"Heinrich von Ofterdingen" (Novalis): Unterschied zwischen den Versionen
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"Heinrich von Ofterdingen" (Novalis) (Quelltext anzeigen)
Version vom 28. April 2019, 23:36 Uhr
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''Heinrich von Ofterdingen'' ist ein posthum veröffentlichter, unvollendeter Roman von Novalis. Thema des Werkes ist die "Apotheose der Poësie" (HKA IV,322), die am Beispiel der Figur Heinrich von Ofterdingen dargestellt wird. Der Roman prägte mit der blauen Blume nicht nur das zentrale Symbol der Romantik, sondern anhand seiner Traumdarstellungen, die als vorbildhaft empfunden wurden, auch die romantische Traumpoetik insgesamt. | ''Heinrich von Ofterdingen'' ist ein posthum veröffentlichter, unvollendeter Roman von Novalis. Thema des Werkes ist die "Apotheose der Poësie" (HKA IV,322), die am Beispiel der Figur Heinrich von Ofterdingen dargestellt wird. Der Roman prägte mit der blauen Blume nicht nur das zentrale Symbol der Romantik, sondern anhand seiner Traumdarstellungen, die als vorbildhaft empfunden wurden, auch die romantische Traumpoetik insgesamt. | ||
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Im April 1800 erfolgt dann der Abschluss der Arbeiten am ersten Teil des ''Heinrich von Ofterdingen,'' von Juli bis September entwirft Novalis Pläne zur Fortsetzung des 2. Teils. Dazu entstehen Gedichte, darunter ''Astralis'', das ''Lied der Toten'' und ''Die Vermählung der Jahreszeiten''. Am 18.06. schreibt er an Schlegel, der zweite Teil werde "der Commentar des Ersten" (HKA IV, 333). | Im April 1800 erfolgt dann der Abschluss der Arbeiten am ersten Teil des ''Heinrich von Ofterdingen,'' von Juli bis September entwirft Novalis Pläne zur Fortsetzung des 2. Teils. Dazu entstehen Gedichte, darunter ''Astralis'', das ''Lied der Toten'' und ''Die Vermählung der Jahreszeiten''. Am 18.06. schreibt er an Schlegel, der zweite Teil werde "der Commentar des Ersten" (HKA IV, 333). | ||
Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (vgl. Uerlings 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt: [http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben]. | Der Roman erscheint, posthum und unvollendet, erstmals 1802 unter dem Titel ''Heinrich von Ofterdingen. Ein nachgelassener Roman von Novalis. Zwei Theile.'' Herbert Uerlings verweist darauf, dass dieser Titel irreführend ist, da die Ausgabe nur den ersten Teil enthält (vgl. Uerlings 177). Erst mit den von Schlegel und Tieck Ende 1802 herausgegebenen ''Schriften'' standen einer interessierten Leserschaft der fertige Anfang des zweiten Teils, zahlreiche Paralipomena sowie ein umstrittener Fortsetzungsbericht von Tieck zur Verfügung. Einen ausführlichen Überblick über die zahlreichen Ausgaben der Werke Novalis’ hat Herbert Uerlings erstellt: [http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben http://www.novalis-gesellschaft.de/index.php/bibliografie-129/quellen/werk-und-einzelausgaben]. | ||
Textgrundlage der Forschung war jahrzehntelang die historisch-kritische Novalis-Ausgabe. Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben. ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien Roland Reuß’ verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (Knopf 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (vgl. Knopf 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans. | Textgrundlage der Forschung war jahrzehntelang die historisch-kritische Novalis-Ausgabe. Band 1, der den ''Ofterdingen ''enthält, wurde zuletzt 1977 überarbeitet. 2015 hat Alexander Knopf eine neue Ausgabe des Werkes herausgegeben. ''Heinrich von Afterdingen'' ist den editionstechnischen Prinzipien Roland Reuß’ verpflichtet und macht dem Leser alle erhaltenen Handschriften „zum ersten Mal zugänglich“ (Knopf, 111). Knopfs Ausgabe ist von besonderem Interesse was die Erforschung des zweiten, unvollendeten Romanteils angeht. Allerdings baut die Edition im Vergleich zur HKA „auf einer nur geringfügig veränderten Materialbasis“ auf (Knopf 112), was insbesondere für den ersten Teil gilt, zu dem keine Handschriften vorliegen, sondern lediglich verschiedene Drucke (vgl. Knopf 113). Die hier besprochenen Träume finden sich alle im ersten Teil des Romans. | ||
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==Die Träume== | ==Die Träume== | ||
===Beschreibung=== | ===Beschreibung=== | ||
Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel, GdpL, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume: | Die literarische Gestaltung der Träume erörtere ich exemplarisch anhand von I. Dieser lässt sich in drei Hauptteile untergliedern: den nur kurz geschilderten, verworrenen Nachttraum und die beiden durch Einschlafen und Erwachen getrennten Partien des Morgentraums. Der Aufbau des Rahmenteils, also Schilderung der Außen- und Innensicht, Vorhandensein eines Tagesrestes, Einschlafen des Protagonisten und anschließende Schilderung des Traumes ist, um Manfred Engel zu zitieren, „eine in der Traumdichtung geradezu prototypische Rahmenkonstruktion“ (Engel, GdpL, 157). Dabei enthält der Traum die gesamte Romanhandlung in nuce. Während der verworrene und unklare Nachttraum auf den noch in weiter Ferne liegenden zweiten Teil des Romans verweist, präfigurieren die beiden Partien des Morgentraumes den Inhalt des ersten Romanteils. Im Nachttraum heißt es etwa, Heinrich sei »bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth« (I, 196). Dies entspricht den Schilderungen, die Tieck in seinem Fortsetzungsbericht für den zweiten Teil des Ofterdingen gibt (I, 357 ff.). Im Morgentraum erreicht Heinrich die blaue Blume: | ||
"Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte" (HKA I, 197). Im sechsten Kapitel trifft er dann Mathilde, die personifizierte Blume: "Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht" (HKA I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen. | "Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte" (HKA I, 197). Im sechsten Kapitel trifft er dann Mathilde, die personifizierte Blume: "Ist mir nicht zu Muthe wie in jenem Traume, beym Anblick der blauen Blume? […] Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht" (HKA I, 277). Damit sind Heinrichs Träume insofern prophetisch, als dass sie zu Beginn des Romans die Handlung vorwegnehmen. | ||
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===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit=== | ===Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit=== | ||
Die Konstruktion der Träume folgt außerdem, ebenso wie andere Einlagen des Romans, dem Prinzip des mise en abyme, das aus der Heraldik stammt. Diese Darstellung der Geschichte in der Geschichte, immer leicht variiert und alles miteinander verbindend, funktioniert vor allem aufgrund der dichten Symbolik und Motivik des Textes. Von den vielen Bildern des ersten Traums nenne ich nur eine Auswahl: Ferne, Meer, Krieg; Wald, Morgen, Strahl, Blau, Gold, Quelle usw. Sie durchziehen den ganzen Roman und erfüllen damit den Anspruch, den Allzusammenhang der Dinge zu zeigen. Obwohl der Roman aus zahlreichen unterschiedlichen Einlagen, wie Märchen, Träumen, Sagen und Geschichten besteht, die immer wieder durch Reflexionen unterbrochen werden, hängt aufgrund der all diesen Einlagen gemeinsamen Symbolik alles miteinander zusammen. In den Träumen treten diese Symbole in besonderer Dichte auf. | Die Konstruktion der Träume folgt außerdem, ebenso wie andere Einlagen des Romans, dem Prinzip des mise en abyme, das aus der Heraldik stammt. Diese Darstellung der Geschichte in der Geschichte, immer leicht variiert und alles miteinander verbindend, funktioniert vor allem aufgrund der dichten Symbolik und Motivik des Textes. Von den vielen Bildern des ersten Traums nenne ich nur eine Auswahl: Ferne, Meer, Krieg; Wald, Morgen, Strahl, Blau, Gold, Quelle usw. Sie durchziehen den ganzen Roman und erfüllen damit den Anspruch, den Allzusammenhang der Dinge zu zeigen. Obwohl der Roman aus zahlreichen unterschiedlichen Einlagen, wie Märchen, Träumen, Sagen und Geschichten besteht, die immer wieder durch Reflexionen unterbrochen werden, hängt aufgrund der all diesen Einlagen gemeinsamen Symbolik alles miteinander zusammen. In den Träumen treten diese Symbole in besonderer Dichte auf. Die Neuerung Novalis’ liegt nun nicht in der Idee, dass Träume Symbole verwenden (dieser Ansatz findet sich bereits in der Antike), sondern vielmehr darin, den Symbolen einen neuen Unterbau zu geben. Weil diese den Ideen der idealistischen Philosophie folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht werden (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit, Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere Art der Traumhaftigkeit: Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren – Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum –,durch das Einbinden religiöser Elemente, – Heinrich erlebt ein "unendlich buntes Leben" (HKA I, 196) und stirbt, er steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf – , oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie; Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon. Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | ||
Die Neuerung Novalis’ liegt nun nicht in der Idee, dass Träume Symbole verwenden (dieser Ansatz findet sich bereits in der Antike), sondern vielmehr darin, den Symbolen einen neuen Unterbau zu geben. Weil diese den Ideen der idealistischen Philosophie folgen oder bekannte Symbole in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht werden (Neue Mythologie), sind sie für den Leser entschlüsselbar. Dieser Konstruktionscharakter steht nun den Eigenschaften entgegen, welche gemeinhin mit Träumen assoziiert werden. Zu nennen wären etwa: Zusammenhangslosigkeit, fehlende Logik, Aufhebung der Ordnung von Raum und Zeit, Novalis gleicht diesen Mangel an Traumeigenschaften jedoch durch sein Poesiekonzept aus. Mythen- und Märchenelemente verleihen den literarischen Träumen eine andere Art der Traumhaftigkeit: Dies äußert sich etwa durch das Auftreten von legendären Figuren – Heinrichs Vater trifft Friedrich Barbarossa im Traum –,durch das Einbinden religiöser Elemente, – Heinrich erlebt ein "unendlich buntes Leben" (HKA I, 196) und stirbt, er steht aber wie Jesus Christus von den Toten auf – , oder durch den Rückgriff auf die alte Mythologie; Mathilde sitzt in einer Barke auf dem Strom wie Charon. Dies sind nur drei von zahlreichen Beispielen im Text. | |||