"Le due chiese" (Sebastiano Vassalli): Unterschied zwischen den Versionen

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Die Schrecken der Kriegserfahrung werden hier durch die Doppeldeutigkeit des Begriffs »incubo« deutlich: Die traumatischen Erlebnisse werden mit der Metapher des Albtraums umschrieben, die den Protagonisten des Nachts, im Schlaf – also in Form eines tatsächlichen Albtraums, heimsuchen. Die Analogie zwischen dem italienischen Begriff und der mythologischen Figur des Incubus oder Nachtmahrs verstärken die Intensität der Metapher noch. Das Ausmaß von Giuseppes Trauma, das sich zu Beginn des Krieges noch in diesen Albträumen äußert, wird potenziert durch einen Granateneinschlag, den Giuseppe zwar körperlich unversehrt überlebt, der ihn jedoch endgültig zum Schüttelneurotiker macht:
Die Schrecken der Kriegserfahrung werden hier durch die Doppeldeutigkeit des Begriffs »incubo« deutlich: Die traumatischen Erlebnisse werden mit der Metapher des Albtraums umschrieben, die den Protagonisten des Nachts, im Schlaf – also in Form eines tatsächlichen Albtraums - heimsuchen. Die Analogie zwischen dem italienischen Begriff und der mythologischen Figur des Incubus oder Nachtmahrs verstärken die Intensität der Metapher noch. Das Ausmaß von Giuseppes Trauma, das sich zu Beginn des Krieges noch in diesen Albträumen äußert, wird potenziert durch einen Granateneinschlag, den Giuseppe zwar körperlich unversehrt überlebt, der ihn jedoch endgültig zum Schüttelneurotiker macht:


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Die Analogie zwischen der Explosion der Granate und dem psychologischen Vorgang in Giuseppes Kopf führt der:m Lesenden das Ausmaß des Traumas eindrücklich vor Augen. Nach einer radikalen Elektroschocktherapie, die überprüfen soll, ob Giuseppe seinen Zustand nicht nur vortäuscht, um aus dem Kriegsdienst entlassen zu werden, wird der Soldat schließlich zum Invaliden erklärt und nach Hause geschickt. Was tatsächlich im Krieg oder danach in Giuseppes Kopf vorgeht – oder vorgegangen ist – enthält uns der Erzähler vor: Er positioniert sich als externer Beobachter der Geschehnisse im Alpendorf, wodurch selbst der kurze Exkurs in Giuseppes Kriegsalltag nur möglich wird, da der Ezähler für einen Moment seine Funktion an die »divina Calliope« (125), Homers Muse, übergibt – eine auktoriale Erzählerin, die dem Lesenden Einblick in Giuseppes Schicksal gibt.
Die Analogie zwischen der Explosion der Granate und dem psychologischen Vorgang in Giuseppes Kopf führt das Ausmaß seines Traumas eindrücklich vor Augen. Nach einer radikalen Elektroschocktherapie, die überprüfen soll, ob Giuseppe seinen Zustand nicht nur vortäuscht, um aus dem Kriegsdienst entlassen zu werden, wird der Soldat schließlich zum Invaliden erklärt und nach Hause geschickt. Was tatsächlich im Krieg oder danach in Giuseppes Kopf vorgeht – oder vorgegangen ist –, enthält uns der Erzähler vor: Er positioniert sich als externer Beobachter der Geschehnisse im Alpendorf, wodurch selbst der kurze Exkurs in Giuseppes Kriegsalltag nur möglich wird, da der Ezähler für einen Moment seine Funktion an die »divina Calliope« (125), Homers Muse, übergibt – eine auktoriale Erzählerin, die dem Lesenden Einblick in Giuseppes Schicksal gibt.


Der Erzähler selbst kann lediglich die äußeren Eindrücke der Dorfbewohner, insbesondere die von Giuseppes Frau Lucciola wiedergeben. Als ihr Gatte mit einem Krankentransport im Bergdorf ankommt, hält sie den Fahrer des Transports dazu an, ihren Gatten wieder mitzunehmen, da er nicht mehr er selbst und zu nichts mehr zu gebrauchen sei: »Io avevo un marito e tu mi riporti un pezzo di legno« (124). Der intertextuelle, metaphorische Verweis auf Pinocchio unterstreicht das ganze Ausmaß des Traumas, das Giuseppe nicht nur geistig verwirrt, sondern innerlich regelrecht tot zurückgelassen hat. Durch das chiasmatische Verhältnis von intensivem Traumerleben, das Schutz und Schrecken zugleich ist, und der völligen inneren Lehre etabliert der Erzähler in Giuseppes Geschichte eine existentielle Verknüpfung zwischen Traum und Trauma.<ref>
Der Erzähler selbst kann lediglich die äußeren Eindrücke der Dorfbewohner, insbesondere die von Giuseppes Frau Lucciola wiedergeben. Als ihr Gatte mit einem Krankentransport im Bergdorf ankommt, hält sie den Fahrer des Transports dazu an, ihren Gatten wieder mitzunehmen, da er nicht mehr er selbst und zu nichts mehr zu gebrauchen sei: »Io avevo un marito e tu mi riporti un pezzo di legno« (124). Der intertextuelle, metaphorische Verweis auf Pinocchio unterstreicht das ganze Ausmaß des Traumas, das Giuseppe nicht nur geistig verwirrt, sondern innerlich regelrecht tot zurückgelassen hat. Durch das chiasmatische Verhältnis von intensivem Traumerleben, das Schutz und Schrecken zugleich ist, und der völligen inneren Leere etabliert der Erzähler in Giuseppes Geschichte eine existentielle Verknüpfung zwischen Traum und Trauma.<ref>Zu Traum und Trauma bei Kriegsheimkehrerfiguren in der Literatur vgl. Nesselhauf 2018, 55–57.</ref></span>
Zu Traum und Trauma bei Kriegsheimkehrerfiguren in der Literatur vgl. Nesselhauf 2018, 55–57.</ref></span>


Die abschließenden Worte des Kapitels verdeutlichen die Schwere des Traumas und die Dimension des Verlusts:
Die abschließenden Worte des Kapitels verdeutlichen die Schwere des Traumas und die Dimension des Verlusts:
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Dieser Abschnitt etabliert eine Analogie zwischen Lucciola und Giuseppe. Denn nicht nur Lucciola hat ihren Gatten verloren, er hat sich selbst verloren und vor allem: alles was sein Leben ausgemacht hat. »Il suo paese«, die Alpen, fassen seine ganze Existenz – von den wenigen Kriegsjahren abgesehen – seine Erinnerungen, seine Familie, sein Dorf. Die Alpen sind immer noch dieselben, im Rhythmus der Jahreszeiten präsentiert sich die Landschaft, die von den Menschen gezähmte Natur immer gleich, hier symbolisiert durch den Duft des frisch gemähten Heus.<ref>zu Vassallis Landschaftskonzeption vgl. Caroli, Daverio, Vassalli 2013.</ref></span>
Dieser Abschnitt etabliert eine Analogie zwischen Lucciola und Giuseppe. Denn nicht nur Lucciola hat ihren Gatten verloren - er hat sich selbst verloren und vor allem: alles, was sein Leben ausgemacht hat. »Il suo paese«, die Alpen, fassen seine ganze Existenz – von den wenigen Kriegsjahren abgesehen – seine Erinnerungen, seine Familie, sein Dorf. Die Alpen sind immer noch dieselben, im Rhythmus der Jahreszeiten präsentiert sich die Landschaft, die von den Menschen gezähmte Natur immer gleich, hier symbolisiert durch den Duft des frisch gemähten Heus.<ref>Zu Vassallis Landschaftskonzeption vgl. Caroli, Daverio, Vassalli 2013.</ref></span> Diese sinnlichen Assoziationen, die aus der Landschaft erst die Heimat werden lassen jedoch finden gänzlich im Kopf der Einheimischen statt - und den hat Giuseppe im Krieg verloren, wie der Fahrer des Transports wortwörtlich verdeutlich: »E andato via con la testa« (LDC 123).
Diese sinnlichen Assoziationen, die aus der Landschaft erst die Heimat werden lassen jedoch finden gänzlich im Kopf der Einheimischen statt und den hat Giuseppe im Krieg verloren, wie der Fahrer des Transports wortwörtlich verdeutlich: »E andato via con la testa« (LDC 123).


<div style="text-align: right;">[[Autoren|Sophia Mehrbrey]]</div>
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Sophia Mehrbrey]]</div>

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