"Die Wandlung" (Ernst Toller): Unterschied zwischen den Versionen

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Das Traumbild „Die Krüppel“ (Bild 6) schließt die dritte Station ab. Somit geht es dem zentralen Wandlungsbild (Bild 7) unmittelbar voraus. Verglichen mit allen übrigen Traumbildern ist Bild 6 das umfangreichste und komplexeste. Es zeigt einen großen Saal, in dem unzählige Kriegsinvalide nebeneinander in ihren Betten liegen. Inhaltlich beschäftigt sich das Traumbild mit den Konsequenzen, die der Krieg für diejenigen hat, die als Soldaten an ihm teilnehmen.
Das Traumbild „Die Krüppel“ (Bild 6) schließt die dritte Station ab. Somit geht es dem zentralen Wandlungsbild (Bild 7) unmittelbar voraus. Verglichen mit allen übrigen Traumbildern ist Bild 6 das umfangreichste und komplexeste. Es zeigt einen großen Saal, in dem unzählige Kriegsinvalide nebeneinander in ihren Betten liegen. Inhaltlich beschäftigt sich das Traumbild mit den Konsequenzen, die der Krieg für diejenigen hat, die als Soldaten an ihm teilnehmen.


Eröffnet wird das Traumbild von einem Medizinprofessor, auf dessen Hals anstelle eines Kopfes ein Totenschädel sitzt und der seinen Studenten voller Stolz seine „Errungenschaften“ (DW 18) und „sieben Musterexemplare“ (ebd.) vorführt. Bei diesen handelt es sich um von ihm wieder zusammengeflickte „Fleischrümpfe“ (ebd.), die er dank seiner Wissenschaft „[z]u neuem Leben auferweckt“ (ebd.) und wieder „unserem Staat zugeführt hat“ (ebd.) als „[w]ertvolle Glieder einer nützlichen Gemeinschaft!“(ebd.). Vor einer weißen Leinwand marschieren diese „''wie aufgezogene Maschinen''“ (ebd.) auf und ab und bewegen dabei „''automatisch schlenkernd''“ (ebd.) ihre schwarzen künstlichen Gliedmaßen. Ein studentischer Hörer mit dem Antlitz Friedrichs wird bei dieser Demonstration zunächst kurz ohnmächtig, ehe er kurz darauf ebenso automatisch schlenkernd abgeht. In Anschluss daran kommen die Kriegsinvaliden selbst zu Wort und klagen sich gegenseitig ihre spezifischen Leiden und Kriegsverletzungen. Dieses Mal spiegeln sich Friedrichs Gesichtszüge in einem Pfarrer, der bei seinem Auftritt das Kruzifix, das er den Verletzten zunächst entgegenstreckt, langsam über sich zerbricht. Ähnlich erschüttert von den erblickten Qualen sind die Krankenschwestern, die mit Hilfe von Arzneimitteln den Schmerz der „armen Kranken“ (DW 21) zu lindern versuchen, von diesen dafür jedoch kaum mehr als Spott ernten, woraufhin aus ihren Lippen ein „''erschütternder Schrei''“ (ebd.) dringt und sie „''in sich zusammen ''[''brechen'']“ (ebd.). In der Reaktion des Studenten, des Pfarrers und der Krankenschwestern formuliert sich eine Kritik an den Methoden und dem Unvermögen der medizinischen Wissenschaft und an der Funktion der Kirche während des Kriegs (vgl. Rothstein 1987, 59).
Eröffnet wird das Traumbild von einem Medizinprofessor, auf dessen Hals anstelle eines Kopfes ein Totenschädel sitzt und der seinen Studenten voller Stolz seine „Errungenschaften“ (DW 18) und „sieben Musterexemplare“ (ebd.) vorführt. Bei diesen handelt es sich um von ihm wieder zusammengeflickte „Fleischrümpfe“ (ebd.), die er dank seiner Wissenschaft „zu neuem Leben auferweckt“ (ebd.) und wieder „unserem Staat zugeführt hat“ (ebd.) als „wertvolle Glieder einer nützlichen Gemeinschaft!“(ebd.). Vor einer weißen Leinwand marschieren diese „''wie aufgezogene Maschinen''“ (ebd.) auf und ab und bewegen dabei „''automatisch schlenkernd''“ (ebd.) ihre schwarzen künstlichen Gliedmaßen. Ein studentischer Hörer mit dem Antlitz Friedrichs wird bei dieser Demonstration zunächst kurz ohnmächtig, ehe er kurz darauf ebenso automatisch schlenkernd abgeht. In Anschluss daran kommen die Kriegsinvaliden selbst zu Wort und klagen sich gegenseitig ihre spezifischen Leiden und Kriegsverletzungen. Dieses Mal spiegeln sich Friedrichs Gesichtszüge in einem Pfarrer, der bei seinem Auftritt das Kruzifix, das er den Verletzten zunächst entgegenstreckt, langsam über sich zerbricht. Ähnlich erschüttert von den erblickten Qualen sind die Krankenschwestern, die mit Hilfe von Arzneimitteln den Schmerz der „armen Kranken“ (DW 21) zu lindern versuchen, von diesen dafür jedoch kaum mehr als Spott ernten, woraufhin aus ihren Lippen ein „''erschütternder Schrei''“ (ebd.) dringt und sie „''in sich zusammen ''[''brechen'']“ (ebd.). In der Reaktion des Studenten, des Pfarrers und der Krankenschwestern formuliert sich eine Kritik an den Methoden und dem Unvermögen der medizinischen Wissenschaft und an der Funktion der Kirche während des Kriegs (vgl. Rothstein 1987, 59).


Das Traumbild endet, wie es begonnen hat: mit dem Auftritt des Medizinprofessors, der mit seiner letzten Replik wortwörtlich den Beginn seiner ersten Replik wiederholt. Damit schließt sich am Ende des Traumbilds ein Rahmen, in dem sich ein perfides und selbstgerechtes wissenschaftlich-medizinisches Programm offenbart: „Ich wiederhole, was ich am Anfang sagte! / Wir sind gewappnet gegen alle Schrecken. / Wir könnten uns die positive Branche nennen, / Die negative ist die Rüstungsindustrie. / Mit anderen Worten: Wir Vertreter der Synthese. / Die Rüstungsindustrie geht analytisch vor.“ (DW 21)
Das Traumbild endet, wie es begonnen hat: mit dem Auftritt des Medizinprofessors, der mit seiner letzten Replik wortwörtlich den Beginn seiner ersten wiederholt. Damit schließt sich am Ende des Traumbilds ein Rahmen, in dem sich ein perfides und selbstgerechtes wissenschaftlich-medizinisches Programm offenbart: „Ich wiederhole, was ich am Anfang sagte! / Wir sind gewappnet gegen alle Schrecken./ Wir könnten uns die positive Branche nennen,/ Die negative ist die Rüstungsindustrie./ Mit anderen Worten: Wir Vertreter der Synthese./ Die Rüstungsindustrie geht analytisch vor.“ (DW 21)


Wie dies schon für die ersten beiden Stationen des Stücks gilt, stehen auch in der dritten Station das Traum- und Realbild in einem deutlichen Kontrast zu einander. Der Krieg, der in den Realbildern eher verklärt dargestellt ist, wird in den Traumbildern kritisch in den Blick genommen und kommentiert (vgl. Oehm 1993, 157; Schreiber 1997, 65). Erfüllt sich in Bild 5 zunächst Friedrichs Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit, weil er die von ihm lang ersehnten Bürgerrechte erhält, legt Bild 6 im Traumbildmodus anschließend die tatsächlichen Konsequenzen des Kriegs offen. Für einen Großteil der beteiligten Soldaten bedeutet ihr Kriegseinsatz nämlich nicht Anerkennung, Zugehörigkeit und Ehre, sondern führt zu Verletzungen, Verstümmelungen und zum Tod. Birgit Schreiber bezeichnet die ersten drei Traumbilder daher als „Sprachrohr der Opfer – der Soldaten (2. Bild), der Toten (4. Bild), der Krüppel und Verwundeten (6. Bild)“, die „eine Gegenwirklichkeit für die realiter Vergessenen und Verdrängten [schaffen].“ (Schreiber 1997, 103) So zeigen die Traumbilder den Krieg aus der Opferperspektive – und damit ‚realer‘, als dies in den eigentlichen Realbildern der Fall ist.
Wie dies schon für die ersten beiden Stationen des Stücks gilt, stehen auch in der dritten Station das Traum- und Realbild in einem deutlichen Kontrast zu einander. Der Krieg, der in den Realbildern eher verklärt dargestellt ist, wird in den Traumbildern kritisch in den Blick genommen und kommentiert (vgl. Oehm 1993, 157; Schreiber 1997, 65). Erfüllt sich in Bild 5 zunächst Friedrichs Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit, weil er die von ihm lang ersehnten Bürgerrechte erhält, legt Bild 6 im Traumbildmodus anschließend die tatsächlichen Konsequenzen des Kriegs offen. Für einen Großteil der beteiligten Soldaten bedeutet ihr Kriegseinsatz nämlich nicht Anerkennung, Zugehörigkeit und Ehre, sondern führt zu Verletzungen, Verstümmelungen und zum Tod. Birgit Schreiber bezeichnet die ersten drei Traumbilder daher als „Sprachrohr der Opfer – der Soldaten (2. Bild), der Toten (4. Bild), der Krüppel und Verwundeten (6. Bild)“, die „eine Gegenwirklichkeit für die realiter Vergessenen und Verdrängten“ schaffen (Schreiber 1997, 103). So zeigen die Traumbilder den Krieg aus der Opferperspektive – und damit ‚realer‘, als dies in den eigentlichen Realbildern der Fall ist.


Die Traumbilder der letzten beiden Stationen 5 und 6 haben eine andere Funktion. Im Gegensatz zu den Traumbildern vor der Wandlungsszene befinden sie sich den Realbildern gegenüber nun in der Überzahl. Auf nur zwei Realbilder kommen hier nun vier Traumbilder. Diese versinnbildlichen die in der vierten Station erfolgte Wandlung Friedrichs als einen Prozess, der in seinem Innern abläuft (vgl. Oehm 1993, 161). In den beiden Realbildern wird dies nach außen projiziert, was schließlich in Friedrichs Revolutionsaufruf im letzten Bild mündet.
Die Traumbilder der letzten beiden Stationen 5 und 6 haben eine andere Funktion. Im Gegensatz zu den Traumbildern vor der Wandlungsszene befinden sie sich den Realbildern gegenüber nun in der Überzahl. Auf nur zwei Realbilder kommen hier nun vier Traumbilder. Diese versinnbildlichen die in der vierten Station erfolgte Wandlung Friedrichs als einen Prozess, der in seinem Innern abläuft (vgl. Oehm 1993, 161). In den beiden Realbildern wird dies nach außen projiziert, was schließlich in Friedrichs Revolutionsaufruf im letzten Bild mündet.


===Fazit===
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