Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28,10–22): Unterschied zwischen den Versionen

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In diesem Artikel werden Facetten der antiken jüdischen und christlichen Auslegung der Erzählung von der Jakobsleiter (Genesis 28,10–22) thematisiert, die für die außer¬theologische Rezeption der Motive von Belang sein können.
In diesem Artikel werden Facetten der antiken jüdischen und christlichen Auslegung der Erzählung von der Jakobsleiter (Genesis 28,10–22) thematisiert, die für die außertheologische Rezeption der Motive von Belang sein können.




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== Der Text ==
== Der Text ==


Der Text ist, wie das Buch Genesis insgesamt, ursprünglich in hebräischer Sprache überliefert. Die antike vorchristliche Übersetzung des hebräischen Genesis-Textes ins Griechische, die Septuaginta, bietet zwei wesentliche Änderungen. 1. In V. 12 wird klargestellt, dass die Engel auf der Leiter auf- und absteigen, nicht auf Jakob (im hebräischen Text ist die Stelle doppeldeutig: im Johannesevangelium [Joh 1,51], wo das Motiv der auf- und absteigenden Engel aufgenommen wird, ist der „Menschensohn“, Jesus, als Ort des Auf- und Abstiegs genannt). 2. Nach der Selbstvorstellung Gottes sind die Worte „Fürchte dich nicht“ ergänzt. Die erste der genannten Änderungen im Griechischen ist auch in der lateinischen Fassung, der sog. Vulgata, wirksam.
Der Text ist, wie das Buch Genesis insgesamt, ursprünglich in hebräischer Sprache überliefert. Die antike vorchristliche Übersetzung des hebräischen Genesis-Textes ins Griechische, die Septuaginta, bietet zwei wesentliche Änderungen. 1. In V. 12 wird klargestellt, dass die Engel auf der Leiter auf- und absteigen, nicht auf Jakob (im hebräischen Text ist die Stelle doppeldeutig: im Johannesevangelium [Joh 1,51], wo das Motiv der auf- und absteigenden Engel aufgenommen wird, ist der „Menschensohn“, Jesus, als Ort des Auf- und Abstiegs genannt; in jüdischer Tradition wird das Problem explizit diskutiert). 2. Nach der Selbstvorstellung Gottes sind die Worte „Fürchte dich nicht“ ergänzt. Die erste der genannten Änderungen im Griechischen ist auch in der lateinischen Fassung, der sog. Vulgata, wirksam.




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== Der Ort des Geschehens ==
== Der Ort des Geschehens ==


Als Ort des Geschehens gilt gelegentlich der Ort der späteren Errichtung der Stiftshütte (Augustinus, Quaestiones in Heptateuchum, Genesis 83, CC.SL 33, 32), in jüdischer Tradition der Tempelberg (Genesis Rabba 69; Stemberger, Patriarchenbilder, 118): Bethel war dadurch diskreditiert, dass der König Jerobeam I. Stierbilder aufgestellt hatte (1. Könige 12,29), die mit dem wahren Glauben Israels als unvereinbar galten.
Als Ort des Geschehens gilt gelegentlich der Ort der späteren Errichtung der Stiftshütte (Augustinus, ''Quaestiones in Heptateuchum'', Genesis 83, CC.SL 33, 32), in jüdischer Tradition der Tempelberg (Genesis Rabba 69; Stemberger, Patriarchenbilder, 118): Bethel war dadurch diskreditiert, dass der König Jerobeam I. Stierbilder aufgestellt hatte (1. Könige 12,29), die mit dem wahren Glauben Israels als unvereinbar galten.


== Jakobs Schlaf ==
== Jakobs Schlaf ==


Der schlafende Jakob ist erstmals im 3. Jhdt. auf der Nordwand der Synagoge von Dura Europos dargestellt (Stemberger, Patriarchenbilder, 110; Thoma / Ernst, Gleichnisse, 55). Jakobs Schlaf ist, so Ambrosius (Ambrosius, de Iacob II 4,16, SC 534, 430), Ausweis seines ruhigen Gewissens.
Der schlafende Jakob ist erstmals im 3. Jhdt. auf der Nordwand der Synagoge von Dura Europos dargestellt (Stemberger, Patriarchenbilder, 110; Thoma / Ernst, ''Gleichnisse'', 55). Jakobs Schlaf ist, so Ambrosius (Ambrosius, ''de Iacob'' II 4,16, SC 534, 430), Ausweis seines ruhigen Gewissens.




== Jakobs Traum ==
== Jakobs Traum ==


Die Frage, welcher Wahrheitsgehalt Träumen zukommen kann, wird nicht ventiliert, obwohl die Problematik von Träumen auch in biblischer Tradition bewusst ist (vgl. nur Jesus Sirach 34,1; 40,6f.; Hiob 7,14; 20,8; Jeremia 23,25–29). Gelegentlich wird auf das Erschreckende des Traumes verwiesen (Cyprianus Gallus, Heptateuchos 928, CSEL 23, 35). Eher wird ge¬fragt, wie Jakob noch seinem in Genesis 27 geschilderten Verhalten (er betrügt seinen Bruder Esau um dessen Erstgeburtsrecht) überhaupt dessen würdig war, diese Traumvision zu empfangen. In jüdischer Tradition wird auf die Gerechtigkeit Jakobs verwiesen (Targum Jonathan zu Genesis), bei Ambrosius (De Iacob II 1,1, SC 534, 410) auf das freiwillige Exil Jakobs, das seine eigene Schuld abschwächt und Esaus Schuldigwerden verhindert, bei Johannes Chrysostomus (Homiliae in Genesim 44,3, PG 54, 475) auf die philosophische Haltung des Patriarchen, die sich in Form der Genügsamkeit bemerkbar macht (er reist allein, ohne Diener etc.).
Die Frage, welcher Wahrheitsgehalt Träumen zukommen kann, wird nicht ventiliert, obwohl die Problematik von Träumen auch in biblischer Tradition bewusst ist (vgl. nur Jesus Sirach 34,1; 40,6f.; Hiob 7,14; 20,8; Jeremia 23,25–29). Gelegentlich wird auf das Erschreckende des Traumes verwiesen (Cyprianus Gallus, ''Heptateuchos'' 928, CSEL 23, 35). Eher wird gefragt, wie Jakob noch seinem in Genesis 27 geschilderten Verhalten (er betrügt seinen Bruder Esau um dessen Erstgeburtsrecht) überhaupt dessen würdig war, diese Traumvision zu empfangen. In jüdischer Tradition wird auf die Gerechtigkeit Jakobs verwiesen (Targum Jonathan zu Genesis), bei Ambrosius (''De Iacob'' II 1,1, SC 534, 410) auf das freiwillige Exil Jakobs, das seine eigene Schuld abschwächt und Esaus Schuldigwerden verhindert, bei Johannes Chrysostomus (''Homiliae in Genesim'' 44,3, PG 54, 475) auf die philosophische Haltung des Patriarchen, die sich in Form der Genügsamkeit bemerkbar macht (er reist allein, ohne Diener etc.).




== Wie wird die Leiter dargestellt? ==
== Wie wird die Leiter dargestellt? ==


Das, worauf die Engel auf- und absteigen, war ursprünglich wohl als Aufstiegsrampe zu einem rechteckigen Tempelturm gedacht, der auf einem Fundament mit solchen Rampen an allen vier Seiten errichtet war (Westermann, Genesis, 553). Bereits in frühjüdischer und antiker christlicher Auslegung spielt das aber keine Rolle mehr; der Begriff wird selten näher bedacht. Dazu trugen die griechische und die lateinische Übersetzung bei, die an eine Leiter mit Sprossen denken lassen, nicht an eine Treppe mit Treppenstufen. Wird in der Kunstgeschichte die Leiter bisweilen als Treppe dargestellt (so u.a. bei Jacopo Tintoretto, 1577, Scuola Grande di San Rocco), ist dies wohl eher dem Versuch einer naturalistischen Szenerie zuzuschreiben (Kauffmann, Art. Jakob, 375).
Das, worauf die Engel auf- und absteigen, war ursprünglich wohl als Aufstiegsrampe zu einem rechteckigen Tempelturm gedacht, der auf einem Fundament mit solchen Rampen an allen vier Seiten errichtet war (Westermann, ''Genesis'', 553). Bereits in frühjüdischer und antiker christlicher Auslegung spielt das aber keine Rolle mehr; der Begriff wird selten näher bedacht. Dazu trugen die griechische und die lateinische Übersetzung bei, die an eine Leiter mit Sprossen denken lassen, nicht an eine Treppe mit Treppenstufen. Wird in der Kunstgeschichte die Leiter bisweilen als Treppe dargestellt (so u.a. bei Jacopo Tintoretto, 1577, Scuola Grande di San Rocco), ist dies wohl eher dem Versuch einer naturalistischen Szenerie zuzuschreiben (Kauffmann, Art. Jakob, 375).
In jüdischer und christlicher religiöser Literatur begegnen allegorische Auslegungen der Leiter auf die Thora (Genesis Rabba 68,12) oder auf Christus (Ps.-Beda Venerabilis, Quaestiones super Pentateuchum, PL 93, 333 D, mit Verweis auf Johannes 14,6: „Ich bin der Weg“).  
In jüdischer und christlicher religiöser Literatur begegnen allegorische Auslegungen der Leiter auf die Thora (''Genesis Rabba'' 68,12) oder auf Christus (Ps.-Beda Venerabilis, ''Quaestiones super Pentateuchum'', PL 93, 333 D, mit Verweis auf Johannes 14,6: „Ich bin der Weg“).  


== Wer wird auf der Leiter dargestellt? ==
== Wer wird auf der Leiter dargestellt? ==


Der biblische Text redet von Engeln, seine Ausleger manchmal von Engeln, manchmal auch von Menschen. Das hat philologische wie biblische Gründe. Das Wort „Engel“ ist ein Fremdwort, das vorausliegende griechische Wort bedeutet „Bote“ und kann von überirdischen Mächten wie von Menschen verwendet werden. Auch in der Bibel können Menschen als „Engel“ bezeichnet werden (Maleachi 2,7; Markus 1,2).  
Der biblische Text redet von Engeln, seine Ausleger manchmal von Engeln, manchmal auch von Menschen. Das hat philologische wie biblische Gründe. Das Wort „Engel“ ist ein Fremdwort, das vorausliegende griechische Wort bedeutet „Bote“ und kann von überirdischen Mächten wie von Menschen verwendet werden. Auch in der Bibel können Menschen als „Engel“ bezeichnet werden (Maleachi 2,7; Markus 1,2).  
Wenn von Menschen die Rede ist, ist das Motiv des Aufstiegs unproblematisch. Frömmigkeit (Maximus Confessor, Quaestiones 88, CCG 10, 68; Chromatius, Sermo 1,6, CCL 9 A, 5) und eigenes Tugendstreben können durch das Bild des Aufstiegs, der Leiter symbolisiert werden (Hieronymus, Epistulae 3,4, CSEL 54,15; ders., Epistulae 68,2, CSEL 54, 529), wie das dann auch in der Kunstgeschichte der Fall ist. In Martyrienberichten spielt das Motiv hingegen nur selten eine Rolle (von Dörnberg 86f.; 208f.). Für Chromatius von Aquileia symbo¬lisiert die Leiter, denen Spitze bis an den Himmel reicht, den in den acht Seligpreisungen der Bergpredigt (Matthäus 5,3–10) beschriebenen unendlichen Aufstieg der Seele zu Gott (Sermo 41,10, CCL 9 A, 179). Der Abstieg kann negativ gewertet werden als „Fall“, als Rückfall in Sünde o.ä (Benedikt von Nursia, Regula 7,7, CSEL 75, 40f; Hieronymus, Tractatus de Psalmo 119, CCL 78, 248). Allerdings wissen viele antike Ausleger zwischen Fall und Abstieg durchaus zu unterscheiden (z.B. Augustinus, Enarratio in Psalmos 119,2, CCL 40, 1777–1779; Zeno, Tractatus I 37,4/11, CCL 22, 103). Der Abstieg wird dann als geistige Zuwendung zu Menschen gedeutet, die solcher Zuwendung bedürfen. Paulus kann hierin als Vorbild gelten (Augustinus, Enarratio in Psalmos 119,2, CCL 40, 1778f.). Manchmal gilt auch Christus als die Leiter, als die auf- und absteigenden Boten gelten die Prediger des Evangeliums (Ps.-Beda Venerabilis, Quaestiones super Pentateuchum, PL 93, 333 D).
Wenn von Menschen die Rede ist, ist das Motiv des Aufstiegs unproblematisch. Frömmigkeit (Maximus Confessor, Quaestiones 88, CCG 10, 68; Chromatius, Sermo 1,6, CCL 9 A, 5) und eigenes Tugendstreben können durch das Bild des Aufstiegs, der Leiter symbolisiert werden (Hieronymus, Epistulae 3,4, CSEL 54,15; ders., Epistulae 68,2, CSEL 54, 529), wie das dann auch in der Kunstgeschichte der Fall ist. In Martyrienberichten spielt das Motiv hingegen nur selten eine Rolle (von Dörnberg 86f.; 208f.). Für Chromatius von Aquileia symbolisiert die Leiter, denen Spitze bis an den Himmel reicht, den in den acht Seligpreisungen der Bergpredigt (Matthäus 5,3–10) beschriebenen unendlichen Aufstieg der Seele zu Gott (Sermo 41,10, CCL 9 A, 179). Der Abstieg kann negativ gewertet werden als „Fall“, als Rückfall in Sünde o.ä (Benedikt von Nursia, Regula 7,7, CSEL 75, 40f; Hieronymus, Tractatus de Psalmo 119, CCL 78, 248). Allerdings wissen viele antike Ausleger zwischen Fall und Abstieg durchaus zu unterscheiden (z.B. Augustinus, Enarratio in Psalmos 119,2, CCL 40, 1777–1779; Zeno, Tractatus I 37,4/11, CCL 22, 103). Der Abstieg wird dann als geistige Zuwendung zu Menschen gedeutet, die solcher Zuwendung bedürfen. Paulus kann hierin als Vorbild gelten (Augustinus, Enarratio in Psalmos 119,2, CCL 40, 1778f.). Manchmal gilt auch Christus als die Leiter, als die auf- und absteigenden Boten gelten die Prediger des Evangeliums (Ps.-Beda Venerabilis, Quaestiones super Pentateuchum, PL 93, 333 D).
Solche allegorische Auslegung wird dann auch in außerchristlicher Tradition wirksam. Die Jakobsleiter verweist auf die Höherentwicklung des Freimaurers, Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, 2003, Art. Freimaurer / Freimaurerei, 686. In seinem Oratorienfragment „Jakobsleiter“ zeichnet Arnold Schönberg unter Zuhilfenahme u.a. esoterischer, speziell theosophischer Traditionen den postmortalen Aufstieg des Menschen zu Gott; von Jakob ist in der „Jakobsleiter“ nie die Rede (Wörner 174f.). Der Text ist noch vor der dezidierten Rückwendung Schönbergs zum jüdischen Glauben und dem Wiedereintritt in die jüdische Gemeinde i.J. 1933 verfasst (Strecker 121).
Solche allegorische Auslegung wird dann auch in außerchristlicher Tradition wirksam. Die Jakobsleiter verweist auf die Höherentwicklung des Freimaurers, Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, 2003, Art. Freimaurer / Freimaurerei, 686. In seinem Oratorienfragment „Jakobsleiter“ zeichnet Arnold Schönberg unter Zuhilfenahme u.a. esoterischer, speziell theosophischer Traditionen den postmortalen Aufstieg des Menschen zu Gott; von Jakob ist in der „Jakobsleiter“ nie die Rede (Wörner 174f.). Der Text ist noch vor der dezidierten Rückwendung Schönbergs zum jüdischen Glauben und dem Wiedereintritt in die jüdische Gemeinde i.J. 1933 verfasst (Strecker 121).


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