"Traumsymbole des Individuationsprozesses" (Carl Gustav Jung): Unterschied zwischen den Versionen

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==Die Rolle der Alchemie für die Analyse des Individuationsprozess anhand von Traumserien ==
==Die Rolle der Alchemie für die Analyse des Individuationsprozess anhand von Traumserien ==
Träume fungieren nach Jung als Brücke zwischen dem einem Menschen innewohnenden Potenzial und dem zum gleichen Zeitpunkt im realen Alltagsleben wirklich Erreichten (Ermann 2014, 49-50). Träume würden dabei eine "spontane Selbstdarstellung der aktuellen Lage des Selbst in symbolischer Ausdrucksform" (GW 8, 300) repräsentieren. Dabei sei die normale psychische Entwicklung, so Jung, durch eine ausgeprägte "Folgerichtigkeit in der Entwicklung des zentralen Symbols" (TS 239) gekennzeichnet. Demgegenüber schließe eine gescheiterte Individuation mit einer psychischen Katastrophe, meist einer Psychose, ab (TS 239 f.). Die spiralförmige Bewegung des unbewussten Prozesses im Traum um ein Zentrum oder eine Mitte verweist dabei  in letzter Instanz – ähnlich wie Magnetnadeln (TS 241) – auf das zentrale Symbol des ''Selbst''. Die Entstehung des Mandalamotivs im Laufe der Traumserie mache es in diesem Zusammenhang wahrscheinlich, dass dieses zentrale Symbol meist bereits als Archetypus beziehungsweise "ewige Präsenz" in den ersten Initialträumen der Träumer*innen auftauche. Dieser zunächst fremd erscheinende Archetypus differenziere sich allerdings im Verlaufe von Traumserien zusehends aus und verhelfe dem Individuum über "anthropomorphe Umdeutungen" zu einer auf die eigene Lebenswelt hin bezogenen Orientierung  (TS 245 f.).  
Träume fungieren nach Jung als Brücke zwischen dem einem Menschen innewohnenden Potenzial und dem zum gleichen Zeitpunkt im realen Alltagsleben wirklich Erreichten (Ermann 2014, 49-50). Träume würden dabei eine "spontane Selbstdarstellung der aktuellen Lage des Selbst in symbolischer Ausdrucksform" (GW 8, 300) repräsentieren. Dabei sei die normale psychische Entwicklung, so Jung, durch eine ausgeprägte "Folgerichtigkeit in der Entwicklung des zentralen Symbols" (TS 239) gekennzeichnet. Demgegenüber schließe eine gescheiterte Individuation mit einer psychischen Katastrophe, meist einer Psychose, ab (TS 239 f.). Die spiralförmige Bewegung des unbewussten Prozesses im Traum um ein Zentrum oder eine Mitte verweist dabei  in letzter Instanz – ähnlich wie Magnetnadeln (TS 241) – auf das zentrale Symbol des ''Selbst''. Die Entstehung des Mandalamotivs im Laufe der Traumserie mache es in diesem Zusammenhang wahrscheinlich, dass dieses zentrale Symbol meist bereits als Archetypus beziehungsweise "ewige Präsenz" in den ersten Initialträumen der Träumer*innen auftauche. Dieser zunächst fremd erscheinende Archetypus differenziere sich allerdings im Verlaufe von Traumserien zusehends aus und verhelfe dem Individuum über "anthropomorphe Umdeutungen" zu einer auf die eigene Lebenswelt hin bezogenen Orientierung  (TS 245 f.).  
Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass Jung sich selbst dafür kritisierte, auf die Alchemie angewiesen gewesen zu sein. Die in seinen Werken getätigten und auf Interpretationen von Imaginationen und Träumen basierenden Theorien wären laut eigenem Befinden ohne den "in Stein verwandelt[en] […] heißen Basalt" des aus der Geschichte der Alchemie übernommenen Motivreservoirs gar nicht möglich gewesen, was ihm aus der Rückschau betrachtet selbst wie "Dilettantismus" vorgekommen ist (Bair 2005, 709). Jung drückt mit diesem sprachlichen Bild des versteinerten Basalts also nicht weniger als seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von ihm vorgenommenen "Entlehnung" aus. Zum Vorwurf machte er sich in diesem Zusammenhang insbesondere, dass er der Alchemie als Hilfsdisziplin zur Verschiebung der eng gesteckten Erkenntnisgrenzen der Psychoanalyse bedurft hatte.
Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass Jung sich selbst dafür kritisierte, auf die Alchemie angewiesen gewesen zu sein. Die in seinen Werken getätigten und auf Interpretationen von Imaginationen und Träumen basierenden Theorien wären laut eigenem Befinden ohne den "in Stein verwandelt[en] […] heißen Basalt" des aus der Geschichte der Alchemie übernommenen Motivreservoirs gar nicht möglich gewesen, was ihm aus der Rückschau betrachtet selbst wie "Dilettantismus" vorgekommen ist (Bair 2005, 709). Jung drückt mit diesem sprachlichen Bild des versteinerten Basalts also nicht weniger als seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von ihm vorgenommenen "Entlehnung" aus. Zum Vorwurf machte er sich in diesem Zusammenhang insbesondere, dass er der Alchemie als Hilfsdisziplin zur Verschiebung der eng gesteckten Erkenntnisgrenzen der Psychoanalyse bedurft hatte: "Das war auch das Gefühl, das ich bezüglich der Alchemie empfand: Ich habe es zusammengeklaubt. Alchemie – das kam nicht von innen" (zit. nach: Bair 2005, 709). Nichtsdestoweniger glaubte Jung trotz methodischer Zweifel bis zuletzt unerschütterlich an den praktischen Nutzen "der Suche alten Alchemisten nach Verwandlung" für seine "moderne Suche nach erfolgreicher Individuation" (Bair 2005, 524)
 
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Nichtsdestoweniger glaubte Jung trotz methodischer Zweifel bis zuletzt unerschütterlich an den praktischen Nutzen "der Suche alten Alchemisten nach Verwandlung" für seine "moderne Suche nach erfolgreicher Individuation" (Bair 2005, 524)


Inspiriert zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Alchemie sei Jung nicht zuletzt durch die persönliche Bekanntschaft mit dem renommierten Sinologen Richard Wilhelm geworden, wie er in seiner Einleitung zu ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' freimütig einräumt. Insbesondere die Lektüre von dessen ''Das Geheimnis der goldenen Blüte'' (Bair 2005, 525) habe ihn künftig dauerhaft geprägt. Vor allem die Symbolsprache des historisch gesehen oft subversiv geführten alchemistischen Diskurses gegen die christliche Dogmatik hätten ihm in seiner tiefenpsychologischen Akzentsetzung geholfen:  
Inspiriert zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Alchemie sei Jung nicht zuletzt durch die persönliche Bekanntschaft mit dem renommierten Sinologen Richard Wilhelm geworden, wie er in seiner Einleitung zu ''Traumsymbole des Individuationsprozesses'' freimütig einräumt. Insbesondere die Lektüre von dessen ''Das Geheimnis der goldenen Blüte'' (Bair 2005, 525) habe ihn künftig dauerhaft geprägt. Vor allem die Symbolsprache des historisch gesehen oft subversiv geführten alchemistischen Diskurses gegen die christliche Dogmatik hätten ihm in seiner tiefenpsychologischen Akzentsetzung geholfen:  
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<div style="text-align: right;">[[Autoren|Till Speicher]]</div>
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==Literaturverzeichnis==
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