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Insgesamt bewegt sich der erste Traum des Eich’schen Hörspiels also in einem recht offenen, vieldeutigen Interpretations-Spielraum: die Themen der Verhaftung, der Internierung und des Transports in einem Güterwagon mit schimmeligem Brot, der sich auf ein unbekanntes, existenziell bedrohliches Ziel zubewegt, rufen auf der einen Seite deutlich kalkulierte Assoziationen des nationalsozialistischen Genozids hervor. Auf der anderen Seite aber vermeidet der Text durch die Betonung des Durchschnittlichen und Repräsentativen der Träumer-Gestalten eindeutige Schuldzuweisungen sowie eine Benennung, Differenzierung oder Hierarchisierung unterschiedlicher Opfer-Kategorien. Demgegenüber stellen die Gedichte einen allgemeinen Aufruf zu gesellschaftlichem Engagement dar. Dass gerade der erste Traum dennoch schmerzhaft an die Schuldgefühle bzw. an die vielfältigen Verdrängungsmechanismen der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft rührt, machen die radikal abwehrenden Zuschauer-Reaktionen deutlich. Auf dem Feld der deutschen Nachkriegsliteratur nimmt Günter Eich damit eine besonders engagierte, mitunter durchaus provozierende gesellschaftspolitische Position ein (Joachimsthaler 2002). Mit zunehmendem historischem Abstand wird allerdings auch die problematische Rolle Eichs während der Nazi-Diktatur deutlicher sichtbar (zur Debatte um Günter Eich, vgl. Vieregg 1996). So schätzt etwa Klaus Briegleb die Haltung Eichs als symptomatisch für die Gruppe 47 ein, die die Shoah systematisch ausgeblendet habe (Briegleb 2003, 12). Auch Axel Vieregg beleuchtet kritisch die Aktivitäten Eichs während des Nationalsozialismus und führt diese mit dessen schriftstellerischem Werk zusammen (Vieregg 1993). Vor diesem Hintergrund treten die Ambivalenzen seines Hörspiels umso deutlicher hervor. Eichs literarisches Engagement wäre damit im Sinne von W. G. Sebalds Thesen in Luftkrieg und Literatur durchaus als Verdrängung seiner eigenen Verstrickungen in die nationalsozialistische Kulturpolitik zu verstehen, wenn nicht gar als „Mittel zur Begradigung des eigenen Lebenslaufs“ (Sebald 1996, bes. 123-160, hier 157). Jörg Döring kommt in seinem Beitrag über die Rezeptionsgeschichte der „Träume“ daher zu dem Schluss, der erste Traum sei „einerseits Literarisierung der Shoah, andererseits scheint das historische Geschehen auf spezifisch nicht-jüdische Weise umgedeutet, angeeignet“ (Döring 2009, 149). Das Konzentrationslager würde somit zu einer „Totalisierungsfigur, die sich auch als Abwehr von Auschwitz lesen ließe“ (Döring 2009, 155).
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Insgesamt bewegt sich der erste Traum des Eich’schen Hörspiels also in einem recht offenen, vieldeutigen Interpretations-Spielraum: die Themen der Verhaftung, der Internierung und des Transports in einem Güterwagon mit schimmeligem Brot, der sich auf ein unbekanntes, existenziell bedrohliches Ziel zubewegt, rufen auf der einen Seite deutlich kalkulierte Assoziationen des nationalsozialistischen Genozids hervor. Auf der anderen Seite aber vermeidet der Text durch die Betonung des Durchschnittlichen und Repräsentativen der Träumer-Gestalten eindeutige Schuldzuweisungen sowie eine Benennung, Differenzierung oder Hierarchisierung unterschiedlicher Opfer-Kategorien. Demgegenüber stellen die Gedichte einen allgemeinen Aufruf zu gesellschaftlichem Engagement dar. Dass gerade der erste Traum dennoch schmerzhaft an die Schuldgefühle bzw. an die vielfältigen Verdrängungsmechanismen der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft rührt, machen die radikal abwehrenden Zuschauer-Reaktionen deutlich. Auf dem Feld der deutschen Nachkriegsliteratur nimmt Günter Eich damit eine besonders engagierte, mitunter durchaus provozierende gesellschaftspolitische Position ein (Joachimsthaler 2002). Mit zunehmendem historischem Abstand wird allerdings auch die problematische Rolle Eichs während der Nazi-Diktatur deutlicher sichtbar (zur Debatte um Günter Eich, vgl. Vieregg 1996). So schätzt etwa Klaus Briegleb die Haltung Eichs als symptomatisch für die Gruppe 47 ein, die die Shoah systematisch ausgeblendet habe (Briegleb 2003, 12). Auch Axel Vieregg beleuchtet kritisch die Aktivitäten Eichs während des Nationalsozialismus und führt diese mit dessen schriftstellerischem Werk zusammen (Vieregg 1993). Vor diesem Hintergrund treten die Ambivalenzen seines Hörspiels umso deutlicher hervor. Eichs literarisches Engagement wäre damit im Sinne von W. G. Sebalds Thesen in ''Luftkrieg und Literatur'' durchaus als Verdrängung seiner eigenen Verstrickungen in die nationalsozialistische Kulturpolitik zu verstehen, wenn nicht gar als „Mittel zur Begradigung des eigenen Lebenslaufs“ (Sebald 1996, bes. 123-160, hier 157). Jörg Döring kommt in seinem Beitrag über die Rezeptionsgeschichte der „Träume“ daher zu dem Schluss, der erste Traum sei „einerseits Literarisierung der Shoah, andererseits scheint das historische Geschehen auf spezifisch nicht-jüdische Weise umgedeutet, angeeignet“ (Döring 2009, 149). Das Konzentrationslager würde somit zu einer „Totalisierungsfigur, die sich auch als Abwehr von Auschwitz lesen ließe“ (Döring 2009, 155).
     
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