"La Boutique obscure" (Georges Perec): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 15. April 2019, 17:04 Uhr
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Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich. Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1). | Überleben ist ein Wunder, an dessen Eintritt der Träumer kaum mehr glaubt und das allenfalls an einem nicht näher bestimmbaren Tag in der Zukunft „erlernt“ werden kann. Das letzte Traumnotat bildet mit dem ersten eine thematische Klammer, die alle Texte der ''Boutique obscure'' umfasst. Die zirkelförmige Kompositionsstruktur greift auf einer formalen Ebene die Vorstellung eines nie endenden Alptraums auf. Dazwischen treten immer wieder gewalttätige Polizisten und Männer in Uniform auf, Nummer 17 und 46 spielen sich erneut im Lager ab. Auf diese Weise entsteht ein Netz aus Bezügen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Texten, das im Register teilweise nachvollziehbar wird.<br />Auch der Index am Ende des Bandes ist Teil des Interpretationsspiels. Die Nummern der Traumnotate werden unter alphabetisch geordneten Stichwörtern zusammengefasst. So lassen sich einzelne Motive und Gegenstände zurückverfolgen. Auf den zweiten Blick aber sticht der unsystematische Aufbau des Verzeichnisses ins Auge. Die in den Traumnotaten stark präsenten Figuren P. und Z. erscheinen nicht im Register, während andererseits Motive aufgegriffen werden, die lediglich in einem oder zwei der Texte eine Rolle spielen. Zu den Stichwörtern gehören Personengruppen und Objekte, sowie Farben oder Schauplätze. Im Sinne der hier dargelegten Interpretation ist die größte Zahl der Eintragungen unter „Angoisse“ zu finden (23 Träume), während unter „Bonheur“ nur 13 Träume aufgeführt werden. So stützt das Register quantitativ die These von der Dominanz eines unendlichen Alptraums, die auf formaler (zirkelförmige Kompositionsstruktur) und inhaltlicher Ebene bereits herausgearbeitet wurde.<br />Insgesamt erscheint die Zusammensetzung des Registers willkürlich. Dieses Mal handelt es sich allerdings um eine vom Autor ausgehende Willkür, der so doch noch ein Stück weit die Kontrolle über seine Träume zurückgewinnen kann. Trotz der Hilflosigkeit, mit der er im Traum seiner Vorstellung (der Lagermetapher, dem Lagerbild) ausgesetzt ist, schafft die bewusste Gestaltung nach festgelegten Regeln („contraintes“) die nötige Distanz zur Auseinandersetzung mit dem Trauma des Holocaust. Diese gelingt nur im literarischen Spiel. In dieser Hinsicht lässt sich auch der letzte Satz des ersten Traumnotats interpretieren: „On se sauve (parfois) en jouant…“ (BO 1). | ||
==Ausgaben und Quellen== | ==Literatur== | ||
===Ausgaben und Quellen=== | |||
* La Boutique obscure. 124 rêves [BO]. Paris: Denoël 1973. | * La Boutique obscure. 124 rêves [BO]. Paris: Denoël 1973. | ||
* Die dunkle Kammer. 124 Träume. Übers. von Jürgen Ritte. Zürich: Diaphanes 2017. | * Die dunkle Kammer. 124 Träume. Übers. von Jürgen Ritte. Zürich: Diaphanes 2017. | ||
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* Dominique Bertelli/Mireille Ribière (Hrsg.), Entretiens et conférences (Bd. I: 1965–1978 und II: 1979–1981) [EeC]. Nantes: Joseph K. 2003. | * Dominique Bertelli/Mireille Ribière (Hrsg.), Entretiens et conférences (Bd. I: 1965–1978 und II: 1979–1981) [EeC]. Nantes: Joseph K. 2003. | ||
==Forschung== | ===Forschung=== | ||
* David Bellos, Georges Perec. A Life in Words. London: Harvill 1993. | * David Bellos, Georges Perec. A Life in Words. London: Harvill 1993. | ||
* Camille Bloomfield, Raconter l’Oulipo (1960–2000). Histoire et sociologie d’un groupe. Paris: Champion 2017. | * Camille Bloomfield, Raconter l’Oulipo (1960–2000). Histoire et sociologie d’un groupe. Paris: Champion 2017. | ||
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* Claude Burgelin, Georges Perec (Les Contemporains, Bd. IV). Paris: Seuil 1988. | * Claude Burgelin, Georges Perec (Les Contemporains, Bd. IV). Paris: Seuil 1988. | ||
* Catherine Dana, Fictions pour mémoire. Camus, Perec et l’écriture de la shoah. Paris: L’Harmattan 1998. | * Catherine Dana, Fictions pour mémoire. Camus, Perec et l’écriture de la shoah. Paris: L’Harmattan 1998. | ||
* Daiana Dula-Manoury, Queneau, Perec, Butor, Blanchot. Éminences du rêve en fiction. Paris: L’Harmattan 2004. | |||
Daiana Dula-Manoury, Queneau, Perec, Butor, Blanchot. Éminences du rêve en fiction. Paris: L’Harmattan 2004. | |||
* David Gascoigne, The Games of Fiction. Georges Perec and Modern French Ludic Narrative. Bern u.a.: Peter Lang 2006. | * David Gascoigne, The Games of Fiction. Georges Perec and Modern French Ludic Narrative. Bern u.a.: Peter Lang 2006. | ||
* Éric Lavallade, Lieux Obscurs. Parcours biographiques et autobiographiques dans ''La Boutique Obscure'' entre 1968 et 1972. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes (avril 2012), online verfügbar unter: URL: http://associationgeorgesperec.fr/IMG/pdf/Eric_Lavallade_Lieux_Obscurs.pdf. | * Éric Lavallade, Lieux Obscurs. Parcours biographiques et autobiographiques dans ''La Boutique Obscure'' entre 1968 et 1972. In: Le Cabinet d’amateur. Revue d’études perecquiennes (avril 2012), online verfügbar unter: URL: http://associationgeorgesperec.fr/IMG/pdf/Eric_Lavallade_Lieux_Obscurs.pdf. |