McCay, Winsor: Unterschied zwischen den Versionen

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==Traum-Comics==
==Traum-Comics==
Zwei von McCays Serienformaten im Comic Strip speisen sich maßgeblich aus dem Phänomen des Traums: ''Dream of the Rarebit Fiend'' (1904-1913; unter dem Pseudonym "Silas") und sein bekanntester Comic Strip ''Little Nemo in Slumberland'' (1905-1911; 1911-1914; 1924-1926). Jede Folge der beiden Reihen erzählt jeweils einen Traum einer Person und endet mit deren Erwachen. Die Kommentare der Träumenden beziehen sich auf mögliche Ursachen des Traums, es werden jedoch nie Bemühungen einer Deutung unternommen. Die verbal-visuelle Narration weist unterschiedliche Grade von Traumhaftigkeit auf.
Zwei von McCays Serienformaten im Comic Strip speisen sich maßgeblich aus dem Phänomen des Traums: ''Dream of the Rarebit Fiend'' (1904-1913; unter dem Pseudonym "Silas") und sein bekanntester Comic Strip [[bs://traumkulturen.uni-saarland.de|Little Nemo in Slumberland]] (1905-1911; 1911-1914; 1924-1926). Jede Folge der beiden Reihen erzählt jeweils einen Traum einer Person und endet mit deren Erwachen. Die Kommentare der Träumenden beziehen sich auf mögliche Ursachen des Traums, es werden jedoch nie Bemühungen einer Deutung unternommen. Die verbal-visuelle Narration weist unterschiedliche Grade von Traumhaftigkeit auf.


McCay hegte ein persönliches Interesse für Träume und verarbeitete in ''Dream of the Rarebit Fiend'' z.B. eigene und von Leser*innen eingesandte Träume. Dabei scheinen ihn vor allem die fantastischen, surrealen Aspekte des Traums und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung im Comic interessiert zu haben. Das Setting des Traums bot vor allem eine Möglichkeit, die Grenzen des neuen Mediums Comic zu erkunden und zu überschreiten <ref>Harvey, Robert C.: The Art of the Funnies: An Aesthetic History. Jackson 1994, S. 34.</ref>: Eine Erzählung, die von vornherein als Traum gekennzeichnet ist, ist nicht an die Beschränkungen realistischer Darstellung gebunden, sondern kann frei Fantasiewelten entwerfen und diese erkunden. McCays Traum-Comics hatten großen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen, nicht zuletzt auf den Surrealismus. Traumdarstellungen im Comic und im Film nehmen immer wieder in respektvoller oder parodistischer Weise Bezug auf McCays Pionierwerke.
McCay hegte ein persönliches Interesse für Träume und verarbeitete in ''Dream of the Rarebit Fiend'' z.B. eigene und von Leser*innen eingesandte Träume. Dabei scheinen ihn vor allem die fantastischen, surrealen Aspekte des Traums und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung im Comic interessiert zu haben. Das Setting des Traums bot vor allem eine Möglichkeit, die Grenzen des neuen Mediums Comic zu erkunden und zu überschreiten <ref>Harvey, Robert C.: The Art of the Funnies: An Aesthetic History. Jackson 1994, S. 34.</ref>: Eine Erzählung, die von vornherein als Traum gekennzeichnet ist, ist nicht an die Beschränkungen realistischer Darstellung gebunden, sondern kann frei Fantasiewelten entwerfen und diese erkunden. McCays Traum-Comics hatten großen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen, nicht zuletzt auf den Surrealismus. Traumdarstellungen im Comic und im Film nehmen immer wieder in respektvoller oder parodistischer Weise Bezug auf McCays Pionierwerke.


==Traumkonzept und Traumwissen==
==Traumkonzept und Traumwissen==
McCays Traumwissen scheint vor allem durch populäre Traumdiskurse und weniger durch konkrete Traumtheorien geprägt zu sein. Freuds ''Traumdeutung'' wurde erst 1913 zum ersten Mal ins Englische übertragen, also fast zehn Jahre nachdem McCay seine ersten Traum-Comics veröffentlicht hatte. Eine direkte Lektüre ist äußerst unwahrscheinlich; es ist allerdings möglich, dass McCay die Diskussion von Freuds Theorien im ''Evening Telegram'', der Zeitung, bei der er ab 1904 arbeitete, indirekt rezipierte <ref>Taylor, Jeremy: Some Archetypal Symbolic Aspects of Dream of the Rarebit Fiend. In: Ulrich Merkl (Hg.): The Complete Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913) by Winsor McCay "Silas". Hohenstein-Ernstthal 2007, 125-131; hier 125.</ref>. Obwohl eine direkte Rezeption nahezu ausgeschlossen werden kann, wird in der Forschung immer wieder auf freudianische Motive in McCays Traumwerk hingewiesen: Vor allem die Folgen von ''Dream of the Rarebit Fiend'' präsentieren Träume tendenziell als Produkte des Unterbewusstseins, die Tagesreste integrieren <ref>Braun, Alexander: Winsor McCay: Comics,  Filme, Träume. Bonn 2012, 97.</ref>. Gleichzeitig ist aber eine - vermutlich ebenfalls durch populäres Wissen vermittelte - Prägung durch die sogenannte Leibreiz-Theorie zu verzeichnen, die davon ausgeht, dass Träume von rein physiologischen Empfindungen ausgelöst werden <ref>Alt, Peter-Andrè: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München 2002, 303-360.</ref>. In diesem Sinne wird das titelgebende Käsegericht Welsh Rarebit (aber auch andere zur Unzeit und in Unmaßen genossene Speisen) für die wilden Träume und den damit verbundenen schlechten Schlaf verantwortlich gemacht. Diese Theorie grundiert auch die Parallelen zwischen Traumhandlung und Wachzustand, die in allen Comics von McCay immer wieder hergestellt werden: Eine träumende Person, die im Traum fällt, stellt beim Erwachen fest, dass sie aus dem Bett gestürzt ist (''Little Nemo''); eine andere, die im Traum in Schweiß zu ertrinken droht, wacht in einem zu warmen Schlafzimmer auf (''Rarebit Fiend''). Aufgrund der unterschiedlichen Einflüsse kann man nicht von einer "Traumtheorie" McCays sprechen, sondern muss von einer eklektizistischen Vermischung verschiedener Traumkonzepte und eines ganz unwissenschaftlichen, erfahrungsbasierten Alltagswissens über Träume ausgehen.
McCays Traumwissen scheint vor allem durch populäre Traumdiskurse und weniger durch konkrete Traumtheorien geprägt zu sein. Freuds ''Traumdeutung'' wurde erst 1913 zum ersten Mal ins Englische übertragen, also fast zehn Jahre nachdem McCay seine ersten Traum-Comics veröffentlicht hatte. Eine direkte Lektüre ist äußerst unwahrscheinlich; es ist allerdings möglich, dass McCay die Diskussion von Freuds Theorien im ''Evening Telegram'', der Zeitung, bei der er ab 1904 arbeitete, indirekt rezipierte <ref>Taylor, Jeremy: Some Archetypal Symbolic Aspects of ''Dream of the Rarebit Fiend''. In: Winsor McCay "Silas": The Complete Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913). Hg. von Ulrich Merkl. Hohenstein-Ernstthal: Merkl 2007, 125-131; hier 125.</ref>. Obwohl eine direkte Rezeption nahezu ausgeschlossen werden kann, wird in der Forschung immer wieder auf freudianische Motive in McCays Traumwerk hingewiesen: Vor allem die Folgen von ''Dream of the Rarebit Fiend'' präsentieren Träume tendenziell als Produkte des Unterbewusstseins, die Tagesreste integrieren <ref>Braun, Alexander: Winsor McCay: Comics,  Filme, Träume. Bonn 2012, 97.</ref>. Gleichzeitig ist aber eine - vermutlich ebenfalls durch populäres Wissen vermittelte - Prägung durch die sogenannte Leibreiz-Theorie zu verzeichnen, die davon ausgeht, dass Träume von rein physiologischen Empfindungen ausgelöst werden <ref>Alt, Peter-Andrè: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München 2002, 303-360.</ref>. In diesem Sinne wird das titelgebende Käsegericht Welsh Rarebit (aber auch andere zur Unzeit und in Unmaßen genossene Speisen) für die wilden Träume und den damit verbundenen schlechten Schlaf verantwortlich gemacht. Diese Theorie grundiert auch die Parallelen zwischen Traumhandlung und Wachzustand, die in allen Comics von McCay immer wieder hergestellt werden: Eine träumende Person, die im Traum fällt, stellt beim Erwachen fest, dass sie aus dem Bett gestürzt ist (''Little Nemo''); eine andere, die im Traum in Schweiß zu ertrinken droht, wacht in einem zu warmen Schlafzimmer auf (''Rarebit Fiend''). Aufgrund der unterschiedlichen Einflüsse kann man nicht von einer "Traumtheorie" McCays sprechen, sondern muss von einer eklektizistischen Vermischung verschiedener Traumkonzepte und eines ganz unwissenschaftlichen, erfahrungsbasierten Alltagswissens über Träume ausgehen.
 
<div style='text-align: right;'>[[Autoren|JB]]</div>


<div style="text-align: right;">[[Autoren|JB]]</div>
==Forschungsliteratur und Weblinks==
==Forschungsliteratur und Weblinks==
* Alt, Peter-Andrè: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München: Beck 2002.
* Alt, Peter-Andrè: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München: Beck 2002.
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* Heer, Jeet: Little Nemo in Comicsland. In: Spring 82 (2006) 2; [http://www.vqronline.org/essay/little-nemo-comicsland http://www.vqronline.org/essay/little-nemo-comicsland] (24.11.2017)
* Heer, Jeet: Little Nemo in Comicsland. In: Spring 82 (2006) 2; [http://www.vqronline.org/essay/little-nemo-comicsland http://www.vqronline.org/essay/little-nemo-comicsland] (24.11.2017)
* Taylor, Jeremy: Some Archetypal Symbolic Aspects of ''Dream of the Rarebit Fiend''. In: Winsor McCay "Silas": The Complete Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913). Hg. von Ulrich Merkl. Hohenstein-Ernstthal: Merkl 2007, 125-131.
* Taylor, Jeremy: Some Archetypal Symbolic Aspects of ''Dream of the Rarebit Fiend''. In: Winsor McCay "Silas": The Complete Dream of the Rarebit Fiend (1904-1913). Hg. von Ulrich Merkl. Hohenstein-Ernstthal: Merkl 2007, 125-131.




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