim: Peter StĂŒrtz 1700, 1006; online.
  • Claudius, Matthias: Der Mond ist aufgegangen. In: Johann Heinrich Voß (Hg.): Musen Almanach fĂŒr 1779. Hamburg: L.E. Bohn 1779, 184–186; online.
  • Franck, Johann: UNsre mĂŒden augen=lieder/ Schliessen sich itzt schlĂ€ffrig zu. In: Neu=vermehrtes Geistliches Gesangbuch/ In welchem ĂŒber 800. schöne Psalmen/Lob-GesĂ€nge und geistliche Lieder/zur Beförderung der Hauß=und Kirchen=Andacht gefunden werden [
]. Hildesheim: Peter StĂŒrtz 1700, 988 f.; online.
  • Gerhardt, Paul: NUn ruhen alle wĂ€lder. In: Johann CrĂŒger: PRAXIS PIETATIS MELICA. Das ist: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen GesĂ€ngen [
]. Berlin: Christoff Runge 1653, 33-35; online.
  • Harsdörffer, Georg Philipp: DEr Tag ist nun vergangen mit seiner Sorgenlast. In: Johann Michael Dilherr: Weg zur Seligkeit: So gezeiget wird/ in dieses BĂŒchleins Vier Theilen [
]. NĂŒrnberg: Wolfgang Endter 1647, 700-702; online.
  • Schwarzburg-Rudolstadt, Aemilie Juliane von: Ein Lied einer Person / welche die Letzte von ihrem Geschlechte. In: Dies.: Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck Zu Christlicher Vorbereitung Auf die Hochzeit des Lam?es/ In Lieder/ Gebete und Seuffzer abgefasset und mitgetheilt; Mit einem Vorbericht/ In welchem von dem Liede: Wer weiß/ wie nahe mir mein Ende: Nöthige Erinnerung geschiehet. Leipzig, Rudolstadt: Gollner 1714, 734-736; online. Dies.: GOtt Lob! der Tag ist auch mit seiner Plag verschwunden, ebd., 154 f. Dies.: IN JEsu Nahmen will ich nun zu Bette gehen, ebd., 168 f. Dies.: WEr kan so frölich / als wie ich, ebd., 516 f.
  • Curtz, Albert von: Harpffen Dauids Mit Teutschen Saiten bespannet/ Zu Trost/ vnd Erquickung der andĂ€chtigen Seel. Gesangweiß angerichtet. Augsburg: Aperger 1659.


Sonstige Quellen

  • Luther, Martin: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe. Hg. von Hans Volz unter Mitarb. Heinz Blanke. Textredaktion Friedrich Kur. MĂŒnchen: Rogner & Bernhard 1972.
  • Traumbuch/ Artemidori deß Griechischen Philosophi/ darinnen von vrsprung/ unterscheid und bedeutung/ allerhand TrĂ€ume/ [
]. Sampt einer Erinnerung Philippi Melanchtonis von unterscheid der TrĂ€ume/ Vnd angehencktem Bericht was von TrĂ€umen zuhalten seye. Straßburg: Heyden 1624; online.

SekundÀrliteratur

  • Auerochs, Bernd: Kontrafaktur. In: Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moenninghoff (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Stuttgart: Metzler 3. neu bearb. Aufl. 2007, 398 f.
  • Diecks, Thomas: Rist, Johann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 21. Berlin: Duncker & Humblot 2003, 646 f.; online.
  • Doms, Misia Sophia: Die Viel-Einheit des Seelenraums in der deutschsprachigen barocken Lyrik. Berlin: de Gruyter 2010.
  • DĂŒnnhaupt, Gerhard: Rist, Johann. In: Ders.: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Bd. V: Praetorius – Spee. Stuttgart: Hiersemann 2., verb. u. verm. Aufl. 1991 (= Hiersemanns Bibliographische HandbĂŒcher 9, V), 3374-3432.
  • Fischer, Albert Friedrich Wilhelm: Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-literarische Nachweisungen ĂŒber ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten in alphabetischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter. 2 Bde. Reprograf. Nachdr. d. Ausg. Gotha 1879. Hildesheim: Olms 1967.
  • Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, online (03.05.2022).
  • HĂŒbert, Gerda: Abend und Nacht in Gedichten verschiedener Jahrhunderte. 2 Bde. Bd. 1: Vergleichende Interpretationen. Diss. UniversitĂ€t TĂŒbingen 1963.
  • MĂŒtzell, Julius: Geistliche Lieder der Evangelischen Kirche. Berlin: Euslin 1855.
  • Scherf, Joachim: Nacht aus Licht. 526 geistliche Abendlieder und -gedichte aus 5 Jahrhunderten. Norderstedt: Books on Demand 2020.
  • Schirrmeister, Albert: Traum und Wissen in der FrĂŒhen Neuzeit. In: ZeitsprĂŒnge. Forschungen zur FrĂŒhen Neuzeit 5 (2001) 3/4, 297-310.
  • Thomas, Wilhelm/Konrad Ameln: Das Abendlied. 70 deutsche geistliche Abendlieder, meist mit eignen Weisen, aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert. Kassel: BĂ€renreiter 1930.
  • Zell, Carl-Alfred: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik mit besonderer BerĂŒcksichtigung der Dichtung Johann Heermanns (1585-1647). Heidelberg: Winter 1971.

Anmerkungen

  1. ↑ Schwarzburg-Rudolstadt ist bekannt fĂŒr ihre Arbeit nach der Kontrafakturmethode, einem (literarischen) Produktionsverfahren, bei dem ein neues Werk durch Übernahme von Elementen eines bereits existierenden Werks geschaffen wird (Auerochs 2007, 398 f.). FĂŒr ihr Lied einer Person/ welche die Letzte von ihrem Geschlechte, das 1714 in ihrer Werksammlung Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck erschien, entlehnte sie die Melodie sowie den ersten Vers von Rists Werde munter mein GemĂŒte.
  2. ↑ Gerhardts Abendlied Nun ruhen alle WĂ€lder erschien erstmals 1647 als Lied Nr. 19 in CrĂŒgers Praxis Pietatis Melica.
  3. ↑ Francks Abendlied beginnt mit den Versen „UNsre mĂŒden augen=lieder/ Schliessen sich itzt schlĂ€ffrig zu“ und findet sich als Lied Nr. 709 in der Hildesheimer Ausgabe des Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s] von 1700.
  4. ↑ Lied Nr. 710 mit dem Liedanfang „DUhast/ o Vater/ tag und nacht“ (ohne Verfasserangabe) in der Hildesheimer Ausgabe des Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s] von 1700.
  5. ↑ Lied Nr. 723 mit dem Liedanfang „HJnunter ist der sonnen=schein“ (ohne Verfasserangabe) in der Hildesheimer Ausgabe des Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s] von 1700.
  6. ↑ Harsdörffers Abendlied beginnt mit den Versen „DEr Tag ist nun vergangen mit seiner Sorgenlast“ und erschien erstmals 1647 in Dilherrs Weg zur Seligkeit.
  7. ↑ Vgl. die Abendlieder mit den LiedanfĂ€ngen „GOtt Lob! der Tag ist auch mit seiner Plag verschwunden“, „IN JEsu Nahmen will ich nun zu Bette gehen“ sowie „WEr kan so frölich/ als wie ich“ in Schwarzburg-Rudolstadts Werksammlung Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck von 1714.
  8. ↑ Vgl. den Artikel „geflissen“ in Jacob und Wilhelm Grimm; online.
  9. ↑ Melanchthons Vorrede in: Artemidor: Traumbuch, 25. Melanchthons Beschreibung unterschiedlicher Traumarten (natĂŒrliche, weissagende, göttliche und teuflische TrĂ€ume) findet sich ab der zweiten HĂ€lfte des 16. Jahrhunderts in der lateinischen Ausgabe des in der frĂŒhen Neuzeit viel rezipierten Traumbuches des antiken Traumdeuters Artemidorus von Daldis sowie in der deutschen Übersetzung desselben durch Walther Hermann Ryff (um 1500-1548).
  10. ↑ Vgl. den Artikel „trĂ€umen, vb.“ in Jacob und Wilhelm Grimm; online.
  11. ↑ Vgl. den Artikel „bekleiben“ in Jacob und Wilhelm Grimm; omline.
  12. ↑ Claudius’ Abendlied Der Mond ist aufgegangen erschien erstmals 1779 im Musen Almanach.


Zitiervorschlag fĂŒr diesen Artikel:

Saar, Lina: "Werde munter mein GemĂŒte" (Johann Rist). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "EuropĂ€ische Traumkulturen", 2022; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Werde_munter_mein_Gem%C3%BCte%22_(Johann_Rist) .