Änderungen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 17: Zeile 17:  
Im April 1800 erfolgt dann der Abschluss der Arbeiten am ersten Teil des ''Heinrich von Ofterdingen''; von Juli bis September entwirft Novalis Pläne zum zweiten Teil. Dazu entstehen eine Reihe von Gedichte, darunter ''Astralis'', das ''Lied der Toten'' und ''Die Vermählung der Jahreszeiten''. Am 18.06. schreibt er an Schlegel, der zweite Teil werde "der Commentar des Ersten" (HKA IV, 333).
 
Im April 1800 erfolgt dann der Abschluss der Arbeiten am ersten Teil des ''Heinrich von Ofterdingen''; von Juli bis September entwirft Novalis Pläne zum zweiten Teil. Dazu entstehen eine Reihe von Gedichte, darunter ''Astralis'', das ''Lied der Toten'' und ''Die Vermählung der Jahreszeiten''. Am 18.06. schreibt er an Schlegel, der zweite Teil werde "der Commentar des Ersten" (HKA IV, 333).
   −
Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (Uerlings 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt ([http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben Werk- und Einzelausgaben]).
+
Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (Uerlings 1998, 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt ([http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben Werk- und Einzelausgaben]).
   −
Textgrundlage der Forschung ist die historisch-kritische Novalis-Ausgabe. Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben: ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien von Roland Reuß verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse  was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (Knopf 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (vgl. Knopf 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans.
+
Textgrundlage der Forschung ist die historisch-kritische Novalis-Ausgabe (HKA). Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben: ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien von Roland Reuß verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf 2015, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse  was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (ebd., 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (ebd. 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans.
    
==Aufbau und Thematik des Romans==
 
==Aufbau und Thematik des Romans==
Novalis’ ''Heinrich von Ofterdingen ''ist alles andere als ein realistischer Roman; weder die Handlung noch der Entwurf psychologisch differenzierter Charaktere scheinen für Novalis von großem Interesse gewesen zu sein. Herbert Uerlings fasst das Ziel des Romans, die Darstellung einer Apotheose der Poesie und der Rückkehr eines goldenen Zeitalters, folgendermaßen zusammen:
+
Novalis’ ''Heinrich von Ofterdingen'' ist alles andere als ein realistischer Roman; weder die Handlung noch der Entwurf psychologisch differenzierter Charaktere scheinen für Novalis von großem Interesse gewesen zu sein. Herbert Uerlings fasst das Ziel des Romans, die Darstellung einer Apotheose der Poesie und der Rückkehr eines goldenen Zeitalters, folgendermaßen zusammen:
   −
"Der Roman dient der Darstellung einer unendlichen Idee, in diesem Sinne geht es um 'Übergangs Jahre vom Unendlichen zum Endlichen' (HKA IV, 281). Diese Idee ist das absolute Ziel des Romans, das in Gestalt von Einlagen (Symbolen, Träumen, Liedern, Märchen u. a. m.) in sinnbildlicher Form immer wieder vorweggenommen wird, aber nur, um so den Prozeß unendlicher Annäherung in Bewegung zu halten und zu steigern" (Uerlings, 183). Diese symbolische Grundanlage des Textes steht in direktem Zusammenhang mit dem romantischen Projekt einer Neuen Mythologie (vgl. Mahoney 203). Novalis kannte sowohl die Schriften Friedrich Wilhelm Joseph Schelling als auch seines Freundes Friedrich Schlegel sehr gut. Beide veröffentlichten im Jahr 1800 Werke, die sich mit grundlegenden Problemen der neuen, romantischen Literatur auseinandersetzen. Schelling wirft in seinem System des transzendentalen Idealismus das Problem auf, dass eine neue Mythologie, welche "das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie sein werde", (Schelling 298) benötigt wird; Schlegel beantwortet die Frage, wie diese aussehen könnte, in seinem Gespräch über Poesie auf Basis der alten Mythologie:
+
"Der Roman dient der Darstellung einer unendlichen Idee, in diesem Sinne geht es um 'Übergangs Jahre vom Unendlichen zum Endlichen'" (HKA IV, 281). Diese Idee ist das absolute Ziel des Romans, "das in Gestalt von Einlagen (Symbolen, Träumen, Liedern, Märchen u.a.m.) in sinnbildlicher Form immer wieder vorweggenommen wird, aber nur, um so den Prozeß unendlicher Annäherung in Bewegung zu halten und zu steigern" (Uerlings 1998, 183). Diese symbolische Grundanlage des Textes steht in direktem Zusammenhang mit dem romantischen Projekt einer Neuen Mythologie (vgl. Mahoney 2015, 203). Novalis kannte sowohl die Schriften Friedrich Wilhelm Joseph Schellings (1775-1854) als auch die seines Freundes Friedrich Schlegel sehr gut. Beide veröffentlichten im Jahr 1800 Werke, die sich mit grundlegenden Problemen der neuen romantischen Literatur auseinandersetzen. Schelling wirft in seinem ''System des transzendentalen Idealismus'' das Problem auf, dass eine neue Mythologie, welche "das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie sein werde", (Schelling 298) benötigt wird; Schlegel beantwortet die Frage, wie diese aussehen könnte, in seinem ''Gespräch über Poesie'' auf Basis der alten Mythologie:
   −
: "Denn Mythologie und Poesie, beide sind eins und unzertrennlich. Alle Gedichte des Altertums schließen sich eines an das andre, bis sich aus immer größern Massen und Gliedern das Ganze bildet; alles greift in einander, und überall ist ein und derselbe Geist nur anders ausgedrückt. Und so ist es wahrlich kein leeres Bild, zu sagen: die alte Poesie sei ein einziges, unteilbares, vollendetes Gedicht. Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen ist? Auf eine andre Weise versteht sich. Und warum nicht auf eine schönere, größere?" (Schlegel 313).
+
: "Denn Mythologie und Poesie, beide sind eins und unzertrennlich. Alle Gedichte des Altertums schließen sich eines an das andre, bis sich aus immer größern Massen und Gliedern das Ganze bildet; alles greift in einander, und überall ist ein und derselbe Geist nur anders ausgedrückt. Und so ist es wahrlich kein leeres Bild, zu sagen: die alte Poesie sei ein einziges, unteilbares, vollendetes Gedicht. Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen ist? Auf eine andre Weise versteht sich. Und warum nicht auf eine schönere, größere?" (Schlegel 19##, 313).
   −
Ich gehe von der Annahme aus, dass Novalis seine Symbole nicht nur für den ''Ofterdingen'' entworfen hat, sondern im Sinne einer Forderung im Gespräch über die Poesie an einer 'Neuen Mythologie' mitgearbeitet hat, also eine praktische Umsetzung des von Schlegel und Schelling aufgeworfenen Problems bieten wollte. Deshalb wird im Ofterdingen und in den Lehrlingen, aber auch in anderen schriftlichen Äußerungen Novalis’ auf dieselbe Bildsprache und dieselben Symbole zurückgegriffen. In meiner Analyse der Träume werde ich skizzieren, wie diese am Aufbau des Symbolgeflechtes mitwirken, das den ganzen Roman durchzieht und ihn zum 'neu-mythologischen' Großprojekt einer Darstellung des 'Zusammenhanges der Dinge' am Beispiel der idealen, ins Mythische gesteigerten Entwicklungsgeschichte eines Individuums werden lässt.
+
Ich gehe von der Annahme aus, dass Novalis seine Symbole nicht nur für den ''Ofterdingen'' entworfen hat, sondern im Sinne des ''Gespräch über die Poesie'' an einer 'Neuen Mythologie' mitarbeitet, also eine praktische Umsetzung des von Schlegel und Schelling aufgeworfenen Problems bieten will. Deshalb wird im ''Ofterdingen'' und in den zuvor entstandenen ''Lehrlingen zu Sais'', aber auch in anderen schriftlichen Äußerungen von Novalis auf dieselbe Bildsprache und dieselben Symbole zurückgegriffen. In meiner Analyse der Träume werde ich skizzieren, wie diese am Aufbau des Symbolgeflechtes mitwirken, das den ganzen Roman durchzieht und ihn zum 'neu-mythologischen' Großprojekt einer Darstellung des 'Zusammenhanges der Dinge' am Beispiel der idealen, ins Mythische gesteigerten Entwicklungsgeschichte eines Individuums werden lässt.
   −
Der erste Teil des Romans, ''Die Erwartung'', besteht aus insgesamt neun Kapiteln ohne Titel, die fortlaufend nummeriert sind. Die Handlung dieses Teils ließe sich knapp als Aufbruch Heinrichs, Reise zu seinem Großvater und Ankunft bei diesem während eines Festes zusammenfassen, dessen Konsequenz die nicht mehr dargestellte Heirat Heinrichs mit Mathilde ist. Der zweite Teil ''Die Erfüllung'' beginnt nicht mit einer Kapitelnummer, sondern mit der Angabe ''Das Kloster, oder der Vorhof'', dem sich ein ''Astralis'' genanntes Gedicht unmittelbar anschließt. Da es sich um das einzige zumindest größtenteils fertige Kapitel des zweiten Teils handelt, müssen Versuche, dessen Aufbau zu erschließen, spekulativ bleiben. Trotzdem ist das wenige überlieferte Material von essentieller Bedeutung bei der Interpretation des Romans, schrieb doch Novalis an Schlegel: "Der 2te Theil wird der Commentar des Ersten" ( HKA IV, 333).
+
Der erste Teil des Romans, ''Die Erwartung'', besteht aus insgesamt neun titellosen Kapiteln, die fortlaufend nummeriert sind. Die Handlung dieses Teils ließe sich knapp als Aufbruch Heinrichs, Reise zu seinem Großvater und Ankunft bei diesem während eines Festes zusammenfassen, dessen Konsequenz die nicht mehr dargestellte Heirat Heinrichs mit Mathilde ist. Der zweite Teil ''Die Erfüllung'' beginnt nicht mit einer Kapitelnummer, sondern mit der Angabe ''Das Kloster, oder der Vorhof'', dem sich ein ''Astralis'' betiteltes Gedicht unmittelbar anschließt. Da es sich um das einzige (zumindest größtenteils) abgeschlossene Kapitel des zweiten Teils handelt, müssen Versuche, dessen Aufbau zu erschließen, spekulativ bleiben. Trotzdem ist das wenige überlieferte Material von essentieller Bedeutung bei der Interpretation des Romans, schrieb doch Novalis an Schlegel, wie bereits zitiert: "Der 2te Theil wird der Commentar des Ersten" (HKA IV, 333).
   −
Dem Gedicht ''Astralis'' folgen noch einige kleinere Episoden, der zweite Teil bricht dann schließlich während eines Gespräches zwischen Sylvester und Heinrich ab. Die drei Träume sind im ersten Teil des Romans angesiedelt, der berühmte Traum von der blauen Blume (I) und der Traum, den Heinrichs Vater in Italien hat (II), im ersten Kapitel. Dieses beginnt nach kurzen Reflexionen Heinrichs mit Traum I. Unmittelbar daran knüpft das Gespräch über den (Erkenntnis-)Wert von Träumen mit Heinrichs Eltern an. Als Reaktion darauf erzählt der Vater seinen Traum, der dem Heinrichs in vielerlei Hinsicht ähnelt. Somit bilden die beiden Träume einen Rahmen um das Gespräch, sie stehen am Anfang der Handlung. Traum III wird von Heinrich am Ende des sechsten Kapitels geträumt, nachdem die äußere Handlung des ersten Teils, Heinrichs Reise zum Großvater, bereits abgeschlossen ist. Diesem Traum geht ein Fest, auf welchem Heinrich erstmals dem Dichter Klingsohr und Mathilde begegnet, unmittelbar voraus. Reflexionen und Gespräche mit diesen beiden Figuren bilden den Rest der Handlung des ersten Teils, im zweiten Teil gibt es keine Träume. Sowohl I und II, als auch I und III rahmen also Handlungselemente und sind an zentralen Stellen des Romans positioniert.
+
Dem Gedicht ''Astralis'' folgen noch einige kleinere Episoden; der zweite Teil bricht dann schließlich während eines Gespräches zwischen Sylvester und Heinrich ab. Die drei Träume sind im ersten Teil des Romans angesiedelt, der berühmte Traum von der blauen Blume (I) und der Traum, den Heinrichs Vater in Italien hatte (II), im ersten Kapitel. Dieses beginnt nach kurzen Reflexionen Heinrichs mit Traum I. Unmittelbar daran knüpft das Gespräch über den (Erkenntnis-)Wert von Träumen mit Heinrichs Eltern an. Als Reaktion darauf erzählt der Vater seinen Traum, der dem Heinrichs in vielerlei Hinsicht ähnelt. Somit bilden die beiden Träume einen Rahmen um das Gespräch, sie stehen am Anfang der Handlung. Traum III wird von Heinrich am Ende des sechsten Kapitels geträumt, nachdem die äußere Handlung des ersten Teils, Heinrichs Reise zum Großvater, bereits abgeschlossen ist. Diesem Traum geht ein Fest voraus, auf welchem Heinrich erstmals dem Dichter Klingsohr und seiner späteren Frau Mathilde begegnet. Reflexionen und Gespräche mit diesen beiden Figuren bilden den Rest der Handlung des ersten Teils, im zweiten gibt es keine Träume. Sowohl I und II, als auch I und III rahmen also Handlungselemente und sind an zentralen Stellen des Romans positioniert.
       
==Die Träume==
 
==Die Träume==
 
===Beschreibung===
 
===Beschreibung===
Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel 2003, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume:
+
Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel 2003, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (HKA I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (HKA I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume:
"Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte" (HKA I, 197). Im sechsten Kapitel trifft er dann Mathilde, die personifizierte Blume: "Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht" (HKA I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen.
+
 
 +
: Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte (HKA I, 197).  
 +
 
 +
Im sechsten Kapitel trifft Heinrich dann Mathilde, die personifizierte Blume: "Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht" (HKA I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen.
    
===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit===
 
===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit===
Zeile 70: Zeile 73:     
* Heinrich von Afterdingen. Textkritische Edition. Hg. von Alexander Knopf. Frankfurt a. M., Basel 2015 [zugl. Diss. Heidelberg 2013].
 
* Heinrich von Afterdingen. Textkritische Edition. Hg. von Alexander Knopf. Frankfurt a. M., Basel 2015 [zugl. Diss. Heidelberg 2013].
 +
 +
==Bezugstexte==
 +
* Friedrich Schlegel, Gespräch über die Poesie. In: F.S., #####
    
==Forschung==
 
==Forschung==