"Traumgekrönt" (Alban Berg): Unterschied zwischen den Versionen

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Abbildung 1: Form von ''Traumgekrönt'', in Anlehnung an Lynch 2014, 62 (mit mehreren Korrekturen bezüglich der Taktzahlen).
Abbildung 1: Form von ''Traumgekrönt'', in Anlehnung an Lynch 2014, 62 (mit mehreren Korrekturen bezüglich der Taktzahlen).


Gemäß der Analyse von Lynch zeigt sich, dass innerhalb des Stückes ein ständiges Abwechseln, gar ein Wechselspiel, hinsichtlich verschiedener musikalischer Gestaltungsparameter stattfindet, z.B. bezüglich des vorherrschenden harmonischen Zentrums, der verwendeten musikalischen Motive, des Vorherrschens von diatonischer im Gegensatz zu chromatischer Harmonik (vgl. dazu auch Butu 2020, 211) oder auch der Bewegtheit des Notensatzes im Klavier sowie die Länge der Phrasen im Gesangsvortrag. Mit diesem Wechselspiel, das verschiedene musikalische Materialien betrifft, bildet Alban Berg das Schweben zwischen Wach- und Traumwelt, das auch den Rilke-Text bestimmt, analog musikalisch ab. Beispielsweise ist im Hinblick auf die Motivik das, „was in der ersten Strophe zu den ersten beiden Versen der Hauptstimme Begleitung war, [.] zu Beginn der zweiten [Strophe] Gesang [wird] – und umgekehrt“ (Stenzl 1991, 84), das im Folgenden noch näher betrachtete ''Motiv a''. Alban Berg kann so das bereits erwähnte Wechselspiel zwischen den ,Welten‘ anhand der Verwendung nahezu identischen musikalischen Materials in ,der jeweils anderen Welt‘ herbeiführen, was gleichzeitig durch die unvermittelten Übergänge einen traumartigen Klangeindruck, d. h. eine musikalische Traumästhetik erzeugen kann, aber gleichzeitig auch durch die konsequente Handhabung des musikalischen Materials die notwendige Kohärenz innerhalb des Stückes herstellt. Die hier verfolgte Grundidee, moderne Kunstwerke aus einer Traumlogik zu begründen und den Traum als ein Prinzip der formalen Gestaltung moderner Kunst einzusetzen, geht auf Charles Baudelaire zurück und spielt nicht nur in der modernen Dichtung und Literatur, wie z. B. bei Lautréamont oder Lewis Carroll (Lenk 1976), sondern auch in der modernen Musik eine Rolle (Stenzl 1991, 64-65; Stenzl 1996, 129). Das oben bereits angedeutete Wechselspiel im Umgang mit dem musikalischen Material in Alban Bergs ''Traumgekrönt'' entspricht eben dieser Idee, Formelemente der Musik traumartig zu konfigurieren und so den musikalischen Effekt des Hin- und Herwechselns zwischen Traum- und Wachwelt musikalisch zu fassen.


In ''Traumgekrönt'', einer der letzten Kompositionen Bergs, die vorwiegend durch Dur-Moll-Tonalität geprägt sind (Archibald 1995, 100), herrscht, obwohl Berg mit den vom ihm notierten Vorzeichen die Tonart ''g-Moll'' signalisiert, weder eine eindeutige Tonart, noch ein klares tonales Zentrum vor (Lynch 2014, 5). Das Stück ist zwischenzeitlich sowohl deutlich von chromatischen Entwicklungen als auch von der Verwendung von Ganztonleitern bestimmt und oszilliert zwischen verschiedenen Tonarten (u. a. ''g-Moll'', ''Fes-'' bzw. ''F-Dur'', ''a-Moll'' etc., vgl. für Details Lynch 2014, 62), ohne jedoch eine Tonart stark bzw. klar und deutlich, z. B. durch eindeutige Kadenzen zur Tonika, zu bestätigen. Diese harmonische Ambiguität und der somit musikalisch simulierte Schwebezustand korrespondieren ebenso mit Anlage und Inhalt von Rilkes traumartigem Gedicht (Lynch 2014, 61).
Gemäß der Analyse von Lynch zeigt sich, dass innerhalb des Stückes ein ständiges Abwechseln, gar ein Wechselspiel, verschiedener musikalischer Gestaltungsparameter stattfindet, z.B. des vorherrschenden harmonischen Zentrums, der verwendeten musikalischen Motive, des Vorherrschens von diatonischer im Gegensatz zu chromatischer Harmonik (vgl. dazu auch Butu 2020, 211) oder auch der Bewegtheit des Notensatzes im Klavier sowie die Länge der Phrasen im Gesangsvortrag. Mit diesem Wechselspiel bildet Alban Berg das Schweben zwischen Wach- und Traumwelt, das auch den Rilke-Text bestimmt, analog musikalisch ab. Beispielsweise ist im Hinblick auf die Motivik das, „was in der ersten Strophe zu den ersten beiden Versen der Hauptstimme Begleitung war, [.] zu Beginn der zweiten [Strophe] Gesang [wird] – und umgekehrt“ (Stenzl 1991, 84), das im Folgenden noch näher betrachtete ''Motiv a''. Alban Berg kann so das bereits erwähnte Wechselspiel zwischen den ,Welten‘ anhand der Verwendung nahezu identischen musikalischen Materials in ,der jeweils anderen Welt‘ herbeiführen, was gleichzeitig durch die unvermittelten Übergänge einen traumartigen Klangeindruck, d.h. eine musikalische Traumästhetik erzeugen kann, aber gleichzeitig durch die konsequente Handhabung des musikalischen Materials auch die notwendige Kohärenz innerhalb des Stückes herstellt. Die hier verfolgte Grundidee, moderne Kunstwerke aus einer Traumlogik zu begründen und den Traum als ein Prinzip der formalen Gestaltung moderner Kunst einzusetzen, geht auf Charles Baudelaire zurück und spielt nicht nur in der modernen Dichtung und Literatur, wie z.B. bei Lautréamont oder Lewis Carroll (Lenk 1976), sondern auch in der modernen Musik eine Rolle (Stenzl 1991, 64-65; Stenzl 1996, 129). Das oben bereits angedeutete Wechselspiel im Umgang mit dem musikalischen Material in Alban Bergs ''Traumgekrönt'' entspricht eben dieser Idee, Formelemente der Musik traumartig zu konfigurieren und so den musikalischen Effekt des Hin- und Herwechselns zwischen Traum- und Wachwelt musikalisch zu fassen.


Ein weiterer, musikalisch bedeutsamer Bezugspunkt, welcher die traumartige Anlage des Stücks bestimmt, liegt in der Motivik, die sich insgesamt aus wenigen musikalischen Keimzellen entwickelt (Adorno 2003e, 106; Dopheide 1990, 238f., Lynch 2014, 61 und 104; Butu 2020, 211,). Von besonderer Bedeutung ist ein kurzes viertöniges Motiv, welches direkt zu Beginn des Stücks im Klavier erklingt. Berg verwendet diese wenigen zentralen Motive in zahlreichen unterschiedlichen Variationen und Formen, was zu einer intensiven motivischen Sättigung und hohen musikalischen Dichte des Stückes führt (Lynch 2014, 13), weshalb es auch als „kompositorisch wohl reifste[s] und geformteste[s]“ der frühen Lieder Bergs gilt (Adorno 2003e, 105-106). Adorno sieht das Lied außerdem als „in der Auseinandersetzung mit Schönbergs Kammersymphonie, als weit geförderte Vorstudie zur Sonate“ (Adorno 2003c, 386), Bergs als op. 1 ausgezeichnete Klaviersonate. Später präzisiert Adorno hinsichtlich der motivischen Arbeit im Stück :
In ''Traumgekrönt'', einer der letzten Kompositionen Bergs, die vorwiegend durch Dur-Moll-Tonalität geprägt sind (Archibald 1995, 100), herrscht, obwohl Berg mit den vom ihm notierten Vorzeichen die Tonart ''g-Moll'' signalisiert, weder eine eindeutige Tonart noch ein klares tonales Zentrum vor (Lynch 2014, 5). Das Stück ist sowohl deutlich von chromatischen Entwicklungen als auch von der Verwendung von Ganztonleitern bestimmt und oszilliert zwischen verschiedenen Tonarten (u.a. ''g-Moll'', ''Fes-'' bzw. ''F-Dur'', ''a-Moll'' etc.; vgl. für Details Lynch 2014, 62), ohne jedoch eine davon stark bzw. klar und deutlich, z. B. durch eindeutige Kadenzen zur Tonika, zu bestätigen. Diese harmonische Ambiguität und der somit musikalisch simulierte Schwebezustand korrespondieren ebenso mit Anlage und Inhalt von Rilkes traumartigem Gedicht (Lynch 2014, 61).
 
Ein weiterer, musikalisch bedeutsamer Bezugspunkt, welcher die traumartige Anlage des Stücks bestimmt, liegt in der Motivik, die sich insgesamt aus wenigen musikalischen Keimzellen entwickelt (Adorno 2003e, 106; Dopheide 1990, 238 f., Lynch 2014, 61 und 104; Butu 2020, 211,). Von besonderer Bedeutung ist ein kurzes viertöniges Motiv, welches direkt zu Beginn des Stücks im Klavier erklingt. Berg verwendet diese wenigen zentralen Motive in zahlreichen unterschiedlichen Variationen und Formen, was zu einer intensiven motivischen Sättigung und hohen musikalischen Dichte des Stückes führt (Lynch 2014, 13), weshalb es auch als „kompositorisch wohl reifstes und geformtestes“ der frühen Lieder Bergs gilt (Adorno 2003e, 105-106). Adorno sieht das Lied außerdem als „in der Auseinandersetzung mit Schönbergs Kammersymphonie, als weit geförderte Vorstudie zur Sonate“ (Adorno 2003c, 386), Bergs als op. 1 ausgezeichnete Klaviersonate. Später präzisiert Adorno hinsichtlich der motivischen Arbeit im Stück :


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Was Adorno hier hinsichtlich der Vergrößerungen und Verkleinerungen des motivischen Materials anspricht – Berg verwendet hier auch noch weitere Verfahren der Motivvariation, wie z. B. Transposition, Anpassungen bzgl. der Intervallstruktur innerhalb eines Motivs, Fragmentierung oder in der orchestrierten Fassung von 1928 auch Registerwechsel (vgl. DeVoto 1995, Lynch 2014, 63) –, sind in der Zeit der Komposition von ''Traumgekrönt'' zwar zunehmend etablierte, d. h. gängige moderne Kompositionsverfahren („entwickelnden Variation“, Lynch 2014, 13), derer sich nicht nur die Zweite Wiener Schule bediente. Allerdings könnte die motivische Arbeit in ''Traumgekrönt'' – einem Stück, das in mehrfacher Hinsicht einen expliziten Traumbezug aufweist – auch als ein offensichtlich im Dienst der musikalischen Erzeugung einer Traumästhetik eingesetztes Verfahren aufgefasst werden. Intensiver wissenschaftlich aufgearbeitet ist die Beschäftigung der Komponisten der Zweiten Wiener Schule mit den Ideen der Psychoanalyse zwar erst ab 1908 (Carpenter 2015) und, dass Alban Berg Sigmund Freuds ''Die Traumdeutung'' zum Zeitpunkt der Komposition von ''Traumgekrönt'' im Jahr 1907 nicht nur rezipiert, sondern die dortigen Ideen auch verarbeitet haben könnte, bleibt aus Sicht der Entstehungsgeschichte von ''Traumgekrönt'' bislang Spekulation. Allerdings erscheint dies zumindest nicht abwegig, zumal sich Freud und Berg im relevanten Zeitraum persönlich getroffen hatten, nämlich im Jahr 1900 und auch im Jahr 1907 (Oberlerchner und Tögel 2015). Die im Stück verwendete entwickelnde Variation der Motivik sowie die entwickelnde Variation im Allgemeinen weisen eine gewisse Ähnlichkeit zu den Verfahrensweisen des „Unbewussten“ mit dem „Traummaterial“ auf, der sog. „Traumarbeit“, die Sigmund Freud in ''Die Traumdeutung'' beschreibt (z. B. „Verdichtung“ und „Verschiebung“, Freud 2014, 284ff.). Eine Ähnlichkeit ergibt sich insofern, als sowohl in der Traumarbeit als auch in der musikalischen Arbeit mit den zu verarbeitenden Motiven das „Material“ verändert, fragmentiert und neu zusammengesetzt wird und dabei auch (Bedeutungs-)Akzente verschoben werden können. Petra Gehring spricht im Kontext von Freuds Theorie bei der Erläuterung der „Bauweise von Träumen“ gar von „der kompositorischen Arbeit des Traumes“ (Gehring 2008, 168-169), was ebenso auf diesen Zusammenhang hindeutet. Im Lauf des Stückes ''Traumgekrönt'' wird das motivische Material verschiedenen Transformationsprozessen unterzogen, d. h. es durchläuft „Metamorphosen“, was zu einer „traumähnlichen“ Instabilität von Identitäten (Kreutzer 2014, 84) führt. Motive sind zwar in ihrer Ursprungsgestalt noch erkennbar, treten aber umgeformt und verändert auf.
Was Adorno hier hinsichtlich der Vergrößerungen und Verkleinerungen des motivischen Materials anspricht – Berg verwendet auch noch weitere Verfahren der Motivvariation, wie z. B. Transposition, Anpassungen bzgl. der Intervallstruktur innerhalb eines Motivs, Fragmentierung oder in der orchestrierten Fassung von 1928 auch Registerwechsel (vgl. DeVoto 1995, Lynch 2014, 63) –, sind in der Zeit der Komposition von ''Traumgekrönt'' zwar zunehmend etablierte, d.h. gängige moderne Kompositionsverfahren („entwickelnde Variation“; Lynch 2014, 13), derer sich nicht nur die Zweite Wiener Schule bediente. Allerdings könnte die motivische Arbeit in ''Traumgekrönt'' – einem Stück, das in mehrfacher Hinsicht einen expliziten Traumbezug aufweist – auch als ein offensichtlich im Dienst der musikalischen Erzeugung einer Traumästhetik eingesetztes Verfahren aufgefasst werden. Intensiver wissenschaftlich aufgearbeitet ist die Beschäftigung der Komponisten der Zweiten Wiener Schule mit den Ideen der Psychoanalyse zwar erst ab 1908 (Carpenter 2015); dass Alban Berg Sigmund Freuds ''Die Traumdeutung'' zum Zeitpunkt der Komposition von ''Traumgekrönt'' im Jahr 1907 nicht nur rezipiert, sondern die dortigen Ideen auch verarbeitet haben könnte, bleibt aus Sicht der Entstehungsgeschichte von ''Traumgekrönt'' daher bislang Spekulation. Allerdings erscheint dies zumindest nicht abwegig, zumal sich Freud und Berg im relevanten Zeitraum (1900 und 1907) persönlich getroffen hatten (Oberlerchner/Tögel 2015). Die im Stück verwendete entwickelnde Variation der Motivik sowie die entwickelnde Variation im Allgemeinen weisen eine gewisse Ähnlichkeit zu den Verfahrensweisen des „Unbewussten“ mit dem „Traummaterial“ auf, der sog. „Traumarbeit“, die Sigmund Freud in ''Die Traumdeutung'' beschreibt (z. B. „Verdichtung“ und „Verschiebung“; Freud 2014, 284 ff.). Eine Ähnlichkeit ergibt sich insofern, als sowohl in der Traumarbeit als auch in der musikalischen Arbeit mit den zu verarbeitenden Motiven das „Material“ verändert, fragmentiert und neu zusammengesetzt wird und dabei auch (Bedeutungs-)Akzente verschoben werden können. Petra Gehring spricht im Kontext von Freuds Theorie bei der Erläuterung der „Bauweise von Träumen“ gar von „der kompositorischen Arbeit des Traumes“ (Gehring 2008, 168 f.), was ebenso auf diesen Zusammenhang hindeutet. Im Lauf des Stückes ''Traumgekrönt'' wird das motivische Material verschiedenen Transformationsprozessen unterzogen, d.h. es durchläuft „Metamorphosen“, was zu einer „traumähnlichen“ Instabilität von Identitäten (Kreutzer 2014, 84) führt. Motive sind zwar in ihrer Ursprungsgestalt noch erkennbar, treten aber umgeformt und verändert auf.


Diese Hypothese wird hier deshalb geäußert und scheint plausibel, weil Berg den Traumbezug seines Stückes ''Traumgekrönt'' explizit über mehrere äußere Merkmale des Stückes, d. h. nicht nur über die eben beschriebenen Merkmale der musikalischen Faktur, sondern z. B. auch über den Titel, herstellt und ausdrücklich auf ihn aufmerksam macht (Redepenning 2020, 688 f.). Insofern können die verwendeten Kompositionsverfahren und insbesondere die motivische Arbeit als explizit traumbezogen gedeutet werden, weil sie auf musikalische Art und Weise verschiedenen oben genannten Eigenschaften von erzählenden Traumdarstellungen, z. B. bezüglich der Herstellung musikalischer Kohärenz, vorhandener logischer Brüche in der Form oder auch der Instabilität von Identitäten innerhalb des musikalischen Materials, gerecht werden.
Diese Hypothese wird hier deshalb geäußert und scheint plausibel, weil Berg den Traumbezug seines Stückes ''Traumgekrönt'' explizit über mehrere äußere Merkmale des Stückes, d.h. nicht nur über die eben beschriebenen Merkmale der musikalischen Faktur, sondern z.B. auch über den Titel, herstellt und ausdrücklich auf ihn aufmerksam macht (Redepenning 2020, 688 f.). Insofern können die verwendeten Kompositionsverfahren und insbesondere die motivische Arbeit als explizit traumbezogen gedeutet werden, weil sie auf musikalische Art und Weise verschiedenen oben genannten Eigenschaften erzählender Traumdarstellungen gerecht werden, z.B. bezüglich der Herstellung musikalischer Kohärenz, vorhandener logischer Brüche in der Form oder auch der Instabilität von Identitäten innerhalb des musikalischen Materials.


Die folgenden Abbildungen zeigen exemplarisch Bergs Variationsarbeit bezüglich des von Lynch (2014) so bezeichneten ''Motivs a'' (fes – es – b – a), das eine symmetrische Struktur aufweist (fallender Halbtonschritt, aufsteigende reine Quinte, fallender Halbtonschritt) und eine schwebende, uneindeutige Tonalität entstehen lässt, sowie die sich weiterhin aus diesem Motiv durch ‚entwickelnde Variation‘ ergebenden Abwandlungen bzw. durchlaufene Metamorphosen.
Die folgenden Abbildungen zeigen exemplarisch Bergs Variationsarbeit bezüglich des von Lynch (2014) so bezeichneten ''Motivs a'' (fes – es – b – a), das eine symmetrische Struktur aufweist (fallender Halbtonschritt, aufsteigende reine Quinte, fallender Halbtonschritt) und eine schwebende, uneindeutige Tonalität entstehen lässt, sowie die sich weiterhin aus diesem Motiv durch ‚entwickelnde Variation‘ ergebenden Abwandlungen bzw. durchlaufene Metamorphosen.
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Abb. 8: Motiv a, einziges Auftreten in der Gesangsstimme in Takt 15-17, als Echo bzw. Wiederaufnahme des Klaviermaterials aus Takt 1-3 (Quelle: Lynch 2014, 64)
Abb. 8: Motiv a, einziges Auftreten in der Gesangsstimme in Takt 15-17, als Echo bzw. Wiederaufnahme des Klaviermaterials aus Takt 1-3 (Quelle: Lynch 2014, 64)


Folgende Abbildungen zeigen Bergs Variationsarbeit bezüglich des ''Motivs b'', das erstmals in der Gesangsstimme erklingt und sich anschließend ebenso in variierter Form durch die Klavierstimme zieht (Lynch 2014, 65).
Die folgenden Abbildungen zeigen Bergs Variationsarbeit bezüglich des ''Motivs b'', das erstmals in der Gesangsstimme erklingt und sich anschließend ebenso in variierter Form durch die Klavierstimme zieht (Lynch 2014, 65).


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Abb. 12: Rhythmisches Echo des Motivs b in Takt 28 (Quelle: Lynch 2014, 65)
Abb. 12: Rhythmisches Echo des Motivs b in Takt 28 (Quelle: Lynch 2014, 65)


Darüber erklingt ein drittes Motiv (''Motiv c'') sowohl in der Gesangs- als auch leicht angepasst in der Klavierstimme (Lynch 2014, 65), was durch folgende Abbildungen ersichtlich wird.
Darüber erklingt ein drittes Motiv (''Motiv c'') sowohl in der Gesangs- als auch, leicht angepasst, in der Klavierstimme (Lynch 2014, 65), was durch folgende Abbildungen ersichtlich wird:


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In ihrer Analyse zeigt Lynch weiterhin im Detail, wie genau die kontrapunktische Verwendung und Überlagerung insbesondere dieser vier Motive und ihrer Varianten nahezu sämtliche Klänge und Harmonien innerhalb des Stückes erzeugen bzw. wie diese bis zu den vier motivischen „Keimzellen“ zurückverfolgt werden können (Lynch 2014, 63-72 und 104). Neben der uneindeutigen harmonischen Entwicklung des Stücks setzt Alban Berg das Schweben zwischen den Welten insbesondere durch die entwickelnde Variation der gewählten und sehr dicht gesetzten Motive um, die verschiedene Metamorphosen durchlaufen und sich derart weiterentwickeln. Berg erzeugt so eine zwar musikalisch kohärente, aber trotzdem mit traumähnlichen Übergängen bzw. Brüchen versehene musikalische Faktur und mit ihr eine zwischen Traum und Wachzustand wechselnde verklärte Stimmung, die dem zugrundeliegenden Rilke-Gedicht entspricht.
In ihrer Analyse zeigt Lynch weiterhin im Detail, wie genau die kontrapunktische Verwendung und Überlagerung insbesondere dieser vier Motive und ihrer Varianten nahezu sämtliche Klänge und Harmonien innerhalb des Stückes erzeugt bzw. wie diese bis zu den vier motivischen „Keimzellen“ zurückverfolgt werden können (Lynch 2014, 63-72 und 104). Neben der uneindeutigen harmonischen Entwicklung des Stücks setzt Alban Berg das Schweben zwischen den Welten insbesondere durch die entwickelnde Variation der gewählten und sehr dicht gesetzten Motive um, die verschiedene Metamorphosen durchlaufen und sich derart weiterentwickeln. Berg erzeugt so eine zwar musikalisch kohärente, aber trotzdem mit traumähnlichen Übergängen bzw. Brüchen versehene musikalische Faktur und mit ihr eine zwischen Traum und Wachzustand wechselnde verklärte Stimmung, die dem zugrundeliegenden Rilke-Gedicht entspricht.


<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
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* Lenk, Elisabeth: Der Traum als Konstruktionsprinzip bei Lautréamont und Carroll. In: Comte de Lautréamont [Isidore Ducasse]: Die Gesänge des Maldoror. Übers. von Ré Soupault. München: Rogner & Bernhard 1976, 294-317.
* Lenk, Elisabeth: Der Traum als Konstruktionsprinzip bei Lautréamont und Carroll. In: Comte de Lautréamont [Isidore Ducasse]: Die Gesänge des Maldoror. Übers. von Ré Soupault. München: Rogner & Bernhard 1976, 294-317.
* Lynch, Lisa A.: Alban Berg’s Sieben frühe Lieder. An Analysis of Musical Structures and Selected Performances. Diss. University of Connecticut 2014; [https://opencommons.uconn.edu/dissertations/480 online] (4.4.22).
* Lynch, Lisa A.: Alban Berg’s Sieben frühe Lieder. An Analysis of Musical Structures and Selected Performances. Diss. University of Connecticut 2014; [https://opencommons.uconn.edu/dissertations/480 online] (4.4.22).
* o. V.: Traumgekrönt. Analysis. https://www.cram.com/essay/Liebe-And-Traumgek%C3%B6nt-Analysis/PCG78M896U, letzter Abruf: 09.04.2022.
* Oberlerchner, Herwig/Christfried Tögel: Freud in Kärnten – Eine Recherche. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 28 (2015) 55, 158-168.
* Oberlerchner, Herwig/Christfried Tögel: Freud in Kärnten – Eine Recherche. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse 28 (2015) 55, 158-168.
* Pople, Anthony: Vier frühe Werke. Diesseits und Jenseits der Tonalität. In: Ders. (Hg.): Alban Berg und seine Zeit [Originalausgabe: The Cambridge Companion to Berg]. Übers. von Susanne Gänshirt und Ute Henseler. Laaber: Laaber-Verlag 2000, 88-120.
* Pople, Anthony: Vier frühe Werke. Diesseits und Jenseits der Tonalität. In: Ders. (Hg.): Alban Berg und seine Zeit [Originalausgabe: The Cambridge Companion to Berg]. Übers. von Susanne Gänshirt und Ute Henseler. Laaber: Laaber-Verlag 2000, 88-120.

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