"The Premature Burial" (Edgar Allan Poe): Unterschied zwischen den Versionen
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"The Premature Burial" (Edgar Allan Poe) (Quelltext anzeigen)
Version vom 23. September 2018, 13:50 Uhr
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==Inhalt und Aufbau== | ==Inhalt und Aufbau== | ||
Das Werk lässt sich formal-inhaltlich in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil berichtet der namenlose autodiegetische Erzähler anekdotenartig von verschiedenen authentisch erscheinenden Fällen von Begräbnissen bei lebendigem Leib in Baltimore, Paris, Leipzig und London (vgl. PM 259-260). Dabei bedient er sich authentizitätsbeglaubigender Mittel wie der Erwähnung der Namen von Personen oder Quellen (u.a. „''The Chirurgical Journal'' of Leipsic“, PM 260). Es ist möglich, eine leicht satirische Intention zu vermuten, da Poe sensationalistische Berichte aus seinem journalistischen Alltag kannte und sich öfter satirisch damit auseinandersetzte (u.a. in ''How to Write a Blackwood Article''), so wie bei Poe grundsätzlich eine Weiterentwicklung der ''gothic novel''-Tradition zu beobachten ist (vgl. Fisher 2004 | Das Werk lässt sich formal-inhaltlich in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil berichtet der namenlose autodiegetische Erzähler anekdotenartig von verschiedenen authentisch erscheinenden Fällen von Begräbnissen bei lebendigem Leib in Baltimore, Paris, Leipzig und London (vgl. PM 259-260). Dabei bedient er sich authentizitätsbeglaubigender Mittel wie der Erwähnung der Namen von Personen oder Quellen (u.a. „''The Chirurgical Journal'' of Leipsic“, PM 260). Es ist möglich, eine leicht satirische Intention zu vermuten, da Poe sensationalistische Berichte aus seinem journalistischen Alltag kannte und sich öfter satirisch damit auseinandersetzte (u.a. in ''How to Write a Blackwood Article''), so wie bei Poe grundsätzlich eine Weiterentwicklung der ''gothic novel''-Tradition zu beobachten ist (vgl. Fisher 2004; Zimmerman 2009, 16). | ||
Im zweiten Teil kommt der Ich-Erzähler auf sein persönliches Schicksal zu sprechen: Er leidet von jeher unter anfallartigen Zuständen von „catalepsy“ (PM 263), die eine Unterscheidung vom Tode kaum möglich machen. Daher ist er von der Furcht befallen, ebenso wie in den berichteten Anekdoten lebendig begraben zu werden. Er trifft elaborierte Vorkehrungen (u.a. von innen zu öffnender Sarg und Gruft, ein Glöckchen); dennoch nimmt seine Angst immer extremere Züge an und er misstraut sogar seinen Freunden. Nachdem er von einem spektakulären Alptraum berichtet hat, scheint seine größte Angst sich trotz aller Vorkehrungen in die Tat umgesetzt zu haben, denn er wacht in einem engen Kasten auf, kann sich kaum bewegen und seine Sicherheitsvorkehrungen sind nicht vorhanden. Das Eindringen von Stimmen in seinen Dämmerzustand und sein sukzessives | Im zweiten Teil kommt der Ich-Erzähler auf sein persönliches Schicksal zu sprechen: Er leidet von jeher unter anfallartigen Zuständen von „catalepsy“ (PM 263), die eine Unterscheidung vom Tode kaum möglich machen. Daher ist er von der Furcht befallen, ebenso wie in den berichteten Anekdoten lebendig begraben zu werden. Er trifft elaborierte Vorkehrungen (u.a. von innen zu öffnender Sarg und Gruft, ein Glöckchen); dennoch nimmt seine Angst immer extremere Züge an und er misstraut sogar seinen Freunden. Nachdem er von einem spektakulären Alptraum berichtet hat, scheint seine größte Angst sich trotz aller Vorkehrungen in die Tat umgesetzt zu haben, denn er wacht in einem engen Kasten auf, kann sich kaum bewegen und seine Sicherheitsvorkehrungen sind nicht vorhanden. Das Eindringen von Stimmen in seinen Dämmerzustand und sein sukzessives Zu-sich-Kommen schließlich bestätigen seinen Irrtum: Auf einem Jagdausflug mit einem Freund hat er angesichts eines aufziehenden Sturms Zuflucht auf einem Schiff gesucht, in dessen enger Kajüte er in seinen komaartigen Schlaf gefallen war. Für eine Poe-Erzählung relativ untypisch löst dieses Erlebnis eine positive Veränderung beim Protagonisten aus, der von einem Verlust seiner Ängste und einer lebensbejahenden Einstellung berichtet. Aus Perspektive der Geschlechterforschung dürfte außerdem sein Ausspruch „I became a new man, and lived a man’s life“ (PM 268) interessant sein. | ||
==Der Traum== | ==Der Traum== | ||
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Der Alptraum ist im zweiten Teil des Textes angesiedelt, der sich mit dem persönlichen Schicksal des Erzählers befasst. Er bildet die Nahtstelle zu seinem vorgeblich realen Erlebnis am Ende und ist zugleich Voraussetzung für die daraus erwachsende Spannung und Schockwirkung beim Rezipienten. | Der Alptraum ist im zweiten Teil des Textes angesiedelt, der sich mit dem persönlichen Schicksal des Erzählers befasst. Er bildet die Nahtstelle zu seinem vorgeblich realen Erlebnis am Ende und ist zugleich Voraussetzung für die daraus erwachsende Spannung und Schockwirkung beim Rezipienten. | ||
Nachdem er davon berichtet hat, wie sehr ihn seine Furcht im Alltagsleben beeinträchtigt (Zimmerman liest das ''tale'' als geradezu moderne psychologische Fallstudie, vgl. 2009), schickt sich der Erzähler an, repräsentativ einen Alptraum wiederzugeben. Dieser sei nur eines unter „innumerable images of gloom which thus oppressed me in | Nachdem er davon berichtet hat, wie sehr ihn seine Furcht im Alltagsleben beeinträchtigt (Zimmerman liest das ''tale'' als geradezu moderne psychologische Fallstudie, vgl. 2009), schickt sich der Erzähler an, repräsentativ einen Alptraum wiederzugeben. Dieser sei nur eines unter „innumerable images of gloom which thus oppressed me in dreams“ (PM 264). Der Traum (vgl. PM 264f.) ist somit eindeutig markiert, jedoch gebraucht der Erzähler die Bezeichnung „vision“. Bezeichnenderweise ist der Gedanke, sich in „a cataleptic trance of more than usual duration and profundity“ zu befinden, als möglicher Tagesrest Teil seines Traums (vgl. PM 264). | ||
Mittels der Berührung einer eisigen Hand auf seiner Stirn wird er von einer Stimme, deren Urheber er nicht sehen kann, mehrfach wie in Hypnosehandlungen zum Aufstehen aufgefordert („‘Arise!’“). So ,erwacht‘, befindet er sich in völliger Dunkelheit. Der Träumer hat keine zeitliche oder räumliche Erinnerung oder Orientierung. Die nicht erkennbare Gestalt, die ihn nun beim Handgelenk gepackt hält, wundert sich darüber, dass er angesichts der schrecklichen Umstände so ruhig schlafen könne. Auf seine Nachfrage hin beschreibt sie sich als ohne Namen „‘in the regions which I inhabit’“ <ref>In der ersten Fassung der Erzählung nannte sie sich „‘Shadow’“ (vgl. Mabbott, 964). Dies ermöglicht Deutungen im Kontext von Reisen in die Unterwelt oder Anklänge an die Apokalypse mit ihrem ,Engel des Abgrunds'.</ref> und betont ihr Missbefinden. Sie fordert den Träumer auf, ihr in die „‘outer | Mittels der Berührung einer eisigen Hand auf seiner Stirn wird er von einer Stimme, deren Urheber er nicht sehen kann, mehrfach wie in Hypnosehandlungen zum Aufstehen aufgefordert („‘Arise!’“). So ,erwacht‘, befindet er sich in völliger Dunkelheit. Der Träumer hat keine zeitliche oder räumliche Erinnerung oder Orientierung. Die nicht erkennbare Gestalt, die ihn nun beim Handgelenk gepackt hält, wundert sich darüber, dass er angesichts der schrecklichen Umstände so ruhig schlafen könne. Auf seine Nachfrage hin beschreibt sie sich als ohne Namen „‘in the regions which I inhabit’“ <ref>In der ersten Fassung der Erzählung nannte sie sich „‘Shadow’“ (vgl. Mabbott, 964). Dies ermöglicht Deutungen im Kontext von Reisen in die Unterwelt oder Anklänge an die ''Apokalypse'' mit ihrem ,Engel des Abgrunds'.</ref> und betont ihr Missbefinden. Sie fordert den Träumer auf, ihr in die „‘outer Night’“ zu folgen, um ihm Gräber zu zeigen. Plötzlich kann er die geöffneten „graves of all mankind“ sehen und muss mit Erschrecken feststellen, dass nur die Minderheit der Toten tatsächlich ruht, die übrigen aber unruhig oder deplatziert in ihren Gräbern sind. Als sich die Gräber plötzlich schließen, wiederholen die Toten variierend den Ausruf der Gestalt („‘Is it ''not—O,'' God! is it ''not'' a very pitiful sight!’“), und der Traum endet. Der (extradiegetische) Erzähler betont abschließend, wie sehr die Wirkung solcher Traumgesichte ihn auch im Wachen beeinträchtige und zur fortschreitenden Zerrüttung seiner Nerven beitrage. Unmittelbar darauf geht er zur Schilderung der Situation, die wie der wahrgewordene Alptraum anmutet, über. | ||
===Analyse | ===Analyse, Darstellungsbesonderheiten und Interpretation=== | ||
Es handelt sich bei dem beschriebenen Traum um einen Alptraum, der als intradiegetische Erzählung des autodiegetischen Erzählers in seinen Bericht eingebettet ist. Neben seiner spannungsgenerierenden Funktion, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, weist er auf inhaltlicher wie stilistischer Ebene einige Darstellungsbesonderheiten auf. | Es handelt sich bei dem beschriebenen Traum um einen Alptraum, der als intradiegetische Erzählung des autodiegetischen Erzählers in seinen Bericht eingebettet ist. Neben seiner spannungsgenerierenden Funktion, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, weist er auf inhaltlicher wie stilistischer Ebene einige Darstellungsbesonderheiten auf. | ||
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==Einordnung== | ==Einordnung== | ||
In der Erzählung nimmt die Todesthematik eine prominente, geradezu dominante, Rolle ein, die sich in der Traumdarstellung potenziert. Das Leitmotiv des nur vermeintlichen Todes lässt sich in wandelbarer Form in weiteren Erzählungen des Autors nachverfolgen, sei es nun als lebendiges Begraben (''The Cask of Amontillado'', ''The Fall of the House of Usher'', ''Berenice''), als mögliche Rückkehr von den Toten (''Ligeia'', ''Morella)'' oder Teil von Mesmerismus (''The Facts in the Case of M. Valdemar''); es verdeutlicht die Ungewissheit der Grenze zwischen Leben und Tod (vgl. Sederholm 2017). Es | In der Erzählung nimmt die Todesthematik eine prominente, geradezu dominante, Rolle ein, die sich in der Traumdarstellung potenziert. Das Leitmotiv des nur vermeintlichen Todes lässt sich in wandelbarer Form in weiteren Erzählungen des Autors nachverfolgen, sei es nun als lebendiges Begraben (''The Cask of Amontillado'', ''The Fall of the House of Usher'', ''Berenice''), als mögliche Rückkehr von den Toten (''Ligeia'', ''Morella)'' oder Teil von Mesmerismus (''The Facts in the Case of M. Valdemar''); es verdeutlicht die Ungewissheit der Grenze zwischen Leben und Tod (vgl. Sederholm 2017). Es beschreibt aber auch ein Zeitphänomen, welches sich auch in Vampirfurcht ausdrückte (vgl. Stölzel 2013, 56f.). Auch in Poes Lyrik ist der Tod, meist der einer schönen Frau, omnipräsent (u.a. ''Lenore,'' ''Annabel Lee''). Mabbotts Verweis auf das frühe Gedicht ''A Dream'' (1827) offenbart ein Nacht- und Tagträume paradox bewertendes Werk. | ||
Der geschilderte Alptraum, zwar auf den ersten Blick nur eine untergeordnete eingebettete Erzählung, ist nicht nur anschauliches Beispiel für ähnlich schreckliche Alpträume des Ich-Erzählers, sondern auch für die Konstruktion und den Spannungsaufbau der Erzählung im Ganzen von Bedeutung. Er ermöglicht es den Rezipienten erst, anschließend den Schrecken des vermeintlichen Begräbnisses bei lebendigem Leib mitzuerleben. Stilistisch ist die Traumdarstellung stark durchgeformt. Bemerkenswert ist die positive Schlusswendung, die mit wenigen Ausnahmen (dem märchenhaften ''Eleonora, or the Valley of the Many-Colored Grass'') für Poe ungewöhnlich ist. Sie kann als Plädoyer für das Leben und Aufgabe, gar Selbsttherapie (vgl. Zimmerman 2009) von Ängsten gelesen werden, wogegen in der Forschung der Schluss teils als Vermeidungsstrategie des Erzählers (vgl. Sederholm 2017, 3) oder Unzuverlässigkeit (vgl. Carter 2003, 307f.) angezweifelt wird. Gerade der einleitende Teil der Erzählung weist erhöhte Selbstreflexivität auf, da er sich betont mit „truth“ und „fiction“ (vgl. PM 258f.) auseinandersetzt. In diesem Kontext lässt sich, verbunden mit der bewussten Manipulation der Leser, neben einer möglichen Kritik an Sensationslektüre auch Unsicherheit über den Realitätsstatus der Welt als Thema ausmachen, welche Poe bezeichnend in seinem Gedicht ''A Dream Within a Dream'' (1849) ausdrückte. | Der geschilderte Alptraum, zwar auf den ersten Blick nur eine untergeordnete eingebettete Erzählung, ist nicht nur anschauliches Beispiel für ähnlich schreckliche Alpträume des Ich-Erzählers, sondern auch für die Konstruktion und den Spannungsaufbau der Erzählung im Ganzen von Bedeutung. Er ermöglicht es den Rezipienten erst, anschließend den Schrecken des vermeintlichen Begräbnisses bei lebendigem Leib mitzuerleben. Stilistisch ist die Traumdarstellung stark durchgeformt. Bemerkenswert ist die positive Schlusswendung, die mit wenigen Ausnahmen (dem märchenhaften ''Eleonora, or the Valley of the Many-Colored Grass'') für Poe ungewöhnlich ist. Sie kann als Plädoyer für das Leben und Aufgabe, gar Selbsttherapie (vgl. Zimmerman 2009) von Ängsten gelesen werden, wogegen in der Forschung der Schluss teils als Vermeidungsstrategie des Erzählers (vgl. Sederholm 2017, 3) oder Unzuverlässigkeit (vgl. Carter 2003, 307f.) angezweifelt wird. Gerade der einleitende Teil der Erzählung weist erhöhte Selbstreflexivität auf, da er sich betont mit „truth“ und „fiction“ (vgl. PM 258f.) auseinandersetzt. In diesem Kontext lässt sich, verbunden mit der bewussten Manipulation der Leser, neben einer möglichen Kritik an Sensationslektüre auch Unsicherheit über den Realitätsstatus der Welt als Thema ausmachen, welche Poe bezeichnend in seinem Gedicht ''A Dream Within a Dream'' (1849) ausdrückte. | ||
<div style='text-align: right;'>Kathrin Neis</div> | |||
==Literatur== | ==Literatur== | ||
===Ausgaben/ Quellen=== | ===Ausgaben/ Quellen=== |