"Manifeste du surréalisme" (André Breton): Unterschied zwischen den Versionen

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Ausgehend vom ''Manifeste du surréalisme'' finden sich im Gesamtwerk Bretons einige weitere Schriften - wie ''Nadja'' (1928), ''Les vases communicants'' (1932) oder ''L’amour fou'' (1937) -, bei denen diverse Aspekte des Traumes eine wichtige Position einnehmen. Anhand seiner Aussagen zu Kunst und Ästhetik treten sowohl sein erweitertes Interesse an der Schaffung von traumhaften Werken als auch deren Wirkungsmechanismen in Kunst und Literatur hervor (Goumegou 2007, 315–333).
Ausgehend vom ''Manifeste du surréalisme'' finden sich im Gesamtwerk Bretons einige weitere Schriften - wie ''Nadja'' (1928), ''Les vases communicants'' (1932) oder ''L’amour fou'' (1937) -, bei denen diverse Aspekte des Traumes eine wichtige Position einnehmen. Anhand seiner Aussagen zu Kunst und Ästhetik treten sowohl sein erweitertes Interesse an der Schaffung von traumhaften Werken als auch deren Wirkungsmechanismen in Kunst und Literatur hervor (Goumegou 2007, 315–333).


==Entstehungs- und Veröffentlichungszusammenhang des ersten Manifeste du surréalisme==
==Entstehungs- und Veröffentlichungszusammenhang des ersten Manifeste du surréalisme==
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In den nachfolgenden Kapiteln wird Bretons Argumentationskette behandelt, deren Teilaspekte (Imagination, Freiheit, Traum, Realität und traumtheoretische Bezüge) teilweise recht vage miteinander verwoben sind. Diese Verknüpfungen herzustellen, obliegt zumeist den Lesenden. Bretons Argumentation wird zudem durch gedankliche Einschübe öfters unterbrochen. Dadurch ergeben sich entweder nachträgliche Bedeutungserweiterungen von Begrifflichkeiten, die zudem nicht immer im ursprünglichen Sinnkontext auftreten, oder es können erst im Laufe des Lesens inhaltliche Rückbezüge hergestellt werden (Bürger 1994, 63). Diese Fragmentierung der Argumentation innerhalb der Schrift kann in einem Zusammenhang mit der surrealistischen Ästhetik und den dadurch ausgelösten Assoziationen von Betrachtenden bzw. Lesenden gesehen werden; Breton verweist beispielsweise in seinen Ausführungen auch auf Collagen von Pablo Picasso (1881-1973) und Georges Braque (1882-1963) und geht anschließend zu einem experimentellen Gedicht über, das aus ausgeschnitten Zeitungstiteln zusammengesetzt wurde (MS 53–56; MSd 38–40). An dieser Stelle werden durch die geschilderte Technik die Wechselwirkungen zwischen bildender Kunst und Literatur deutlich, die für die Gruppe der Surrealisten in Paris essenziell war.
In den nachfolgenden Kapiteln wird Bretons Argumentationskette behandelt, deren Teilaspekte (Imagination, Freiheit, Traum, Realität und traumtheoretische Bezüge) teilweise recht vage miteinander verwoben sind. Diese Verknüpfungen herzustellen, obliegt zumeist den Lesenden. Bretons Argumentation wird zudem durch gedankliche Einschübe öfters unterbrochen. Dadurch ergeben sich entweder nachträgliche Bedeutungserweiterungen von Begrifflichkeiten, die zudem nicht immer im ursprünglichen Sinnkontext auftreten, oder es können erst im Laufe des Lesens inhaltliche Rückbezüge hergestellt werden (Bürger 1994, 63). Diese Fragmentierung der Argumentation innerhalb der Schrift kann in einem Zusammenhang mit der surrealistischen Ästhetik und den dadurch ausgelösten Assoziationen von Betrachtenden bzw. Lesenden gesehen werden; Breton verweist beispielsweise in seinen Ausführungen auch auf Collagen von Pablo Picasso (1881-1973) und Georges Braque (1882-1963) und geht anschließend zu einem experimentellen Gedicht über, das aus ausgeschnitten Zeitungstiteln zusammengesetzt wurde (MS 53–56; MSd 38–40). An dieser Stelle werden durch die geschilderte Technik die Wechselwirkungen zwischen bildender Kunst und Literatur deutlich, die für die Gruppe der Surrealisten in Paris essenziell war.


==Imagination und Freiheit==
==Imagination und Freiheit==
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Er leitet nachfolgend zu den Halluzinationen, Illusionen, Einbildungen von geistig erkrankten Personen über und schildert, dass deren Handlungen mit gesellschaftlichen Normen kollidieren. Jedoch vermutet Breton, dass Imaginationen zugleich den Betroffenen Trost verschaffen. Daher ist aus seiner Sicht der Verfall des Wahnsinns durch Imaginationen nicht zu fürchten (MS 15 f.; MSd 12).
Er leitet nachfolgend zu den Halluzinationen, Illusionen, Einbildungen von geistig erkrankten Personen über und schildert, dass deren Handlungen mit gesellschaftlichen Normen kollidieren. Jedoch vermutet Breton, dass Imaginationen zugleich den Betroffenen Trost verschaffen. Daher ist aus seiner Sicht der Verfall des Wahnsinns durch Imaginationen nicht zu fürchten (MS 15 f.; MSd 12).
Des Weiteren fordert er dazu auf, nach der Gegenpositionierung zum Materialismus auch eine solche zum Realismus einzunehmen. Breton verweist unter anderem auf rein informative oder detaillierte Literatur, die den Lesenden keinen Raum mehr für eigene Assoziationen lässt. (MS 16–19; MSd 13–15). In seinen weiteren Ausführungen begründet Breton seine Kritik an der allzu großen Dominanz der menschlichen Logik auch damit, dass sie Lebenserfahrungen einsperrt, wobei der wissenschaftliche Kenntnisstand innerhalb einer Gesellschaft zu dieser „Freiheitsberaubung“ des Geistes zusätzlich beiträgt:  
 
Des Weiteren fordert Breton dazu auf, nach der Gegenpositionierung zum Materialismus auch eine solche zum Realismus einzunehmen. Breton verweist unter anderem auf rein informative oder detaillierte Literatur, die den Lesenden keinen Raum mehr für eigene Assoziationen lässt. (MS 16–19; MSd 13–15). In seinen weiteren Ausführungen begründet er seine Kritik an der allzu großen Dominanz der menschlichen Logik auch damit, dass sie Lebenserfahrungen einsperrt, wobei der wissenschaftliche Kenntnisstand innerhalb einer Gesellschaft zu dieser „Freiheitsberaubung“ des Geistes zusätzlich beiträgt:  


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Das was Breton an dieser Stelle unter die Begriffe „superstition“ und „chimère“ erfasst, kann ebenso in einem weiteren Traumkontext gesehen werden. Für ihn sind nämlich alle Spielarten der Fantasie, so auch das gesellschaftlich verachtete Wunderbare in der Literatur, von unschätzbarer Relevanz beim fruchtbaren literarischen Schaffensprozess. So spricht er sich bezüglich der Dichtkunst vehement dagegen aus, Inspirationsquellen (wie auch den Traum) von vorneherein auszuschließen (MS 24–28; MSd 18–21).
Das was Breton an dieser Stelle unter die Begriffe „superstition“ und „chimère“ erfasst, kann ebenso in einem weiteren Traumkontext gesehen werden. Für ihn sind nämlich alle Spielarten der Fantasie, so auch das gesellschaftlich verachtete Wunderbare in der Literatur, von unschätzbarer Relevanz beim literarischen Schaffensprozess. So spricht er sich bezüglich der Dichtkunst vehement dagegen aus, Inspirationsquellen (wie auch den Traum) von vorneherein auszuschließen (MS 24–28; MSd 18–21).
 


==Traum und Realität==
==Traum und Realität==
Nach Breton ist das Traumerleben ursprünglich strukturiert, durch den Eingriff des Gedächtnisses erfolgen jedoch derartige Veränderungen, dass sich scheinbar mehrere Träume abspielen. Was innerhalb des Traumes als Realität eingestuft wird, hängt seiner Meinung nach mit der Willenskraft der Träumenden zusammen. Zudem ist dieser Moment des Realitätsempfindens ohnehin kurzweilig. Dabei bedauert er in einer Anmerkung, dass er gerade die Inhalte nicht erinnert, die ihn besonders interessieren und nicht mit dem Tageserleben in Verbindung stehen. Daher glaubt er, dass die Trauminhalte nicht vollständig aufgelöst werden können. Er wünscht sich gar u.a. schlafende Philosophen, damit die Logik imstande ist, zurückzutreten. Breton schließt auch weder die Möglichkeit einer narrativen Weitererzählung von Traum zu Traum aus noch, dass reale Erlebnisse in diesen weitergeführt werden (MS 21 f.; MSd 16–18). In diesen Überlegungen deutet sich bereits eine erste Vermischung von Wach- und Traumerleben an, die für die Surrealisten ästhetisch von Interesse war. Danach äußert er nämlich seine Gedanken zur Funktion des Traumes:
Nach Breton ist das Traumerleben ursprünglich strukturiert; durch den Eingriff des Gedächtnisses erfolgen jedoch derartige Veränderungen, so dass sich scheinbar mehrere Träume abspielen. Was innerhalb des Traumes als Realität eingestuft wird, hängt seiner Meinung nach mit der Willenskraft der Träumenden zusammen. Zudem ist dieser Moment des Realitätsempfindens ohnehin von kurzer Dauer. Dabei bedauert er in einer Anmerkung, dass er gerade die Inhalte nicht erinnert, die ihn besonders interessieren und die nicht mit dem Tageserleben in Verbindung stehen. Daher glaubt er, dass die Trauminhalte nicht vollständig aufgelöst werden können. Er wünscht sich gar schlafende Philosophen, damit die Logik imstande wäre zurückzutreten. Breton schließt auch weder die Möglichkeit einer narrativen Weitererzählung von Traum zu Traum aus, noch dass reale Erlebnisse in diesen weitergeführt werden (MS 21 f.; MSd 16–18). In solchen Überlegungen deutet sich bereits eine erste Vermischung von Wach- und Traumerleben an, die für die Surrealisten ästhetisch von Interesse war. Danach äußert Breton seine Gedanken zur Funktion des Traumes:


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: <span style="color: #7b879e;">[…] pourqoui n’accorderais-je pas au rêve ce que je refuse parfois à la réalité, soit cette valeur de certitude en elle-même, qui, dans son temps, n’est point exposée à mon désaveu? Pourqoui n’attenderais-je pas de l’indice du rêve plus que je n’attends d’un degré de conscience chaque jour plus élevé? Le rêve ne peut-il être appliqué, lui aussi, à la résolution des questions fondamentales de la vie (MS 22)?
: <span style="color: #7b879e;">pourqoui n’accorderais-je pas au rêve ce que je refuse parfois à la réalité, soit cette valeur de certitude en elle-même, qui, dans son temps, n’est point exposée à mon désaveu ? Pourqoui n’attenderais-je pas de l’indice du rêve plus que je n’attends d’un degré de conscience chaque jour plus élevé ? Le rêve ne peut-il être appliqué, lui aussi, à la résolution des questions fondamentales de la vie ? (MS 22).


: <span style="color: #7b879e;">[…] warum sollte ich dem Traum nicht zugestehen, was ich zuweilen der Wirklichkeit verweigere, jenen Wert der in sich ruhenden Gewißheit nämlich, der für die Traumspanne ganz und gar nicht von mir geleugnet wird? Warum sollte ich vom Traum-Hinweis nicht noch mehr erwarten als von einem täglich wachsenden Bewußtseinsgrad? Kann nicht auch der Traum zur Lösung grundlegender Lebensfragen dienen (MSd 17)?</span>
: <span style="color: #7b879e;">warum sollte ich dem Traum nicht zugestehen, was ich zuweilen der Wirklichkeit verweigere, jenen Wert der in sich ruhenden Gewißheit nämlich, der für die Traumspanne ganz und gar nicht von mir geleugnet wird? Warum sollte ich vom Traum-Hinweis nicht noch mehr erwarten als von einem täglich wachsenden Bewußtseinsgrad? Kann nicht auch der Traum zur Lösung grundlegender Lebensfragen dienen? (MSd 17).</span>
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Im nächsten Abschnitt hinterfragt er die Verlässlichkeit der Wahrnehmung im Wacherleben, bevor er den Traum als Ort völliger moralischer Freiheit und unbegrenzter Möglichkeiten skizziert, was von der Vernunft der Träumenden im Schlaf nicht in Frage gestellt wird. Das Erwachen reißt die Personen aus diesem Ort, während die gesellschaftlichen Moralvorstellungen erneut eingreifen (MS 23 f.; MSd 16–18).
Im nächsten Abschnitt hinterfragt Breton die Verlässlichkeit der Wahrnehmung im Wacherleben, bevor er den Traum als Ort völliger moralischer Freiheit und unbegrenzter Möglichkeiten skizziert, was von der Vernunft der Träumenden im Schlaf nicht in Frage gestellt wird. Das Erwachen reißt die Personen aus diesem Ort, während die gesellschaftlichen Moralvorstellungen erneut eingreifen (MS 23 f.; MSd 16–18). Breton versteht Traum und Realität daher nicht als einen unwiderruflichen Gegensatz, sondern sieht sie als zusammengehörig an. Im gleichzeitigen Zusammenspiel von Wach- und Traumzustand wird sogar eine neue Wahrnehmungserfahrung ermöglicht. Dieser Wahrnehmungszustand ist in seinen Augen erstrebenswert, aber nur bedingt erreichbar:
Breton versteht Traum und Realität daher nicht als einen unwiderruflichen Gegensatz, sondern sieht sie als zusammengehörig an. Im gleichzeitigen Zusammenspiel von Wach- und Traumzustand wird sogar eine neue Wahrnehmungserfahrung ermöglicht. Dieser Wahrnehmungszustand ist in seinen Augen erstrebenswert, aber nur bedingt erreichbar:


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==Traumtheoretische Bezüge==
==Traumtheoretische Bezüge==
An wenigen Stellen bezieht sich Breton auf ''Die Traumdeutung'' (1899) von Sigmund Freud (1856–1939),<ref> Breton traf bereits 1921 auf Freud, doch dieses Treffen hat ihn ernüchtert (Jiménez 2013, 27). Er kontaktierte dennoch bis 1938 immer wieder den Psychoanalytiker in der Absicht, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit zu Stande kommt. Freud distanzierte sich jedoch beständig von diesen Bemühungen. Eine Ursache mag an den unterschiedlichen Nutzen liegen, den beide aus der Beschäftigung mit Träumen ziehen wollten. Während Freud den latenten Traumgedanken in Gesprächen bei seinen Patient*innen suchte, deutete und zu Behandlungszwecken nutzte, diente hauptsächlich der „unlogisch“ wirkende und erinnerte Traum den Surrealisten als Inspiration für ihre Werke (Gamwell 2000, 38 f.). In diesem Zusammenhang könnten auch bewusste Kompositionen der Surrealisten gesehen werden, die sich der menschlichen Logik entziehen, wie durch die Nutzung des künstlerischen Mittels der Kombinatorik. Die Verbindung bzw. das Aufeinandertreffen zweier nicht zusammengehöriger Bildelemente ist hierbei nicht nur auf die Kunst beschränkt, sondern findet sich auch als poetisches Mittel in der Literatur wieder (Schneede, S. 142 f.). Kamen sie deshalb schon nicht auf einen gemeinsamen Nenner, war Freud vermutlich Breton aufgrund dessen persönlichen und überheblichen Auftretens 1921 in der Praxis in Wien nicht sonderlich zugetan. Zudem haben Freuds verhaltenen Reaktionen auf die Bemühungen Bretons weitere Gegenaktionen ausgelöst, die sich zwischen Ausdruck von Bewunderung, öffentlicher Kritik als auch Versuchen der Verteidigung des Psychoanalytikers zur Zeit des Nationalsozialismus bewegen (Gamwell 2000, 38 f.).</ref> ohne sich detailliert zu den inhaltlichen Aspekten seiner Theorie zu äußern und auf dessen Fachbegriffe zurückzugreifen. Seine Verweise sind eher subtil, offen formuliert und als Anspielungen zu verstehen. So wird beispielsweise Freuds Auffassung des Traums als Zugangsmöglichkeit zum Unbewussten von Breton vielmehr vage angedeutet und als wichtiger Anstoß für die Aufwertung der Rolle der Imagination dargestellt:
An wenigen Stellen bezieht sich Breton auf ''Die Traumdeutung'' (1899) von Sigmund Freud (1856–1939),<ref>Breton traf Freud bereits 1921, doch dieses Treffen hat ihn ernüchtert (Jiménez 2013, 27). Er kontaktierte dennoch bis 1938 immer wieder den Psychoanalytiker in der Absicht, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit zu Stande kommen würde. Freud distanzierte sich jedoch beständig von diesen Bemühungen. Eine Ursache mag an den unterschiedlichen Nutzen liegen, den beide aus der Beschäftigung mit Träumen ziehen wollten. Während Freud den latenten Traumgedanken in Gesprächen bei seinen Patient*innen suchte, deutete und zu Behandlungszwecken nutzte, diente der „unlogisch“ wirkende und erinnerte manifeste Traum den Surrealisten als Inspiration für ihre Werke (Gamwell 2000, 38 f.). In diesem Zusammenhang könnten auch bewusste Kompositionen der Surrealisten gesehen werden, die sich der menschlichen Logik entziehen, etwa durch die Nutzung des künstlerischen Mittels der Kombinatorik. Die Verbindung bzw. das Aufeinandertreffen zweier nicht zusammengehöriger Bildelemente ist hierbei nicht nur auf die Kunst beschränkt, sondern findet sich auch als poetisches Mittel in der Literatur wieder (Schneede 2006, 142 f.). Kamen sie schon deshalb nicht auf einen gemeinsamen Nenner, war Freud zudem Breton aufgrund dessen persönlichen und überheblichen Auftretens 1921 in der Praxis in Wien vermutlich nicht sonderlich zugetan. Zudem haben Freuds verhaltenen Reaktionen auf die Bemühungen Bretons weitere Gegenaktionen bei diesem ausgelöst, die sich zwischen Ausdruck von Bewunderung, öffentlicher Kritik als auch Versuchen der Verteidigung des Psychoanalytikers zur Zeit des Nationalsozialismus bewegen (Gamwell 2000, 38 f.).</ref> ohne sich detailliert zu den inhaltlichen Aspekten seiner Theorie zu äußern und auf dessen Fachbegriffe zurückzugreifen. Seine Verweise sind eher subtil, offen formuliert und als Anspielungen zu verstehen. So wird beispielsweise Freuds Auffassung des Traums als Zugangsmöglichkeit zum Unbewussten von Breton nur vage angedeutet und als wichtiger Anstoß für die Aufwertung der Rolle der Imagination dargestellt:


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Nach Bretons Ansicht kann zudem geistiges Potenzial aus Imaginationen geschöpft werden, indem auch verborgene Inhalte an die „surface“ treten. Mit abermaligem Verweis auf Freuds Kritik bemängelt anschließend Breton eine ungenügende Auseinandersetzung mit dem Traum, der einen großen Bestandteil der menschlichen Psyche einnehme. Da die Erinnerung an den Traum nur einen Bruchteil des Traumerlebens wiedergibt und bisweilen undeutlich ist, führt Breton seinen eigenen Gedankengang über Traum und Realität nachfolgend weiter aus (MS 20–23; MSd 15 f.). An dieser Stelle tritt deutlich hervor, wie Freuds Traumtheorie vielmehr zur Untermauerung eigener Argumentationen Bretons genutzt wird (Goumegou 2007, 269, 279).
Nach Bretons Ansicht kann zudem geistiges Potenzial aus Imaginationen geschöpft werden, indem auch verborgene Inhalte an die „surface“ treten. Mit abermaligem Verweis auf Freuds Kritik bemängelt anschließend Breton dessen ungenügende Auseinandersetzung mit dem Traum, der einen großen Bestandteil der menschlichen Psyche einnehme. Da die Erinnerung an den Traum nur einen Bruchteil des Traumerlebens wiedergibt und bisweilen undeutlich ist, führt Breton seinen eigenen Gedankengang über Traum und Realität weiter aus (MS 20–23; MSd 15 f.). An dieser Stelle wird deutlich, wie Breton Freuds Traumtheorie primär zur Untermauerung eigener Argumentationen nutzt (Goumegou 2007, 269, 279).


Ein weiteres Mal bezieht sich Breton auf die Psychoanalyse nach Freud, als er die Überlegungen zur freien Assoziation von Patienten als einen Denkanstoß für die Entwicklung der ''écriture automatique'' einleitet (Goumegou 2007, 267 f.):
Ein weiteres Mal bezieht sich Breton auf Freuds Psychoanalyse, als er die Überlegungen zur freien Assoziation von Patienten als einen Denkanstoß für die Entwicklung der ''écriture automatique'' charakterisiert (Goumegou 2007, 267 f.):


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: <span style="color: #7b879e;">Tout occupé que j’étais encore de Freud à cette époque et familiarisé avec ses méthodes d’examen que j’avais eu quelque peu l’occasion de pratiquer sur des malades pendant la guerre, je résolus d’obtenir de moi ce qu’on cherche à obtenir d´eux, soit un monologue de débit aussi rapide que possible, sur lequel l’esprit critique du sujet ne fasse porter aucun jugement, qui ne s’embarasse, par suite, d’aucune réticence, et qui soit aussi exactement que possible la pensée parlée. Il m’avait paru, et il ma paraît encore […] que la vitesse de la pensée n´est pas supérieur à celle de la parole, et qu´elle ne défie pas forcément la langue, ni même la plume qui court (MS 33).
: <span style="color: #7b879e;">Tout occupé que j’étais encore de Freud à cette époque et familiarisé avec ses méthodes d’examen que j’avais eu quelque peu l’occasion de pratiquer sur des malades pendant la guerre, je résolus d’obtenir de moi ce qu’on cherche à obtenir d´eux, soit un monologue de débit aussi rapide que possible, sur lequel l’esprit critique du sujet ne fasse porter aucun jugement, qui ne s’embarasse, par suite, d’aucune réticence, et qui soit aussi exactement que possible la pensée parlée. Il m’avait paru, et il ma paraît encore […] que la vitesse de la pensée n´est pas supérieur à celle de la parole, et qu´elle ne défie pas forcément la langue, ni même la plume qui court (MS 33).


: <span style="color: #7b879e;">Ich beschäftigte mich damals noch eingehend mit Freud und war mit seinen Untersuchungsmethoden vertraut, die ich im Kriege gelegentlich selbst bei Kranken hatte anwenden können,<ref> Während des Ersten Weltkrieges war Breton medizinischer Assistent im psychiatrischen Zentrum in Saint-Dizier. Die Eindrücke vor Ort mit mental Erkrankten regten ihn zu seiner Auseinandersetzung mit den Theorien Pierre Janets sowie Sigmund Freuds über das Unbewusste und den Traum an (Schneede 2006, 42–44). </ref> und beschloß nun, von mir selbst das zu erreichen, was man von ihnen haben wollte: nämlich einen so rasch wie möglich fließenden Monolog, der dem kritischen Verstand des Subjekts in keiner Weise unterliegt, der sich infolgedessen keinerlei Zurückhaltung auferlegt und der so weit möglich gesprochener Gedanke wäre. Ich hatte den Eindruck, und habe ihn noch […], daß das Tempo des Denkstroms nicht größer ist als das des Redestroms und daß das Denken nicht unbedingt die Zunge oder gar die Feder am Mitkommen hindert (MSd 24 f.).</span>
: <span style="color: #7b879e;">Ich beschäftigte mich damals noch eingehend mit Freud und war mit seinen Untersuchungsmethoden vertraut, die ich im Kriege gelegentlich selbst bei Kranken hatte anwenden können,<ref>Während des Ersten Weltkrieges war Breton medizinischer Assistent im psychiatrischen Zentrum in Saint-Dizier. Die Eindrücke vor Ort mit mental Erkrankten regten ihn zu seiner Auseinandersetzung mit den Theorien Pierre Janets (1859-1947) und Sigmund Freuds über das Unbewusste und den Traum an (Schneede 2006, 42–44). </ref> und beschloß nun, von mir selbst das zu erreichen, was man von ihnen haben wollte: nämlich einen so rasch wie möglich fließenden Monolog, der dem kritischen Verstand des Subjekts in keiner Weise unterliegt, der sich infolgedessen keinerlei Zurückhaltung auferlegt und der so weit möglich gesprochener Gedanke wäre. Ich hatte den Eindruck, und habe ihn noch […], daß das Tempo des Denkstroms nicht größer ist als das des Redestroms und daß das Denken nicht unbedingt die Zunge oder gar die Feder am Mitkommen hindert (MSd 24 f.).</span>
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Zuvor berichtet Breton noch von einem Satz, der zugleich mit einer vagen, visuellen Vorstellung verbunden war und der ihm einst kurz vor dem Einschlafen einfiel. An den Satz könne er sich immer noch nicht vollständig erinnern, ihn beschäftigte aber zugleich die Satzstruktur von „[i]l y a un homme coupé en deux par la fenêtre“ (MS 31; „[d]a ist ein Mann, der vom Fenster entzweigeschnitten wird“, MSd 23).
Zuvor berichtet Breton noch von einem Satz, der zugleich mit einer vagen, visuellen Vorstellung verbunden war und der ihm einst kurz vor dem Einschlafen einfiel. An den Satz könne er sich immer noch nicht vollständig erinnern, ihn beschäftigte aber zugleich die Satzstruktur von „Il y a un homme coupé en deux par la fenêtre“ (MS 31; „Da ist ein Mann, der vom Fenster entzweigeschnitten wird“, MSd 23).


Im Manifest tauchen zudem Bezüge zum Traumdiskurs in Frankreich des 19. Jahrhunderts auf (z.B. beim bereits geschilderten narrativen Fortgang von Träumen), sodass der Imaginationsbegriff von Breton eher mit Auffassungen des Unbewussten aus dieser Zeit korreliert (Goumegou 2007, 268 f.). Daneben haben ihn die Überlegungen der Symbolisten und Romantiker zum Traum inspiriert, woraus er im Manifest eine Traumauffassung formuliert (Jiménez 2013, 24–29.). Diese Auffassung Bretons streift also bisweilen flüchtig sowie partiell diverse Traumdiskurse mit denen er überwiegend seine Ansicht zum Verhältnis zwischen Traum und Realität zu bekräftigen sucht, weshalb in der Forschungsliteratur seine Reflexionen nicht als Traumtheorie eingestuft werden (Goumegou 2007, 279).
Im Manifest tauchen zudem Bezüge zum Traumdiskurs in Frankreich des 19. Jahrhunderts auf (z.B. beim bereits geschilderten narrativen Fortgang von Träumen), sodass der Imaginationsbegriff von Breton eher mit Auffassungen des Unbewussten aus dieser Zeit korreliert (Goumegou 2007, 268 f.). Daneben haben ihn die Überlegungen der Symbolisten und Romantiker zum Traum inspiriert, woraus er im Manifest eine Traumauffassung formuliert (Jiménez 2013, 24–29). Diese Auffassung Bretons streift also bisweilen flüchtig sowie partiell diverse Traumdiskurse mit denen er überwiegend seine Ansicht zum Verhältnis zwischen Traum und Realität zu bekräftigen sucht; deshalb werden in der Forschungsliteratur seine Reflexionen nicht als Traumtheorie eingestuft (Goumegou 2007, 279).




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