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Während nach den stilprägenden expressionistischen und den experimentellen [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel)#Surrealismus_und_Traum surrealistischen Filmen] in Europa durch die politischen Umbrüche und schließlich den Faschismus eine 'lange Verfallsperiode' (vgl. Kracauer 1984, 9) einsetzt, wächst in der Zwischenkriegszeit zunehmend Nordamerika zum einflussreichen Produktionsplatz: Mit "Universal Pictures" und "Paramount Pictures" (beide 1912 gegründet) sowie in der Folge mit "United Artists" (1919), "Warner Brothers" (1923), "Columbia Pictures" (1924), "Metro-Goldwyn-Mayer" (MGM; 1924) und "Radio-Keith-Orpheum Pictures" (RKO; 1929) wird Hollywood, nahe Los Angeles in Kalifornien gelegen, zur 'dream factory', und das sogenannte 'Studiosystem' zum Erfolgsmodell.
 
Während nach den stilprägenden expressionistischen und den experimentellen [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel)#Surrealismus_und_Traum surrealistischen Filmen] in Europa durch die politischen Umbrüche und schließlich den Faschismus eine 'lange Verfallsperiode' (vgl. Kracauer 1984, 9) einsetzt, wächst in der Zwischenkriegszeit zunehmend Nordamerika zum einflussreichen Produktionsplatz: Mit "Universal Pictures" und "Paramount Pictures" (beide 1912 gegründet) sowie in der Folge mit "United Artists" (1919), "Warner Brothers" (1923), "Columbia Pictures" (1924), "Metro-Goldwyn-Mayer" (MGM; 1924) und "Radio-Keith-Orpheum Pictures" (RKO; 1929) wird Hollywood, nahe Los Angeles in Kalifornien gelegen, zur 'dream factory', und das sogenannte 'Studiosystem' zum Erfolgsmodell.
         
==Hollywood und Psychoanalyse==
 
==Hollywood und Psychoanalyse==
Der Regisseur Alfred Hitchcock (1899–1980) – ja ohnehin mit seinen legendären Cameo-Auftritten ein 'Meister' des Metareferentiellen – wendet sich im Skript für einen (wohl nie tatsächlich gedrehten) Trailer<ref>Das gesamte Trailer-Skript ist leicht erreichbar über: Nándor Bokor/Alain Kerzoncuf: Alfred Hitchcock’s Trailers, Part II. In: Senses of Cinema 36 (2005); https://www.sensesofcinema.com/2005/feature-articles/hitchcocks_trailers_part2/, Abschnitt III. Curiosities.</ref> zu seinem gerade erscheinenden Film [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Spellbound%22_(Alfred_Hitchcock) ''Spellbound''] (1945) persönlich an das Publikum:
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Der Regisseur Alfred Hitchcock (1899–1980) – ja ohnehin mit seinen legendären Cameo-Auftritten ein 'Meister' des Metareferentiellen – wendet sich im Skript für einen (wohl nie tatsächlich gedrehten) Trailer<ref>Das gesamte Trailer-Skript ist leicht erreichbar über: Nándor Bokor/Alain Kerzoncuf: Alfred Hitchcock’s Trailers, Part II. In: Senses of Cinema 36 (2005); https://www.sensesofcinema.com/2005/feature-articles/hitchcocks_trailers_part2/, Abschnitt III. Curiosities.</ref> zu seinem gerade erscheinenden Film [["Spellbound" (Alfred Hitchcock)|''Spellbound'']] (1945) persönlich an das Publikum:
    
: That screen up there is like a mind. We here in Hollywood can make anything happen there. We can also show you what a man dreams. Yes, we here in Hollywood can make anything happen on the screen – but our powers are dwarfed compared to what you [he turns to look into the audience] can make happen in your mind (zit. nach Auiler 2001, 558 f.).
 
: That screen up there is like a mind. We here in Hollywood can make anything happen there. We can also show you what a man dreams. Yes, we here in Hollywood can make anything happen on the screen – but our powers are dwarfed compared to what you [he turns to look into the audience] can make happen in your mind (zit. nach Auiler 2001, 558 f.).
    
Hiermit scheint das Verhältnis von Traum und Hollywood, zwischen der 'Traumfabrik' in Kalifornien und der traumdeutenden Psychoanalyse aus Europa, gut beschrieben: An die seit der Frühzeit des Kinos existierende Analogie von Film und Traum anknüpfend (vgl. Brütsch 2011), gibt es zwar durch Filmtricks und Spezialeffekte nahezu keine Grenzen der Imaginations- und damit Darstellungsmöglichkeiten. Doch ausgerechnet die Inszenierung von Träumen, die Suche nach einer realistischen Filmsprache des Traums, stellt weiterhin eine Herausforderung für die Hollywood-Regisseur:innen dar.
 
Hiermit scheint das Verhältnis von Traum und Hollywood, zwischen der 'Traumfabrik' in Kalifornien und der traumdeutenden Psychoanalyse aus Europa, gut beschrieben: An die seit der Frühzeit des Kinos existierende Analogie von Film und Traum anknüpfend (vgl. Brütsch 2011), gibt es zwar durch Filmtricks und Spezialeffekte nahezu keine Grenzen der Imaginations- und damit Darstellungsmöglichkeiten. Doch ausgerechnet die Inszenierung von Träumen, die Suche nach einer realistischen Filmsprache des Traums, stellt weiterhin eine Herausforderung für die Hollywood-Regisseur:innen dar.
      
===Freud in the USA===
 
===Freud in the USA===
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Es schien daher den 'Umweg' über die Theaterbühne und einen Broadway-Erfolg zu brauchen, bis "die Theorien Sigmund Freuds seit dem 1941 uraufgeführten Musical ''Lady in the Dark'' in den USA zu einem Modethema geworden" sind (Jendricke 1999, 79) und auch von Hollywood aufgegriffen werden: Der auf dem Musical basierende Film ''Lady in the Dark'' von 1944, inszeniert von Regisseur Mitchell Leisen (1898–1972), wurde von der Kritik für die innovativen Traumszenen gelobt und von der Filmakademie für drei Oscars nominiert.
 
Es schien daher den 'Umweg' über die Theaterbühne und einen Broadway-Erfolg zu brauchen, bis "die Theorien Sigmund Freuds seit dem 1941 uraufgeführten Musical ''Lady in the Dark'' in den USA zu einem Modethema geworden" sind (Jendricke 1999, 79) und auch von Hollywood aufgegriffen werden: Der auf dem Musical basierende Film ''Lady in the Dark'' von 1944, inszeniert von Regisseur Mitchell Leisen (1898–1972), wurde von der Kritik für die innovativen Traumszenen gelobt und von der Filmakademie für drei Oscars nominiert.
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Mit diesem Erfolg scheint das Interesse, die Psychoanalyse auf die Leinwand zu bringen, enorm gewachsen – und so begibt sich etwa auch Filmproduzent David O. Selznick (1902–1965), der mit ''King Kong'' (1933) für RKO einen großen Erfolg eingefahren hatte und mit ''Gone with the Wind'' (1939) zehn Oscars gewinnen konnte, auf die Suche nach einem geeigneten Stoff und Regisseur. Fündig wurde er mit dem Roman "The House of Dr. Edwardes" der Schriftsteller John Palmer (1885–1944) und Hilary A. Saunders (1898–1951) – veröffentlicht 1927 unter dem gemeinsamen Pseudonym "Francis Beeding" – und dem britischen Regisseur Alfred Hitchcock, mit dem er bereits zuvor ''Rebecca'' (USA, 1940) nach dem Roman von Daphne du Maurier (1907–1989) in die Kinos gebracht hatte. Auch die neue Zusammenarbeit wurde unter dem Titel [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Spellbound%22_(Alfred_Hitchcock) ''Spellbound''] ein finanzieller Erfolg und beeindruckte besonders durch die vom spanischen Maler Salvador Dalí (1904–1989) entworfenen Traumsequenzen (vgl. Engel 2020, 571-580).
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Mit diesem Erfolg scheint das Interesse, die Psychoanalyse auf die Leinwand zu bringen, enorm gewachsen – und so begibt sich etwa auch Filmproduzent David O. Selznick (1902–1965), der mit ''King Kong'' (1933) für RKO einen großen Erfolg eingefahren hatte und mit ''Gone with the Wind'' (1939) zehn Oscars gewinnen konnte, auf die Suche nach einem geeigneten Stoff und Regisseur. Fündig wurde er mit dem Roman "The House of Dr. Edwardes" der Schriftsteller John Palmer (1885–1944) und Hilary A. Saunders (1898–1951) – veröffentlicht 1927 unter dem gemeinsamen Pseudonym "Francis Beeding" – und dem britischen Regisseur Alfred Hitchcock, mit dem er bereits zuvor ''Rebecca'' (USA, 1940) nach dem Roman von Daphne du Maurier (1907–1989) in die Kinos gebracht hatte. Auch die neue Zusammenarbeit wurde unter dem Titel [["Spellbound" (Alfred Hitchcock)|''Spellbound'']] ein finanzieller Erfolg und beeindruckte besonders durch die vom spanischen Maler Salvador Dalí (1904–1989) entworfenen Traumsequenzen (vgl. Engel 2020, 571-580).
    
==="Vulgär-Freud"===
 
==="Vulgär-Freud"===
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: Seitdem mit Hilfe des Films, der Seifenopern und der Horney [i.e. Karen Horney, 1885-1952, eine damals sehr populäre deutsch-amerikanische Psychoanalytikerin] die Tiefenpsychologie in die letzten Löcher dringt, wird den Menschen auch die letzte Möglichkeit der Erfahrung ihrer selbst von der organisierten Kultur abgeschnitten (ebd., 72).
 
: Seitdem mit Hilfe des Films, der Seifenopern und der Horney [i.e. Karen Horney, 1885-1952, eine damals sehr populäre deutsch-amerikanische Psychoanalytikerin] die Tiefenpsychologie in die letzten Löcher dringt, wird den Menschen auch die letzte Möglichkeit der Erfahrung ihrer selbst von der organisierten Kultur abgeschnitten (ebd., 72).
      
==="Golden Age of Psychiatry"===
 
==="Golden Age of Psychiatry"===
 
Die Darstellung von Psychoanalyse und Psychotherapie wurde in den folgenden Jahren intensiver – und seriöser: Dieses "Golden Age of Psychiatry" im Hollywoodfilm (vgl. Young 2012, 50) ist dabei stark beeinflusst vom sich veränderten Verständnis von Psychologie und Psychiatrie, von Traum und Träumen.
 
Die Darstellung von Psychoanalyse und Psychotherapie wurde in den folgenden Jahren intensiver – und seriöser: Dieses "Golden Age of Psychiatry" im Hollywoodfilm (vgl. Young 2012, 50) ist dabei stark beeinflusst vom sich veränderten Verständnis von Psychologie und Psychiatrie, von Traum und Träumen.
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Ein Meilenstein im diskursiven Wissen stellt dabei die 'Entdeckung' der REM-Schlafphase im Jahre 1953 durch Eugene Aserinsky (1921–1998) und Nathaniel Kleitman (1895–1999) dar (vgl. Mertens 2009, 89 f.), mit baldigen Auswirkungen auf die Künste: Denn anders als der noch stark von Freud beeinflusste [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel)#Surrealismus_und_Traum surrealistischen Experimente] – wie etwa [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel) ''Un Chien Andalou''] (Frankreich, 1929) – oder der Jungianisch inspirierte Episodenfilm ''Dreams That Money Can Buy'' (USA, 1947; vgl. Kracauer 1985, 256), versuchen spätere Produktionen sich diesem neuen Traumwissen nun auch mit neuen Traumbildern filmästhetisch anzunähern. So verwendet etwa der schwedische Regisseur Ingmar Bergman (1918–2007) in seinem 1966 erschienenen Film [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Persona%22_(Ingmar_Bergman) ''Persona''] ein programmatisches "Aneinandermontieren kurzer Einstellungen verschiedener Gegenstände, Lebewesen und Szenarien, abrupte Szenenwechsel, Ansichten, die fragmentarisch bleiben, Zeitrafferaufnahmen, [oder] ungewohnte Bilder, die jähe Stimmungsumschwünge bewirken" (Brütsch 2009, 36).
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Ein Meilenstein im diskursiven Wissen stellt dabei die 'Entdeckung' der REM-Schlafphase im Jahre 1953 durch Eugene Aserinsky (1921–1998) und Nathaniel Kleitman (1895–1999) dar (vgl. Mertens 2009, 89 f.), mit baldigen Auswirkungen auf die Künste: Denn anders als der noch stark von Freud beeinflusste [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/] – wie etwa [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Un_chien_andalou%22_(Luis_Bu%C3%B1uel) ''Un Chien Andalou''] (Frankreich, 1929) – oder der Jungianisch inspirierte Episodenfilm ''Dreams That Money Can Buy'' (USA, 1947; vgl. Kracauer 1985, 256), versuchen spätere Produktionen sich diesem neuen Traumwissen nun auch mit neuen Traumbildern filmästhetisch anzunähern. Auch im europäischen Kino scheint sich die filmische Traumästhetik daraufhin zu verändern, und so verwendet etwa der schwedische Regisseur Ingmar Bergman (1918–2007) in seinem 1966 erschienenen Film ''Persona'' ein programmatisches "Aneinandermontieren kurzer Einstellungen verschiedener Gegenstände, Lebewesen und Szenarien, abrupte Szenenwechsel, Ansichten, die fragmentarisch bleiben, Zeitrafferaufnahmen, [oder] ungewohnte Bilder, die jähe Stimmungsumschwünge bewirken" (Brütsch 2009, 36).
    
Gleichzeitig entstehen neue Figurentypen, sei es der erfolgreiche Baseball-Spieler, der sich in ''Fear Strikes Out'' (Robert Mulligan; USA, 1957) in eine psychische Institution begeben muss, sei es die Weiterentwicklung der geheimnisvollen "femme fragile" mit Persönlichkeitsstörungen – wie etwa die jungen Frauen in ''The Three Faces of Eve'' (Nunnally Johnson; USA, 1955) oder ''David and Lisa'' (Frank Perry; USA, 1962) – oder der Archetyp des Psychiaters (in diesen Filmen: Dr. Brown, Dr. Luther und Dr. Swinford).
 
Gleichzeitig entstehen neue Figurentypen, sei es der erfolgreiche Baseball-Spieler, der sich in ''Fear Strikes Out'' (Robert Mulligan; USA, 1957) in eine psychische Institution begeben muss, sei es die Weiterentwicklung der geheimnisvollen "femme fragile" mit Persönlichkeitsstörungen – wie etwa die jungen Frauen in ''The Three Faces of Eve'' (Nunnally Johnson; USA, 1955) oder ''David and Lisa'' (Frank Perry; USA, 1962) – oder der Archetyp des Psychiaters (in diesen Filmen: Dr. Brown, Dr. Luther und Dr. Swinford).
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Ein letzter Höhepunkt dieses 'goldenen Zeitalters' ist der Film [http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Freud%22_(John_Huston) ''Freud''] (USA, 1962) von John Huston (1906–1987), dessen ursprüngliches Drehbuch von Jean-Paul Sartre (1905-1980) geschrieben wurde, bevor sich im weitern Verlauf der 1960er und 1970er Jahren – womöglich auch vor dem Hintergrund des Vietnam-Kriegs und der massenweise in die USA traumatisiert heimkehrenden Soldaten (vgl. Nesselhauf 2017, 199 ff.) – das Bild der Psycholog:innen, Psychoanalytiker:innen und Psychiater:innen im Hollywood-Film radikal verändert: "mental health experts were subjected to the skepticism that was applied to all established institutions" (Young 2012, 50). So zeigt beispielsweise ''One Flew over the Cuckoo's Nest'' (USA, 1975) von Regisseur Miloš Forman (1932–2018) mit dem offiziellen Ende des "Production Code" in schonungsloser Radikalität auf, wie das psychiatrische System kaum noch der Therapierung dient und die Klinik längst kein Ort der Heilung mehr ist.
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Ein letzter Höhepunkt dieses 'goldenen Zeitalters' ist der Film ''Freud'' (USA, 1962) von John Huston (1906–1987), dessen ursprüngliches Drehbuch von Jean-Paul Sartre (1905-1980) geschrieben wurde, bevor sich im weitern Verlauf der 1960er und 1970er Jahren – womöglich auch vor dem Hintergrund des Vietnam-Kriegs und der massenweise in die USA traumatisiert heimkehrenden Soldaten (vgl. Nesselhauf 2017, 199 ff.) – das Bild der Psycholog:innen, Psychoanalytiker:innen und Psychiater:innen im Hollywood-Film radikal verändert: "mental health experts were subjected to the skepticism that was applied to all established institutions" (Young 2012, 50). So zeigt beispielsweise ''One Flew over the Cuckoo's Nest'' (USA, 1975) von Regisseur Miloš Forman (1932–2018) mit dem offiziellen Ende des "Production Code" in schonungsloser Radikalität auf, wie das psychiatrische System kaum noch der Therapierung dient und die Klinik längst kein Ort der Heilung mehr ist.
     
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