"Il cardillo addolorato" (Anna Maria Ortese): Unterschied zwischen den Versionen

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Der 1993 veröffentlichte Roman ''Il cardillo addolorato'' (''Die Klage des Distelfinken'', wörtlich „Der untröstliche Distelfink") von Anna Maria Ortese (1914-1998) ist ein "phantastisch-historischer Roman“ (Brunner 2009, 8) mit vier wegweisenden Träumen oder Traumvisionen. Die Autorin gesteht: "Scivolo sul ghiaccio dell’invenzione e cado dove non c’è più invenzione" ("Ich gleite über das Eis der Erfindung und falle, wo die Erfindung aufhört"; Clerici 2002, 584). Ihre im fortgeschrittenen Alter entstandenen Werke seien alle als moderne Märchen zu verstehen, deren Hauptfiguren auch als Erwachsene noch "Kindsköpfe" seien, weil sie den Gefahren und der Sterilität der herrschenden Sitten trotzten, zu Scherzen aufgelegt seien und das Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten ausreizten, darin ihr als Autorin durchaus ähnlich - so verteidigt eine übermütige A.M. Ortese ihre besonders fruchtbare Schaffensperiode in den 1970er und 1980er Jahren (Clerici 2002, 585). Sie bezieht sich mit dieser Aussage auf eine Reihe von Manuskripten, darunter die zwei Romane ihrer späteren Jahre "Alonso e i visionari" (1996) und "Il cardillo addolorato". Noch ein weiteres Zitat bietet einen Zugang zu Orteses Verständnis vom "magischen Realismus": "L’ovvio, il comune, il parlato, il comprensibile mi sembrano cose sempre più prive di vita, come le mode, e vorrei perciò scrivere in modo antico o antichissimo, proprio per raggiungere un accento di verità (e anche attualità)" ("Alles Banale, Gewöhnliche, Dahergeredete, Selbstverständliche erscheint mir immer mehr als etwas Lebensfremdes, wie die Moden, und darum möchte ich auf eine veraltete Art schreiben, so veraltet wie möglich, um einen Hauch von Wahrheit zu erzeugen (und auch von Aktualität)"; Clerici 2002, 586).
Der 1993 veröffentlichte Roman ''Il cardillo addolorato'' (''Die Klage des Distelfinken'', wörtlich „Der untröstliche Distelfink") von Anna Maria Ortese (1914-1998) ist ein "phantastisch-historischer Roman“ (Brunner 2009, 8) mit vier Träumen oder Traumvisionen. Die Autorin gesteht: "Scivolo sul ghiaccio dell’invenzione e cado dove non c’è più invenzione" ("Ich gleite über das Eis der Erfindung und falle, wo die Erfindung aufhört"; Clerici 2002, 584). Ihre im fortgeschrittenen Alter entstandenen Werke seien alle als moderne Märchen zu verstehen, deren Hauptfiguren auch als Erwachsene noch "Kindsköpfe" seien, weil sie den Gefahren und der Sterilität der herrschenden Sitten trotzten, zu Scherzen aufgelegt seien und das Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten ausreizten, darin ihr als Autorin durchaus ähnlich - so verteidigt eine übermütige A.M. Ortese ihre besonders fruchtbare Schaffensperiode in den 1970er und 1980er Jahren (Clerici 2002, 585). Sie bezieht sich mit dieser Aussage auf eine Reihe von Manuskripten, darunter die zwei Romane ihrer späteren Jahre "Alonso e i visionari" (1996) und "Il cardillo addolorato". Noch ein weiteres Zitat bietet einen Zugang zu Orteses Verständnis vom "magischen Realismus": "L’ovvio, il comune, il parlato, il comprensibile mi sembrano cose sempre più prive di vita, come le mode, e vorrei perciò scrivere in modo antico o antichissimo, proprio per raggiungere un accento di verità (e anche attualità)" ("Alles Banale, Gewöhnliche, Dahergeredete, Selbstverständliche erscheint mir immer mehr als etwas Lebensfremdes, wie die Moden, und darum möchte ich auf eine veraltete Art schreiben, so veraltet wie möglich, um einen Hauch von Wahrheit zu erzeugen (und auch von Aktualität)"; Clerici 2002, 586).




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==Entstehungskontext==
==Entstehungskontext==
Zusammen mit ihren großen Romanen ''L’Iguana'' (''Iguana. Ein romantisches Märchen'', 1965), ''Il porto di Toledo'' (''Der Hafen von Toledo'', 1975) und ''Alonso e i visionari'' (Alsonso und die Seher, 1996) erschuf Ortese auch in ''Il cardillo addolorato'' ungewöhnliche und fast magische Figuren, Dialoge und Handlungen, die die Schwerelosigkeit eines fliegenden Teppichs haben, mit dem Ziel, etwas Wahres zu verfassen - und da die Wahrheit ihrer Ansicht nach der einzige Weg ist, Probleme zu lösen, auch einen Akutalitätsbezug herzustellen (Brunner 2009, 160). Nach Ansicht des Literaturkritikers und Essayisten Goffredo Fofi hat Ortese sich mit ihren beiden letzten Romanen, dem ''Distelfinken'' und ''Alonso'', ihren Platz unter den größten Schriftstellerinnen dieses Jahrhunderts: "In essi si perfeziona, trovando una liberissima misura narrativa dentro la metamorfosi e il movimento, dentro il cambiamento ingannevole delle apparenze e delle sostanze, l’acquisizione di una sempre più profonda verità essenzialmente religiosa " ("In ihnen zeigt sich immer deutlicher, indem sie in der Verwandlung und Bewegung, im trügerischen Wechselspiel zwischen Wirklichkeit und Täuschung ihren ganz eigenen Erzählstil findet, die Errungenschaft einer immer tieferen, im Wesentlichen religiösen Wahrheit"; Fofi 1999, 283 f.).
Zusammen mit ihren großen Romanen ''L’Iguana'' (''Iguana. Ein romantisches Märchen'', 1965), ''Il porto di Toledo'' (''Der Hafen von Toledo'', 1975) und ''Alonso e i visionari'' (Alsonso und die Seher, 1996) erschuf Ortese auch in ''Il cardillo addolorato'' ungewöhnliche und fast magische Figuren, Dialoge und Handlungen, die die Schwerelosigkeit eines fliegenden Teppichs haben, mit dem Ziel, etwas Wahres zu verfassen - und da die Wahrheit ihrer Ansicht nach der einzige Weg ist, Probleme zu lösen, auch einen Akutalitätsbezug herzustellen (Brunner 2009, 160). Nach Ansicht des Literaturkritikers und Essayisten Goffredo Fofi hat Ortese sich mit ihren beiden letzten Romanen, dem ''Distelfinken'' und ''Alonso'', ihren Platz unter den größten Schriftstellerinnen dieses Jahrhunderts erschrieben: "In essi si perfeziona, trovando una liberissima misura narrativa dentro la metamorfosi e il movimento, dentro il cambiamento ingannevole delle apparenze e delle sostanze, l’acquisizione di una sempre più profonda verità essenzialmente religiosa " ("In ihnen zeigt sich immer deutlicher, indem sie in der Verwandlung und Bewegung, im trügerischen Wechselspiel zwischen Wirklichkeit und Täuschung ihren ganz eigenen Erzählstil findet, die Errungenschaft einer immer tieferen, im Wesentlichen religiösen Wahrheit"; Fofi 1999, 283 f.).