Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28,10â22): Unterschied zwischen den Versionen
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 | In diesem Artikel werden Facetten der antiken jĂŒdischen und christlichen Auslegung der ErzĂ€hlung von der Jakobsleiter (Genesis 28,10â22) thematisiert, die fĂŒr die auĂertheologische Rezeption der Motive von Belang sein können. |  | In diesem Artikel werden Facetten der antiken jĂŒdischen und christlichen Auslegung der ErzĂ€hlung von der Jakobsleiter (Genesis 28,10â22) thematisiert, die fĂŒr die auĂertheologische Rezeption der Motive von Belang sein können. |
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 | + | ==Der Text== | |
 | + | Der Text ist, wie das Buch Genesis insgesamt, ursprĂŒnglich in hebrĂ€ischer Sprache ĂŒberliefert. Die antike vorchristliche Ăbersetzung des hebrĂ€ischen Genesis-Textes ins Griechische, die Septuaginta, bietet zwei wesentliche Ănderungen: (1) In V. 12 wird klargestellt, dass die Engel auf der Leiter auf- und absteigen, nicht auf Jakob.<ref>Im hebrĂ€ischen Text ist die Stelle doppeldeutig: im Johannesevangelium (Joh 1,51), wo das Motiv der auf- und absteigenden Engel aufgenommen wird, ist der "Menschensohn", Jesus, als Ort des Auf- und Abstiegs genannt; in jĂŒdischer Tradition, in ''Genesis Rabbah'' 68,13 u. 69,3 wird das Problem explizit diskutiert. ''Genesis Rabbah'' ist ein spĂ€tantiker jĂŒdischer Kommentar zum Buch Genesis, wohl um 450 verfasst; er enthĂ€lt aber auch spĂ€tere ZusĂ€tze, ĂŒber deren Datierung freilich keine Einigkeit besteht.</ref> (2) Nach der Selbstvorstellung Gottes sind die Worte "FĂŒrchte dich nicht" ergĂ€nzt. Die erste der genannten Ănderungen im Griechischen ist auch in der lateinischen Fassung, der sogenannten Vulgata, wirksam. | |
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 | + | ==Der Kontext== | |
 | + | Ăber Jakob, den Sohn Isaaks, wird ab Genesis 25,19 berichtet. Nachdem er sich mit Hilfe seiner Mutter Rebekka von seinem Bruder Esau den Erstgeburtssegen erschlichen hat, muss er von Beerscheba im sĂŒdlichen Israel nach Haran in Mesopotamien in das Haus der mĂŒtterlichen Verwandtschaft fliehen, weil Esau ihm nach dem Leben trachtet (Genesis 27). Auf dem Weg dorthin widerfĂ€hrt ihm der Traum. Jakob bleibt dann in Mesopotamien, heiratet, bekommt Kinder und wird reich (Genesis 29â30). Nach Flucht und Vertragsabschluss mit seinem Onkel Laban (Genesis 31) rĂŒstet sich Jakob zur Wiederbegegnung mit seinem Bruder Esau, muss aber am Fluss Jakob einen gefĂ€hrlichen Ringkampf ĂŒberstehen (Genesis 32). Nach der Versöhnung mit Esau siedelt sich Jakob bei Sichem (nördlich von Bethel und Jerusalem) an (Genesis 33,1â20). In einer weiteren Gotteserscheinung in Bethel wird die Beistandszusage an Jakob nochmals in verĂ€nderter Form aufgegriffen (vgl. Genesis 35,11â12 mit Genesis 28,13â15). | |
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â | == Der | + | ==Der Ort des Geschehens== |
 | + | Der jetzige Bibeltext fĂŒhrt die GrĂŒndung des Heiligtums in Bethel auf die Gotteserscheinungen an Jakob zurĂŒck (vgl. neben Genesis 28,10-22 noch Genesis 35,6-15). Das Heiligtum in Bethel (Der Name bedeutet "Haus [des Gottes] El" bzw. "Haus Gottes") war vielleicht schon im Zuge der Abtrennung der nördlichen Stammesgebiete Israels von den ehemaligen Herrschaftsgebieten Davids (ca. 926 v. Chr.) gegrĂŒndet worden und hat dann möglicherweise im 8. Jhdt. gewisse ĂŒberregionale Bedeutung erlangt. Als zentrales Symbol fungierte ein Stierbild, das vermutlich als FuĂschemel fĂŒr die thronende Gottheit gedacht war. Das Heiligtum war aber spĂ€ter umstritten (vgl. Amos 3,14; 7,13; Hosea 8,5-6; 10,5-7. Der Bericht 1. Könige 12,26-33 ist stark polemisch).Weil das Heiligtum in Bethel in spĂ€terer Zeit nicht mehr als legitim galt, suchen antike jĂŒdische wie christliche Tradition gelegentlich den Ausgleich zu anerkannter biblischer Geschichte. Als Ort des Geschehens gilt daher in jĂŒdischer Tradition der Tempelberg<ref>Genesis Rabbah 69; Stemberger 1974, 118</ref>, in christlicher Tradition manchmal der Ort der spĂ€ter errichteten StiftshĂŒtte.<ref>Augustinus 1958, 32 = Quaestiones in Heptateuchum, Genesis 83</ref> | |
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â | Der | + | ==Jakobs Schlaf== |
 | + | [[Datei:Dura_Europos.jpg|thumb|right|350x300px|<strong>Abb. 1</strong> Der schlafende Jakob, Fresko, teils zerstört, 3. Jh., Nordwand der Synagoge von Dura Europos (Syrien).]]Der schlafende Jakob wird erstmals im 3. Jh. auf der Nordwand der Synagoge von Dura Europos (heute in Syrien) dargestellt (Stemberger 1974, 110; Thoma/Ernst 1996, 55). Nach Ambrosius<ref>Ambrosius 2010, 430 = de Iacob II 4,16</ref> ist Jakobs Schlaf Ausweis seines ruhigen Gewissens. | |
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 | + | ==Jakobs Traum== | |
 | + | Die Frage, welcher Wahrheitsgehalt TrĂ€umen zukommen kann, wird nicht ventiliert, obwohl die Problematik von TrĂ€umen auch in biblischer Tradition bewusst ist (vgl. nur Jesus Sirach 34,1; 40,6f.; Hiob 7,14; 20,8; Jeremia 23,25â29). Gelegentlich wird auf das Erschreckende des Traumes verwiesen;<ref>Cyprianus Gallus 1891, 35 = Heptateuchos 928</ref> hĂ€ufiger wird gefragt, wie Jakob noch seinem in Genesis 27 geschilderten Verhalten (er betrog seinen Bruder Esau um dessen Erstgeburtsrecht) ĂŒberhaupt wĂŒrdig sein konnte, diese Traumvision zu empfangen. Als Antwort wird in jĂŒdischer Tradition auf die Gerechtigkeit Jakobs verwiesen;<ref>###Targum Jonathan zu Genesis###</ref> bei Ambrosius<ref>Ambrosius 2010, 410 = De Iacob II 1,1</ref> auf das freiwillige Exil Jakobs, das seine eigene Schuld abschwĂ€cht und Esaus Schuldigwerden verhindert; bei Johannes Chrysostomus<ref>Johannes Chrysostomus 1991, 475 = Homiliae in Genesim 44,3</ref> auf die philosophische Haltung des Patriarchen, die sich in Form der GenĂŒgsamkeit bemerkbar macht (er reist allein, ohne Diener etc.). | |
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â | == | + | ==Wie wird die Leiter dargestellt?== |
 | + | [[Datei:Tintoretto_-_Jakobs_Traum.jpg|thumb|right|350x882px|<strong>Abb. 2</strong> Jacopo Robusti (il Tintoretto): Sogno di Giacobbe, Ăl auf Leinwand, 660 Ă 265 cm, 1577-1578, Scuola Grande di S. Rocco (Venedig).]] Das, worauf die Engel auf- und absteigen, war ursprĂŒnglich wohl als Aufstiegsrampe zu einem rechteckigen Tempelturm gedacht, der auf einem Fundament mit solchen Rampen an allen vier Seiten errichtet war (Westermann 1981, 553). Bereits in frĂŒhjĂŒdischer und antiker christlicher Auslegung spielt das aber keine Rolle mehr; der Begriff wird selten nĂ€her bedacht. Dazu trugen die griechische und die lateinische Ăbersetzung bei, die an eine Leiter mit Sprossen denken lassen, nicht an eine Treppe mit Treppenstufen. Wird in der Kunstgeschichte die Leiter bisweilen doch als Treppe dargestellt (so u.a. in Abb. 2 Jacopo Tintorettos Jakobsleiter-Fresko von 1577 in der Scuola Grande di San Rocco), ist dies wohl eher dem Versuch zuzuschreiben, eine naturalistische Szenerie zu entwerfen (Kauffmann 1970, 375). In jĂŒdischer und christlicher religiöser Literatur begegnen allegorische Auslegungen der Leiter auf die Thora (''Genesis Rabba'' 68,12) oder auf Christus.<ref>Ps.-Beda Venerabilis 1968, PL 93, 333 D; mit Verweis auf Johannes 14,6: "Ich bin der Weg"</ref> | |
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â | + | ==Wer wird auf der Leiter dargestellt?== | |
 | + | Der biblische Text redet von Engeln, seine Ausleger manchmal von Engeln, manchmal auch von Menschen. Das hat philologische wie biblische GrĂŒnde. Das Wort "Engel" ist ein Fremdwort, das vorausliegende griechische Wort bedeutet "Bote" und kann von ĂŒberirdischen MĂ€chten wie von Menschen verwendet werden. Auch in der Bibel können Menschen als "Engel" bezeichnet werden (Maleachi 2,7; Markus 1,2). | |
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â | == Der | + | Wenn von Menschen die Rede ist, ist das Motiv des Aufstiegs unproblematisch. Frömmigkeit<ref>Maximus Confessor 1982, 68 = Quaestiones 88; Chromatius 1974, 5 = Sermo 1,6</ref> und eigenes Tugendstreben können durch das Bild des Aufstiegs, der Leiter symbolisiert werden,<ref>Hieronymus 1996, 15 u. 529 = Epistulae 3,4 u. 68,2</ref> wie das dann auch in der Kunstgeschichte der Fall ist. In Martyrienberichten spielt das Motiv hingegen nur selten eine Rolle (Dörnberg 2018, 86 f. u. 208 f.). FĂŒr Chromatius von Aquileia symbolisiert die Leiter, deren Spitze bis an den Himmel reicht, den in den acht Seligpreisungen der Bergpredigt (MatthĂ€us 5,3â10) beschriebenen unendlichen Aufstieg der Seele zu Gott.<ref>Chromatius von Aquileia 1974, 179 = Sermo 41,10)</ref> Der Abstieg kann negativ gewertet werden als "Fall", als RĂŒckfall in SĂŒnde o.Ă€.<ref>Benedikt von Nursia 1960, 40 f. = Regula 7,7; Hieronymus 1958, 248 = Tractatus de Psalmo 119</ref> Allerdings wissen viele antike Ausleger zwischen Fall und Abstieg durchaus zu unterscheiden.<ref>z.B. Augustinus 1990, Bd. 3, 1777-79 = Enarratio in Psalmos 119,2; Zeno 1971, 103 = Tractatus I 37,4/11</ref> Der Abstieg wird dann als geistige Zuwendung zu Menschen gedeutet, die solcher Zuwendung bedĂŒrfen, wofĂŒr Paulus als Vorbild gelten kann.<ref>Augustinus 1990, Bd. 3, 1778 f. = Enarratio in Psalmos 119,2</ref> Manchmal gilt auch Christus als die Leiter, als die auf- und absteigenden Boten gelten die Prediger des Evangeliums.<ref>Ps.-Beda Venerabilis 1968, 333 D</ref> |
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â | + | Solche allegorische Auslegung wird dann auch in auĂerchristlicher Tradition wirksam: Die Jakobsleiter verweist dann etwa auf die Höherentwicklung des Freimaurers.<ref>#### ###, Art. Freimaurer/Freimaurerei. In: Otto Schmidt u.a. (Hg.), Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Bd. 10. MĂŒnchen: Beck 2003, 686</ref> In seinem Oratorienfragment''Jakobsleiter'' (1916/17) zeichnet Arnold Schönberg unter Zuhilfenahme u.a. esoterischer, speziell theosophischer Traditionen den postmortalen Aufstieg des Menschen zu Gott. Von Jakob ist in der ''Jakobsleiter'' allerdings nie die Rede (Wörner 1970, 174 f.) - der Text wurde noch vor der dezidierten RĂŒckwendung Schönbergs zum jĂŒdischen Glauben und dem Wiedereintritt in die jĂŒdische Gemeinde im Jahre 1933 verfasst (Strecker 1999, 121). | |
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â | == | + | ==Was wird am Ende der Leiter (nicht) sichtbar?== |
 | + | [[Datei:Via_Latina_-_Jakobs_Traum.jpg|thumb|right|350x394px|<strong>Abb. 3</strong> Der Traum von der Jakobsleiter in den Katakomben der Via Latina.]] FĂŒr exegetische jĂŒdische wie christliche Tradition muss es darum gehen, einen Widerspruch zu Exodus 33,23 (Gottes Angesicht kann man nicht sehen) zu vermeiden. | |
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â | + | Im ''JubilĂ€enbuch'', einer antiken jĂŒdischen Schrift aus dem 2. Jh. v. Chr., ist es Gott selbst, von dem Jakob trĂ€umt (Berger 1981, 27,21); von einer Gottesschau durch den Patriarchen ist aber nicht die Rede! Flavius Josephus spricht dagegen explizit von der Gottesschau.<ref>Clementz 1989, I, 279</ref> In dem Bild des schlafenden Jakob an der Via Latina, das in Abb. 3 zu sehen ist, wird Gott hingegen nicht dargestellt, wie das jĂŒdische Vorbehalten einer solchen Darstellung gegenĂŒber entspricht (Stemberger 1990 121). Sichtbar werden solche Bedenken z.B. im ''babylonischen Talmud'' : "R[abbi]. Simon ben Lachisch sagte: WĂ€re es [Genesis 28,13] kein geschriebener Schriftvers, so dĂŒrfte man es nicht sagen".<ref>Goldschmidt 1929-36, Traktat Chullin 91b</ref> Auch in christlicher Tradition wird der Verweis auf Ex 33,23 wirksam;<ref>Irenaeus von Lyon 1993, 64 = Demonstratio 45</ref> dass auf der Leiter Christus zu sehen ist, kann aber auch in anderen,<ref>Irenaeus von Lyon 1997, 76 = Adversus haereses IV 10,1</ref> teils problematischen<ref>Justin 1997, 171 = Dialogus 58,11</ref> ZusammenhĂ€ngen wirksam werden.[[Datei:de_Ribera_-_Jakobs_Traum.jpg|thumb|right|350x267px|<strong>Abb. 4</strong> Jusepe de Ribera: El sueño de Jacob, Ăl auf Leinwand, 179 Ă 233 cm, 1639, Museo del Prado (Madrid).]] In der Kunstgeschichte kann eine analoge Wahrnehmung der Problematik dann vorliegen, wenn an der Spitze der Leiter das Symbol der Menorah (Sergej Tihomirov, *1965 in Moskau, jetzt in Hannover lebend) oder eine Mehrzahl von Engeln sichtbar wird (Adalbert Trillhaase, 1858â1936, ''Jakobs Traum'') oder die Wolke als Zeichen der verhĂŒllten göttlichen Gegenwart oder ein weiĂes Licht bzw. ein Lichtstrahl erscheint.<ref>Vgl. Sergej Tihomirov: Himmelsleiter mit Menorah, Ăl auf Leinwand, 2011, 100 x 160 cm, 2011, abgebildet auf der Webseite des KĂŒnstlers: http://www.sergej-tihomirov.de/s-mh.html </ref> In der niederlĂ€ndischen Malerei nach Rembrandt, aber auch in der in Abb. 4 zu sehenden Darstellung ''El sueño de Jacob'' (1639) von Jusepe de Ribera (1591-1652), ersetzt dieser die Leiter insgesamt (Kauffmann 1970, 375). | |
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 | + | <div style="text-align: right;">[[Autoren|Martin Meiser]]</div> | |
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â | == | + | ==AbkĂŒrzungen== |
 | + | * CCG = Corpus Christianorum. Series Graeca. Turnout: Brepols. | |
 | + | * CCL = Corpus Christianorum. Series Latina. Turnout: Brepols. | |
 | + | * CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. Wien: (Ălkder-Pichler-)Tempsky. | |
 | + | * FC = Fontes Christiani. Freiburg: Herder, Turnhout: Brepols. | |
 | + | * PG = Migne, Jacques Paul, Patrologiae Cursus Completus, Series Graeca. Paris: J.P. Migne, 1856â1858. | |
 | + | * PL = Migne, Jacques Paul, Patrologiae Cursus Completus, Series Latina. Paris: J.P. Migne, 1844â1855. | |
 | + | * PTS = Patristische Texte und Studien. Berlin, New York: de Gruyter. | |
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 | + | <gallery widths=183 px heights=311 px perrow=4> | |
 | + | Datei:Rembrandt_-_Jakobsleiter.jpeg|'''Abb. 5''' Rembrandt van Rijn: Jakobsstigen, Radierung, Grabstichel und Kaltnadel, 11.7 à 7.1 cm, 1655, Statens Museum for Kunst (Kopenhagen). | |
 | + | Datei:Blake_-_Jakobs_Traum.jpg|'''Abb. 6''' William Blake: Jacob's Ladder or Jacob's Dream, Tusche und Wasserfarbe auf Papier, 39 à 30 cm, 1799-1806, British Museum (London). | |
 | + | Datei:Solimena_-_Jakobs_Traum.jpg|'''Abb. 7''' Francesco Solimena: Le Songe de Jacob, Ăl auf Leinwand, 1835, MusĂ©e Thomas-Henry (Cherbourg-Octeville). | |
 | + | Datei:Dore_-_Jakobs_Traum.jpg|'''Abb. 8''' Gustave Doré: Jakobs Traum, Holzschnitt, 1866, British Museum (London). | |
 | + | </gallery> | |
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â | == | + | ==Quellen== |
 | + | ===JĂŒdische Quellen=== | |
 | + | * Berger, Klaus: Das Buch der JubilĂ€en. GĂŒtersloh: GĂŒtersloh Verlagshaus 1981. | |
 | + | * Clementz, Heinrich: Des Flavius Josephus JĂŒdische AltertĂŒmer. Hg., ĂŒbers. und erl. 2 Bde. Wiesbaden: Harrassowitz 8. Aufl. 1989. | |
 | + | * Goldschmidt, Lazarus: Der Babylonische Talmud. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter BerĂŒcksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materialien neu ĂŒbertragen. Berlin: JĂŒdischer Verlag 1929â36 | |
 | + | * Neusner, Jacob: Genesis Rabbah. The Judaic Commentary to the Book of Genesis. A New American Translation, Vol. III. Atlanta: Scholars Press 1985. | |
 | + | * Thoma, Clemens / Hanspeter Ernst: Die Gleichnisse der Rabbinen. Dritter Teil: Von Isaak bis zum Schilfmeer: BerR 63â100; ShemR 1â22. Bern: Lang 1996. | |
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â | + | ===Christliche Quellen=== | |
â | + | * Novum Testamentum Graece. Hg. von Kurt Aland u.a. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 26. Aufl.1990, 28. Aufl. 2012. | |
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â | + | * Ambrosius: Jacob et la vie heureuse. Hg., ĂŒbers. und komment. von GĂ©rard Nauroy (Sources ChrĂ©tiennes 534). Paris: Cerf, 2010. | |
 | + | * Augustinus: Enarrationes in Psalmos. Hg. von Eligius Dekkers und Johannes Fraipont. Bd. 1: Ps. 1â50 (CCL 38). Turnhout: Brepols 1956, 1990; Bd. 2: Ps. 51â100 (CCL 39). Turnhout: Brepols 1956, 1990; Bd. 3: Ps. 101â150 (CCL 40). Turnhout: Brepols 1956, 1990. | |
 | + | * Augustinus: Quaestiones in heptateuchum. Hg. von Johannes Fraipont (CCL 33). Turnhout: Brepols 1958, 1â377. | |
 | + | * Ps.-Beda Venerabilis: Quaestiones super Pentateuchum (PL 93). Turnhout: Brepols 1968, 234â417. | |
 | + | * Benedikt von Nursia: Regula. Hg. von Rudolf Hanslik (CSEL 75). Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1960. | |
 | + | * Chromatius von Aquileia: Opera. Hg. von R. Ătaix et J. LemariĂ© (Corpus Christianorum, CCL 9 A). Turnhout : Brepols 1974. | |
 | + | * Cyprianus Gallus: Heptateuchos. Hg. und komment. von Rudolfus Peiper (CSEL 23). Prag, Wien: Tempsky, Leipzig: Freytag 1891. | |
 | + | * Hieronymus: Epistulae: Hg. von Isidor Hilberg. Bd. 1 (CSEL 54). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996; Bd. 2 (CSEL 55). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996; Bd. 3 (CSEL 56). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996. | |
 | + | * Hieronymus: Tractatus in Psalmos. Hg. von Germanus Morin, B. Capelle und J. Fraipont (CCL 78). Turnhout: Brepols 1958, 501â559. | |
 | + | * Irenaeus von Lyon: Epideixis. Darlegung der apostolischen VerkĂŒndigung. Adversus haereses. Gegen die HĂ€resien. Bd. I. Hg. ĂŒbers. und eingel. von Norbert Brox (FC 8/1). Freiburg: Herder 1993. | |
 | + | * Irenaeus von Lyon: Adversus haereses. Hg., ĂŒbers. und eingel. von Norbert Brox. Bd. IV (FC 8/4). Freiburg: Herder 1997. | |
 | + | * Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim (PG 53). Turnhout: Brepols 1991, 21â54, 580. | |
 | + | * Justin, Dialogus cum Tryphone. Hg. von Miroslav Marcovich (PTS 47). Berlin, New York: de Gruyter 1997. | |
 | + | * Maximus Confessor: Quaestiones et dubia. Hg. von José Hendrik Declerck (CCG 10). Turnhout: Brepols 1982. | |
 | + | * Tertullian: Adversus Marcionem. Hg. von Aemilio Kroymann (CCL 1). Turnhout: Brepols 1954, 437â726 | |
 | + | * Tertullian: De fuga in persecutione. Hg. von Jacques Jean Thierry (CCL 2). Turnhout: Brepols 1954, 1133â1155. | |
 | + | * Zeno von Verona: Tractatus. Hg. von Bengt Löfstedt (CCL 22). Turnhout: Brepols 1971. | |
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 | + | ==Forschungsliteratur== | |
 | + | * Blum, Erhard: Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel - Genesis 28,10-22. In: Steven L. McKenzie et al. (Hg.): Retinking the Foundations. Berlin: de Gruyter 2000, 33-54. | |
 | + | * Dörnberg, Burkhard Freiherr von: Traum und Traumdeutung in der Alten Kirche. Die westliche Tradition bis Augustin. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2008. | |
 | + | * Gahbauer, Ferdinand R.: Die Jakobsleiter, ein aussagenreiches Motiv der VĂ€terliteratur. In: Zeitschrift fĂŒr antikes Christentum 9 (2006), 247â278. | |
 | + | * Kauffmann, C.M.: Art. Jakob. In: Engelbert Kirschbaum (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. II. Rom, Freiburg, Basel, Wien: Herder 1970, 370â383. | |
 | + | * Kaufmann, Eva-Maria: Jakobs Traum und der Aufstieg des Menschen zu Gott. Das Thema der Himmelsleiter in der bildenden Kunst des Mittelalters, TĂŒbingen, Berlin: Wasmuth 2006. | |
 | + | * Lanckau, Jörg: Dreams and Dream Narratives in the Hebrew Bible (Tanakh). In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.), Writing the Dream/Ăcrire le rĂȘve. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2017 (Cultural Dream Studies 1), 73-93. | |
 | + | * Oblath, Michael: "To sleep, perchance to dream..." What Jacob Saw at Bethel (Genesis 28.10-22). In: Journal for the Study of the Old Testament 95 (2001), 117-126. | |
 | + | * Seybold, Klaus: Der Traum in der Bibel. In: Therese Wagner-Simon/Gaetano Benedetti (Hg.), Traum und TrÀumen. Traumanalysen in Wissenschaft, Religion und Kunst. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984, 32-54. | |
 | + | * Schmitt, Jean-Claude: Bildhaftes Denken. Die Darstellung biblischer TrĂ€ume in mittelalterlichen Handschriften. In: Agostino Paravicini Bagliani/Giorgio Stabile (Hg.), TrĂ€ume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Stuttgart, ZĂŒrich: Belser 1989, 9-40. | |
 | + | * Schneider, Marlen: AccĂ©der au divin. La reprĂ©sentation du songe de Jacob, entre baroque et romantisme. In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.), Historizing the Dream / Le rĂȘve du point de vue historique. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2018 (Cultural Dream Studies 3) (im Druck). | |
 | + | * Stemberger, GĂŒnter: Die Patriarchenbilder der Katakombe in der Via Latina im Lichte der jĂŒdischen Tradition (1974). In: Ders.: Studien zum rabbinischen Judentum. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1990, 89â176. | |
 | + | * Strecker, Stefan: Der Gott Arnold Schönbergs. Blicke durch die Oper Moses und Aaron. MĂŒnster: LIT 1999. | |
 | + | * Westermann, Claus: Genesis, 2. Teilband, Genesis 12â36. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1981. | |
 | + | * Wörner, Karl H.: Musik zwischen Theologie und Weltanschauung. Das Oratorium ''Die Jakobsleiter''. In: Ders.: Die Musik in der Geistesgeschichte. Studien zur Situation der Jahre um 1910. Bonn: Bouvier 1970, 171â200. | |
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 | + | ==Anmerkungen== | |
 | + | <references /> | |
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 | + | {| style="border: 1px solid #98A7C4; background-color: #ffffff; border-left: 20px solid #98A7C4; margin-bottom: 0.4em; margin-left: auto; margin-right: auto; width: 100%;" border="0" cellspacing="2" cellpadding="5" | |
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 | + | Zitiervorschlag fĂŒr diesen Artikel: | |
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â | + | Meiser, Martin: Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28, 10-22). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "EuropĂ€ische Traumkulturen", 2017; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/Traum_von_der_Jakobsleiter_(Bibel,_AT,_Genesis_28,10%E2%80%9322). | |
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2018, 21:09 Uhr
In diesem Artikel werden Facetten der antiken jĂŒdischen und christlichen Auslegung der ErzĂ€hlung von der Jakobsleiter (Genesis 28,10â22) thematisiert, die fĂŒr die auĂertheologische Rezeption der Motive von Belang sein können.
Der Text
Der Text ist, wie das Buch Genesis insgesamt, ursprĂŒnglich in hebrĂ€ischer Sprache ĂŒberliefert. Die antike vorchristliche Ăbersetzung des hebrĂ€ischen Genesis-Textes ins Griechische, die Septuaginta, bietet zwei wesentliche Ănderungen: (1) In V. 12 wird klargestellt, dass die Engel auf der Leiter auf- und absteigen, nicht auf Jakob.[1] (2) Nach der Selbstvorstellung Gottes sind die Worte "FĂŒrchte dich nicht" ergĂ€nzt. Die erste der genannten Ănderungen im Griechischen ist auch in der lateinischen Fassung, der sogenannten Vulgata, wirksam.
Der Kontext
Ăber Jakob, den Sohn Isaaks, wird ab Genesis 25,19 berichtet. Nachdem er sich mit Hilfe seiner Mutter Rebekka von seinem Bruder Esau den Erstgeburtssegen erschlichen hat, muss er von Beerscheba im sĂŒdlichen Israel nach Haran in Mesopotamien in das Haus der mĂŒtterlichen Verwandtschaft fliehen, weil Esau ihm nach dem Leben trachtet (Genesis 27). Auf dem Weg dorthin widerfĂ€hrt ihm der Traum. Jakob bleibt dann in Mesopotamien, heiratet, bekommt Kinder und wird reich (Genesis 29â30). Nach Flucht und Vertragsabschluss mit seinem Onkel Laban (Genesis 31) rĂŒstet sich Jakob zur Wiederbegegnung mit seinem Bruder Esau, muss aber am Fluss Jakob einen gefĂ€hrlichen Ringkampf ĂŒberstehen (Genesis 32). Nach der Versöhnung mit Esau siedelt sich Jakob bei Sichem (nördlich von Bethel und Jerusalem) an (Genesis 33,1â20). In einer weiteren Gotteserscheinung in Bethel wird die Beistandszusage an Jakob nochmals in verĂ€nderter Form aufgegriffen (vgl. Genesis 35,11â12 mit Genesis 28,13â15).
Der Ort des Geschehens
Der jetzige Bibeltext fĂŒhrt die GrĂŒndung des Heiligtums in Bethel auf die Gotteserscheinungen an Jakob zurĂŒck (vgl. neben Genesis 28,10-22 noch Genesis 35,6-15). Das Heiligtum in Bethel (Der Name bedeutet "Haus [des Gottes] El" bzw. "Haus Gottes") war vielleicht schon im Zuge der Abtrennung der nördlichen Stammesgebiete Israels von den ehemaligen Herrschaftsgebieten Davids (ca. 926 v. Chr.) gegrĂŒndet worden und hat dann möglicherweise im 8. Jhdt. gewisse ĂŒberregionale Bedeutung erlangt. Als zentrales Symbol fungierte ein Stierbild, das vermutlich als FuĂschemel fĂŒr die thronende Gottheit gedacht war. Das Heiligtum war aber spĂ€ter umstritten (vgl. Amos 3,14; 7,13; Hosea 8,5-6; 10,5-7. Der Bericht 1. Könige 12,26-33 ist stark polemisch).Weil das Heiligtum in Bethel in spĂ€terer Zeit nicht mehr als legitim galt, suchen antike jĂŒdische wie christliche Tradition gelegentlich den Ausgleich zu anerkannter biblischer Geschichte. Als Ort des Geschehens gilt daher in jĂŒdischer Tradition der Tempelberg[2], in christlicher Tradition manchmal der Ort der spĂ€ter errichteten StiftshĂŒtte.[3]
Jakobs Schlaf
Der schlafende Jakob wird erstmals im 3. Jh. auf der Nordwand der Synagoge von Dura Europos (heute in Syrien) dargestellt (Stemberger 1974, 110; Thoma/Ernst 1996, 55). Nach Ambrosius[4] ist Jakobs Schlaf Ausweis seines ruhigen Gewissens.
Jakobs Traum
Die Frage, welcher Wahrheitsgehalt TrĂ€umen zukommen kann, wird nicht ventiliert, obwohl die Problematik von TrĂ€umen auch in biblischer Tradition bewusst ist (vgl. nur Jesus Sirach 34,1; 40,6f.; Hiob 7,14; 20,8; Jeremia 23,25â29). Gelegentlich wird auf das Erschreckende des Traumes verwiesen;[5] hĂ€ufiger wird gefragt, wie Jakob noch seinem in Genesis 27 geschilderten Verhalten (er betrog seinen Bruder Esau um dessen Erstgeburtsrecht) ĂŒberhaupt wĂŒrdig sein konnte, diese Traumvision zu empfangen. Als Antwort wird in jĂŒdischer Tradition auf die Gerechtigkeit Jakobs verwiesen;[6] bei Ambrosius[7] auf das freiwillige Exil Jakobs, das seine eigene Schuld abschwĂ€cht und Esaus Schuldigwerden verhindert; bei Johannes Chrysostomus[8] auf die philosophische Haltung des Patriarchen, die sich in Form der GenĂŒgsamkeit bemerkbar macht (er reist allein, ohne Diener etc.).
Wie wird die Leiter dargestellt?
Das, worauf die Engel auf- und absteigen, war ursprĂŒnglich wohl als Aufstiegsrampe zu einem rechteckigen Tempelturm gedacht, der auf einem Fundament mit solchen Rampen an allen vier Seiten errichtet war (Westermann 1981, 553). Bereits in frĂŒhjĂŒdischer und antiker christlicher Auslegung spielt das aber keine Rolle mehr; der Begriff wird selten nĂ€her bedacht. Dazu trugen die griechische und die lateinische Ăbersetzung bei, die an eine Leiter mit Sprossen denken lassen, nicht an eine Treppe mit Treppenstufen. Wird in der Kunstgeschichte die Leiter bisweilen doch als Treppe dargestellt (so u.a. in Abb. 2 Jacopo Tintorettos Jakobsleiter-Fresko von 1577 in der Scuola Grande di San Rocco), ist dies wohl eher dem Versuch zuzuschreiben, eine naturalistische Szenerie zu entwerfen (Kauffmann 1970, 375). In jĂŒdischer und christlicher religiöser Literatur begegnen allegorische Auslegungen der Leiter auf die Thora (Genesis Rabba 68,12) oder auf Christus.[9]
Wer wird auf der Leiter dargestellt?
Der biblische Text redet von Engeln, seine Ausleger manchmal von Engeln, manchmal auch von Menschen. Das hat philologische wie biblische GrĂŒnde. Das Wort "Engel" ist ein Fremdwort, das vorausliegende griechische Wort bedeutet "Bote" und kann von ĂŒberirdischen MĂ€chten wie von Menschen verwendet werden. Auch in der Bibel können Menschen als "Engel" bezeichnet werden (Maleachi 2,7; Markus 1,2).
Wenn von Menschen die Rede ist, ist das Motiv des Aufstiegs unproblematisch. Frömmigkeit[10] und eigenes Tugendstreben können durch das Bild des Aufstiegs, der Leiter symbolisiert werden,[11] wie das dann auch in der Kunstgeschichte der Fall ist. In Martyrienberichten spielt das Motiv hingegen nur selten eine Rolle (Dörnberg 2018, 86 f. u. 208 f.). FĂŒr Chromatius von Aquileia symbolisiert die Leiter, deren Spitze bis an den Himmel reicht, den in den acht Seligpreisungen der Bergpredigt (MatthĂ€us 5,3â10) beschriebenen unendlichen Aufstieg der Seele zu Gott.[12] Der Abstieg kann negativ gewertet werden als "Fall", als RĂŒckfall in SĂŒnde o.Ă€.[13] Allerdings wissen viele antike Ausleger zwischen Fall und Abstieg durchaus zu unterscheiden.[14] Der Abstieg wird dann als geistige Zuwendung zu Menschen gedeutet, die solcher Zuwendung bedĂŒrfen, wofĂŒr Paulus als Vorbild gelten kann.[15] Manchmal gilt auch Christus als die Leiter, als die auf- und absteigenden Boten gelten die Prediger des Evangeliums.[16]
Solche allegorische Auslegung wird dann auch in auĂerchristlicher Tradition wirksam: Die Jakobsleiter verweist dann etwa auf die Höherentwicklung des Freimaurers.[17] In seinem OratorienfragmentJakobsleiter (1916/17) zeichnet Arnold Schönberg unter Zuhilfenahme u.a. esoterischer, speziell theosophischer Traditionen den postmortalen Aufstieg des Menschen zu Gott. Von Jakob ist in der Jakobsleiter allerdings nie die Rede (Wörner 1970, 174 f.) - der Text wurde noch vor der dezidierten RĂŒckwendung Schönbergs zum jĂŒdischen Glauben und dem Wiedereintritt in die jĂŒdische Gemeinde im Jahre 1933 verfasst (Strecker 1999, 121).
Was wird am Ende der Leiter (nicht) sichtbar?
FĂŒr exegetische jĂŒdische wie christliche Tradition muss es darum gehen, einen Widerspruch zu Exodus 33,23 (Gottes Angesicht kann man nicht sehen) zu vermeiden. Im JubilĂ€enbuch, einer antiken jĂŒdischen Schrift aus dem 2. Jh. v. Chr., ist es Gott selbst, von dem Jakob trĂ€umt (Berger 1981, 27,21); von einer Gottesschau durch den Patriarchen ist aber nicht die Rede! Flavius Josephus spricht dagegen explizit von der Gottesschau.[18] In dem Bild des schlafenden Jakob an der Via Latina, das in Abb. 3 zu sehen ist, wird Gott hingegen nicht dargestellt, wie das jĂŒdische Vorbehalten einer solchen Darstellung gegenĂŒber entspricht (Stemberger 1990 121). Sichtbar werden solche Bedenken z.B. im babylonischen Talmud : "R[abbi]. Simon ben Lachisch sagte: WĂ€re es [Genesis 28,13] kein geschriebener Schriftvers, so dĂŒrfte man es nicht sagen".[19] Auch in christlicher Tradition wird der Verweis auf Ex 33,23 wirksam;[20] dass auf der Leiter Christus zu sehen ist, kann aber auch in anderen,[21] teils problematischen[22] ZusammenhĂ€ngen wirksam werden.
In der Kunstgeschichte kann eine analoge Wahrnehmung der Problematik dann vorliegen, wenn an der Spitze der Leiter das Symbol der Menorah (Sergej Tihomirov, *1965 in Moskau, jetzt in Hannover lebend) oder eine Mehrzahl von Engeln sichtbar wird (Adalbert Trillhaase, 1858â1936, Jakobs Traum) oder die Wolke als Zeichen der verhĂŒllten göttlichen Gegenwart oder ein weiĂes Licht bzw. ein Lichtstrahl erscheint.[23] In der niederlĂ€ndischen Malerei nach Rembrandt, aber auch in der in Abb. 4 zu sehenden Darstellung El sueño de Jacob (1639) von Jusepe de Ribera (1591-1652), ersetzt dieser die Leiter insgesamt (Kauffmann 1970, 375).
AbkĂŒrzungen
- CCG = Corpus Christianorum. Series Graeca. Turnout: Brepols.
- CCL = Corpus Christianorum. Series Latina. Turnout: Brepols.
- CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. Wien: (Ălkder-Pichler-)Tempsky.
- FC = Fontes Christiani. Freiburg: Herder, Turnhout: Brepols.
- PG = Migne, Jacques Paul, Patrologiae Cursus Completus, Series Graeca. Paris: J.P. Migne, 1856â1858.
- PL = Migne, Jacques Paul, Patrologiae Cursus Completus, Series Latina. Paris: J.P. Migne, 1844â1855.
- PTS = Patristische Texte und Studien. Berlin, New York: de Gruyter.
Quellen
JĂŒdische Quellen
- Berger, Klaus: Das Buch der JubilĂ€en. GĂŒtersloh: GĂŒtersloh Verlagshaus 1981.
- Clementz, Heinrich: Des Flavius Josephus JĂŒdische AltertĂŒmer. Hg., ĂŒbers. und erl. 2 Bde. Wiesbaden: Harrassowitz 8. Aufl. 1989.
- Goldschmidt, Lazarus: Der Babylonische Talmud. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter BerĂŒcksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materialien neu ĂŒbertragen. Berlin: JĂŒdischer Verlag 1929â36
- Neusner, Jacob: Genesis Rabbah. The Judaic Commentary to the Book of Genesis. A New American Translation, Vol. III. Atlanta: Scholars Press 1985.
- Thoma, Clemens / Hanspeter Ernst: Die Gleichnisse der Rabbinen. Dritter Teil: Von Isaak bis zum Schilfmeer: BerR 63â100; ShemR 1â22. Bern: Lang 1996.
Christliche Quellen
- Novum Testamentum Graece. Hg. von Kurt Aland u.a. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 26. Aufl.1990, 28. Aufl. 2012.
- Ambrosius: Jacob et la vie heureuse. Hg., ĂŒbers. und komment. von GĂ©rard Nauroy (Sources ChrĂ©tiennes 534). Paris: Cerf, 2010.
- Augustinus: Enarrationes in Psalmos. Hg. von Eligius Dekkers und Johannes Fraipont. Bd. 1: Ps. 1â50 (CCL 38). Turnhout: Brepols 1956, 1990; Bd. 2: Ps. 51â100 (CCL 39). Turnhout: Brepols 1956, 1990; Bd. 3: Ps. 101â150 (CCL 40). Turnhout: Brepols 1956, 1990.
- Augustinus: Quaestiones in heptateuchum. Hg. von Johannes Fraipont (CCL 33). Turnhout: Brepols 1958, 1â377.
- Ps.-Beda Venerabilis: Quaestiones super Pentateuchum (PL 93). Turnhout: Brepols 1968, 234â417.
- Benedikt von Nursia: Regula. Hg. von Rudolf Hanslik (CSEL 75). Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1960.
- Chromatius von Aquileia: Opera. Hg. von R. Ătaix et J. LemariĂ© (Corpus Christianorum, CCL 9 A). Turnhout : Brepols 1974.
- Cyprianus Gallus: Heptateuchos. Hg. und komment. von Rudolfus Peiper (CSEL 23). Prag, Wien: Tempsky, Leipzig: Freytag 1891.
- Hieronymus: Epistulae: Hg. von Isidor Hilberg. Bd. 1 (CSEL 54). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996; Bd. 2 (CSEL 55). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996; Bd. 3 (CSEL 56). Wien: Tempsky 2. Aufl. 1996.
- Hieronymus: Tractatus in Psalmos. Hg. von Germanus Morin, B. Capelle und J. Fraipont (CCL 78). Turnhout: Brepols 1958, 501â559.
- Irenaeus von Lyon: Epideixis. Darlegung der apostolischen VerkĂŒndigung. Adversus haereses. Gegen die HĂ€resien. Bd. I. Hg. ĂŒbers. und eingel. von Norbert Brox (FC 8/1). Freiburg: Herder 1993.
- Irenaeus von Lyon: Adversus haereses. Hg., ĂŒbers. und eingel. von Norbert Brox. Bd. IV (FC 8/4). Freiburg: Herder 1997.
- Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim (PG 53). Turnhout: Brepols 1991, 21â54, 580.
- Justin, Dialogus cum Tryphone. Hg. von Miroslav Marcovich (PTS 47). Berlin, New York: de Gruyter 1997.
- Maximus Confessor: Quaestiones et dubia. Hg. von José Hendrik Declerck (CCG 10). Turnhout: Brepols 1982.
- Tertullian: Adversus Marcionem. Hg. von Aemilio Kroymann (CCL 1). Turnhout: Brepols 1954, 437â726
- Tertullian: De fuga in persecutione. Hg. von Jacques Jean Thierry (CCL 2). Turnhout: Brepols 1954, 1133â1155.
- Zeno von Verona: Tractatus. Hg. von Bengt Löfstedt (CCL 22). Turnhout: Brepols 1971.
Forschungsliteratur
- Blum, Erhard: Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel - Genesis 28,10-22. In: Steven L. McKenzie et al. (Hg.): Retinking the Foundations. Berlin: de Gruyter 2000, 33-54.
- Dörnberg, Burkhard Freiherr von: Traum und Traumdeutung in der Alten Kirche. Die westliche Tradition bis Augustin. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2008.
- Gahbauer, Ferdinand R.: Die Jakobsleiter, ein aussagenreiches Motiv der VĂ€terliteratur. In: Zeitschrift fĂŒr antikes Christentum 9 (2006), 247â278.
- Kauffmann, C.M.: Art. Jakob. In: Engelbert Kirschbaum (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. II. Rom, Freiburg, Basel, Wien: Herder 1970, 370â383.
- Kaufmann, Eva-Maria: Jakobs Traum und der Aufstieg des Menschen zu Gott. Das Thema der Himmelsleiter in der bildenden Kunst des Mittelalters, TĂŒbingen, Berlin: Wasmuth 2006.
- Lanckau, Jörg: Dreams and Dream Narratives in the Hebrew Bible (Tanakh). In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.), Writing the Dream/Ăcrire le rĂȘve. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2017 (Cultural Dream Studies 1), 73-93.
- Oblath, Michael: "To sleep, perchance to dream..." What Jacob Saw at Bethel (Genesis 28.10-22). In: Journal for the Study of the Old Testament 95 (2001), 117-126.
- Seybold, Klaus: Der Traum in der Bibel. In: Therese Wagner-Simon/Gaetano Benedetti (Hg.), Traum und TrÀumen. Traumanalysen in Wissenschaft, Religion und Kunst. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984, 32-54.
- Schmitt, Jean-Claude: Bildhaftes Denken. Die Darstellung biblischer TrĂ€ume in mittelalterlichen Handschriften. In: Agostino Paravicini Bagliani/Giorgio Stabile (Hg.), TrĂ€ume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Stuttgart, ZĂŒrich: Belser 1989, 9-40.
- Schneider, Marlen: AccĂ©der au divin. La reprĂ©sentation du songe de Jacob, entre baroque et romantisme. In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.), Historizing the Dream / Le rĂȘve du point de vue historique. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2018 (Cultural Dream Studies 3) (im Druck).
- Stemberger, GĂŒnter: Die Patriarchenbilder der Katakombe in der Via Latina im Lichte der jĂŒdischen Tradition (1974). In: Ders.: Studien zum rabbinischen Judentum. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1990, 89â176.
- Strecker, Stefan: Der Gott Arnold Schönbergs. Blicke durch die Oper Moses und Aaron. MĂŒnster: LIT 1999.
- Westermann, Claus: Genesis, 2. Teilband, Genesis 12â36. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1981.
- Wörner, Karl H.: Musik zwischen Theologie und Weltanschauung. Das Oratorium Die Jakobsleiter. In: Ders.: Die Musik in der Geistesgeschichte. Studien zur Situation der Jahre um 1910. Bonn: Bouvier 1970, 171â200.
Anmerkungen
- â Im hebrĂ€ischen Text ist die Stelle doppeldeutig: im Johannesevangelium (Joh 1,51), wo das Motiv der auf- und absteigenden Engel aufgenommen wird, ist der "Menschensohn", Jesus, als Ort des Auf- und Abstiegs genannt; in jĂŒdischer Tradition, in Genesis Rabbah 68,13 u. 69,3 wird das Problem explizit diskutiert. Genesis Rabbah ist ein spĂ€tantiker jĂŒdischer Kommentar zum Buch Genesis, wohl um 450 verfasst; er enthĂ€lt aber auch spĂ€tere ZusĂ€tze, ĂŒber deren Datierung freilich keine Einigkeit besteht.
- â Genesis Rabbah 69; Stemberger 1974, 118
- â Augustinus 1958, 32 = Quaestiones in Heptateuchum, Genesis 83
- â Ambrosius 2010, 430 = de Iacob II 4,16
- â Cyprianus Gallus 1891, 35 = Heptateuchos 928
- â ###Targum Jonathan zu Genesis###
- â Ambrosius 2010, 410 = De Iacob II 1,1
- â Johannes Chrysostomus 1991, 475 = Homiliae in Genesim 44,3
- â Ps.-Beda Venerabilis 1968, PL 93, 333 D; mit Verweis auf Johannes 14,6: "Ich bin der Weg"
- â Maximus Confessor 1982, 68 = Quaestiones 88; Chromatius 1974, 5 = Sermo 1,6
- â Hieronymus 1996, 15 u. 529 = Epistulae 3,4 u. 68,2
- â Chromatius von Aquileia 1974, 179 = Sermo 41,10)
- â Benedikt von Nursia 1960, 40 f. = Regula 7,7; Hieronymus 1958, 248 = Tractatus de Psalmo 119
- â z.B. Augustinus 1990, Bd. 3, 1777-79 = Enarratio in Psalmos 119,2; Zeno 1971, 103 = Tractatus I 37,4/11
- â Augustinus 1990, Bd. 3, 1778 f. = Enarratio in Psalmos 119,2
- â Ps.-Beda Venerabilis 1968, 333 D
- â #### ###, Art. Freimaurer/Freimaurerei. In: Otto Schmidt u.a. (Hg.), Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Bd. 10. MĂŒnchen: Beck 2003, 686
- â Clementz 1989, I, 279
- â Goldschmidt 1929-36, Traktat Chullin 91b
- â Irenaeus von Lyon 1993, 64 = Demonstratio 45
- â Irenaeus von Lyon 1997, 76 = Adversus haereses IV 10,1
- â Justin 1997, 171 = Dialogus 58,11
- â Vgl. Sergej Tihomirov: Himmelsleiter mit Menorah, Ăl auf Leinwand, 2011, 100 x 160 cm, 2011, abgebildet auf der Webseite des KĂŒnstlers: http://www.sergej-tihomirov.de/s-mh.html
Zitiervorschlag fĂŒr diesen Artikel: Meiser, Martin: Traum von der Jakobsleiter (Bibel, AT, Genesis 28, 10-22). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "EuropĂ€ische Traumkulturen", 2017; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/Traum_von_der_Jakobsleiter_(Bibel,_AT,_Genesis_28,10%E2%80%9322). |