"Wolga" (Lou Andreas-Salomé): Unterschied zwischen den Versionen

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==== „Wolga“ (Lou Andreas-Salomé) ====
Bist Du auch fern: ich schaue Dich doch an,
Bist Du auch fern: ich schaue Dich doch an,


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An Deinen ungeheuren Einsamkeiten.
An Deinen ungeheuren Einsamkeiten.


(Wolga, Gedicht aus dem Reisetagebuch ihrer 2. Russlandreise aus dem Jahr 1900 (Russland mit Rainer. Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke im Jahre 1900, hrsg. von Pfeiffer/Michaud, Marbach 1999).
(''Wolga'', Gedicht aus dem Reisetagebuch ihrer 2. Russlandreise aus dem Jahr 1900 (Russland mit Rainer. Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke im Jahre 1900, hrsg. von Pfeiffer/Michaud, Marbach 1999).


Wolga ist eine Novelle der in Russland geborenen, deutschen Autorin Lou Andreas-Saomé (1861-1937).
''Wolga'' ist eine Novelle der in Russland geborenen, deutschen Autorin Lou Andreas-Saomé (1861-1937).
 
Inhaltsverzeichnis:
 
1. Lou Andreas-Salomé
 
2. Entstehungs- und Druckgeschichte
 
3. Aufbau und Thematik der Novelle
 
4. Die Träume
 
4.1 Beschreibung
 
4.1.1 Traum I
 
4.1.2 Traum II
 
4.2 Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit
 
4.3 Interpretation
 
4.3.1 Traum I
 
4.3.2 Traum II
 
4.4. Funktion in der Novelle und im Novellenzyklus
 
5. Ausgaben
 
6. Forschung
 
7. Weblinks
 
Lou Andreas-Salomé


==== Lou Andreas-Salomé ====
Die von Sigmund Freud als „Versteherin par excellence“ (Briefwechsel 1960, 50) und von der Reformpädagogin Ellen Key als „hervorragende Seherin in die feinen Nuancen einer Seele – besonders Frauenseele“ (Brief vom 16.04.1900, zitiert nach Wernz 1997, 31) beschriebene Philosophin, Autorin und erste Psychoanalytikerin Deutschlands, hatte zahlreiche Interessen. So studierte sie als eine der ersten weiblichen Studentinnen im Jahr 1880 in Zürich Allgemeine Religionsgeschichte, Dogmatik, Logik, Metaphysik und Philosophie (vgl.: Wiesner-Bangard/Welsch 2002, 33), war mit Nietzsche, Rilke, Freud und namhaften Frauenrechtlerinnen befreundet und publizierte wissenschaftliche und erzählende Literatur von der Kindheitserzählung, über autobiografische Romane bis hin zu gesellschaftskritischen Erwachsenenerzählungen. Lange wurde sie auf den Status der „Muse“ einflussreicher Männer reduziert. Auch ihr wissenschaftliches und literarisches Vermächtnis wurde erst spät gewürdigt.
Die von Sigmund Freud als „Versteherin par excellence“ (Briefwechsel 1960, 50) und von der Reformpädagogin Ellen Key als „hervorragende Seherin in die feinen Nuancen einer Seele – besonders Frauenseele“ (Brief vom 16.04.1900, zitiert nach Wernz 1997, 31) beschriebene Philosophin, Autorin und erste Psychoanalytikerin Deutschlands, hatte zahlreiche Interessen. So studierte sie als eine der ersten weiblichen Studentinnen im Jahr 1880 in Zürich Allgemeine Religionsgeschichte, Dogmatik, Logik, Metaphysik und Philosophie (vgl.: Wiesner-Bangard/Welsch 2002, 33), war mit Nietzsche, Rilke, Freud und namhaften Frauenrechtlerinnen befreundet und publizierte wissenschaftliche und erzählende Literatur von der Kindheitserzählung, über autobiografische Romane bis hin zu gesellschaftskritischen Erwachsenenerzählungen. Lange wurde sie auf den Status der „Muse“ einflussreicher Männer reduziert. Auch ihr wissenschaftliches und literarisches Vermächtnis wurde erst spät gewürdigt.


Entstehungs- und Druckgeschichte
==== Entstehungs- und Druckgeschichte ====
 
Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in dem eingangs zitierten, im Reisetagebuch vermerkten Gedicht, als auch in der gleichnamigen Novelle verarbeitete. Publiziert wurde die Novelle im Jahr 1902 in dem Novellenzyklus Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger (Stuttgart/Berlin). Schon im Jahr 1901 wurde sie in der von F. W. Hackländer herausgegebenen Deutsche Roman-Bibliothek (Jg. 29) vorabgedruckt. Wie Britta Benert hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (vgl.: Benert 2013, 392ff). Gewidmet ist der Novellenzyklus ihrer Cousine Emma Flörke, geb. Wilm „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.
Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in dem eingangs zitierten, im Reisetagebuch vermerkten Gedicht, als auch in der gleichnamigen Novelle verarbeitete. Publiziert wurde die Novelle im Jahr 1902 in dem Novellenzyklus Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger (Stuttgart/Berlin). Schon im Jahr 1901 wurde sie in der von F. W. Hackländer herausgegebenen Deutsche Roman-Bibliothek (Jg. 29) vorabgedruckt. Wie Britta Benert hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (vgl.: Benert 2013, 392ff). Gewidmet ist der Novellenzyklus ihrer Cousine Emma Flörke, geb. Wilm „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.


Aufbau und Thematik der Novelle
==== Aufbau und Thematik der Novelle ====
 
Geschildert wird die Reise der 16jährigen mutterlosen Deutschrussin Ljubow (dt. „Liebe“) Wassiliewna auf der Wolga von Nižnij Novgorod nach Astrachann, dem Vater entgegen. Gespiegelt wird die Wolgareise der Autorin, die jedoch stromaufwärts und nicht wie die Figur stromabwärts verlief (vgl.: Benert 2013, 393). Auf ihrem fahrenden Mikrokosmos befindet sie sich in der Obhut des Kapitäns und seiner Schwester. Der Name des Dampfschiffs „Zcar Saltan“ rekurriert auf Puschkins gleichnamiges Märchen. Intertextuelle Verweise prägen auch weitere Partien der Novelle, insbesondere den ersten der beiden Träume Ljobows.
Geschildert wird die Reise der 16jährigen mutterlosen Deutschrussin Ljubow (dt. „Liebe“) Wassiliewna auf der Wolga von Nižnij Novgorod nach Astrachann, dem Vater entgegen. Gespiegelt wird die Wolgareise der Autorin, die jedoch stromaufwärts und nicht wie die Figur stromabwärts verlief (vgl.: Benert 2013, 393). Auf ihrem fahrenden Mikrokosmos befindet sie sich in der Obhut des Kapitäns und seiner Schwester. Der Name des Dampfschiffs „Zcar Saltan“ rekurriert auf Puschkins gleichnamiges Märchen. Intertextuelle Verweise prägen auch weitere Partien der Novelle, insbesondere den ersten der beiden Träume Ljobows.


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Das Schiff mit seinen unterschiedlichen Klassen kann als Heterotopie im Foucault’schen Sinn verstanden werden, wobei eine Besonderheit darin besteht, dass Ljubow sich frei zwischen den drei Klassen bewegen kann; wenngleich dies von Seiten des Kapitäns nicht gerne gesehen wird. Außerhalb dieser Heterotopie kennt sie nur den Mikrokosmos ihres Petersburger Pensionats sowie das Landhäuschens ihrer Tante in Pterhof. (Vgl.: 280) Die gesellschaftlichen Zwänge sind in diesem von Zeit und Ort losgelösten Raum weniger strikt als im heimischen Umfeld. Tatsächlich langweilt sie der Aufenthalt im Salon der 1. Klasse, wo ihr der etwa gleichaltrige Aristokratensohn Alescha Murawiew Avancen macht. Fasziniert ist sie viel eher von dem Fremden und Unbekannten, insbesondere dem erfahrenen Arzt Valdevenen, der während der Fahrt von einem Boot aus zusteigt und sich von dem jungen Mädchen angezogen fühlt. So wie sie sich an der Landschaft weidet, „erholen“ sich die Augen des Arztes, der eben noch Typhus und Skorbut behandelt hat, durch die Betrachtung der 16Jährigen: „Eine Erholung, so etwas anzuschauen. Wie selten sind Jugend, Schönheit, Gesundheit so harmonisch beisammen.“ (295) Die Novelle endet mit seiner Abreise, einem bedeutsamen Abschiedskuss und dem Versprechen, sie auf der Heimreise wiederzusehen und beisammenzubleiben.
Das Schiff mit seinen unterschiedlichen Klassen kann als Heterotopie im Foucault’schen Sinn verstanden werden, wobei eine Besonderheit darin besteht, dass Ljubow sich frei zwischen den drei Klassen bewegen kann; wenngleich dies von Seiten des Kapitäns nicht gerne gesehen wird. Außerhalb dieser Heterotopie kennt sie nur den Mikrokosmos ihres Petersburger Pensionats sowie das Landhäuschens ihrer Tante in Pterhof. (Vgl.: 280) Die gesellschaftlichen Zwänge sind in diesem von Zeit und Ort losgelösten Raum weniger strikt als im heimischen Umfeld. Tatsächlich langweilt sie der Aufenthalt im Salon der 1. Klasse, wo ihr der etwa gleichaltrige Aristokratensohn Alescha Murawiew Avancen macht. Fasziniert ist sie viel eher von dem Fremden und Unbekannten, insbesondere dem erfahrenen Arzt Valdevenen, der während der Fahrt von einem Boot aus zusteigt und sich von dem jungen Mädchen angezogen fühlt. So wie sie sich an der Landschaft weidet, „erholen“ sich die Augen des Arztes, der eben noch Typhus und Skorbut behandelt hat, durch die Betrachtung der 16Jährigen: „Eine Erholung, so etwas anzuschauen. Wie selten sind Jugend, Schönheit, Gesundheit so harmonisch beisammen.“ (295) Die Novelle endet mit seiner Abreise, einem bedeutsamen Abschiedskuss und dem Versprechen, sie auf der Heimreise wiederzusehen und beisammenzubleiben.


Die Träume – Beschreibung - Traum I
==== Die Träume ====


===== Beschreibung: Traum I =====
Nachem Ljubow mit Valdevenen eine ernste Unterhaltung über das unvermeidliche und in seinen Augen einem Leben in Gefangenschaft gleichende Schicksal der Frau führen, wird im dritten Kapitel ein Traum beschrieben, wobei der Moment des Einschlafens nicht dezidiert markiert ist, sondern lediglich durch fünfzehn Gedankenstriche typografisch vom Rest der Erzählung abgesetzt ist. Im Fokus steht auch in dieser Szene die individuelle Wahrnehmung der Figur, die sich ihrer Verortung unsicher ist. Sie scheint nicht mehr auf der Wolga zu fahren, sondern fühlt sich in unbeschwerte Kindertage bzw. die königlichen Gärten, unweit des Hauses ihrer Tante zurückversetzt. Hier sitzt sie in ihrem Lieblingsmärchen lesend in der Nähe der Fontänen und beschreibt ihre Faszination an dieser Erzählung, die eine deutliche Analogie zum Gespräch mit Valdevenen aufweist. Geprägt ist das Traumgeschehen demnach von Kindheitserinnerungen und Tagesresten. Das Märchen kreist um eine am Brunnen schlafende verzauberte Prinzessin, die von einem Ritter innerhalb von 3 Nächten erlöst werden könnte, indem er sie in einen tiefen Brunnen wirft. Doch statt ihrer wirft er in der ersten Nacht einen Stein ins Wasser, am nächsten Abend hebt er sie hoch, doch ist er von ihrer Schönheit derart gebannt, dass er sie wieder ablegt und am dritten Morgen „zerrinnt die Prinzessin vor ihm im Nebel der Morgendämmerung, und vom Platz, wo sie gelegen, schlüpft ein grünes Fröschlein traurig von dannen.“ (312) Die Analogie dieses fiktiven Märchens zur Prophezeihung Valdevenens, sie werde sich eines Tages wehrlos „wie blind und taub und lahm, wie im tiefsten Schlaf, […] hineinwerfen lassen in das tiefe, enge Gelaß [der Ehe]“ ist unverkennbar. Was genau Valdevenen mit diesen Andeutungen meint, erschließt sich Ljubow nicht, doch weckt das Gespräch ihre Neugier, mehr über seine Ansichten zu erfahren. Die Rollenverteilung und -erwartungen in ihrem Lieblingsmärchen sind ihr hingegen vertraut und erscheinen ihr als unveränderlich. So gibt sie sich zunächst einem genussvollen, dionysischen Traum hin, in welchem sie sich als verzauberte Prinzessin imaginiert, die einen Ritter (Valdevenen) in höchste Verzückung versetzt.
Nachem Ljubow mit Valdevenen eine ernste Unterhaltung über das unvermeidliche und in seinen Augen einem Leben in Gefangenschaft gleichende Schicksal der Frau führen, wird im dritten Kapitel ein Traum beschrieben, wobei der Moment des Einschlafens nicht dezidiert markiert ist, sondern lediglich durch fünfzehn Gedankenstriche typografisch vom Rest der Erzählung abgesetzt ist. Im Fokus steht auch in dieser Szene die individuelle Wahrnehmung der Figur, die sich ihrer Verortung unsicher ist. Sie scheint nicht mehr auf der Wolga zu fahren, sondern fühlt sich in unbeschwerte Kindertage bzw. die königlichen Gärten, unweit des Hauses ihrer Tante zurückversetzt. Hier sitzt sie in ihrem Lieblingsmärchen lesend in der Nähe der Fontänen und beschreibt ihre Faszination an dieser Erzählung, die eine deutliche Analogie zum Gespräch mit Valdevenen aufweist. Geprägt ist das Traumgeschehen demnach von Kindheitserinnerungen und Tagesresten. Das Märchen kreist um eine am Brunnen schlafende verzauberte Prinzessin, die von einem Ritter innerhalb von 3 Nächten erlöst werden könnte, indem er sie in einen tiefen Brunnen wirft. Doch statt ihrer wirft er in der ersten Nacht einen Stein ins Wasser, am nächsten Abend hebt er sie hoch, doch ist er von ihrer Schönheit derart gebannt, dass er sie wieder ablegt und am dritten Morgen „zerrinnt die Prinzessin vor ihm im Nebel der Morgendämmerung, und vom Platz, wo sie gelegen, schlüpft ein grünes Fröschlein traurig von dannen.“ (312) Die Analogie dieses fiktiven Märchens zur Prophezeihung Valdevenens, sie werde sich eines Tages wehrlos „wie blind und taub und lahm, wie im tiefsten Schlaf, […] hineinwerfen lassen in das tiefe, enge Gelaß [der Ehe]“ ist unverkennbar. Was genau Valdevenen mit diesen Andeutungen meint, erschließt sich Ljubow nicht, doch weckt das Gespräch ihre Neugier, mehr über seine Ansichten zu erfahren. Die Rollenverteilung und -erwartungen in ihrem Lieblingsmärchen sind ihr hingegen vertraut und erscheinen ihr als unveränderlich. So gibt sie sich zunächst einem genussvollen, dionysischen Traum hin, in welchem sie sich als verzauberte Prinzessin imaginiert, die einen Ritter (Valdevenen) in höchste Verzückung versetzt.


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Als schließlich der Saum ihres Rocks feucht wird, reißt ihr die Angst die Augen auf wie es im Text heißt, doch sehen kann sie nichts; nur fühlen, dass sie in den Mantel Valdevenens gehüllt ist, der ganz nah bei ihr ist und dennoch „wie von weitem“ (315) zu ihr spricht. Dass sie erwacht, wird erst nach der folgenden Verführungsszene beschrieben, sodass die Leserschaft im Unklaren darüber gelassen wird, ob die Verführung durch Valdevenen, der Ljubow darlegt, dass er weit Schöneres kenne als ein Goldschloss mit Diamantzinnen und dass in ihr selbst ein Brunnen liege, noch Teil des Traumes bzw. ein Traum im Traum ist: „In dir selber mußt du zu allem bereit sein, was ein anderer dir tut, – dich von ihm nehmen und hinabsenken lassen, und nicht fragen, was er tut. Du mußt versinken, dann wirst du auferstehen.“ (315) Ljobow sträubt sich zunächst gegen diese Anweisung, fällt jedoch nur kurz in die Rolle der schlafenden, passiven Prinzessin zurück: „Nein, – nein, ich will lieber verzaubert bleiben!“ denkt sie in Angst. Aber noch während sie es denkt, heben ihre Arme wider ihren Willen sich schon.“ (316) Dafür, dass diese Verführung noch Teil der Traumhandlung ist, sprechen die fünfzehn Gedankenstriche, von denen die Traumhandlung gerahmt wird: „Eine Wonne, stark wie Schmerz, benimmt ihr die Besinnung. – – – – – – – – – – – – Mit einem tiefen seufzenden Atemzug erwachte sie.“ (316) heißt es am Ende des Abschnitts.
Als schließlich der Saum ihres Rocks feucht wird, reißt ihr die Angst die Augen auf wie es im Text heißt, doch sehen kann sie nichts; nur fühlen, dass sie in den Mantel Valdevenens gehüllt ist, der ganz nah bei ihr ist und dennoch „wie von weitem“ (315) zu ihr spricht. Dass sie erwacht, wird erst nach der folgenden Verführungsszene beschrieben, sodass die Leserschaft im Unklaren darüber gelassen wird, ob die Verführung durch Valdevenen, der Ljubow darlegt, dass er weit Schöneres kenne als ein Goldschloss mit Diamantzinnen und dass in ihr selbst ein Brunnen liege, noch Teil des Traumes bzw. ein Traum im Traum ist: „In dir selber mußt du zu allem bereit sein, was ein anderer dir tut, – dich von ihm nehmen und hinabsenken lassen, und nicht fragen, was er tut. Du mußt versinken, dann wirst du auferstehen.“ (315) Ljobow sträubt sich zunächst gegen diese Anweisung, fällt jedoch nur kurz in die Rolle der schlafenden, passiven Prinzessin zurück: „Nein, – nein, ich will lieber verzaubert bleiben!“ denkt sie in Angst. Aber noch während sie es denkt, heben ihre Arme wider ihren Willen sich schon.“ (316) Dafür, dass diese Verführung noch Teil der Traumhandlung ist, sprechen die fünfzehn Gedankenstriche, von denen die Traumhandlung gerahmt wird: „Eine Wonne, stark wie Schmerz, benimmt ihr die Besinnung. – – – – – – – – – – – – Mit einem tiefen seufzenden Atemzug erwachte sie.“ (316) heißt es am Ende des Abschnitts.


Traum II:
===== Beschreibung: Traum II =====
 
Obwohl sie in der nächsten Nacht vor dem Einschlafen an die wärmenden Hände ihrer verstorbenen Mutter denkt, bleibt diese Nacht traumlos. Erst in der darauffolgenden Nacht – wie in ihrem Lieblingsmärchen werden auch in der Novelle drei Nächte beschrieben – träumt sie in einem Zustand des „Halbschlummers“ (334). Der zweite Traum steht ebenfalls im Spannungsfeld von Kindheitserinnerungen, Tagesresten und (sexuellen) Sehnsüchten. Da sie am Tag Postkarten an ihre Klassenkameradinnen geschrieben hat, träumt sie von ihren Freundinnen, doch stets im Bewusstsein, dass Valdevenen am nächsten Morgen das Schiff verlassen wird und sie ihn unbedingt noch vor seiner Abreise sehen möchte, weshalb sie nicht in ihrer Kabine, sondern im Salon der 1. Klasse schläft, wo er sie leichter aufsuchen kann, ohne Aufsehen zu erregen. So heißt es: „ein Halbschlummer kam über sie mit halben Träumen –, aber immer entsann sie sich doch, daß sie dasaß und worauf sie wartete. Erinnerungen aus ihrer Schulzeit kamen ihr, alle die Mädchen tauchten in ihrem dämmernden Bewußtsein auf, mit denen sie bis vor einigen Tagen ganz unzertrennlich vertraut gewesen.“ (334) Im Halbschlaf reflektiert sie darüber, ob sie nach den Erlebnissen der letzten beiden Tage noch so unbefangen mit ihnen umgehen könnte wie sie es vor ihrer Reise gewohnt war. Dem harmlosen Ballspiel, das sie sodann imaginiert, wird eine anrüchige Note verliehen, als der Ball unversehens „dicht an ihnen vorbei, in die Untiefe“ (ebd.) entgleitet. Und ein
Obwohl sie in der nächsten Nacht vor dem Einschlafen an die wärmenden Hände ihrer verstorbenen Mutter denkt, bleibt diese Nacht traumlos. Erst in der darauffolgenden Nacht – wie in ihrem Lieblingsmärchen werden auch in der Novelle drei Nächte beschrieben – träumt sie in einem Zustand des „Halbschlummers“ (334). Der zweite Traum steht ebenfalls im Spannungsfeld von Kindheitserinnerungen, Tagesresten und (sexuellen) Sehnsüchten. Da sie am Tag Postkarten an ihre Klassenkameradinnen geschrieben hat, träumt sie von ihren Freundinnen, doch stets im Bewusstsein, dass Valdevenen am nächsten Morgen das Schiff verlassen wird und sie ihn unbedingt noch vor seiner Abreise sehen möchte, weshalb sie nicht in ihrer Kabine, sondern im Salon der 1. Klasse schläft, wo er sie leichter aufsuchen kann, ohne Aufsehen zu erregen. So heißt es: „ein Halbschlummer kam über sie mit halben Träumen –, aber immer entsann sie sich doch, daß sie dasaß und worauf sie wartete. Erinnerungen aus ihrer Schulzeit kamen ihr, alle die Mädchen tauchten in ihrem dämmernden Bewußtsein auf, mit denen sie bis vor einigen Tagen ganz unzertrennlich vertraut gewesen.“ (334) Im Halbschlaf reflektiert sie darüber, ob sie nach den Erlebnissen der letzten beiden Tage noch so unbefangen mit ihnen umgehen könnte wie sie es vor ihrer Reise gewohnt war. Dem harmlosen Ballspiel, das sie sodann imaginiert, wird eine anrüchige Note verliehen, als der Ball unversehens „dicht an ihnen vorbei, in die Untiefe“ (ebd.) entgleitet. Und ein


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Die Birken, mit denen sie sich zunächst identifiziert, erscheinen nach diesem Halbschlaf plötzlich als das Fremde und Andere eines vergangenen Lebens. Sie befindet sich tatsächlich in einem Zwischenland, dessen zahlreiche Unwägbarkeiten durch den Zustand des Halbschlafs zur Darstellung gelangen.
Die Birken, mit denen sie sich zunächst identifiziert, erscheinen nach diesem Halbschlaf plötzlich als das Fremde und Andere eines vergangenen Lebens. Sie befindet sich tatsächlich in einem Zwischenland, dessen zahlreiche Unwägbarkeiten durch den Zustand des Halbschlafs zur Darstellung gelangen.


Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit:
==== Formale Besonderheiten und Traumhaftigkeit ====
 
In Adoleszenzerzählungen kommt dem Traum als Zwischenstadium von Gestern/Vergangenem und Morgen/Künftigem eine besondere Bedeutung zu, die auch in Andreas-Salomés Novelle präsent ist. Eine Besonderheit besteht in der Verwendung von Erzählweisen des Volksmärchens. Auf die Traumhaftigkeit des Erzählens in Volksmärchen macht bereits Lüthi aufmerksam (vgl.: Lüthi 2005, 79). Wie Träume sind sie stets auf das unmittelbare Erleben der Figuren fokussiert und stellen lediglich dar und stellen nichts in Frage, erklären und fordern nichts. Zudem wird auch in den Grimm’schen Volksmärchen häufig die Adoleszenz der Figuren thematisiert, was insbesondere in der ersten Konfrontation mit Liebe und Tod zur Darstellung gelangt (vgl.: Rölleke 1985, 82). So ist es charakteristisch für das (Grimm’sche) Märchen, dass Reifevorgänge immer auch Todeserfahrungen implizieren, wobei letztere häufig symbolischen Charakter haben und auf den Verlust der Kindheit oder Bindungen an Personen (Eltern/Geschwister) bezogen werden (vgl.: ebd.). Diese Todeserfahrung kommt im wachen Erleben Ljubows etwa in der Konfrontation mit dem plötzlichen Einsatz Valdevenens während des Landgangs zum Ausdruck und im Traum bzw. dem fiktiven Lieblingsmärchen in der Aufgabe, die schlafende Prinzessin in den tiefen Brunnen zu werfen. Auch nach den Gesprächen mit Valdevenen wird Ljubow immer wieder an dieses Bild erinnert, etwa wenn sie sich vorstellt, der Grund der Wolga wäre der tiefe Brunnen, in den Valdevenen sie stoßen könnte:
In Adoleszenzerzählungen kommt dem Traum als Zwischenstadium von Gestern/Vergangenem und Morgen/Künftigem eine besondere Bedeutung zu, die auch in Andreas-Salomés Novelle präsent ist. Eine Besonderheit besteht in der Verwendung von Erzählweisen des Volksmärchens. Auf die Traumhaftigkeit des Erzählens in Volksmärchen macht bereits Lüthi aufmerksam (vgl.: Lüthi 2005, 79). Wie Träume sind sie stets auf das unmittelbare Erleben der Figuren fokussiert und stellen lediglich dar und stellen nichts in Frage, erklären und fordern nichts. Zudem wird auch in den Grimm’schen Volksmärchen häufig die Adoleszenz der Figuren thematisiert, was insbesondere in der ersten Konfrontation mit Liebe und Tod zur Darstellung gelangt (vgl.: Rölleke 1985, 82). So ist es charakteristisch für das (Grimm’sche) Märchen, dass Reifevorgänge immer auch Todeserfahrungen implizieren, wobei letztere häufig symbolischen Charakter haben und auf den Verlust der Kindheit oder Bindungen an Personen (Eltern/Geschwister) bezogen werden (vgl.: ebd.). Diese Todeserfahrung kommt im wachen Erleben Ljubows etwa in der Konfrontation mit dem plötzlichen Einsatz Valdevenens während des Landgangs zum Ausdruck und im Traum bzw. dem fiktiven Lieblingsmärchen in der Aufgabe, die schlafende Prinzessin in den tiefen Brunnen zu werfen. Auch nach den Gesprächen mit Valdevenen wird Ljubow immer wieder an dieses Bild erinnert, etwa wenn sie sich vorstellt, der Grund der Wolga wäre der tiefe Brunnen, in den Valdevenen sie stoßen könnte:


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Die fremdartige Welt ist nicht die Welt der Märchen, sondern die Welt der Erwachsenen und der einfachen Menschen, mit der sie bisher noch keine Berührung hatte. Geschildert wird demnach ein Prozess des Erwachens, der Aufklärung und Reifung, der im Kuss des Märchenprinzen kulminiert. Sodann verliert Ljubow jedoch ihr waches Interesse an der Außenwelt. Ihr Blick richtet sich nach innen, ihre Gedanken kreisen fortan um sich selbst. Präsent wird hier der Salomé‘sche Narzissmus, den Chantal Gahlinger in ihrer Analyse von Wolga diagnostiziert (vgl.: Gahlinger 2001,165). Auf narratologischer Ebene wird der weibliche Narzissmus dadurch veranschaulicht, dass sich der Blick auf die Figur entfernt. War es zum Beginn der Novelle Ljubows Blick, durch den die Lesenden die vorbeiziehende Landschaft beobachteten, ist es am Ende die Landschaft selbst, die auf die Figur schaut. Gahlinger spricht in diesem Zusammenhang vom „Blickpunkt Gottes“ bzw. einer Fokusverlagerung, die an filmische Erzählverfahren erinnert (vgl.: ebd.). Andreas-Salomé verwendet demnach mehrere mit dem Traum assoziierte Erzählverfahren (filmisches und märchenhaftes Erzählen, siehe auch: „Film und Traum 1900-1930“ im Lexikon Traumkultur), um die traumhaft anmutende kindliche Weltwahrnehmung der Figur literarästhetisch auszugestalten.
Die fremdartige Welt ist nicht die Welt der Märchen, sondern die Welt der Erwachsenen und der einfachen Menschen, mit der sie bisher noch keine Berührung hatte. Geschildert wird demnach ein Prozess des Erwachens, der Aufklärung und Reifung, der im Kuss des Märchenprinzen kulminiert. Sodann verliert Ljubow jedoch ihr waches Interesse an der Außenwelt. Ihr Blick richtet sich nach innen, ihre Gedanken kreisen fortan um sich selbst. Präsent wird hier der Salomé‘sche Narzissmus, den Chantal Gahlinger in ihrer Analyse von Wolga diagnostiziert (vgl.: Gahlinger 2001,165). Auf narratologischer Ebene wird der weibliche Narzissmus dadurch veranschaulicht, dass sich der Blick auf die Figur entfernt. War es zum Beginn der Novelle Ljubows Blick, durch den die Lesenden die vorbeiziehende Landschaft beobachteten, ist es am Ende die Landschaft selbst, die auf die Figur schaut. Gahlinger spricht in diesem Zusammenhang vom „Blickpunkt Gottes“ bzw. einer Fokusverlagerung, die an filmische Erzählverfahren erinnert (vgl.: ebd.). Andreas-Salomé verwendet demnach mehrere mit dem Traum assoziierte Erzählverfahren (filmisches und märchenhaftes Erzählen, siehe auch: „Film und Traum 1900-1930“ im Lexikon Traumkultur), um die traumhaft anmutende kindliche Weltwahrnehmung der Figur literarästhetisch auszugestalten.


Interpretation – Traum I:
==== Interpretation ====


===== Traum I =====
Anhand des im ersten Traum dominanten Lieblingsmärchens wird ein Konflikt zwischen dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal der Femme Fragile und den naiven und mitunter von Omnipotenzfantasien geprägten Sichtweisen der Protagonistin deutlich. Die Märchenprinzessin erweist sich als ähnlich passiv wie bekannte Märchenfiguren, etwa Dornröschen und Schneewittchen, die keine eigenen Entscheidungen treffen, sondern lediglich auf einen Prinzen warten, der sie wachküsst und den sie heiraten, ohne eine Wahlmöglichkeit in Betracht zu ziehen (vgl.: Röllecke 1985, 83). Dieses „Ideal“ weiblicher Passivität und Manipulierbarkeit bestimmt zunächst den romantischen Blick Ljubows auf die Beziehung von Mann und Frau und macht sie so attraktiv für Valdevenen. Das Motiv des Zauberschlafs wird auch auf die wache Wahrnehmung der Figur bezogen, sodass die kindliche Weltwahrnehmung mit dem Zustand des Schlafs enggeführt werden. Im letzten Teil des geschilderten Traums wird deutlich, dass die Projektionen und Forderungen des männlichen Gegenübers (Valdevenen) vom Verhalten des Märchenprinzen in ihrem Lieblingsmärchen abweichen. Angesiedelt ist diese schockierende Erkenntnis an den Rändern des eigentlichen Traumgeschehens, in einem Zustand des Aufwachens. Die Opposition von Traum und Wirklichkeit bzw. Ideal und Trieb lassen sich auch auf das Dornröschen-Prinzip übertragen. Rekurriert Andreas-Salomé doch mit dem Ende des ersten Traums auf die Wurzeln des ''Dornröschen''-Märchens, da die schlafende Schöne in Giambattista Basiles Version (''Sole, Luna e Talia'' 1634) von einem verheirateten König während der Jagd im Schlaf geschändet (und geschwängert) wird. Unmittelbar darauf zieht der König weiter und vergisst den Vorfall bald wieder.
Anhand des im ersten Traum dominanten Lieblingsmärchens wird ein Konflikt zwischen dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal der Femme Fragile und den naiven und mitunter von Omnipotenzfantasien geprägten Sichtweisen der Protagonistin deutlich. Die Märchenprinzessin erweist sich als ähnlich passiv wie bekannte Märchenfiguren, etwa Dornröschen und Schneewittchen, die keine eigenen Entscheidungen treffen, sondern lediglich auf einen Prinzen warten, der sie wachküsst und den sie heiraten, ohne eine Wahlmöglichkeit in Betracht zu ziehen (vgl.: Röllecke 1985, 83). Dieses „Ideal“ weiblicher Passivität und Manipulierbarkeit bestimmt zunächst den romantischen Blick Ljubows auf die Beziehung von Mann und Frau und macht sie so attraktiv für Valdevenen. Das Motiv des Zauberschlafs wird auch auf die wache Wahrnehmung der Figur bezogen, sodass die kindliche Weltwahrnehmung mit dem Zustand des Schlafs enggeführt werden. Im letzten Teil des geschilderten Traums wird deutlich, dass die Projektionen und Forderungen des männlichen Gegenübers (Valdevenen) vom Verhalten des Märchenprinzen in ihrem Lieblingsmärchen abweichen. Angesiedelt ist diese schockierende Erkenntnis an den Rändern des eigentlichen Traumgeschehens, in einem Zustand des Aufwachens. Die Opposition von Traum und Wirklichkeit bzw. Ideal und Trieb lassen sich auch auf das Dornröschen-Prinzip übertragen. Rekurriert Andreas-Salomé doch mit dem Ende des ersten Traums auf die Wurzeln des ''Dornröschen''-Märchens, da die schlafende Schöne in Giambattista Basiles Version (''Sole, Luna e Talia'' 1634) von einem verheirateten König während der Jagd im Schlaf geschändet (und geschwängert) wird. Unmittelbar darauf zieht der König weiter und vergisst den Vorfall bald wieder.


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Erstaunlicherweise hält der aus dem Märchen bekannte Zauberschlaf die Figur im wachen Erleben in Bann. Durch die Träume und die (mutmaßlich) im Schlaf erfolgte Verführung stellt sich ein Wandel ein, durch den Ljubows kindliche, wache und neugierige Weltsicht entzaubert wird. Insbesondere durch den zweiten Traum gleitet sie in ein Zwischenstadium von Wachen und Träumen, das durch den halbwachen Zustand des zweiten Traums schon angedeutet wird.
Erstaunlicherweise hält der aus dem Märchen bekannte Zauberschlaf die Figur im wachen Erleben in Bann. Durch die Träume und die (mutmaßlich) im Schlaf erfolgte Verführung stellt sich ein Wandel ein, durch den Ljubows kindliche, wache und neugierige Weltsicht entzaubert wird. Insbesondere durch den zweiten Traum gleitet sie in ein Zwischenstadium von Wachen und Träumen, das durch den halbwachen Zustand des zweiten Traums schon angedeutet wird.


Interpretation – Traum II:
===== Traum II =====
 
So heißt es nach dem Erwachen:
So heißt es nach dem Erwachen:


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„Aus großen, ruhigen Augen schaute die Landschaft dem Menschenkinde auf dem Schiffchen zu, [...] während der Strom weiterströmte, stetig und unaufhaltsam weiter – zum Meer – und Stunde um Stunde weiter zu ihrem Meer – zur Ewigkeit.“ (339 f.)
„Aus großen, ruhigen Augen schaute die Landschaft dem Menschenkinde auf dem Schiffchen zu, [...] während der Strom weiterströmte, stetig und unaufhaltsam weiter – zum Meer – und Stunde um Stunde weiter zu ihrem Meer – zur Ewigkeit.“ (339 f.)


Funktion in der Novelle und im Novellenzyklus
==== Funktion in der Novelle und im Novellenzyklus ====
 
Mit ihrer Novelle Wolga kreiert Andreas-Salomé ein Adoleszenzmärchen, das eine Metamorphose beinhaltet. Während die vorab in der Zeitschrift abgedruckte Version mit der Ehe endet, wird in der im Novellenzyklus Im Zwischenland enthaltenen Variante das Ende offengelassen. Ob Valdevenen wie versprochen tatsächlich auf der Rückreise zusteigen wird, um sie dann nicht mehr zu verlassen, bleibt offen. Sicher ist, dass sein Kuss und die (erträumte) Verführung einen Gemütswandel auslösen, der einer Metamorphose gleicht. Anders als Dornrösschen und Schneewittchen, die durch den Kuss des männlichen Helden aus ihrem Zauberschlaf geweckt werden, wirkt Ljubow keineswegs wacher, sondern viel eher träumerischer nach diesem Erlebnis. Sie nimmt die Natur nur noch wie durch einen Schleier wahr und befindet sich in einem Zwischenstadium von Wachen und Träumen. Der wache, neugierige Blick auf die umliegende Natur wird ihr durch den Kuss genommen. Am Ende ist es die als beständig beschriebene Natur, die auf die träumerische Frauenfigur blickt.
Mit ihrer Novelle Wolga kreiert Andreas-Salomé ein Adoleszenzmärchen, das eine Metamorphose beinhaltet. Während die vorab in der Zeitschrift abgedruckte Version mit der Ehe endet, wird in der im Novellenzyklus Im Zwischenland enthaltenen Variante das Ende offengelassen. Ob Valdevenen wie versprochen tatsächlich auf der Rückreise zusteigen wird, um sie dann nicht mehr zu verlassen, bleibt offen. Sicher ist, dass sein Kuss und die (erträumte) Verführung einen Gemütswandel auslösen, der einer Metamorphose gleicht. Anders als Dornrösschen und Schneewittchen, die durch den Kuss des männlichen Helden aus ihrem Zauberschlaf geweckt werden, wirkt Ljubow keineswegs wacher, sondern viel eher träumerischer nach diesem Erlebnis. Sie nimmt die Natur nur noch wie durch einen Schleier wahr und befindet sich in einem Zwischenstadium von Wachen und Träumen. Der wache, neugierige Blick auf die umliegende Natur wird ihr durch den Kuss genommen. Am Ende ist es die als beständig beschriebene Natur, die auf die träumerische Frauenfigur blickt.


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Die Prinzessin hat die Initiative ergriffen, ist erwacht, aber folglich auf sich alleine gestellt. Der finale, nach innen gerichtete Blick Ljubows, lenkt die Aufmerksamkeit auf die tiefe Einsamkeit der Figur. So endet nicht nur das eingangs zitierte Gedicht, sondern auch die in der gleichnamigen Novelle geschilderte Reise durch das Zwischenland mit „ungeheuren Einsamkeiten“, die in Andreas-Salomés wissenschaftlichen Publikationen als Begleiterscheinung der Liebe geschildert werden (vgl.: Andreas-Salomé: Gedanken über das Liebesproblem 1900). Der Traum, in dem die Einsamkeit ein zentrales Element ist, erweist sich als prädestiniert, um die positiv besetzte weibliche Einsamkeit (vgl.: Andreas-Salomé: Narzissmus als Doppelrichtung) literarästhetisch auszugestalten.
Die Prinzessin hat die Initiative ergriffen, ist erwacht, aber folglich auf sich alleine gestellt. Der finale, nach innen gerichtete Blick Ljubows, lenkt die Aufmerksamkeit auf die tiefe Einsamkeit der Figur. So endet nicht nur das eingangs zitierte Gedicht, sondern auch die in der gleichnamigen Novelle geschilderte Reise durch das Zwischenland mit „ungeheuren Einsamkeiten“, die in Andreas-Salomés wissenschaftlichen Publikationen als Begleiterscheinung der Liebe geschildert werden (vgl.: Andreas-Salomé: Gedanken über das Liebesproblem 1900). Der Traum, in dem die Einsamkeit ein zentrales Element ist, erweist sich als prädestiniert, um die positiv besetzte weibliche Einsamkeit (vgl.: Andreas-Salomé: Narzissmus als Doppelrichtung) literarästhetisch auszugestalten.


8. Ausgaben
==== Ausgaben ====
 
Die Seitenangaben der Zitate in diesem Artikel beziehen sich auf die untenstehende ungekürzte, von Britta Benert herausgegeben kritischen Edition.
Die Seitenangaben der Zitate in diesem Artikel beziehen sich auf die untenstehende ungekürzte, von Britta Benert herausgegeben kritischen Edition.


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Wernz, Birgit: Sub-Versionen. Weiblichkeitsentwürfe in den Erzähltexten Lou Andreas-Salomés. Pfaffenweiler: Centaurus, 1997.
Wernz, Birgit: Sub-Versionen. Weiblichkeitsentwürfe in den Erzähltexten Lou Andreas-Salomés. Pfaffenweiler: Centaurus, 1997.


11. Weblinks Werkausgabe und weitere Publikationen zu Leben und Werk von Lou Andreas-Salomé: <nowiki>https://www.medienedition.de/lou-andreas-salome</nowiki>
==== Weblinks ====
Werkausgabe und weitere Publikationen zu Leben und Werk von Lou Andreas-Salomé: <nowiki>https://www.medienedition.de/lou-andreas-salome</nowiki>
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