"Der gute Mensch von Sezuan" (Bertolt Brecht): Unterschied zwischen den Versionen
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"Der gute Mensch von Sezuan" (Bertolt Brecht) (Quelltext anzeigen)
Version vom 31. Mai 2017, 10:48 Uhr
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In Theaterstücken haben Träume häufig eine dramaturgische Funktion und nehmen Einfluss auf den Fortgang der Handlung bzw. setzen diese überhaupt erst in Gang. Dasselbe gilt für Träume mit und von Gott bzw. Göttern, die (wie auch das im Stück anzitierte Motiv des Welttheaters) ein sehr alter Topos sind und sich vor allem in antiken und biblischen Texten finden. Auch diese Träume, in denen der bzw. die Träumende einen im Wachen zu erfüllenden göttlichen Auftrag erhält, nehmen in der Regel entscheidend Einfluss auf das nachfolgende Geschehen. Über eine solche dramaturgische Funktion verfügen die Träume in ''Der gute Mensch von Sezuan'' eindeutig nicht. Zwar erteilen auch hier die drei Götter dem träumenden Wang einen Auftrag. Da dieser Auftrag aber lediglich im Berichten besteht, hat das Erfüllen desselben auf die Geschehnisse in Sezuan und den Fort- und Ausgang der Haupthandlung selbst keine Auswirkungen. Ihre Relevanz haben die Berichte nur für die Götter auf der Traumebene, indem sie ihnen Informationen über ihren guten Menschen liefern. Zum einen dienen die Traumzwischenspiele auf einer inhaltlichen Ebene daher zur Charakterisierung der Götterfiguren, die zwar im Prolog durch die Übergabe des Geldes an Shen Te die Handlung in Gang setzen, auf ihren Fortgang jedoch nicht mehr einwirken können. Ihre sich in den Träumen offenbarende Handlungsunfähigkeit bzw. Nutzlosigkeit bringt die nicht vorhandene dramaturgische Funktion der Träume (mit) hervor und spiegelt sich in diesen gleichzeitig wider. Emblematisch ist dafür gerade die Tatsache, dass die Götter das von Wang im vierten Traumzwischenspiel vorgeschlagene Alternativkonzept als unbrauchbar erachten und somit zugleich die Chance auf einen anderen Ausgang vertun. Gerade weil die Traum-Götter-Handlung auf den Fort- und Ausgang der Sezuanhandlung keinerlei Einfluss nimmt, sondern sich diese auch ohne die eingeschobenen Traumzwischenspiele genauso entwickeln würde, haben die Träume auf formaler Ebene eine unterbrechende Funktion. Wie auch die beiden Zwischenspiele vor dem Vorhang, die sieben eingefügten Lieder sowie das Rollenspiel von Shen Te/Shui Ta können sie zu Brechts Repertoire an Darstellungstechniken, die einen Verfremdungseffekt hervorrufen, gezählt werden. | In Theaterstücken haben Träume häufig eine dramaturgische Funktion und nehmen Einfluss auf den Fortgang der Handlung bzw. setzen diese überhaupt erst in Gang. Dasselbe gilt für Träume mit und von Gott bzw. Göttern, die (wie auch das im Stück anzitierte Motiv des Welttheaters) ein sehr alter Topos sind und sich vor allem in antiken und biblischen Texten finden. Auch diese Träume, in denen der bzw. die Träumende einen im Wachen zu erfüllenden göttlichen Auftrag erhält, nehmen in der Regel entscheidend Einfluss auf das nachfolgende Geschehen. Über eine solche dramaturgische Funktion verfügen die Träume in ''Der gute Mensch von Sezuan'' eindeutig nicht. Zwar erteilen auch hier die drei Götter dem träumenden Wang einen Auftrag. Da dieser Auftrag aber lediglich im Berichten besteht, hat das Erfüllen desselben auf die Geschehnisse in Sezuan und den Fort- und Ausgang der Haupthandlung selbst keine Auswirkungen. Ihre Relevanz haben die Berichte nur für die Götter auf der Traumebene, indem sie ihnen Informationen über ihren guten Menschen liefern. Zum einen dienen die Traumzwischenspiele auf einer inhaltlichen Ebene daher zur Charakterisierung der Götterfiguren, die zwar im Prolog durch die Übergabe des Geldes an Shen Te die Handlung in Gang setzen, auf ihren Fortgang jedoch nicht mehr einwirken können. Ihre sich in den Träumen offenbarende Handlungsunfähigkeit bzw. Nutzlosigkeit bringt die nicht vorhandene dramaturgische Funktion der Träume (mit) hervor und spiegelt sich in diesen gleichzeitig wider. Emblematisch ist dafür gerade die Tatsache, dass die Götter das von Wang im vierten Traumzwischenspiel vorgeschlagene Alternativkonzept als unbrauchbar erachten und somit zugleich die Chance auf einen anderen Ausgang vertun. Gerade weil die Traum-Götter-Handlung auf den Fort- und Ausgang der Sezuanhandlung keinerlei Einfluss nimmt, sondern sich diese auch ohne die eingeschobenen Traumzwischenspiele genauso entwickeln würde, haben die Träume auf formaler Ebene eine unterbrechende Funktion. Wie auch die beiden Zwischenspiele vor dem Vorhang, die sieben eingefügten Lieder sowie das Rollenspiel von Shen Te/Shui Ta können sie zu Brechts Repertoire an Darstellungstechniken, die einen Verfremdungseffekt hervorrufen, gezählt werden. | ||
Der Abstieg der Götter auf die Erde erinnert zudem an August Strindbergs ''[["Ett drömspel" (August Strindberg)|Ett drömspel]] ''(1902) in dem Agnes, die Tochter des Gottes Indra, ebenfalls auf die Erde herabsteigt, um zu sehen, wie die Menschen dort leben. Während die drei Götter in Brechts Stück jedoch lediglich Beobachtende des menschlichen Lebens sind, ‚erleidet‘ Agnes dieses bei ihrer Erdenwanderung selbst, was sie wiederum in die Nähe zu Shen Te rückt, die an der Unmöglichkeit, unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen ein gutes Leben zu führen, verzweifelt. Diese „intime Verwandtschaft“ (Kesting 1965, 136) der beiden Stücke löst sich am Ende auf: Ist bei Strindberg die Welt als Ganze verkehrt und das Leben und Schicksal der Menschen daher unveränderbar, delegiert der offene Schluss bei Brecht die Lösung des (im Zusammenleben der Menschen liegenden) Problems an die Zuschauer (vgl. Karnick 1980, 228). | |||
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* Hecht, Werner (Hg.): Materialien zu Brechts ''Der gute Mensch von Sezuan''. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969. | * Hecht, Werner (Hg.): Materialien zu Brechts ''Der gute Mensch von Sezuan''. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969. | ||
* Karnick, Manfred: Rollenspiel und Welttheater. Untersuchungen an Dramen Calderóns, Schillers, Strindbergs, Becketts und Brechts. München: Fink 1980. | * Karnick, Manfred: Rollenspiel und Welttheater. Untersuchungen an Dramen Calderóns, Schillers, Strindbergs, Becketts und Brechts. München: Fink 1980. | ||
* Kesting, Marianne: Vermessung des Labyrinths. Studien zur modernen Ästhetik. Frankfurt/M.: Fischer 1965. | |||
* Knopf, Jan (Hg.): Brechts ''Guter Mensch von Sezuan''. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982. | * Knopf, Jan (Hg.): Brechts ''Guter Mensch von Sezuan''. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982. | ||
* Knopf, Jan: Figuren-Bilder in Brechts ''Die Maßnahme'' und ''Der gute Mensch von Sezuan''. In: Gerd Labroisse/Dick van Stekelenburg (Hg.): Das Sprach-Bild als textuelle Interaktion. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1999, 259–271. | * Knopf, Jan: Figuren-Bilder in Brechts ''Die Maßnahme'' und ''Der gute Mensch von Sezuan''. In: Gerd Labroisse/Dick van Stekelenburg (Hg.): Das Sprach-Bild als textuelle Interaktion. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1999, 259–271. | ||
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