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==Autor==
 
==Autor==
Georges Perec wurde als Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen in Paris geboren. Seine Kindheit stand unter dem Schatten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Sein Vater fiel 1940 in der Fremdenlegion bei der Verteidigung von Paris, seine Mutter wurde drei Jahre später vermutlich in Auschwitz ermordet. Mit einem Kindertransport des Roten Kreuzes gelangte Perec in die unbesetzte Zone Villard-de-Lans, wo er bei seiner Tante aufwuchs. Nach Kriegsende kehrte er nach Paris zurück.<br />Seinen literarischen Durchbruch erreichte der junge Autor 1965 mit der Veröffentlichung des Romans ''Les Choses'', der mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später wurde er ein offizielles Mitglied der Avant-Garde-Gruppe OuLiPo und nahm regelmäßig an den Sitzungen teil. OuLiPo ist eine Abkürzung für „Ouvroir de Littérature Potentielle“ (dt.: Werkstatt potentieller Literatur), was bereits die wichtigsten Punkte des poetischen Programms zusammenfasst. Literatur ist die Produktion von Texten, die möglichst innovativ und experimentell sein sollen. Um die vielfältigen Möglichkeiten, also das Potenzial von Literatur auszuschöpfen, definiert der Schriftsteller eine Reihe von formalen Regeln (»contraintes“), denen der Text entsprechen muss. Eines der berühmtesten Beispiele ist Perecs leipogrammatischer Roman ''La Disparition'' (1979), in dem der Autor durchgängig auf den Buchstaben E verzichtet. 1987 erhält er für ''La Vie mode d’emploi'' den Prix Médicis, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht.
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Georges Perec wurde als Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen in Paris geboren. Seine Kindheit stand unter dem Schatten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Sein Vater fiel 1940 in der Fremdenlegion bei der Verteidigung von Paris, seine Mutter wurde drei Jahre später, vermutlich in Auschwitz, ermordet. Mit einem Kindertransport des Roten Kreuzes gelangte Perec in die unbesetzte Zone Villard-de-Lans, wo er bei seiner Tante aufwuchs. Nach Kriegsende kehrte er nach Paris zurück.<br />Seinen literarischen Durchbruch erreichte der junge Autor 1965 mit der Veröffentlichung des Romans ''Les Choses'', der mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später wurde er ein offizielles Mitglied der Avant-Garde-Gruppe OuLiPo und nahm regelmäßig an den Sitzungen teil. OuLiPo ist eine Abkürzung für „Ouvroir de Littérature Potentielle“ (dt.: Werkstatt potentieller Literatur), was bereits die wichtigsten Punkte des poetischen Programms zusammenfasst. Literatur ist die Produktion von Texten, die möglichst innovativ und experimentell sein sollen. Um die vielfältigen Möglichkeiten, also das Potenzial von Literatur auszuschöpfen, definiert der Schriftsteller eine Reihe von formalen Regeln („contraintes“), denen der Text entsprechen muss. Eines der berühmtesten Beispiele ist Perecs leipogrammatischer Roman ''La Disparition'' (1979), in dem der Autor durchgängig auf den Buchstaben E verzichtet. 1987 erhält er für ''La Vie mode d’emploi'' den Prix Médicis, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht.
    
==Entstehung==
 
==Entstehung==
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==Einordnung==
 
==Einordnung==
Perec selbst bezeichnete La Boutique obscure in einem Interview als einen seiner autobiographischen Texte, denen innerhalb seines Werkes ein großer Stellenwert zukommt. Autobiographie versteht er allerdings nicht als mimetische Darstellung einer Summe von Erlebnissen durch Sprache: „Je pense que la somme de mes livres pourra fonctionner aussi comme autobiographie. Seulement, l’autobiographie, ce n’est pas seulement raconter les événements qui sont arrivés dans la vie de quelqu’un“ (EeC II, 64). Vielmehr beinhaltet die Rekonstruktion von Vergangenem einen Konstruktionsprozess, in dem Erinnerungsfragmente gestaltet, neu kombiniert oder mit Assoziationen und imaginierten Elementen ergänzt werden. Perecs autobiographische Texte setzen sich häufig mit der Problematik der NS-Verbrechen auseinander und zeichnen sich durch eine Ästhetik des Fragmentarischen, Brüche in der Narration und Leerstellen aus.
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Perec selbst bezeichnete ''La Boutique obscure'' in einem Interview als einen seiner autobiographischen Texte, denen innerhalb seines Werkes ein großer Stellenwert zukommt. Autobiographie versteht er allerdings nicht als mimetische Darstellung einer Summe von Erlebnissen durch Sprache: „Je pense que la somme de mes livres pourra fonctionner aussi comme autobiographie. Seulement, l’autobiographie, ce n’est pas seulement raconter les événements qui sont arrivés dans la vie de quelqu’un“ (EeC II, 64). Vielmehr beinhaltet die Rekonstruktion von Vergangenem einen Konstruktionsprozess, in dem Erinnerungsfragmente gestaltet, neu kombiniert oder mit Assoziationen und imaginierten Elementen ergänzt werden. Perecs autobiographische Texte setzen sich häufig mit der Problematik der NS-Verbrechen auseinander und zeichnen sich durch eine Ästhetik des Fragmentarischen, Brüche in der Narration und Leerstellen aus.
    
==Die Traumnotate==
 
==Die Traumnotate==
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===Analyse und Interpretation===
 
===Analyse und Interpretation===
Im Vorwort führt Perec vorab einige orthographischen Spielregeln der Lektüre auf. Doppelte Spiegelstriche verweisen auf absichtliche Auslassungen im Text, also gewissermaßen zensierte Traumpassagen. Traumnotat Nr. 96 („La fenêtre“) macht deutlich, dass es sich hierbei jedoch nicht nur um ein Werkzeug zum Schutz der Privatsphäre handelt: Unter dem Titel steht an dieser Stelle nur der doppelte Spiegelstrich. Der im Nachlass erhaltene Text thematisiert die Trennung von der Geliebten Suzanne Lipinska. Durch die markierte Auslassung tritt der ludische Charakter der Traumnotate zu Tage, die zum Spiel zwischen Autor und Leser werden, indem Hinweise zugleich gegeben und codiert werden. Die gesetzte Leerstelle wirft ein Licht auf das dialektische Verhältnis zwischen einer dem autobiographischen Schreiben und auch dem Traum inhärenten Selbstpreisgabe auf der einen, sowie einer Zensur persönlicher Inhalte auf der anderen Seite.Marie Bonnot interpretiert „La fenêtre“ als ''clinamen'', als kalkulierten Fehler im System der ''contrainte'', der die Ästhetik der ''Boutique obscure'' entscheidend prägt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen besteht die ''contrainte'' des Traumnotats in der Selbstoffenbarung, die jedoch durch die markierte Zensur unterminiert wird – Nr. 96 wird zugleich preisgegeben und verschwiegen. Diese Dialektik ist Teil einer Perecschen Traumästhetik und wird in der ''Boutique obscure'' immer wieder durch markierte Leerstellen sichtbar gemacht.<br />Der Mechanismus ist auch in der später erschienenen autobiographischen Schrift ''W ou le Souvenir d’enfance'' (1975) zu finden, die sich mit der Aufarbeitung von Perecs Kindheit und speziell der Ermordung seiner Mutter im Konzentrationslager befasst. In der Mitte des Buches symbolisiert eine fast leere Seite, auf der lediglich drei Punkte in Klammern zu sehen sind, das Verschwinden der Mutter. Stellt man den Bezug zwischen beiden Texten her, ist das 96. Traumnotat als doppelte Leerstelle lesbar, die zwei Verlusterfahrungen (der Geliebten und der Mutter) übereinander blendet. Damit sind zwei thematische Schwerpunkte der ''Boutique obscure'' genannt, die immer wieder auftauchen und die gereihten Traumnotate verbinden: Trennung auf der einen und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust auf der anderen Seite.<br />Innerhalb des Bandes gibt es einen ganzen Motivkreis, der sich in Bezug die NS-Zeit lesen lässt. So spielt sich etwa das erste Traumnotat („La taille“/„Die Messung“) in einem Konzentrationslager ab, das in einer reflexiven Passage als „Metapher“ und „Bild“ bezeichnet wird, welches die Imagination des Träumers beherrscht und damit sein Innenleben, seine Psyche. Ein Entkommen ist nicht möglich: Das Traum-Ich ist dem Folterknecht, der mit seinerGleichgültigkeit dem Opfer gegenüber die Schrecken des Konzentrationslagers verkörpert, ebenso ausgeliefert wie dem Traum: „Ce qui me sauve, c’est seulement l’indifférence du tortionnaire, sa liberté de faire ou de ne pas faire; je suis entièrement soumis à son arbitraire (exactement de la même façon que je suis soumis à ce rêve: je sais que ce n’est qu’un rêve, mais je ne peux échapper à ce rêve)“ (BO 1).<br />Das Traumlager zeichnet sich vor allem durch eine Willkür aus, der gegenüber der Träumer hilflos ist. Er ist in einem nie endenden Lagertraum gefangen, dessen Handlung er nicht beeinflussen kann. Dieser Eindruck wird durch das letzte Traumnotat verstärkt. In Nummer 124 („La dénonciation“/„Die Denunziation“) wird der Vater des Träumers durch die SS verhaftet und gemeinsam mit ihm deportiert. Der Vater versucht, eine alte Verletzung wieder aufzubrechen, um aussortiert zu werden. Sein Bestreben, selbst Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen, ist jedoch zum Scheitern verurteilt aufgrund der Gleichgültigkeit der anderen. Der Kommentar des Traum-Ichs ist ernüchternd: „Je sais ce qui nous attend. Je n’ai pas d’espoir. En finir au plus tôt. Ou alors, un miracle… Un jour, apprendre à survivre?“ (BO 124). Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich: Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1).
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Im Vorwort führt Perec vorab einige orthographische Spielregeln der Lektüre auf. Doppelte Spiegelstriche zeigen absichtliche Auslassungen im Text an, also gewissermaßen zensierte Traumpassagen. Traumnotat Nr. 96 („La fenêtre“) macht deutlich, dass es sich hierbei jedoch nicht nur um ein Werkzeug zum Schutz der Privatsphäre handelt: Unter dem Titel steht an dieser Stelle nur der doppelte Spiegelstrich. Der im Nachlass erhaltene Text thematisiert die Trennung von der Geliebten Suzanne Lipinska. Durch die markierte Auslassung tritt der ludische Charakter der Traumnotate zu Tage, die zum Spiel zwischen Autor und Leser werden, indem Hinweise zugleich gegeben und codiert werden. Die gesetzte Leerstelle wirft ein Licht auf das dialektische Verhältnis zwischen einer dem autobiographischen Schreiben und auch dem Traum inhärenten Selbstpreisgabe auf der einen, sowie einer Zensur persönlicher Inhalte auf der anderen Seite. Marie Bonnot interpretiert „La fenêtre“ als ''clinamen'', als kalkulierten Fehler im System der ''contrainte'', der die Ästhetik der ''Boutique obscure'' entscheidend prägt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen besteht die ''contrainte'' des Traumnotats in der Selbstoffenbarung, die jedoch durch die markierte Zensur unterminiert wird – Nr. 96 wird zugleich preisgegeben und verschwiegen. Diese Dialektik ist Teil einer Perecschen Traumästhetik und wird in der ''Boutique obscure'' immer wieder durch markierte Leerstellen sichtbar gemacht.<br />Der Mechanismus ist auch in der später erschienenen autobiographischen Schrift ''W ou le Souvenir d’enfance'' (1975) zu finden, die sich mit der Aufarbeitung von Perecs Kindheit und speziell der Ermordung seiner Mutter im Konzentrationslager befasst. In der Mitte des Buches symbolisiert eine fast leere Seite, auf der lediglich drei Punkte in Klammern zu sehen sind, das Verschwinden der Mutter. Stellt man den Bezug zwischen beiden Texten her, ist das 96. Traumnotat als doppelte Leerstelle lesbar, die zwei Verlusterfahrungen (der Geliebten und der Mutter) übereinander blendet. Damit sind zwei thematische Schwerpunkte der ''Boutique obscure'' genannt, die immer wieder auftauchen und die gereihten Traumnotate verbinden: Trennung auf der einen und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust auf der anderen Seite.<br />Innerhalb des Bandes gibt es einen ganzen Motivkreis, der sich in Bezug zur NS-Zeit setzen lässt. So spielt sich etwa das erste Traumnotat („La taille“/„Die Messung“) in einem Konzentrationslager ab, das in einer reflexiven Passage als „Metapher“ und „Bild“ bezeichnet wird, welches die Imagination des Träumers beherrscht und damit sein Innenleben, seine Psyche. Ein Entkommen ist nicht möglich: Das Traum-Ich ist dem Folterknecht, der mit seiner Gleichgültigkeit dem Opfer gegenüber die Schrecken des Konzentrationslagers verkörpert, ebenso ausgeliefert wie dem Traum: „Ce qui me sauve, c’est seulement l’indifférence du tortionnaire, sa liberté de faire ou de ne pas faire; je suis entièrement soumis à son arbitraire (exactement de la même façon que je suis soumis à ce rêve: je sais que ce n’est qu’un rêve, mais je ne peux échapper à ce rêve)“ (BO 1).<br />Das Traumlager zeichnet sich vor allem durch eine Willkür aus, der gegenüber der Träumer hilflos ist. Er ist in einem nie endenden Lagertraum gefangen, dessen Handlung er nicht beeinflussen kann. Dieser Eindruck wird durch das letzte Traumnotat verstärkt. In Nummer 124 („La dénonciation“/„Die Denunziation“) wird der Vater des Träumers durch die SS verhaftet und gemeinsam mit ihm deportiert. Der Vater versucht, eine alte Verletzung wieder aufzubrechen, um aussortiert zu werden. Sein Bestreben, selbst Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen, ist jedoch zum Scheitern verurteilt aufgrund der Gleichgültigkeit der anderen. Der Kommentar des Traum-Ichs ist ernüchternd: „Je sais ce qui nous attend. Je n’ai pas d’espoir. En finir au plus tôt. Ou alors, un miracle… Un jour, apprendre à survivre?“ (BO 124). Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich. Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1).
     

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