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Seit den 1990er Jahren sind phänomenologische Ansätze zum festen Bestandteil der Filmtheorie geworden. Allerdings rückten Traumdarstellungen bisher eher selten in den Fokus film-phänomenologischer Untersuchungen – ein Umstand, der nicht zuletzt deshalb verblüffen mag, da Traumsequenzen bekanntermaßen einen Hang zur sinnlichen Affizierung der Zuschauerin, und damit dem Untersuchungsgegenstand der Film-Phänomenologie schlechthin, aufweisen. Der folgende theoretisch-historische Streifzug will einige mögliche Anknüpfungspunkte zwischen phänomenologisch ausgerichtetem Denken über Film einerseits und dem Traum andererseits nachzeichnen, bezüglich letzterem sowohl in der Spielart ,Traum im Film‘ als auch in derjenigen des ,Films als Traum‘.
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==  Filmische Traumdarstellungen ==
 
==  Filmische Traumdarstellungen ==
 
Beschäftigt sich die Filmphänomenologie, allgemein gesprochen, mit der Fähigkeit des Films „to present the outward appearance of the world“ (Kuhn/Westwell 2012, 309), so mag man daraus ableiten, die Phänomenologie sei für die Untersuchung filmischer Träume ungeeignet. Schließlich drehen sich Traumsequenzen um die ''innere'' Erfahrung einer träumenden Figur. Da aber eine Traumsequenz diese innere Erfahrung als eine externalisierte (im Kontext des Kinos im wörtlichen Sinne) Projektion darstellt, steht sie der Phänomenologie als Untersuchungsobjekt zur Verfügung – der Traum ''erscheint'' als ein Objekt in der Welt. Eine Phänomenologie der filmischen Traumdarstellung interessiert sich also für das Potential des Kinos, die innere Erfahrung des Bewusstseins als ''äußere Erscheinung'' darzustellen. Diese Formulierung deutet auf die gegenseitige Durchdringung von Subjekt und Welt hin – ein Aspekt, der sowohl im Bezug auf das Medium Film als auch auf den nächtlichen Traum herausgestellt wurde. Maurice Merleau-Ponty schreibt: „Nun ist das Kino besonders geeignet, die Verbindung von Geist und Körper, von Geist und Welt und den Ausdruck des einen im anderen hervortreten zu lassen“ (Merleau-Ponty 2005, 82). Ähnlich wie die Existenzphilosophie lasse uns der Film „das Band zwischen dem Subjekt und der Welt, zwischen dem Subjekt und den anderen ‚sehen‘, anstatt es zu ,erklären‘“ (ebd.). Im Bezug auf das nächtliche Traumerleben beobachtet Medard Boss: „Wie künstlich und falsch erscheint an diesem unmittelbaren Traumereignis gemessen die übliche gedankliche Trennung einer solchen Zusammengehörigkeit in die zwei Stücke einer Aussenwelt und einer Innenwelt, in einen blossen aussenweltlichen Raumgegenstand, einen Zimmerraum einerseits und in irgendwelche darin unbeteiligt an ihm vorhandene, psychische Erlebnisse, Zustände und Verhaltensweisen des Menschen andererseits“ (Boss 1974, 92).
 
Beschäftigt sich die Filmphänomenologie, allgemein gesprochen, mit der Fähigkeit des Films „to present the outward appearance of the world“ (Kuhn/Westwell 2012, 309), so mag man daraus ableiten, die Phänomenologie sei für die Untersuchung filmischer Träume ungeeignet. Schließlich drehen sich Traumsequenzen um die ''innere'' Erfahrung einer träumenden Figur. Da aber eine Traumsequenz diese innere Erfahrung als eine externalisierte (im Kontext des Kinos im wörtlichen Sinne) Projektion darstellt, steht sie der Phänomenologie als Untersuchungsobjekt zur Verfügung – der Traum ''erscheint'' als ein Objekt in der Welt. Eine Phänomenologie der filmischen Traumdarstellung interessiert sich also für das Potential des Kinos, die innere Erfahrung des Bewusstseins als ''äußere Erscheinung'' darzustellen. Diese Formulierung deutet auf die gegenseitige Durchdringung von Subjekt und Welt hin – ein Aspekt, der sowohl im Bezug auf das Medium Film als auch auf den nächtlichen Traum herausgestellt wurde. Maurice Merleau-Ponty schreibt: „Nun ist das Kino besonders geeignet, die Verbindung von Geist und Körper, von Geist und Welt und den Ausdruck des einen im anderen hervortreten zu lassen“ (Merleau-Ponty 2005, 82). Ähnlich wie die Existenzphilosophie lasse uns der Film „das Band zwischen dem Subjekt und der Welt, zwischen dem Subjekt und den anderen ‚sehen‘, anstatt es zu ,erklären‘“ (ebd.). Im Bezug auf das nächtliche Traumerleben beobachtet Medard Boss: „Wie künstlich und falsch erscheint an diesem unmittelbaren Traumereignis gemessen die übliche gedankliche Trennung einer solchen Zusammengehörigkeit in die zwei Stücke einer Aussenwelt und einer Innenwelt, in einen blossen aussenweltlichen Raumgegenstand, einen Zimmerraum einerseits und in irgendwelche darin unbeteiligt an ihm vorhandene, psychische Erlebnisse, Zustände und Verhaltensweisen des Menschen andererseits“ (Boss 1974, 92).
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In einem Aufsatz von 1911 argumentiert der ungarische Philosoph und Literaturwissenschaftler Georg Lukács (1885-1971), das Kino sei traumartig, da es die Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit verneine: „weil seine Technik in jedem einzelnen Moment die absolute (wenn auch nur empirische) Wirklichkeit dieses Moments ausdrückt, wird das Gelten der ,Möglichkeit‘ als einer der ,Wirklichkeit‘ entgegengesetzten Kategorie aufgehoben“ (Lukács, zit. in Schneider 1998, 25). Wie der Träumende macht der Filmzuschauer eine Erfahrung, in der gilt: „Alles ist wahr und wirklich, alles ist gleich wahr und gleich wirklich“ (ebd.). Wie Schneider kommentiert, vergleicht Lukács das Erleben eines Films mit dem Erleben eines Traums. Es ist nicht die (wache) ''Erinnerung'' an den Nachttraum, die als Vergleichspunkt dient – hier wurde der Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit wiederhergestellt –, sondern die (manifeste) Erfahrung des Nachttraums, d.h. „die der Beobachtung im strengen Sinne gar nicht zugängliche Ebene des Traums“ (Schneider 1998, 25 f.).
 
In einem Aufsatz von 1911 argumentiert der ungarische Philosoph und Literaturwissenschaftler Georg Lukács (1885-1971), das Kino sei traumartig, da es die Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit verneine: „weil seine Technik in jedem einzelnen Moment die absolute (wenn auch nur empirische) Wirklichkeit dieses Moments ausdrückt, wird das Gelten der ,Möglichkeit‘ als einer der ,Wirklichkeit‘ entgegengesetzten Kategorie aufgehoben“ (Lukács, zit. in Schneider 1998, 25). Wie der Träumende macht der Filmzuschauer eine Erfahrung, in der gilt: „Alles ist wahr und wirklich, alles ist gleich wahr und gleich wirklich“ (ebd.). Wie Schneider kommentiert, vergleicht Lukács das Erleben eines Films mit dem Erleben eines Traums. Es ist nicht die (wache) ''Erinnerung'' an den Nachttraum, die als Vergleichspunkt dient – hier wurde der Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit wiederhergestellt –, sondern die (manifeste) Erfahrung des Nachttraums, d.h. „die der Beobachtung im strengen Sinne gar nicht zugängliche Ebene des Traums“ (Schneider 1998, 25 f.).
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1921, inmitten des Stummfilmzeitalters, adressiert der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) einen Aspekt von Träumen, der für die Traumdarstellungen vieler Filmemacher - z.B. Maya Deren (1917-1961), Federico Fellini (1920-1993), Andrei Tarkovsky (1932-1986) und David Lynch (*1946) - von großer Bedeutung sein wird, nämlich den Rücktritt oder gar Verlust von Sprache. Ähnlich wie im ersten markierten Traum im Oeuvre David Lynchs (im Kurzfilm ''The Alphabet'', 1968) wird die Sprache bei Hofmannsthal als „das Werkzeug der Gesellschaft“ gesehen und verkörpert die Machtdynamiken der Wachwelt (Hofmannsthal 1979, 142). Laut Hofmannsthal gingen die Leute im frühen 20. Jahrhundert ins Kino, um der Stumpfsinnigkeit ihres Alltagslebens zu entfliehen. Sie suchten nach einem „Ersatz für die Träume“ (so der Titel des Essays), derer sie durch die Monotonie des industriell-modernen Stadtlebens beraubt worden waren. Hofmannsthals Verwendung des Begriffs ,Traum‘ mag uns für die unterschiedlichen Grade der Metaphorizität sensibilisieren, mit der der Begriff von verschiedenen Vertretern einer Film/Traum-Analogie gebraucht wird. Neben dem Bezug auf den konkreten nächtlichen Traum scheint von Hofmannsthal das Träumen als einen Erfahrungsmodus zu begreifen, der von einer gewissen Neugier auf das Unbekannte angetrieben wird (Hofmannsthal 1979, 143). Wenn er das Kino mit dem Traum vergleicht, geht es ihm also nicht so sehr um die tatsächliche Erfahrung des Träumens, sondern um das, was ein Traum (für ihn) repräsentiert, nämlich einen Sinn für die Magie des Lebens. Möglicherweise will er andeuten, dass selbst der Verstand der Menschen so ,industrialisiert‘ ist, dass sogar ihre Träume durch externe, ,hergestellte‘ Bilder befeuert werden müssen. Mit seinem metaphorischen Gebrauch des Traumbegriffs antizipierte er die Auffassung von Hollywood als ,Traumfabrik‘ (vgl. Ilja Ehrenburgs Schrift ''Die Traumfabrik'' von 1931), die von Hortense Powdermaker in den 1950ern popularisiert wurde (vor allem in ihrem Buch: ''Hollywood, the Dream Factory'').  
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1921, inmitten des Stummfilmzeitalters, adressiert der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) einen Aspekt von Träumen, der für die Traumdarstellungen vieler Filmemacher z.B. Maya Deren (1917-1961), Federico Fellini (1920-1993), Andrei Tarkovsky (1932-1986) und David Lynch (*1946) von großer Bedeutung sein wird, nämlich den Rücktritt oder gar Verlust von Sprache. Ähnlich wie im ersten markierten Traum im Oeuvre David Lynchs (im Kurzfilm ''The Alphabet'', 1968) wird die Sprache bei Hofmannsthal als „das Werkzeug der Gesellschaft“ gesehen und verkörpert die Machtdynamiken der Wachwelt (Hofmannsthal 1979, 142). Laut Hofmannsthal gingen die Leute im frühen 20. Jahrhundert ins Kino, um der Stumpfsinnigkeit ihres Alltagslebens zu entfliehen. Sie suchten nach einem „Ersatz für die Träume“ (so der Titel des Essays), derer sie durch die Monotonie des industriell-modernen Stadtlebens beraubt worden waren. Hofmannsthals Verwendung des Begriffs ,Traum‘ mag uns für die unterschiedlichen Grade der Metaphorizität sensibilisieren, mit der der Begriff von verschiedenen Vertretern einer Film/Traum-Analogie gebraucht wird. Neben dem Bezug auf den konkreten nächtlichen Traum scheint von Hofmannsthal das Träumen als einen Erfahrungsmodus zu begreifen, der von einer gewissen Neugier auf das Unbekannte angetrieben wird (Hofmannsthal 1979, 143). Wenn er das Kino mit dem Traum vergleicht, geht es ihm also nicht so sehr um die tatsächliche Erfahrung des Träumens, sondern um das, was ein Traum (für ihn) repräsentiert, nämlich einen Sinn für die Magie des Lebens. Möglicherweise will er andeuten, dass selbst der Verstand der Menschen so ,industrialisiert‘ ist, dass sogar ihre Träume durch externe, ,hergestellte‘ Bilder befeuert werden müssen. Mit seinem metaphorischen Gebrauch des Traumbegriffs antizipierte er die Auffassung von Hollywood als ,Traumfabrik‘ (vgl. Ilja Ehrenburgs Schrift ''Die Traumfabrik'' von 1931), die von Hortense Powdermaker in den 1950ern popularisiert wurde (vor allem in ihrem Buch: ''Hollywood, the Dream Factory'').  
    
Noch kritischer gegenüber dem kulturellen Klima ihrer Zeit ist der Ansatz der Surrealisten, in dem Film und Traum untrennbar miteinander verknüpft sind. Michael Lommel beobachtet: „Die Schauspiele des Traums zählen zu den konstitutiven Merkmalen einer Ästhetik des Surrealen, die im Filmischen einen adäquaten Ort der Umsetzung findet, der jene surrealen Atmosphären und Wahrnehmungsformen am besten zu vermitteln vermag“ (Lommel 2008, 15). Durch den Einsatz von hyperassoziativer Montage und durch den Bruch mit der Konvention des ''continuity editing'' versuchte beispielsweise Luis Buñuels (1900-1983) und Salvador Dalís (1904-1989) berüchtigter Film [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel) ''Un chien andalou''] (1929) eine traumhafte Filmerfahrung zu evozieren, die die konventionelle Dichotomisierung in ,real‘ und ,irreal‘ unterläuft und zu einer Realität führt, die ,über‘ (französisch ,sur‘) der regulären, von der Rationalität und den moralischen Werten der Bourgeoisie bestimmten, Realität existiert. „Der Traumzustand wurde so zu einem Modell, das die Realitätswahrnehmung bereichern, ja verändern sollte“ (Brütsch 2011, 32). Auch wenn das Medium Film womöglich nicht per se traumhaft ist, hat es im Vergleich zu anderen Kunstformen ein besonderes Potential, eine traumartige Erfahrung hervorzurufen. Im Hinblick auf die Surrealisten wurde beobachtet: „the film camera possessed a unique capacity to capture and convey the sensation of dreaming“ (Kuhn/Westwell 2012, 415). Aus film-phänomenologischer Perspektive scheint es wichtig zu unterstreichen, dass, wie Laura Rascaroli schreibt, die Schriften der Surrealisten André Breton (1896-1966) und Réne Clair (1898-1981) die Grundlage darstellten für „the comparison between spectator and dreamer [which] became the most widely quoted and important similarity between film and dream“ (Rascaroli 2002, 2). Das heißt, die Nähe von Film und Traum wurde durch die Ähnlichkeit zwischen dem Zustand des Filmzuschauers und demjenigen des Träumenden erklärt. Eher als die Phänomene selbst sind es die Bedingungen ihrer Rezeption, die viele Autoren dazu gebracht haben, deren Ähnlichkeit zu behaupten.
 
Noch kritischer gegenüber dem kulturellen Klima ihrer Zeit ist der Ansatz der Surrealisten, in dem Film und Traum untrennbar miteinander verknüpft sind. Michael Lommel beobachtet: „Die Schauspiele des Traums zählen zu den konstitutiven Merkmalen einer Ästhetik des Surrealen, die im Filmischen einen adäquaten Ort der Umsetzung findet, der jene surrealen Atmosphären und Wahrnehmungsformen am besten zu vermitteln vermag“ (Lommel 2008, 15). Durch den Einsatz von hyperassoziativer Montage und durch den Bruch mit der Konvention des ''continuity editing'' versuchte beispielsweise Luis Buñuels (1900-1983) und Salvador Dalís (1904-1989) berüchtigter Film [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel) ''Un chien andalou''] (1929) eine traumhafte Filmerfahrung zu evozieren, die die konventionelle Dichotomisierung in ,real‘ und ,irreal‘ unterläuft und zu einer Realität führt, die ,über‘ (französisch ,sur‘) der regulären, von der Rationalität und den moralischen Werten der Bourgeoisie bestimmten, Realität existiert. „Der Traumzustand wurde so zu einem Modell, das die Realitätswahrnehmung bereichern, ja verändern sollte“ (Brütsch 2011, 32). Auch wenn das Medium Film womöglich nicht per se traumhaft ist, hat es im Vergleich zu anderen Kunstformen ein besonderes Potential, eine traumartige Erfahrung hervorzurufen. Im Hinblick auf die Surrealisten wurde beobachtet: „the film camera possessed a unique capacity to capture and convey the sensation of dreaming“ (Kuhn/Westwell 2012, 415). Aus film-phänomenologischer Perspektive scheint es wichtig zu unterstreichen, dass, wie Laura Rascaroli schreibt, die Schriften der Surrealisten André Breton (1896-1966) und Réne Clair (1898-1981) die Grundlage darstellten für „the comparison between spectator and dreamer [which] became the most widely quoted and important similarity between film and dream“ (Rascaroli 2002, 2). Das heißt, die Nähe von Film und Traum wurde durch die Ähnlichkeit zwischen dem Zustand des Filmzuschauers und demjenigen des Träumenden erklärt. Eher als die Phänomene selbst sind es die Bedingungen ihrer Rezeption, die viele Autoren dazu gebracht haben, deren Ähnlichkeit zu behaupten.
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Der Mangel an explizit phänomenologischen Untersuchungen oneirischer Filme ist alleine schon deswegen auffallend, weil einerseits die Phänomenologie dazu geneigt ist, binäres Denken zu hinterfragen, und andererseits der filmische Traum bereits seiner Natur nach die Binarität von ''innen–außen'' auf die Probe stellt; die Traumsequenz präsentiert innere Erfahrung als äußere Erscheinung. Es gibt zwar keine monographische Studie zur Phänomenologie des filmischen Traums, jedoch wäre es falsch anzunehmen, dass phänomenologisches Denken bisher überhaupt nicht auf oneirische Filme angewendet wurde. Simon Dicksons Arbeit ''The Oneiric Film: Refocusing the Film-Dream Analogy from an Existential Phenomenological Perspective'' zeigt die Wichtigkeit, Vivian Sobchaks Konzept des ''fleischlichen Wissens'' zu erweitern. Sobchak schreibt: „we see and comprehend and feel films with our entire bodily being, informed by the full history and carnal knowledge of our acculturated sensorium“ (Sobchak 2004, 63). In diesem Zusammenhang betont Dickson die Notwendigkeit, das Konzept dieses Wissens zu erweitern, um Traumerfahrung mit einzuschließen. Er schreibt, dass man anerkennen könnte, „that our ‘acculturated sensorium’ would thus factor in what we experience and sense in dreams. In short, as well as ‘carnal,’ one might begin to recognise an oneiric knowledge embedded in the film spectator“ (Dickson, 9 f). Wann immer man sagt, ein Film habe einen traumartigen Effekt auf die Zuschauerin, setzt man gewissermaßen die Existenz dessen, was Dickson „oneiric knowledge“ nennt, also Wissen darüber, wie es ist, einen Traum zu erleben, voraus – wie sonst könnten wir die Ähnlichkeit von Filmszene und Traum wahrnehmen? In diesem  – mimetischen – Sinne geht es darum, das Potential zu beurteilen, den wachen Zuschauer an die phänomenale Qualität (das ''what-it-is-like'') des Träumens zu erinnern, d.h. sein oneirisches Wissen zu adressieren. Ein Ansatz, der allein auf der Idee von oneirischem Wissen aufbaut, könnte allerdings aufgrund seines implizit mimetischen Verständnisses von filmischer Traumartigkeit als problematisch gelten. Denn etwas wäre nur dann traumartig, wenn es auf die eine oder andere Art die nächtliche Traumerfahrung ''widerspiegelt''. Einerseits mag dieser Ansatz, der in vielen psychologischen Zugängen zu künstlerischen Traumdarstellungen dominant ist, den Diskurs um oneirisches Kino erweitern, da er nun nicht mehr auf markierte Traumsequenzen beschränkt ist; ein traumartiger Effekt, im Sinne der Adressierung oneirischen Wissens, ist unabhängig vom Markierungsstatus der jeweiligen Szene. Jedoch erweist es sich in einem rein mimetischen Ansatz als schwieriger, die kreativen Aspekte derjenigen Traumsequenzen in Betracht zu ziehen, die allein aufgrund ihrer Markierung als Traum zu erkennen sind. Das heißt, diejenigen erfahrungsbezogenen Aspekte einer Traumsequenz, die den Nachttraum nicht ''imitieren'', sondern ästhetisch einen Effekt ''konstruieren'', der einfach deshalb als „traumartig“ bezeichnet werden kann, weil er in einer markierten Traumsequenz auftritt (oder eine deutliche Referenz auf eine solche beinhaltet), sind gar nicht Teil der Diskussion. Anders als mimetische Ansätze neigen konstruktivistische Ansätze zu der Frage, was (vom Kunstwerk selbst) als traumartig ''ausgewiesen'' ''wird'', anstatt zu fragen, was traumartig ''ist''. Im Mittelpunkt steht also das kreative Potential eines Mediums zur Darstellung von Träumen, und weniger der Bezug zum nächtlichen Traumerleben.  
 
Der Mangel an explizit phänomenologischen Untersuchungen oneirischer Filme ist alleine schon deswegen auffallend, weil einerseits die Phänomenologie dazu geneigt ist, binäres Denken zu hinterfragen, und andererseits der filmische Traum bereits seiner Natur nach die Binarität von ''innen–außen'' auf die Probe stellt; die Traumsequenz präsentiert innere Erfahrung als äußere Erscheinung. Es gibt zwar keine monographische Studie zur Phänomenologie des filmischen Traums, jedoch wäre es falsch anzunehmen, dass phänomenologisches Denken bisher überhaupt nicht auf oneirische Filme angewendet wurde. Simon Dicksons Arbeit ''The Oneiric Film: Refocusing the Film-Dream Analogy from an Existential Phenomenological Perspective'' zeigt die Wichtigkeit, Vivian Sobchaks Konzept des ''fleischlichen Wissens'' zu erweitern. Sobchak schreibt: „we see and comprehend and feel films with our entire bodily being, informed by the full history and carnal knowledge of our acculturated sensorium“ (Sobchak 2004, 63). In diesem Zusammenhang betont Dickson die Notwendigkeit, das Konzept dieses Wissens zu erweitern, um Traumerfahrung mit einzuschließen. Er schreibt, dass man anerkennen könnte, „that our ‘acculturated sensorium’ would thus factor in what we experience and sense in dreams. In short, as well as ‘carnal,’ one might begin to recognise an oneiric knowledge embedded in the film spectator“ (Dickson, 9 f). Wann immer man sagt, ein Film habe einen traumartigen Effekt auf die Zuschauerin, setzt man gewissermaßen die Existenz dessen, was Dickson „oneiric knowledge“ nennt, also Wissen darüber, wie es ist, einen Traum zu erleben, voraus – wie sonst könnten wir die Ähnlichkeit von Filmszene und Traum wahrnehmen? In diesem  – mimetischen – Sinne geht es darum, das Potential zu beurteilen, den wachen Zuschauer an die phänomenale Qualität (das ''what-it-is-like'') des Träumens zu erinnern, d.h. sein oneirisches Wissen zu adressieren. Ein Ansatz, der allein auf der Idee von oneirischem Wissen aufbaut, könnte allerdings aufgrund seines implizit mimetischen Verständnisses von filmischer Traumartigkeit als problematisch gelten. Denn etwas wäre nur dann traumartig, wenn es auf die eine oder andere Art die nächtliche Traumerfahrung ''widerspiegelt''. Einerseits mag dieser Ansatz, der in vielen psychologischen Zugängen zu künstlerischen Traumdarstellungen dominant ist, den Diskurs um oneirisches Kino erweitern, da er nun nicht mehr auf markierte Traumsequenzen beschränkt ist; ein traumartiger Effekt, im Sinne der Adressierung oneirischen Wissens, ist unabhängig vom Markierungsstatus der jeweiligen Szene. Jedoch erweist es sich in einem rein mimetischen Ansatz als schwieriger, die kreativen Aspekte derjenigen Traumsequenzen in Betracht zu ziehen, die allein aufgrund ihrer Markierung als Traum zu erkennen sind. Das heißt, diejenigen erfahrungsbezogenen Aspekte einer Traumsequenz, die den Nachttraum nicht ''imitieren'', sondern ästhetisch einen Effekt ''konstruieren'', der einfach deshalb als „traumartig“ bezeichnet werden kann, weil er in einer markierten Traumsequenz auftritt (oder eine deutliche Referenz auf eine solche beinhaltet), sind gar nicht Teil der Diskussion. Anders als mimetische Ansätze neigen konstruktivistische Ansätze zu der Frage, was (vom Kunstwerk selbst) als traumartig ''ausgewiesen'' ''wird'', anstatt zu fragen, was traumartig ''ist''. Im Mittelpunkt steht also das kreative Potential eines Mediums zur Darstellung von Träumen, und weniger der Bezug zum nächtlichen Traumerleben.  
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Man mag einen grundlegenden Unterschied zwischen nächtlichem Traumerleben und dem Schauen einer filmischen Traumszene darin sehen, dass im Falle der Filmszene oftmals eine Markierung des Traums vorliegt, während dies beim Nachttraum nicht der Fall ist. Es wäre allerdings nicht gerechtfertigt, den markierten Traum aufgrund einer Abweichung von der Phänomenologie des nächtlichen Traums von einer näheren Betrachtung auszuschließen: das würde den „retroactive mode“ der Traummarkierung ignorieren (vgl. Eberwein 1984, 160-191), indem wir uns des Traumstatus einer Filmszene erst im Nachhinein bewusst werden, beispielsweise wenn plötzlich eine Figur aus dem Schlaf hervorschnellt, ohne dass sie am Anfang der Szene einschlafend gezeigt wurde. Doch sogar eine Traumsequenz mit einleitender Markierung kann einen traumartigen Effekt ausüben, denn die Zuschauerin begegnet dem Film zunächst auf präreflektiver Ebene (auf der eine Erfahrung noch nicht in ,wirklich‘ und ,unwirklich‘ ausdifferenziert ist) – eine Ebene, die auch der nächtliche Traum nutzt, um intensive Momente der sinnlichen Involvierung oder Störung zu schaffen.
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Man mag einen grundlegenden Unterschied zwischen nächtlichem Traumerleben und dem Schauen einer filmischen Traumszene darin sehen, dass im Falle der Filmszene oftmals eine Markierung des Traums vorliegt, während dies beim Nachttraum nicht der Fall ist. Es wäre allerdings nicht gerechtfertigt, den markierten Traum aufgrund einer Abweichung von der Phänomenologie des nächtlichen Traums von einer näheren Betrachtung auszuschließen: das würde den „retroactive mode“ der Traummarkierung ignorieren (vgl. Eberwein 1984, 160-191), indem wir uns des Traumstatus einer Filmszene erst im Nachhinein bewusst werden, beispielsweise wenn plötzlich eine Figur aus dem Schlaf hervorschnellt, ohne dass sie am Anfang der Szene einschlafend gezeigt wurde. Doch sogar eine Traumsequenz mit einleitender Markierung kann einen traumartigen Effekt ausüben, denn die Zuschauerin begegnet dem Film zunächst auf präreflexiver Ebene (auf der eine Erfahrung noch nicht in ,wirklich‘ und ,unwirklich‘ ausdifferenziert ist) – eine Ebene, die auch der nächtliche Traum nutzt, um intensive Momente der sinnlichen Involvierung oder Störung zu schaffen.
    
Um ein möglichst differenziertes Bild des Attributs ,traumartig‘ (im Kontext des jeweiligen Forschungsfokus) zu bekommen, sollte sich eine Filmanalyse weder auf das Kriterium beschränken, an den nächtlichen Traum erinnern zu müssen, noch auf das Kriterium, einen Traum eindeutig markieren zu müssen. Wenn ein Film also keine markierten Träume beinhaltet, heißt das noch nicht unbedingt, dass er keine traumartigen Qualitäten besitzen kann. Markiert ein Film seine Träume, heißt das wiederum noch nicht, dass er uns nicht auch an die nächtliche Traumerfahrung erinnern kann. Konstruktivistische und mimetische Ansätze schließen sich also nicht aus, sondern können sich gegenseitig befruchten, wie beispielsweise die Arbeiten des Filmwissenschaftlers Vlada Petrić (1928-2019) zeigen.
 
Um ein möglichst differenziertes Bild des Attributs ,traumartig‘ (im Kontext des jeweiligen Forschungsfokus) zu bekommen, sollte sich eine Filmanalyse weder auf das Kriterium beschränken, an den nächtlichen Traum erinnern zu müssen, noch auf das Kriterium, einen Traum eindeutig markieren zu müssen. Wenn ein Film also keine markierten Träume beinhaltet, heißt das noch nicht unbedingt, dass er keine traumartigen Qualitäten besitzen kann. Markiert ein Film seine Träume, heißt das wiederum noch nicht, dass er uns nicht auch an die nächtliche Traumerfahrung erinnern kann. Konstruktivistische und mimetische Ansätze schließen sich also nicht aus, sondern können sich gegenseitig befruchten, wie beispielsweise die Arbeiten des Filmwissenschaftlers Vlada Petrić (1928-2019) zeigen.
    
===  Neurophysiologische Ansätze ===
 
===  Neurophysiologische Ansätze ===
Vlada Petrićs Aufsatz ''Film and Dreams: A Theoretical-Historical Survey'' könnte als Spezifizierung der Bedingungen gelesen werden, unter denen das oneirische Wissen eines Filmzuschauers aktiviert wird und legt den Aufmerksamkeitsfokus auf die präreflektive, physiologische Dimension der Filmerfahrung. Petrić schlägt vor, dass, wenn das Kino seine medienspezifischen Mittel angemessen nutzt, es in der Lage ist, die Zuschauerin dazu zu bringen, dargestellte Träume nicht nur distanziert wahrzunehmen, sondern sie sinnlich zu erleben, d.h. „in a way which approximates the process and impact of dreaming“ (Petrić 1980, 2). Mit Blick auf den „psycho-physiological impact on the viewer“ (Petrić 1980, 14) schreibt Petrić: „In the process of dreaming, our neural and muscular systems respond differently to various situations in spite of the fact that we accept them as reality. In essence, this unique aspect of dreaming parallels the impact of some cinematic devices on the film viewer. This impact is the subject which must be studied by both film theorists and psycho-neurologists“ (Petrić 1980, 14 f).  
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Vlada Petrićs Aufsatz ''Film and Dreams: A Theoretical-Historical Survey'' könnte als Spezifizierung der Bedingungen gelesen werden, unter denen das oneirische Wissen eines Filmzuschauers aktiviert wird und legt den Aufmerksamkeitsfokus auf die präreflexive, physiologische Dimension der Filmerfahrung. Petrić schlägt vor, dass, wenn das Kino seine medienspezifischen Mittel angemessen nutzt, es in der Lage ist, die Zuschauerin dazu zu bringen, dargestellte Träume nicht nur distanziert wahrzunehmen, sondern sie sinnlich zu erleben, d.h. „in a way which approximates the process and impact of dreaming“ (Petrić 1980, 2). Mit Blick auf den „psycho-physiological impact on the viewer“ (Petrić 1980, 14) schreibt Petrić: „In the process of dreaming, our neural and muscular systems respond differently to various situations in spite of the fact that we accept them as reality. In essence, this unique aspect of dreaming parallels the impact of some cinematic devices on the film viewer. This impact is the subject which must be studied by both film theorists and psycho-neurologists“ (Petrić 1980, 14 f).  
    
Während des Träumens akzeptiert der Träumer die Traumsituation als Realität und doch reagiert er auf (neuro-)physiologischer Ebene ''anders'' als er es tun würde, wenn er wirklich in der Situation wäre. Diese Dynamik findet sich ebenso in der Filmsituation: „the sensory-motor ''responses'' (characteristic of film viewing) correspond to muscular ''sensations'' (experienced by the dreamer)“, schreibt Petrić (1980, 19). Während die beiden Antworten auf psychologischer Ebene verschieden sind, zeigen sie eine Ähnlichkeit auf der physiologischen Ebene: „each in its own way enhances the dream or film viewer’s identification, alienation and comprehension of the dreamed event. The most exciting dream films […] employ the specific cinematic devices to intensify such visceral reactions in the viewer“ (ebd.). Eine kreative Nutzung der psycho-physiologischen Stimulation des Zuschauers kann die metaphorische Bedeutung und ihren oneirischen Effekt intensivieren und beinhaltet folgende filmische Techniken: „camera movement through space“, die zu einer an Hypnagogie erinnernde „kinesthetic sensation“ der Zuschauerin führt; „paradoxical combinations of objects“; „dynamic montage“, die zu „vestibular activation“ und der Förderung von albtraumartiger Angst führt; „photographic effects“, die eine „hypnotic mood“ erzeugen; „sight-and-sound counterpoint“, der „unusual sound and color combinations“ nach sich zieht, die an Träume erinnern (Petrić 1980, 24). Anders als Dickson interessiert sich Petrić sowohl für das oneirische Potential des filmischen Mediums im Allgemeinen als auch für die Art und Weise, in der bestimmte (markierte) Traumsequenzen dieses Potential nutzen. Es scheint wichtig zu betonen, dass Petrić die Traumartigkeit der Filmerfahrung per se nicht voraussetzt (wie diverse Vertreter der Film/Traum-Analogie es tun). Eher scheint sein Ansatz zu implizieren, dass das Traumhaftigkeitspotential (im Sinne eines sinnlich-oneirischen Effekts auf die Zuschauerin) dem filmischen Medium zwar auf besondere Art und Weise innewohnt, jedoch nur von bestimmten Szenen und Filmen genutzt wird. Dieses Potential entsteht durch die Fähigkeit des Films, die sensomotorischen Zentren des Zuschauers zu adressieren, was in einem traumartigen Effekt auf den Zuschauer resultieren kann. So grenzen sich oneirische Bilder von bloß fantastischen ab: letztere bringen keine physiologische, hypnagoge oder hypnotische Stimulation mit sich (Petrić 1980, 14). Bezüglich der filmischen Mittel, die zum Hervorrufen einer traumartigen, physiologischen Reaktion in der Zuschauerin geeignet sind, hebt Petrić besonders die Wichtigkeit von Kamerabewegungen hervor: „While watching dream sequences executed by a tracking camera, viewers simultaneously experience spatial sensation of the [filmic] environment and muscular activity of their body, supporting a hypothesis that the stimulation of the viewers’ neural centers is closer to a REM sleep (desynchronized sleep) than to a NREM sleep (synchronized sleep). […] Thus the most evident similarity between REM sleep and film viewing lies in the phenomenon that both dreamers and viewers, while their muscle potential is relatively high, experience sensory motor activity which creates a unique tension that can enhance an anxious mood or hallucinatory imagery“ (Petrić 1980, 22).
 
Während des Träumens akzeptiert der Träumer die Traumsituation als Realität und doch reagiert er auf (neuro-)physiologischer Ebene ''anders'' als er es tun würde, wenn er wirklich in der Situation wäre. Diese Dynamik findet sich ebenso in der Filmsituation: „the sensory-motor ''responses'' (characteristic of film viewing) correspond to muscular ''sensations'' (experienced by the dreamer)“, schreibt Petrić (1980, 19). Während die beiden Antworten auf psychologischer Ebene verschieden sind, zeigen sie eine Ähnlichkeit auf der physiologischen Ebene: „each in its own way enhances the dream or film viewer’s identification, alienation and comprehension of the dreamed event. The most exciting dream films […] employ the specific cinematic devices to intensify such visceral reactions in the viewer“ (ebd.). Eine kreative Nutzung der psycho-physiologischen Stimulation des Zuschauers kann die metaphorische Bedeutung und ihren oneirischen Effekt intensivieren und beinhaltet folgende filmische Techniken: „camera movement through space“, die zu einer an Hypnagogie erinnernde „kinesthetic sensation“ der Zuschauerin führt; „paradoxical combinations of objects“; „dynamic montage“, die zu „vestibular activation“ und der Förderung von albtraumartiger Angst führt; „photographic effects“, die eine „hypnotic mood“ erzeugen; „sight-and-sound counterpoint“, der „unusual sound and color combinations“ nach sich zieht, die an Träume erinnern (Petrić 1980, 24). Anders als Dickson interessiert sich Petrić sowohl für das oneirische Potential des filmischen Mediums im Allgemeinen als auch für die Art und Weise, in der bestimmte (markierte) Traumsequenzen dieses Potential nutzen. Es scheint wichtig zu betonen, dass Petrić die Traumartigkeit der Filmerfahrung per se nicht voraussetzt (wie diverse Vertreter der Film/Traum-Analogie es tun). Eher scheint sein Ansatz zu implizieren, dass das Traumhaftigkeitspotential (im Sinne eines sinnlich-oneirischen Effekts auf die Zuschauerin) dem filmischen Medium zwar auf besondere Art und Weise innewohnt, jedoch nur von bestimmten Szenen und Filmen genutzt wird. Dieses Potential entsteht durch die Fähigkeit des Films, die sensomotorischen Zentren des Zuschauers zu adressieren, was in einem traumartigen Effekt auf den Zuschauer resultieren kann. So grenzen sich oneirische Bilder von bloß fantastischen ab: letztere bringen keine physiologische, hypnagoge oder hypnotische Stimulation mit sich (Petrić 1980, 14). Bezüglich der filmischen Mittel, die zum Hervorrufen einer traumartigen, physiologischen Reaktion in der Zuschauerin geeignet sind, hebt Petrić besonders die Wichtigkeit von Kamerabewegungen hervor: „While watching dream sequences executed by a tracking camera, viewers simultaneously experience spatial sensation of the [filmic] environment and muscular activity of their body, supporting a hypothesis that the stimulation of the viewers’ neural centers is closer to a REM sleep (desynchronized sleep) than to a NREM sleep (synchronized sleep). […] Thus the most evident similarity between REM sleep and film viewing lies in the phenomenon that both dreamers and viewers, while their muscle potential is relatively high, experience sensory motor activity which creates a unique tension that can enhance an anxious mood or hallucinatory imagery“ (Petrić 1980, 22).
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===  Eine starke vs. schwache Version der Film/Traum-Analogie ===
 
===  Eine starke vs. schwache Version der Film/Traum-Analogie ===
Auf filmtheoretischer Ebene zeigen die Arbeiten von Dickson, Petrić und Schönhammer die Notwendigkeit auf, zwischen einer starken und einer schwachen Version der Film/Traum-Analogie zu unterscheiden. Laut der starken Version ist jeder Film wie ein Traum, da die Filmerfahrung einige wesentliche Charakteristika mit der Traumerfahrung teilt: Bewegungslosigkeit des Körpers bei Identifikation mit virtuellem Szenario, Immaterialität der Film-/Traumwelt, Formbarkeit der raumzeitlichen Beziehungen usw. Laut der schwachen Version der Analogie wohnt dem Medium Film auf besondere Weise das Potential inne, das Träumen in seiner sinnlichen Intensität darzustellen. Diese Version ist immer noch Teil der Film-/Traum-Analogie, da die Filmerfahrung der Traumerfahrung (bzw. deren wacher Rekonstruktion) hinreichend ähnlich ist, um erstere im Rückgriff auf letztere zu charakterisieren. Untersucht man die Filme eines bestimmten Regisseurs oder einer bestimmten Regisseurin, oder diejenigen einer bestimmten historischen Periode im Hinblick auf ihre Traumhaftigkeit, so kann man nach dem Nutzen der starken Film/Traum-Analogie fragen: Wenn die Filmerfahrung an sich bereits ihrer Natur nach traumartig ist, was würde es dann bedeuten, die Erfahrung eines ''bestimmten'' Films (oder einer bestimmten Szene) als traumartig zu bezeichnen? Was würde einen Film als mehr oder weniger traumartig auszeichnen, wenn alle Filme traumartig sind? Untersuchen wir also beispielsweise das Kino Buñuels auf dessen Traumartigkeit, erscheint die starke Analogie nicht als vielversprechend. Damit die Charakterisierung ,traumartig‘ bedeutungsvoll ist, muss es Filme geben, auf die sie zutrifft und andere, auf die sie nicht zutrifft. Was man in der möglichen Ablehnung der starken Film/Traum-Analogie allerdings nicht ignorieren sollte – wie es beispielsweise bei Matthias Brütsch der Fall zu sein scheint (Brütsch 2013, 88 f) – ist die natürliche Neigung des Kinos zum Traum hin. Indem er die Film/Traum-Analogie auf ihre extreme Version reduziert, scheint Brütsch zu ignorieren, dass die umkehrbare Natur der Filmerfahrung (der Umstand, dass sich das im Film Repräsentierte immer zugleich in eine gelebte Erfahrung der Zuschauerin übersetzt) den Traum bzw. eher das Träumen als besonders interessantes Phänomen für Filmschaffende hervorhebt. Weil Film eine primär audiovisuelle Erfahrung ist, die auf die präreflektive, sinnliche Involvierung abzielt, besitzt er eine besondere Fähigkeit, den wachen Zuschauer an das Träumen zu erinnern (womöglich an einen bestimmten Traumtypus) – d.h. eine typischerweise audiovisuelle Erfahrung, die oftmals intensive, sinnliche Involvierung provoziert. Das heißt allerdings nicht, dass jeder Film traumartig ist. Viel eher kann man sagen, das filmische Medium stelle eine geeignete ''Kategorie'' von Erfahrung bereit, einen besonders intensiven, traumartigen Effekt auf die Zuschauerschaft zu erzeugen. Die Erforschung des filmischen Potentials, ''den Traum'' (als Sequenz) darzustellen, ist wohl nicht unabhängig von dem breiteren Diskurs um eine Film/Traum-Analogie: Möglicherweise sind es bloß bestimmte Filme/Szenen/Regisseure, die diejenigen Elemente manifestieren, die (fälschlicherweise) dem Kino im Allgemeinen zugeschrieben wurden. Der entscheidende Teil besteht darin, ''wie'' ein Film das oneirische Potential des Kinos umsetzt und wie die Erfahrung der Traumhaftigkeit in Bezug zu der vom Film erzählten Geschichte steht.
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Auf filmtheoretischer Ebene zeigen die Arbeiten von Dickson, Petrić und Schönhammer die Notwendigkeit auf, zwischen einer starken und einer schwachen Version der Film/Traum-Analogie zu unterscheiden. Laut der starken Version ist jeder Film wie ein Traum, da die Filmerfahrung einige wesentliche Charakteristika mit der Traumerfahrung teilt: Bewegungslosigkeit des Körpers bei Identifikation mit virtuellem Szenario, Immaterialität der Film-/Traumwelt, Formbarkeit der raumzeitlichen Beziehungen usw. Laut der schwachen Version der Analogie wohnt dem Medium Film auf besondere Weise das Potential inne, das Träumen in seiner sinnlichen Intensität darzustellen. Diese Version ist immer noch Teil der Film/Traum-Analogie, da die Filmerfahrung der Traumerfahrung (bzw. deren wacher Rekonstruktion) hinreichend ähnlich ist, um erstere im Rückgriff auf letztere zu charakterisieren. Untersucht man die Filme eines bestimmten Regisseurs oder diejenigen einer bestimmten historischen Periode im Hinblick auf ihre Traumhaftigkeit, so kann man nach dem Nutzen der starken Film/Traum-Analogie fragen: Wenn die Filmerfahrung an sich bereits ihrer Natur nach traumartig ist, was würde es dann bedeuten, die Erfahrung eines ''bestimmten'' Films (oder einer bestimmten Szene) als traumartig zu bezeichnen? Was würde einen Film als mehr oder weniger traumartig auszeichnen, wenn alle Filme traumartig sind? Untersuchen wir also beispielsweise das Kino Buñuels auf dessen Traumartigkeit, erscheint die starke Analogie nicht als vielversprechend. Damit die Charakterisierung ,traumartig‘ bedeutungsvoll ist, muss es Filme geben, auf die sie zutrifft und andere, auf die sie nicht zutrifft. Was man in der möglichen Ablehnung der starken Film/Traum-Analogie allerdings nicht ignorieren sollte – wie es beispielsweise bei Matthias Brütsch der Fall zu sein scheint (Brütsch 2013, 88 f) – ist die natürliche Neigung des Kinos zum Traum hin. Indem er die Film/Traum-Analogie auf ihre extreme Version reduziert, scheint Brütsch zu ignorieren, dass die umkehrbare Natur der Filmerfahrung (der Umstand, dass sich das im Film Repräsentierte immer zugleich in eine gelebte Erfahrung der Zuschauerin übersetzt) den Traum bzw. eher das Träumen als besonders interessantes Phänomen für Filmschaffende hervorhebt. Weil Film eine primär audiovisuelle Erfahrung ist, die auf die präreflexive, sinnliche Involvierung abzielt, besitzt er eine besondere Fähigkeit, den wachen Zuschauer an das Träumen zu erinnern (womöglich an einen bestimmten Traumtypus) – d.h. eine typischerweise audiovisuelle Erfahrung, die oftmals intensive, sinnliche Involvierung provoziert. Das heißt allerdings nicht, dass jeder Film traumartig ist. Viel eher kann man sagen, das filmische Medium stelle eine geeignete ''Kategorie'' von Erfahrung bereit, einen besonders intensiven, traumartigen Effekt auf die Zuschauerschaft zu erzeugen. Die Erforschung des filmischen Potentials, ''den Traum'' (als Sequenz) darzustellen, ist wohl nicht unabhängig von dem breiteren Diskurs um eine Film/Traum-Analogie: Möglicherweise sind es bloß bestimmte Filme/Szenen/Regisseure, die diejenigen Elemente manifestieren, die (fälschlicherweise) dem Kino im Allgemeinen zugeschrieben wurden. Der entscheidende Teil besteht darin, ''wie'' ein Film das oneirische Potential des Kinos umsetzt und wie die Erfahrung der Traumhaftigkeit in Bezug zu der vom Film erzählten Geschichte steht.
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