"Il cardillo addolorato" (Anna Maria Ortese): Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
Zeile 67: Zeile 67:


==Einordnung==
==Einordnung==
Nur schwer lässt sich im Roman ''Die Klage des Distelfinken'' die Grenze zwischen einer erträumten Welt zu der eines wachen Bewusstseins ziehen: Trotz einer kunstvoll stimmigen und geschlossenen Wiedergabe, als wären es alles wahre Begebenheiten, kann keine der noch so minuziös geschilderten Szenen aus diesem Roman dauerhaft den Anspruch auf diegetische Wirklichkeit erheben, weil jeder einzelnen zu viele Widersprüchlichkeiten gleich auf den Fersen folgen. Was die vier genannten Traumsequenzen im „Distelfinken“ aber auszeichnet ist die ihnen innewohnende Anlage, dass sie nicht nur auf einzelne interpretative Ansätze hin, sondern auch maßgebend für ein allgemein besseres Verständnis des Handlungsverlaufs ausgelegt werden können. Gerade was die Zusammenfassung des Inhalts betrifft, hat Ortese vor oberflächlichen Aussagen gewarnt: "Ein Roman ist ein Gewebe, und wenn man an seinen einzelnen Fäden zieht, zerstört man sein Geheimnis" (Clerici 2002, 586). Die Geschichte sei das eigentliche Übel des Romans, gibt die Autorin zu. "In questo quadro fatto di prospettive multiple e personaggi instabili la vicenda non può che essere complessa e sfuggente, ramificata e contraddittoria, incontrollabile: quello dell’impossibilità di riassumere i due romanzi è un topos della critica" ("In diesem Bild, in dem es hundertfache Blickwinkel und mutierende Persönlichkeiten gibt, kann auch das Geschehen nur ein vielschichtiges und unbeständiges, weitgefächertes und widersprüchliches sein, mit einem Wort: ein außer Kontrolle geratenes; die Unmöglichkeit der Inhaltszusammenfassung ist für beide Romane ein Topos der Kritik"; Clerici 2002, 601 f.).
Nur schwer lässt sich im Roman ''Die Klage des Distelfinken'' die Grenze zwischen einer erträumten Welt und der eines wachen Bewusstseins ziehen: Trotz einer kunstvoll stimmigen und geschlossenen Wiedergabe, als wären es alles wahre Begebenheiten, kann keine der noch so minuziös geschilderten Szenen aus diesem Roman dauerhaft den Anspruch auf diegetische Wirklichkeit erheben, weil jeder einzelnen zu viele Widersprüchlichkeiten gleich auf dem Fuße folgen. Was die vier genannten Traumsequenzen im „Distelfinken“ aber auszeichnet ist, dass sie nicht nur auf einzelne interpretative Ansätze hin, sondern auch für ein allgemein besseres Verständnis des Handlungsverlaufs ausgelegt werden können. Gerade was die Zusammenfassung des Inhalts betrifft, hat Ortese vor oberflächlichen Aussagen gewarnt: "Ein Roman ist ein Gewebe, und wenn man an seinen einzelnen Fäden zieht, zerstört man sein Geheimnis" (Clerici 2002, 586). Die Geschichte sei das eigentliche Übel des Romans, gibt die Autorin zu: "In questo quadro fatto di prospettive multiple e personaggi instabili la vicenda non può che essere complessa e sfuggente, ramificata e contraddittoria, incontrollabile: quello dell’impossibilità di riassumere i due romanzi è un topos della critica" ("In diesem Bild, in dem es hundertfache Blickwinkel und mutierende Persönlichkeiten gibt, kann auch das Geschehen nur ein vielschichtiges und unbeständiges, weitgefächertes und widersprüchliches sein, mit einem Wort: ein außer Kontrolle geratenes; die Unmöglichkeit der Inhaltszusammenfassung ist für beide Romane ein Topos der Kritik"; Clerici 2002, 601 f.).
   
   
Die vier ausgesuchten Träume hingegen zeigen auf, dass sich aus bestimmten Eingebungen der Protagonisten eine Struktur für das Romangeschehen ergeben kann. So bewahrheiten sich die onirischen Prophezeiungen vom Glanz (1.Traum) und Untergang (3.Traum) des Bildhauers Albert Dupré, wobei die zwei zeitlich getrennten Visionen kontrastiv aufeinanderprallend den Wendepunkt im Leben des Künstlers gestalten. Eine selbstreferentielle Qualifizierung der Traumbedeutung (2.Traum) nimmt die Erzählinstanz in Bezug auf den Individuationsprozess der wichtigsten Figur, Prinz Neville, vor: Dem Traum wird hier ein Momentum der Selbstbestimmtheit zugesprochen, der als Kontrapunkt zu gesellschaftlichen Rollenerwartungen anzusehen ist. Auch die in ängstlicher Traumverlorenheit zum Ausdruck kommenden Leidenschaften der schönen Elmina (4.Traum) verdeutlichen schließlich die implizite Strukturierung des Romangeschehens in ähnlicher Art und Weise. Das Romangeschehen spiegelt sich in dem durch die Schicksalsschläge gewandelten Seelenleben Elminas wider, das Zeugnis von einem Bekenntnis zur Individualität ablegt, auch wenn diese lediglich im Gewand des Trotzes aufrechterhalten werden kann.
Die vier ausgesuchten Träume hingegen zeigen auf, dass sich aus bestimmten Eingebungen der Protagonisten eine Struktur für das Romangeschehen ergeben kann. So bewahrheiten sich die onirischen Prophezeiungen vom Glanz (1.Traum) und Untergang (3.Traum) des Bildhauers Albert Dupré, wobei die zwei zeitlich getrennten Visionen kontrastiv aufeinanderprallend den Wendepunkt im Leben des Künstlers gestalten. Eine selbstreferentielle Qualifizierung der Traumbedeutung (2.Traum) nimmt die Erzählinstanz in Bezug auf den Individuationsprozess der wichtigsten Figur, Prinz Neville, vor: Dem Traum wird hier ein Momentum der Selbstbestimmtheit zugesprochen, das als Kontrapunkt zu gesellschaftlichen Rollenerwartungen anzusehen ist. Auch die in ängstlicher Traumverlorenheit zum Ausdruck kommenden Leidenschaften der schönen Elmina (4.Traum) verdeutlichen schließlich die implizite Strukturierung des Romangeschehens in ähnlicher Art und Weise. Die Romanhandlung spiegelt sich in dem durch die Schicksalsschläge gewandelten Seelenleben Elminas wider, das Zeugnis von einem Bekenntnis zur Individualität ablegt, auch wenn diese lediglich im Gewand des Trotzes aufrechterhalten werden kann.




Navigationsmenü