"Finnegans Wake" (James Joyce): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 5. Januar 2023, 15:24 Uhr
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Muss der ''Ulysses'' als einer der einflussreichsten europäischen Romane des 20. Jahrhunderts und Wegbereiter der ''modernist literature'' angesehen werden, dann nimmt ''Finnegans Wake'' sicherlich die literarische Postmoderne vorweg (vgl. Butler 2006 | Muss der ''Ulysses'' als einer der einflussreichsten europäischen Romane des 20. Jahrhunderts und Wegbereiter der ''modernist literature'' angesehen werden, dann nimmt ''Finnegans Wake'' sicherlich die literarische Postmoderne vorweg (vgl. Butler 2006, 83; Füger 1994, 297), und nach dem ''Ulysses'' führt Joyce sein 'Nachtbuch' (vgl. Gillespie 2019, 252) nun auch zum "logical terminus of his artistic development" (Lodge 1977, 133). | ||
Die Jahre zwischen 1923 und 1938, in denen Joyce unter dem Arbeitstitel ''Work in Progress'' am späteren ''Wake'' arbeitet, sind von Auseinandersetzungen um den ''Ulysses'', vor allem gegen die Zensur in den USA, geprägt, von mehrfachen Operationen am Auge (auch im Ausland), von seiner späten Hochzeit mit Nora im Juli 1931 (vgl. Ellmann 2009, 939ff.), aber auch vom Tod seines Vaters John im Dezember des gleichen Jahres und der zunehmenden Schizophrenie seiner Tochter Lucia in den frühen 1930er Jahren. | Die Jahre zwischen 1923 und 1938, in denen Joyce unter dem Arbeitstitel ''Work in Progress'' am späteren ''Wake'' arbeitet, sind von Auseinandersetzungen um den ''Ulysses'', vor allem gegen die Zensur in den USA, geprägt, von mehrfachen Operationen am Auge (auch im Ausland) und der dennoch unaufhaltsam fortschreitenden Blindheit (vgl. Birmingham 2014, 289f.), von seiner späten Hochzeit mit Nora im Juli 1931 (vgl. Ellmann 2009, 939ff.), aber auch vom Tod seines Vaters John im Dezember des gleichen Jahres und der zunehmenden Schizophrenie seiner Tochter Lucia in den frühen 1930er Jahren (vgl. Birmingham 2014, 288). | ||
Ab Mitte der 1920er Jahre tritt Joyce mit ersten Vorstufen seines Großprojekts an die Öffentlichkeit: Es erscheinen Zwischenfassungen des späteren Anna Livia Plurabelle-Kapitels in Zeitschriften und sogar als Buch (New York: Crosby Gaige 1928 sowie London: Faber & Faber 1930), später auch Fragmente der "Shem and Shaun"-Geschichten in drei Ausgaben der Avantgarde-Zeitschrift ''transistion'' (1927/28) sowie 1929 in der Pariser Sun Press (vgl. Joyce 2012). | |||
Mit dem Jahresende 1938 beendet James Joyce ''Finnegans Wake'', der im folgenden Mai zeitgleich in London bei Faber & Faber und in New York bei Viking Press erscheint (vgl. Ellmann 2009, 1060) – in der endgültigen Version schließlich aus vier Teilen sowie weiteren (weder nummerierten noch betitelten) Kapiteln bestehend, die sich (ähnlich wie im ''Ulysses'') durch jeweils unterschiedliche Stile auszeichnen und dementsprechend evtl. als verschiedene Traumphasen zu lesen sind. Alle weiteren Neuauflagen bis heute sind zur Erstausgabe seiten- und zeilenidentisch (im Folgenden unter der Sigle "FW"). | Mit dem Jahresende 1938 beendet James Joyce ''Finnegans Wake'', der im folgenden Mai zeitgleich in London bei Faber & Faber und in New York bei Viking Press erscheint (vgl. Ellmann 2009, 1060) – in der endgültigen Version schließlich aus vier Teilen sowie weiteren (weder nummerierten noch betitelten) Kapiteln bestehend, die sich (ähnlich wie im ''Ulysses'') durch jeweils unterschiedliche Stile auszeichnen und dementsprechend evtl. als verschiedene Traumphasen zu lesen sind. Alle weiteren Neuauflagen bis heute sind zur Erstausgabe seiten- und zeilenidentisch (im Folgenden unter der Sigle "FW"). | ||
Bereits im Sommer 1940 muss die Familie jedoch aus Paris vor den Nazis fliehen. Die Befreiung Frankreichs hat James Joyce nicht mehr erlebt: Im Januar des Folgejahres stirbt er in der Schweiz. | Bereits im Sommer 1940 muss die Familie jedoch aus Paris vor den Nazis fliehen. Die Befreiung Frankreichs hat James Joyce nicht mehr erlebt: Im Januar des Folgejahres stirbt er in der Schweiz. | ||
Nahezu augenblicklich und mit Edmund Wilsons erster Studie "The Dream of HC Earwicker" (1939) setzt eine inzwischen kaum noch zu überblickende literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit ''Finnegans Wake'' ein, zu deren einflussreichsten Forschungsbeiträgen zunächst ein von Joseph Campbell und Henry Morton Robinson vorgelegter ''Skeleton Key'' (1949) sowie der von Adaline Glasheen unternommene ''Census'' ("An Index of the Characters and Their Roles", 1956 sowie aktualisiert 1963 und 1977) zählen. Ebenso trugen die erstmals 1959 erstellte Übersicht intertextueller Verweise in einer "Alphabetical List of Literary Allusions" (Atherton 2009, 233–290), das Erscheinen der Zeitschrift ''A Wake Newslitter'' (ab 1962) und die erstmals 1980 vorgelegten ''Annotations'' (aktualisiert 1991 und 2006) von Roland McHugh zur weiteren Systematisierung bei. | |||
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Auch wenn jeder Versuch einer ''Übersetzung'' des Textes paradox erscheinen muss, hat ''Finnegans Wake'' doch immer wieder zu literarischen Annäherungen herausgefordert: Neben Teilübersetzungen (etwa Joyce/Hildesheimer/Wollschläger 1970; Reichert/Senn 1989) ist die über 17 Jahre hinweg entstandene Ausgabe ''Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkess fun Schämes Scheuss'' (Stündel 1993) der vollständigste Ansatz einer deutschen Übertragung. | Auch wenn jeder Versuch einer ''Übersetzung'' des Textes paradox erscheinen muss, hat ''Finnegans Wake'' doch immer wieder zu literarischen Annäherungen herausgefordert: Neben Teilübersetzungen (etwa Joyce/Hildesheimer/Wollschläger 1970; Reichert/Senn 1989; Weninger 1984) ist die über 17 Jahre hinweg entstandene Ausgabe ''Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkess fun Schämes Scheuss'' (Stündel 1993) der vollständigste Ansatz einer deutschen Übertragung. | ||
=="Lots of fun at Finnegan's Wake!": Versuch einer Zusammenfassung== | =="Lots of fun at Finnegan's Wake!": Versuch einer Zusammenfassung== | ||
Mit der Änderung vom Arbeitstitel ''Work in Progress'', unter dem auch mehrere Kapitel vorab veröffentlicht wurden, in ''Finnegans Wake'', entschied sich Joyce auch bereits für ein erstes Wortspiel – nämlich der Anlehnung an die irische Ballade "Finnegan's Wake" über den Baumeister Tim Finnegan, der (unter dem Einfluss von Whiskey) von einer Leiter fällt und sich das Genick bricht. Während des Leichenschmauses wird wiederum Whiskey auf den Toten verschüttet, der sogleich zum Leben erwacht (vgl. Ellmann 2009, 804f.). Programmatisch lautet der Refrain der Ballade "Wasn't it the truth I told you / Lots of fun at Finnegan's wake!" | Mit der Änderung vom Arbeitstitel ''Work in Progress'', unter dem auch mehrere Kapitel vorab veröffentlicht wurden, in ''Finnegans Wake'', entschied sich Joyce auch bereits für ein erstes Wortspiel – nämlich der Anlehnung an die irische Ballade "Finnegan's Wake" über den Baumeister Tim Finnegan, der (unter dem Einfluss von Whiskey) von einer Leiter fällt und sich das Genick bricht (vgl. Füger 1994, 278f.). Während des Leichenschmauses wird wiederum Whiskey auf den Toten verschüttet, der sogleich zum Leben erwacht (vgl. Ellmann 2009, 804f.). Programmatisch lautet der Refrain der Ballade "Wasn't it the truth I told you / Lots of fun at Finnegan's wake!" | ||
Neben dem Titel – der herausgestrichene Apostroph sorgt für eine Verallgemeinerung und deutet die Wiederauferstehung aller Finnegans an, zumal eine Figur mit diesem Namen in Joyces Werk nicht vorkommt (vgl. Ellmann 2009, 804 sowie Eco 2010, 392) – finden sich außerdem immer wieder Verse daraus in HCEs Traum wieder: So erscheint "Wasn't it the truth I told you" bereits relativ zu Beginn als "isn't / it the truath I'm tallin ye?" (FW 15.24f.) oder "'Tisraely the / truth" (FW 27.01f.) wieder, und auch ein Fall(en) von der Leiter wird in der Formulierung "He stot- / tered from the latter" (FW 6.09f.) angedeutet. Außerdem durchzieht den gesamten Text das Wortspiel "funferall" – eine Mischung aus "funeral" und "fun for all" (etwa FW 13.15, 111.15, 120.10). | Neben dem Titel – der herausgestrichene Apostroph sorgt für eine Verallgemeinerung und deutet die Wiederauferstehung aller Finnegans an, zumal eine Figur mit diesem Namen in Joyces Werk nicht vorkommt (vgl. Ellmann 2009, 804 sowie Eco 2010, 392) – finden sich außerdem immer wieder Verse daraus in HCEs Traum wieder: So erscheint "Wasn't it the truth I told you" bereits relativ zu Beginn als "isn't / it the truath I'm tallin ye?" (FW 15.24f.) oder "'Tisraely the / truth" (FW 27.01f.) wieder, und auch ein Fall(en) von der Leiter wird in der Formulierung "He stot- / tered from the latter" (FW 6.09f.) angedeutet. Außerdem durchzieht den gesamten Text das Wortspiel "funferall" – eine Mischung aus "funeral" und "fun for all" (etwa FW 13.15, 111.15, 120.10). | ||
Die Inhaltsebene des vielschichtigen Textes lässt sich nur sehr grob wiedergeben: Statt einer stringenten Erzählung werden Zusammenhänge, Figurenkonstellationen oder Ereignisse der fiktionalen Welt durch die Traumpoetik teilweise nur angerissen und verschwimmen unter Sprach- und Wortspielen, die sich versatzstückartig aus Dutzenden von Sprachen zusammensetzen. | Die Inhaltsebene des vielschichtigen Textes lässt sich nur sehr grob wiedergeben: Statt einer stringenten Erzählung werden Zusammenhänge, Figurenkonstellationen oder Ereignisse der fiktionalen Welt durch die Traumpoetik teilweise nur angerissen und verschwimmen unter Sprach- und Wortspielen, die sich versatzstückartig aus Dutzenden von Sprachen zusammensetzen (vgl. als grobe Inhaltszusammenfassungen Campbell/Robinson 2005, 15–22 oder Reichert/Senn 1989, 21–24). | ||
Allgemein anerkannt in der Forschung ist die Grundkonstellation des Textes: Protagonist ist Humphrey Chimpden Earwicker (HCE), ein Kneipenwirt aus dem Dubliner Vorort Chapelizod. Er und seine Frau Anna Livia Plurabelle (ALP) haben drei gemeinsame Kinder, die Zwillinge Shem und Shaun, sowie die Tochter Issy (vgl. etwa Begnal/Eckley 1975; Campbell 2005, 5–13; Eco 2010, 391-394; Ellmann 2009, 806f.; Glasheen 1977; Reichert 1989, 24ff.; Tindall 2005, 3–6). Ebenfalls weitgehend durchgesetzt hat sich die Deutung von ''Finnegans Wake'' als dem Traum des Familienvaters HCE | Allgemein anerkannt in der Forschung ist die Grundkonstellation des Textes: Protagonist ist Humphrey Chimpden Earwicker (HCE), ein Kneipenwirt aus dem Dubliner Vorort Chapelizod. Er und seine Frau Anna Livia Plurabelle (ALP) haben drei gemeinsame Kinder, die Zwillinge Shem und Shaun, sowie die Tochter Issy (vgl. etwa Begnal/Eckley 1975; Campbell/Robinson 2005, 5–13; Eco 2010, 391-394; Ellmann 2009, 806f.; Glasheen 1977; Reichert 1989, 24ff.; Tindall 2005, 3–6). Ebenfalls weitgehend durchgesetzt hat sich die Deutung von ''Finnegans Wake'' als entweder dem Traum einer einzigen Nacht – entweder des Familienvaters HCE oder einem Ensemble von verschiedenen Träumenden, deren Schichten sich wechselseitig durchdringen (vgl. etwa Bishop 1993, 126–145; Reichert 1989, 62ff.; Siedenbiedel 2005, 24f.; Tindall 2005, 65). | ||
Dabei fungiert Humphrey Chimpden Earwicker in seinem Traum als Jedermann, als umfassende Menschengestalt ("Here Comes / Everybody"; FW 32.18f.), und taucht neben solchen HCE-Wortfolgen auch in Person von mythologischen und historischen Figuren wie Adam, Noah, Christus, Buddha, Thor, Caesar, Cromwell, Wellington, Lord Nelson, Guinness, oder Finnegan auf: Earwicker ist als Verkörperung aller "Kulturen und Traditionen der Menschheitsgeschichte" zu verstehen, "er bedeutet sie alle zugleich, weil sie alle in ihm liegen, kraft des kollektiven Unterbewussten" (Reichert 1989, 24f.). Bestimmt wird sein Traum von einem Vorfall aus jüngster Zeit, der sich in Phoenix Park, Dublins weitläufiger Grünanlage nördlich von Chapelizod, ereignet hat. Dabei soll er sich unzüchtig gegenüber zwei jungen Frau verhalten haben, diese – eine genaue Entschlüsselung ist durch die mehrschichtige Traumsprache nicht möglich – entweder beobachtet oder sogar exhibitionistisch belästigt haben (vgl. etwa Bishop 1993, 166f.; Campbell 2005, 6f.; Eco 2010, 393). Dass dieser Zwischenfall außerdem von drei betrunkenen Soldaten ("three longly lurking lobstarts"; FW 337.20f.) beobachtet wurde, lässt bei Earwicker nun Sorgen um seinen Ruf und juristische Konsequenzen aufkommen, und wird im Traum immer wieder angerissen. | Dabei fungiert Humphrey Chimpden Earwicker in seinem (Teil-)Traum als Jedermann, als umfassende Menschengestalt ("Here Comes / Everybody"; FW 32.18f.), und taucht neben solchen HCE-Wortfolgen auch in Person von mythologischen und historischen Figuren wie Adam, Noah, Christus, Buddha, Thor, Caesar, Cromwell, Wellington, Lord Nelson, Guinness, oder Finnegan auf: Earwicker ist als Verkörperung aller "Kulturen und Traditionen der Menschheitsgeschichte" zu verstehen, "er bedeutet sie alle zugleich, weil sie alle in ihm liegen, kraft des kollektiven Unterbewussten" (Reichert 1989, 24f.). Bestimmt wird sein Traum von einem Vorfall aus jüngster Zeit, der sich in Phoenix Park, Dublins weitläufiger Grünanlage nördlich von Chapelizod, ereignet hat. Dabei soll er sich unzüchtig gegenüber zwei jungen Frau verhalten haben, diese – eine genaue Entschlüsselung ist durch die mehrschichtige Traumsprache nicht möglich – entweder beobachtet oder sogar exhibitionistisch belästigt haben (vgl. etwa Bishop 1993, 166f.; Campbell/Robinson 2005, 6f.; Eco 2010, 393). Dass dieser Zwischenfall außerdem von drei betrunkenen Soldaten ("three longly lurking lobstarts"; FW 337.20f.) beobachtet wurde, lässt bei Earwicker nun Sorgen um seinen Ruf und juristische Konsequenzen aufkommen, und wird im Traum immer wieder angerissen. | ||
Die Entsprechung zu HCE als dem 'Über-Vater' ist seine Frau Anna Livia Plurabelle als große 'Ur-Mutter' und weibliches Prinzip: Bereits ihr Name verweist auf die Liffey – jener Fluss, der Dublin teilt und dort in die Irische See mündet. Mit ALP werden daher Veränderungen assoziiert, und nicht nur in ihrem berühmten Anna Livia Plurabelle-Kapitel (das achte Kapitel des ersten Teils, FW 196–216) zerfließen Sprache und Inhalt. Sie tritt in Gestalten wie Eva, Isis und Isolde auf, und verkörpert (im Gegensatz zu HCE) das 'ewig Weibliche' Naturprinzip. | Die Entsprechung zu HCE als dem 'Über-Vater' ist seine Frau Anna Livia Plurabelle als große 'Ur-Mutter' und weibliches Prinzip: Bereits ihr Name verweist auf die Liffey – jener Fluss, der Dublin teilt und dort in die Irische See mündet. Mit ALP werden daher Veränderungen assoziiert, und nicht nur in ihrem berühmten Anna Livia Plurabelle-Kapitel (das achte Kapitel des ersten Teils, FW 196–216) zerfließen Sprache und Inhalt. Sie tritt in Gestalten wie Eva, Isis und Isolde auf, und verkörpert (im Gegensatz zu HCE) das 'ewig Weibliche' Naturprinzip. Die beiden rivalisierenden Söhne Shem und Shaun wiederum vereinen Elemente von Kain und Abel, Napoléon und Wellington, letztlich aber auch von James Joyce und seinem Bruder Stanislaus Joyce (vgl. Füger 1994, 266; Senn 1983, 182). | ||
Immer wieder finden sich im Verlauf des Textes Anspielungen auf die Universalität der beiden Elternteile (vgl. Norris 2006, 151): HCE wird gleich im ersten Absatz mit einem Hügel an der Liffey-Mündung assoziiert ("Howth Castle and Environs"; FW 3.03), mit dem Ausruf "Hush! Caution! Echoland!" (FW 13.05), oder "homerigh, castle and earthenhouse" (FW 21.13). ALP tritt bereits zu Beginn mit Verweis auf den Fluss Liffey in Erscheinung (etwa "loved livvy"; FW 3.24), als Akronym (bspw. "alp on earwig"; FW 17.34), als "pleures of bells" (FW 11.25) und bestimmende Hausfrau ("annadominant"; FW 14.17) – aber auch konstruierter, zum Beispiel in Form der Zahl 54, in römischer Schreibweise LIV (vgl. "if you can spot fifty I spy four more"; FW 10.31). | Immer wieder finden sich im Verlauf des Textes Anspielungen auf die Universalität der beiden Elternteile (vgl. Norris 2006, 151): HCE wird gleich im ersten Absatz mit einem Hügel an der Liffey-Mündung assoziiert ("Howth Castle and Environs"; FW 3.03), mit dem Ausruf "Hush! Caution! Echoland!" (FW 13.05), oder "homerigh, castle and earthenhouse" (FW 21.13). ALP tritt bereits zu Beginn mit Verweis auf den Fluss Liffey in Erscheinung (etwa "loved livvy"; FW 3.24), als Akronym (bspw. "alp on earwig"; FW 17.34), als "pleures of bells" (FW 11.25) und bestimmende Hausfrau ("annadominant"; FW 14.17) – aber auch konstruierter, zum Beispiel in Form der Zahl 54, in römischer Schreibweise LIV (vgl. "if you can spot fifty I spy four more"; FW 10.31). | ||
Weiteres elementares Grundthema des Textes ist der 'Fall', der in verschiedenen Variationen wiederkehrt und durchgespielt wird: Finnegans tödlicher Sturz von der Leiter, ebenso wie Earwickers Verfehlung in Phoenix Park, die – im 'biblischen Traumgarten' stattfindend (vgl. Ellmann 2009, 813f.) – mit dem Sündenfall assoziiert wird, genauso aber wie auch dem Fall von Rom oder der Niederlage Napoléons (vgl. etwa Campbell 2005, 5; Tindall 2005, 29f.). | Weiteres elementares Grundthema des Textes ist der 'Fall', der in verschiedenen Variationen wiederkehrt und durchgespielt wird: Finnegans tödlicher Sturz von der Leiter, ebenso wie Earwickers Verfehlung in Phoenix Park, die – im 'biblischen Traumgarten' stattfindend (vgl. Ellmann 2009, 813f.) – mit dem Sündenfall assoziiert wird, genauso aber wie auch dem Fall von Rom oder der Niederlage Napoléons (vgl. etwa Campbell/Robinson 2005, 5; Tindall 2005, 29f.). | ||
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Die sogenannte "Museyroom"-Episode (in der Sekundärliteratur auch "The Willingdone Museum" genannt) stellt einen der ersten relativ abgeschlossen und damit greifbaren Einheiten des Textes dar und findet sich im ersten Kapitel des ersten Teils (FW 8.09–10.23). | Die sogenannte "Museyroom"-Episode (in der Sekundärliteratur auch "The Willingdone Museum" genannt) stellt einen der ersten relativ abgeschlossen und damit greifbaren Einheiten des Textes dar und findet sich im ersten Kapitel des ersten Teils (FW 8.09–10.23). | ||
Die Episode spielt in Phoenix Park, also eben jenem Ort von Earwickers uneindeutiger Verfehlung (seinem eigenen 'Garten Eden' quasi), die kurz zuvor zum ersten Mal anklingt: Die beiden Mädchen und die drei Soldaten erscheinen in Anlehnung an den Schriftsteller Jonathan Swift (und dessen Parallelbeziehungen zu Esther Johnson und Esther Vanhomrigh) als Stella und Vanessa, sowie als Peter, Jack und Martin (vgl. McHugh 2006, 7; Tindall 2005, 35f.): "With her issavan essavans and her patter-jackmartins" (FW 7.04). | Die Episode spielt in Phoenix Park, also eben jenem Ort von Earwickers uneindeutiger Verfehlung (seinem eigenen 'Garten Eden' quasi), die kurz zuvor zum ersten Mal anklingt (vgl. Tindall 2005, 37): Die beiden Mädchen und die drei Soldaten erscheinen in Anlehnung an den Schriftsteller Jonathan Swift (und dessen Parallelbeziehungen zu Esther Johnson und Esther Vanhomrigh) als Stella und Vanessa, sowie als Peter, Jack und Martin (vgl. McHugh 2006, 7; Tindall 2005, 35f.): "With her issavan essavans and her patter-jackmartins" (FW 7.04). | ||
==="This the way to the museyroom" (FW 8.09–8.36) === | ==="This the way to the museyroom" (FW 8.09–8.36) === | ||
Dort besucht HCEs Traum-Ich nun das "museyroom", das Züge des tatsächlich in Phoenix Park existierenden Wellington Monument aufweist, einem Denkmal zu Ehren des Feldherrn Arthur Wellington (<span style="color:blue;">blau hervorgehoben</span>). Am Eingang wartet bereits "mistress Kathe" (FW 8.08), die Traumerscheinung der alten Putzfrau Kate aus HCEs Taverne (vgl. Tindall 2005, 36). Gerahmt wird die kurze Führung der "janitrix" Kathe durch ihre mahnenden Worte, beim Betreten des "museyrooms" auf den Hut ("hats"; FW 8.09) und beim Verlassen auf die Schuhe ("boots"; FW 10.22f.) zu achten. Geradezu mechanisch geleitet sie den Besuchenden durch die Ausstellung (oder besser: Aufzählung) von kriegerischen Ereignissen der Menschheitsgeschichte. Repetitiv wiederkehrendes Element ist dabei ihr hinweisendes "This is", das insgesamt 56-mal in dieser kurzen Passage auftaucht (<span style="color:red;">rot hervorgehoben</span>) und diese gemeinsam mit dem neun Mal wiederholten "Tip." sowie weiteren sprachlichen Parallelkonstruktionen und Ausrufen ('''fett hervorgehoben''') strukturiert. | Dort besucht HCEs Traum-Ich nun das "museyroom", das Züge des tatsächlich in Phoenix Park existierenden Wellington Monument aufweist, einem Denkmal zu Ehren des Feldherrn Arthur Wellington (<span style="color:blue;">blau hervorgehoben</span>). Am Eingang wartet bereits "mistress Kathe" (FW 8.08), die Traumerscheinung der alten Putzfrau Kate aus HCEs Taverne (vgl. Tindall 2005, 36 sowie Siedenbiedel 2005, 203–209). Gerahmt wird die kurze Führung der "janitrix" Kathe (vgl. Kitcher 2007, 66) durch ihre mahnenden Worte, beim Betreten des "museyrooms" auf den Hut ("hats"; FW 8.09) und beim Verlassen auf die Schuhe ("boots"; FW 10.22f.) zu achten. Geradezu mechanisch geleitet sie den Besuchenden durch die Ausstellung (oder besser: Aufzählung) von kriegerischen Ereignissen der Menschheitsgeschichte. Repetitiv wiederkehrendes Element ist dabei ihr hinweisendes "This is", das insgesamt 56-mal in dieser kurzen Passage auftaucht (<span style="color:red;">rot hervorgehoben</span>) und diese gemeinsam mit dem neun Mal wiederholten "Tip." sowie weiteren sprachlichen Parallelkonstruktionen und Ausrufen ('''fett hervorgehoben''') strukturiert. | ||
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==="Underwetter!" (FW 9.01–9.36) === | ==="Underwetter!" (FW 9.01–9.36) === | ||
Das Wellington Monument – tatsächlich ein etwa 60 Meter hoher Obelisk ("tallowscoop"; FW 8.35) im Dubliner Phoenix Park, der 1861 fertiggestellt wurde – erscheint damit in HCEs Traum als enzyklopädischer Wissensspeicher: So finden sich einerseits Verweise auf den in Dublin geborenen Feldmarschall und britischen Außen- und Premierminister Arthur Wellington – etwa dessen legendäres Pferd Kopenhagen ("Cokenhape"; FW 8.17) aus der Schlacht bei Waterloo in "Belchum" (FW 9.01, 9.04, 9.10, 9.13, 9.15) sowie die weiteren Feldzüge bei Gawilgarth und Argaum aus dem Jahre 1803 ("Gallawghurs argaunmunt"; FW 8.25) oder die Schlachten bei Salamanca ("Salamangra"; FW 9.13) und Almeida ("Al-meidagad"; FW 9.26). Andererseits ist die weitere Führung durchzogen von Anspielungen auf Kriegsschauplätze aus verschiedenen Epochen (vgl. dazu Campbell 2005, 39–41; McHugh 2006, 8–10; Tindall 2005, 36–38, 52), vom Sieg über die Perser bei Marathon im Jahre 490 v. Chr. (FW 9.33), über die Schlacht bei Philippi, bei der Brutus 42 v. Chr. gegen Antonius und Oktavian unterlag ("phillippy"; FW 9.01), die ausschlaggebende englischen Niederlage gegen Wilhelm den Eroberer 1066 in Hastings (FW 9.2f.), die preußische Niederlage gegen Napoléon in Jena 1806 ("hiena"; FW 10.04), die Leipziger Völkerschlacht von 1813 ("lipsyg"; FW 10.05) bis hin zu Napoléons Schlacht in Austerlitz 1805 ("ouster- / lists"; FW 9.28f.). Ebenso finden sich auch Anspielungen auf weitere Offiziere und Heerführer, etwa Napoléons Marschall der Schlacht von Waterloo, Grouchy ("grouching down"; FW 8.22), Charles Boycott ("boycottencrezy"; FW 9.08), den deutschen Fürst von Bismarck ("bissmark"; FW 9.32), oder den amerikanischen Konföderierten-General 'Stonewall' Jackson (FW 10.2). | Das Wellington Monument – tatsächlich ein etwa 60 Meter hoher Obelisk ("tallowscoop"; FW 8.35) im Dubliner Phoenix Park, der 1861 fertiggestellt wurde – erscheint damit in HCEs Traum als enzyklopädischer Wissensspeicher (vgl. Lernout 2007, 56; Blumenbach 1996): So finden sich einerseits Verweise auf den in Dublin geborenen Feldmarschall und britischen Außen- und Premierminister Arthur Wellington – etwa dessen legendäres Pferd Kopenhagen ("Cokenhape"; FW 8.17) aus der Schlacht bei Waterloo in "Belchum" (FW 9.01, 9.04, 9.10, 9.13, 9.15) sowie die weiteren Feldzüge bei Gawilgarth und Argaum aus dem Jahre 1803 ("Gallawghurs argaunmunt"; FW 8.25) oder die Schlachten bei Salamanca ("Salamangra"; FW 9.13) und Almeida ("Al-meidagad"; FW 9.26). Andererseits ist die weitere Führung durchzogen von Anspielungen auf Kriegsschauplätze aus verschiedenen Epochen (vgl. dazu Campbell/Robinson 2005, 39–41; McHugh 2006, 8–10; Tindall 2005, 36–38, 52), vom Sieg über die Perser bei Marathon im Jahre 490 v. Chr. (FW 9.33), über die Schlacht bei Philippi, bei der Brutus 42 v. Chr. gegen Antonius und Oktavian unterlag ("phillippy"; FW 9.01), die ausschlaggebende englischen Niederlage gegen Wilhelm den Eroberer 1066 in Hastings (FW 9.2f.), die preußische Niederlage gegen Napoléon in Jena 1806 ("hiena"; FW 10.04), die Leipziger Völkerschlacht von 1813 ("lipsyg"; FW 10.05) bis hin zu Napoléons Schlacht in Austerlitz 1805 ("ouster- / lists"; FW 9.28f.). Ebenso finden sich auch Anspielungen auf weitere Offiziere und Heerführer, etwa Napoléons Marschall der Schlacht von Waterloo, Grouchy ("grouching down"; FW 8.22), Charles Boycott ("boycottencrezy"; FW 9.08), den deutschen Fürst von Bismarck ("bissmark"; FW 9.32), oder den amerikanischen Konföderierten-General 'Stonewall' Jackson (FW 10.2). | ||
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Bevor der sprachliche Rhythmus im zweiten Teil der Seite durch die zahlreichen "This is"-Aufzählungen merklich zunimmt, scheinen zwei Briefe verfasst worden zu sein (vgl. Tindall 2005, 37): "Lieber Arthur. Wir siegen! Wie geht's Deiner kleinen Frau? Hochachtung. Nap." (FW 9.05f.) sowie "Chères Jinnies. Victorieux! Ça ne fait rien. Foutre. Willingdone." (FW 9.13f.). Die mit Napoléons Niederlage verbundenen Einflüsse aus der französischen Sprache – etwa auch "Tonnerre" (FW 9.23) – | Bevor der sprachliche Rhythmus im zweiten Teil der Seite durch die zahlreichen "This is"-Aufzählungen merklich zunimmt, scheinen zwei Briefe verfasst worden zu sein (vgl. Tindall 2005, 37): "Lieber Arthur. Wir siegen! Wie geht's Deiner kleinen Frau? Hochachtung. Nap." (FW 9.05f.) sowie "Chères Jinnies. Victorieux! Ça ne fait rien. Foutre. Willingdone." (FW 9.13f.). Die mit Napoléons Niederlage verbundenen Einflüsse aus der französischen Sprache – etwa auch "Tonnerre" (FW 9.23) – münden dann mit "Sophy-Key-Po" (FW 9.34f.), an "sauve qui peut" erinnernd, am Ende der Seite in dem fast schon verzweifelten Ausruf "Dalaveras fimmieras!" (FW 9.36): "Deliver us from error(s)!" | ||
==="How Copenhagen ended" (FW 10.01–10.23) === | ==="How Copenhagen ended" (FW 10.01–10.23) === | ||
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Im Gegensatz zur historischen Schlacht von Waterloo scheint der mit HCE assoziierte Arthur Wellington – oder besser: Willingdone, und damit "a man of will and doing" (Tindall 2005, 36) – also nicht als heroischer Sieger vom Platz zu gehen (vgl. ebd., 38), sondern durch sein eigenes Verhalten zu Fall gebracht. | Im Gegensatz zur historischen Schlacht von Waterloo scheint der mit HCE assoziierte Arthur Wellington – oder besser: Willingdone, und damit "a man of will and doing" (Tindall 2005, 36) – also nicht als heroischer Sieger vom Platz zu gehen (vgl. ebd., 38), sondern durch sein eigenes Verhalten zu Fall gebracht. Mit dem Verlassen ("out") des Museums klingen auch die Themen des "Museyroom" aus, das etwas mehr als zwei Dutzend Seiten später nochmals mit dem Verweis auf einen "overgrown milestone" (FW 36.18) kurz aufflackert (vgl. Bishop 1993, 165). | ||
=="Fantasy! funtasy on fantasy, amnaes fintasies!" (FW 493.18): Zur Makro- und Mikrostruktur von ''Finnegans Wake''== | =="Fantasy! funtasy on fantasy, amnaes fintasies!" (FW 493.18): Zur Makro- und Mikrostruktur von ''Finnegans Wake''== | ||
Hat James Joyce seinem ''Ulysses'' als Grundstruktur die Erzählung von Odysseus' Irrfahrten nach Homer unterlegt, so wendet er in ''Finnegans Wake'' ein deutlich komplexeres Modell an: Er greift auf die Geschichtsphilosophie von Giambattista Vico zurück, die Menschheitsgeschichte in vier immer wiederkehrende Zyklen einteilend: "Meine Phantasie wird angeregt", gesteht Joyce in einem Gespräch, "wenn ich Vico lese, wenn ich dagegen Freud oder Jung lese, überhaupt nicht" (in: Ellmann 2009, 1019). | Hat James Joyce seinem ''Ulysses'' als Grundstruktur die Erzählung von Odysseus' Irrfahrten nach Homer unterlegt, so wendet er in ''Finnegans Wake'' ein deutlich komplexeres Modell an: Er greift auf die Geschichtsphilosophie von Giambattista Vico zurück (vgl. Reichert 1989, 19f.), die Menschheitsgeschichte in vier immer wiederkehrende Zyklen einteilend: "Meine Phantasie wird angeregt", gesteht Joyce in einem Gespräch, "wenn ich Vico lese, wenn ich dagegen Freud oder Jung lese, überhaupt nicht" (in: Ellmann 2009, 1019). | ||
===Der Text als "recirculation" (FW 3.02): Vicos Geschichtsphilosophie=== | ===Der Text als "recirculation" (FW 3.02): Vicos Geschichtsphilosophie=== | ||
Mit der Geschichtsphilosophie des Italieners Giambattista Vico (1668–1744) hat sich James Joyce vermutlich schon während seiner Anstellung als Sprachlehrer in Pola auseinandergesetzt, spätestens aber als er in Triest unterrichtet und dort auf den berühmten Anwalt und Vico-Forscher Paolo Cuzzi trifft, dem er zwischen 1911 und 1913 Englischstunden gibt (vgl. Campbell 2005, 5; Ellmann 2009, 511). | Mit der Geschichtsphilosophie des Italieners Giambattista Vico (1668–1744) hat sich James Joyce vermutlich schon während seiner Anstellung als Sprachlehrer in Pola auseinandergesetzt, spätestens aber als er in Triest unterrichtet und dort auf den berühmten Anwalt und Vico-Forscher Paolo Cuzzi trifft, dem er zwischen 1911 und 1913 Englischstunden gibt (vgl. Campbell/Robinson 2005, 5; Ellmann 2009, 511). | ||
Als Gegner des Cartesischen Rationalismus versuchte Vico in seiner 1725 erschienenen Schrift ''La Scienza Nuova'' nachzuweisen, dass sich die Geschichte der Menschheit in vier ständig wiederkehrende Zyklen aufteilen lasse (vgl. Atherton 2009, 29–34; Bishop 1993, 174–215; Bosinelli 1987; Eco 2010, 395–399; Fáj 1987; Reichert 1989, 19f., 221–235; Tindall 2005, 8–11). Jedes dieser Zeitalter – mit der theokratischen Herrschaft der Götter, der Epoche der Heroen, dem Zeitalter der Menschen und einem Ricorso – ist selbst wiederum durch Aufstieg, Blüte und Verfall gekennzeichnet und wird durch einen Donnerschlag eingeläutet. Im Zeitalter der Götter entwickelten sich die Konzepte von Religion und Familie, dessen Untergang (Vico nennt hier den Sündenfall sowie den Abstieg der ägyptischen Hochkultur und den Fall Roms als Beispiele) die durch Kriege und Lehnsystem gekennzeichnete Epoche der Heroen einläute, in dem aber das Konzept der Ehe entstehe. Im menschlichen Zeitalter wiederum entfalte sich ein Rechts- und Demokratiesystem, doch auch diese Epoche verfällt zwangsläufig. Nach einem reinigenden Ricorso beginne die zyklische Menschheitsgeschichte wieder erneut mit einem theokratischen Zeitalter. Gleichzeitig sei jede der Epochen durch eine eigene Sprache gekennzeichnet, die sich wie das Denken der Menschheit insgesamt zivilisatorisch entwickle, von 'Grunzlauten' und Hieroglyphen über einfache Alphabete bis hin zu abstrakten Diskursen im Zeitalter der Menschen. | Als Gegner des Cartesischen Rationalismus versuchte Vico in seiner 1725 erschienenen Schrift ''La Scienza Nuova'' nachzuweisen, dass sich die Geschichte der Menschheit in vier ständig wiederkehrende Zyklen aufteilen lasse (vgl. Atherton 2009, 29–34; Bishop 1993, 174–215; Bosinelli 1987; Eco 2010, 395–399; Fáj 1987; Reichert 1989, 19f., 221–235; Tindall 2005, 8–11). Jedes dieser Zeitalter – mit der theokratischen Herrschaft der Götter, der Epoche der Heroen, dem Zeitalter der Menschen und einem Ricorso – ist selbst wiederum durch Aufstieg, Blüte und Verfall gekennzeichnet und wird durch einen Donnerschlag eingeläutet. Im Zeitalter der Götter entwickelten sich die Konzepte von Religion und Familie, dessen Untergang (Vico nennt hier den Sündenfall sowie den Abstieg der ägyptischen Hochkultur und den Fall Roms als Beispiele) die durch Kriege und Lehnsystem gekennzeichnete Epoche der Heroen einläute, in dem aber das Konzept der Ehe entstehe. Im menschlichen Zeitalter wiederum entfalte sich ein Rechts- und Demokratiesystem, doch auch diese Epoche verfällt zwangsläufig. Nach einem reinigenden Ricorso beginne die zyklische Menschheitsgeschichte wieder erneut mit einem theokratischen Zeitalter. Gleichzeitig sei jede der Epochen durch eine eigene Sprache gekennzeichnet, die sich wie das Denken der Menschheit insgesamt zivilisatorisch entwickle, von 'Grunzlauten' und Hieroglyphen über einfache Alphabete bis hin zu abstrakten Diskursen im Zeitalter der Menschen. | ||
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Die wohl größten Schwierigkeiten im Verständnis von ''Finnegans Wake'' liegen nun aber beileibe nicht in dieser von Vico übernommenen Grundstruktur, sondern vielmehr in der Sprachgewaltigkeit des Textes: James Joyce feilte über fast zwei Jahrzehnte – wie die vergleichenden Zusammenstellungen in Haymans ''First-draft Version'' (1963) zeigen – an jedem Wort, ja, jedem Buchstaben. Entstanden ist letztlich eine aus mehreren Schichten und Ebenen bestehende Geschichte mit dem von Reichert geprägten Ausdruck des "vielfachen Schriftsinns": ''Finnegans Wake'' ist eine "gewaltige Wortsymphonie", eine "Reise ans Ende des Möglichen" (Reichert 1989, 16) mit Mehrfachbedeutungen auf verschiedenen Ebenen. Klagte Joyce mit Blick auf den ''Ulysses'' noch über eingeschränkte Möglichkeiten beim Schreiben in ''einer'' Sprache, so fließen Dutzende verschiedene Sprachen in den Text ein: In den ''Annotations'' werden 62 Sprachen aufgeführt (McHugh 2006, xix–xx); Deane spricht in seiner Einleitung zur Penguin-Ausgabe des Textes sogar von 65 Sprachen (in: Joyce 2010, xxviii). | Die wohl größten Schwierigkeiten im Verständnis von ''Finnegans Wake'' liegen nun aber beileibe nicht in dieser von Vico übernommenen Grundstruktur, sondern vielmehr in der Sprachgewaltigkeit des Textes: James Joyce feilte über fast zwei Jahrzehnte – wie die vergleichenden Zusammenstellungen in Haymans ''First-draft Version'' (1963) zeigen – an jedem Wort, ja, jedem Buchstaben. Entstanden ist letztlich eine aus mehreren Schichten und Ebenen bestehende Geschichte mit dem von Reichert geprägten Ausdruck des "vielfachen Schriftsinns": ''Finnegans Wake'' ist eine "gewaltige Wortsymphonie", eine "Reise ans Ende des Möglichen" (Reichert 1989, 16) mit Mehrfachbedeutungen auf verschiedenen Ebenen. Klagte Joyce mit Blick auf den ''Ulysses'' noch über eingeschränkte Möglichkeiten beim Schreiben in ''einer'' Sprache, so fließen Dutzende verschiedene Sprachen in den Text ein: In den ''Annotations'' werden 62 Sprachen aufgeführt (McHugh 2006, xix–xx); Deane spricht in seiner Einleitung zur Penguin-Ausgabe des Textes sogar von 65 Sprachen (in: Joyce 2010, xxviii). | ||
Die von ihm nun erschaffene Übersprache, eine "universal language based on English" (Wales 1992, 136), ist eigentliche Hauptperson im ''Wake''. Hat Joyce bereits im "Oxen of the Sun"-Kapitel des ''Ulysses'' mit verschiedenen Sprachen experimentiert – in jenem Kapitel also, in dem Leopold Bloom die schwangere Mina Purefoy im Krankenhaus besucht und die Sprache eine dem Fötus im Mutterleib gleichen Entwicklung vom Altenglischen über das moderne Englisch, bis hin zu Dubliner Slang durchläuft – ist er jetzt mehrere Schritte weiter. Dabei benötigt Joyce zwangsläufig ein solches fast unentwirrbares sprachliches Netz, um zwei der Hauptbestandteile des ''Wake'' erfüllen zu können, nämlich eine (möglichst) naturalistische Aufzeichnung des Traums und die (ebenso umfassende) Wiedergabe der Menschheitsgeschichte: "The universal nature of the language undoubtedly takes its prime significance from its double function of representing a comprehensive history of man-kind and a dream-like state." (Wales 1992, 136) | Die von ihm nun erschaffene Übersprache, eine "universal language based on English" (Wales 1992, 136), ist eigentliche Hauptperson im ''Wake'' (vgl. Reichert 1989, 64). Hat Joyce bereits im "Oxen of the Sun"-Kapitel des ''Ulysses'' mit verschiedenen Sprachen experimentiert – in jenem Kapitel also, in dem Leopold Bloom die schwangere Mina Purefoy im Krankenhaus besucht und die Sprache eine dem Fötus im Mutterleib gleichen Entwicklung vom Altenglischen über das moderne Englisch, bis hin zu Dubliner Slang durchläuft – ist er jetzt mehrere Schritte weiter. Dabei benötigt Joyce zwangsläufig ein solches fast unentwirrbares sprachliches Netz, um zwei der Hauptbestandteile des ''Wake'' erfüllen zu können, nämlich eine (möglichst) naturalistische Aufzeichnung des Traums und die (ebenso umfassende) Wiedergabe der Menschheitsgeschichte: "The universal nature of the language undoubtedly takes its prime significance from its double function of representing a comprehensive history of man-kind and a dream-like state." (Wales 1992, 136) | ||
[[Datei:FW-Traumsprache-01.jpg|thumb|right|555px|In die Traumsprache einfließende Diskurse (Auswahl)]] | [[Datei:FW-Traumsprache-01.jpg|thumb|right|555px|In die Traumsprache einfließende Diskurse (Auswahl)]] | ||
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Auch hier ist wieder das Zusammenspiel von Klang (der dann zu diesem französischen Schriftstück führt) und dem geschriebenen Wort bedeutungsgenerierend. So verweisen "cherry" (Kirsche) und "fig tree" (Olivenbaum) auf Früchte, der Ausspruch "Figtreeyou!" aber auch auf die deutsch-französisch-englische Kombination einer obszönen Beleidigung. | Auch hier ist wieder das Zusammenspiel von Klang (der dann zu diesem französischen Schriftstück führt) und dem geschriebenen Wort bedeutungsgenerierend. So verweisen "cherry" (Kirsche) und "fig tree" (Olivenbaum) auf Früchte, der Ausspruch "Figtreeyou!" aber auch auf die deutsch-französisch-englische Kombination einer obszönen Beleidigung. | ||
Mit diesem Austausch spöttischer Grußbotschaften per Brief wird dem Text nicht nur eine neue Stimme, sondern auch eine intertextuelle Perspektive hinzugefügt (vgl. Füger 1994, 277). Daneben finden sich über den gesamten Roman hinweg aber auch weitere literarische Gattungen, bis hin zur mit Noten abgedruckten "Ballad of Persse O’Reilly" (FW 44–47). Zwar scheint die Prosa zu dominieren, doch wirkt diese durch Rhythmus und Harmonie teilweise geradezu lyrisch, an manchen Stellen durch den dramatischen Modus auch fast wie ein Theaterstück: "It is more of a poem than a novel, it is more of a drama than a poem." (Myers 1992, 20) Formal herausstechend ist dabei das zweite Kapitel des zweiten Teils (FW 260–308), das ein wissenschaftlich-akademisches Aussehen hat – inklusive Fußnoten, Randbemerkungen, Zeichnungen und eingefügten Noten. | |||
[[Datei:FW-Rhythmus-01.jpg|thumb|right|555px|Rhythmus und Sound in ''Finnegans Wake'' (schematisch)]] | [[Datei:FW-Rhythmus-01.jpg|thumb|right|555px|Rhythmus und Sound in ''Finnegans Wake'' (schematisch)]] | ||
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Der Traum und das Träumen hat die Menschen zu jeder Zeit und in jeder Kultur fasziniert und ist als sich täglich – oder genauer, nächtlich – wiederholende Grenzerfahrung so universell wie rätselhaft zugleich (vgl. Hobson 2005, xiii). Unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Rang finden sich Traumerlebnisse bei allen Menschen – auch "bei allen Gesunden" (Freud 2008, 79) –, schließlich besteht ja auch gut ein Drittel des menschlichen Lebens aus Schlaf. | Der Traum und das Träumen hat die Menschen zu jeder Zeit und in jeder Kultur fasziniert und ist als sich täglich – oder genauer, nächtlich – wiederholende Grenzerfahrung so universell wie rätselhaft zugleich (vgl. Hobson 2005, xiii). Unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Rang finden sich Traumerlebnisse bei allen Menschen – auch "bei allen Gesunden" (Freud 2008, 79) –, schließlich besteht ja auch gut ein Drittel des menschlichen Lebens aus Schlaf. | ||
Als James Joyce mit der Arbeit an ''Finnegans Wake'' beginnt, steht der rezente Traumdiskurs unter dem Einfluss von Sigmund Freuds (1856–1939) gerade einmal zwei Jahrzehnte zuvor erschienener ''Traumdeutung'', die 1913 zum ersten Mal ins Englische übersetzt wird. | Als James Joyce mit der Arbeit an ''Finnegans Wake'' beginnt, steht der rezente Traumdiskurs unter dem Einfluss von Sigmund Freuds (1856–1939) gerade einmal zwei Jahrzehnte zuvor erschienener ''Traumdeutung'', die 1913 zum ersten Mal ins Englische übersetzt wird – und sich in der Referenz "intrepida / tion of our dreams" (FW 338.29f.) wiederfinden dürfte. | ||
Sein Interesse an Träumen reicht dabei bis in seine Jugendjahre in Dublin zurück (vgl. Bishop 1993, 21), und intensiviert sich offenbar 1916: Noch während er am ''Ulysses'' schreibt, führt Joyce ein Traumbuch, in dem er Träume von Nora aufzeichnet und sogar deutet (vgl. Ellmann 2009, 654f.), und auch in späteren Jahren notiert und analysiert er weiterhin Träume von sich und Bekannten (vgl. ebd., 809–814). | Sein Interesse an Träumen reicht dabei bis in seine Jugendjahre in Dublin zurück (vgl. Bishop 1993, 21), und intensiviert sich offenbar 1916: Noch während er am ''Ulysses'' schreibt, führt Joyce ein Traumbuch, in dem er Träume von Nora aufzeichnet und sogar deutet (vgl. Ellmann 2009, 654f.), und auch in späteren Jahren notiert und analysiert er weiterhin Träume von sich und Bekannten (vgl. ebd., 809–814). | ||
Als erste literarische Umsetzung können dabei die Halluzinationen von Leopold Bloom und Stephen Dedalus im 15. Kapitel des ''Ulysses'', dem vollständig in Dialogen und Szenenanweisungen gehaltenen "Circe"-Kapitel, angenommen werden: Noch sehr an Freuds Traumtheorie orientiert, tauchen nun verschiedene, bereits im bisherigen Tagesverlauf angesprochene Personen (darunter auch Blooms verstorbener Vater und der am Morgen beerdigte Paddy Dignam) vor den beiden berauschten Nachtschwärmern auf, und vor der Kulisse des zirkushaften Bordells der Bella Cohen verschwimmt die eigentliche Handlung unter psychedelischen Sinnestäuschungen. | Als erste literarische Umsetzung können dabei die Halluzinationen von Leopold Bloom und Stephen Dedalus im 15. Kapitel des ''Ulysses'', dem vollständig in Dialogen und Szenenanweisungen gehaltenen "Circe"-Kapitel, angenommen werden (vgl. dazu ausführlich Engel 2018, 364ff.): Noch sehr an Freuds Traumtheorie orientiert, tauchen nun verschiedene, bereits im bisherigen Tagesverlauf angesprochene Personen (darunter auch Blooms verstorbener Vater und der am Morgen beerdigte Paddy Dignam) vor den beiden berauschten Nachtschwärmern auf, und vor der Kulisse des zirkushaften Bordells der Bella Cohen verschwimmt die eigentliche Handlung unter psychedelischen Sinnestäuschungen. | ||
==="I can psoakoonaloose myself any time I want" (FW 522.34): Joyce und Freud=== | ==="I can psoakoonaloose myself any time I want" (FW 522.34): Joyce und Freud=== | ||
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Tatsächlich aber wäre ''Finnegans Wake'' ohne Freuds Traumdeutung undenkbar (vgl. Bishop 1993, 16), zumal Joyce nachweislich in den frühen 1910er Jahren während seines Aufenthalts in Triest die ''Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci'' (1910) von Freud, ''The Oedipus Complex as an Explanation of Hamlet's Mystery''/''Das Problem des Hamlet und der Oedipuskomplex'' (1910) von Ernest Jones sowie ''Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen'' (1909) von C.G. Jung auf Deutsch in seiner Privatbibliothek besitzt (vgl. Ellmann 2009, 512). Zusätzlich waren ihm Freuds Theorien der Wortassoziationen bekannt (vgl. ebd., 538), die sicherlich als Vorlage zu ''Finnegans Wake'' wie auch den Bewusstseinsströmen im ''Ulysses'' angenommen werden könnte. | Tatsächlich aber wäre ''Finnegans Wake'' ohne Freuds Traumdeutung undenkbar (vgl. Bishop 1993, 16), zumal Joyce nachweislich in den frühen 1910er Jahren während seines Aufenthalts in Triest die ''Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci'' (1910) von Freud, ''The Oedipus Complex as an Explanation of Hamlet's Mystery''/''Das Problem des Hamlet und der Oedipuskomplex'' (1910) von Ernest Jones sowie ''Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen'' (1909) von C.G. Jung auf Deutsch in seiner Privatbibliothek besitzt (vgl. Ellmann 2009, 512). Zusätzlich waren ihm Freuds Theorien der Wortassoziationen bekannt (vgl. ebd., 538), die sicherlich als Vorlage zu ''Finnegans Wake'' wie auch den Bewusstseinsströmen im ''Ulysses'' angenommen werden könnte. | ||
Als Joyce mit seiner Familie 1915 aus Paris nach Zürich flieht, kommt er in der Schweiz mit dem ehemaligen Freud-Schüler Carl Gustav Jung (1875–1961) in Kontakt, lehnte aber eine angebotene psychoanalytische Behandlung ab (vgl. ebd., 697f.). Dies hält Jung aber nicht davon ab, 1932 einen Artikel über den ''Ulysses'' zu veröffentlichen, den er Joyce gegenüber in einem Brief als "aufregendes psychologisches Rätsel" lobt (in: ebd., 926). Umgekehrt spielt Joyce in ''Finnegans Wake'' auf den Schweizer Arzt an, der später auch seine Tochter Lucia behandeln wird, in dem er "The law of the jungerl." (FW 268.n3) sowohl als 'Gesetz des Dschungels', aber auch genauso als 'Gesetz von [Freuds] Jünger', oder schlicht 'Jungs Gesetz' interpretierbar offen lässt (vgl. Weninger 1984, 130). | Als Joyce mit seiner Familie 1915 aus Paris nach Zürich flieht, kommt er in der Schweiz mit dem ehemaligen Freud-Schüler Carl Gustav Jung (1875–1961) in Kontakt, lehnte aber eine angebotene psychoanalytische Behandlung ab (vgl. ebd., 697f.). Dies hält Jung aber nicht davon ab, 1932 einen Artikel über den ''Ulysses'' zu veröffentlichen, den er Joyce gegenüber in einem Brief als "aufregendes psychologisches Rätsel" lobt (in: ebd., 926). Umgekehrt spielt Joyce in ''Finnegans Wake'' auf den Schweizer Arzt an, der später auch seine Tochter Lucia behandeln wird, in dem er "The law of the jungerl." (FW 268.n3) sowohl als 'Gesetz des Dschungels', aber auch genauso als 'Gesetz von [Freuds] Jünger', oder schlicht 'Jungs Gesetz' interpretierbar offen lässt (vgl. Weninger 1984, 130 sowie zum divergenten Verhältnis zu Freud und Jung auch Atherton 2009, 38). | ||
===Die Sprache der Nacht=== | ===Die Sprache der Nacht=== | ||
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So kann der (mit Freud gesprochen) 'manifeste Trauminhalt' zwar nach dem Aufwachen erinnert und damit auch (zumindest mittelbar und durch die 'Zensur' des Träumenden) wiedergegeben werden, doch bleibt der 'latente Traumgedanke' durch Kondensierungen und Verschiebungen hinter der Symbolik zurück und muss entschlüsselt werden. Und auch wenn ''Finnegans Wake'' dem 'manifesten Trauminhalt' näher scheint, liegt doch HCEs Traum versprachlicht als ungefilterte und symbolisch aufgeladene Wiedergabe des Traumgeschehens vor, vom erst kürzlichen Vorfall in Phoenix Park überschattet: "For example, 'Waterloo' means a famous Napoleonic battle to the waking mind. In the Wakean dream worlds it also means a place of urinating. If 'Waterloo' reminds the dreamer of a juvenile chastisement for watching girls urinate, then the sexual and historical references to the place become linked by the common theme of humiliating defeat." (Norris 1976, 7) | So kann der (mit Freud gesprochen) 'manifeste Trauminhalt' zwar nach dem Aufwachen erinnert und damit auch (zumindest mittelbar und durch die 'Zensur' des Träumenden) wiedergegeben werden, doch bleibt der 'latente Traumgedanke' durch Kondensierungen und Verschiebungen hinter der Symbolik zurück und muss entschlüsselt werden. Und auch wenn ''Finnegans Wake'' dem 'manifesten Trauminhalt' näher scheint, liegt doch HCEs Traum versprachlicht als ungefilterte und symbolisch aufgeladene Wiedergabe des Traumgeschehens vor, vom erst kürzlichen Vorfall in Phoenix Park überschattet: "For example, 'Waterloo' means a famous Napoleonic battle to the waking mind. In the Wakean dream worlds it also means a place of urinating. If 'Waterloo' reminds the dreamer of a juvenile chastisement for watching girls urinate, then the sexual and historical references to the place become linked by the common theme of humiliating defeat." (Norris 1976, 7) | ||
Auffällig in ''Finnegans Wake'' ist die rasante Abfolge von Ereignissen, die mit dem durch Sprache, Klang und Rhythmus beeinflussten Lesetempo zusammenhängt, aber auch durch die Verwendung von Assoziationsketten, an denen sich der Traum inhaltlich entlang hangelt. Ein geträumtes Wort ruft durch seine Bedeutung oder seinen Laut eine Reihe von weiteren Begriffen und damit verknüpften Vorstellungsbildern wach, in der "Museyroom"-Episode etwa: "This is Mont Tivel, / this is Mont Tipsey, this is the Grand Mons Injuin." (FW 8.28f.) An Freuds "Assoziationsgesetze" erinnernd, die schließlich zu seinem Konzept der Traumwiedergabe durch "freie Assoziation" führten (vgl. Bishop 1993, 192 und 302), schließt sich hier instinktiv, mit einer "garbled rapidity of dream-talk" (Myers 1992, 33), an den "Mont Tivel" zunächst der lautmalerisch verwandte "Mont Tipsey", dann der inhaltlich ähnliche "Mons Injuin" an. | Auffällig in ''Finnegans Wake'' ist die rasante Abfolge von Ereignissen, die mit dem durch Sprache, Klang und Rhythmus beeinflussten Lesetempo zusammenhängt, aber auch durch die Verwendung von Assoziationsketten, an denen sich der Traum inhaltlich entlang hangelt. Ein geträumtes Wort ruft durch seine Bedeutung oder seinen Laut eine Reihe von weiteren Begriffen und damit verknüpften Vorstellungsbildern wach, die zusätzlich durch Homophonien oder Anagramme verfremdet werden (vgl. Lodge 1977, 133) – in der "Museyroom"-Episode etwa: "This is Mont Tivel, / this is Mont Tipsey, this is the Grand Mons Injuin." (FW 8.28f.) An Freuds "Assoziationsgesetze" erinnernd, die schließlich zu seinem Konzept der Traumwiedergabe durch "freie Assoziation" führten (vgl. Bishop 1993, 192 und 302), schließt sich hier instinktiv, mit einer "garbled rapidity of dream-talk" (Myers 1992, 33), an den "Mont Tivel" zunächst der lautmalerisch verwandte "Mont Tipsey", dann der inhaltlich ähnliche "Mons Injuin" an. | ||
==="footsteps" auf dem "oil cloth flure": Innere und äußere Reizquellen in HCEs Traum=== | ==="footsteps" auf dem "oil cloth flure": Innere und äußere Reizquellen in HCEs Traum=== | ||
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Wichtigste (innere) Reizquelle des Traumes ist aber die Erinnerung, besonders das "Tagesinteresse", also ein kürzlich geschehenes Ereignis, das nun verarbeitet wird. Generell ist der Mensch während des Schlafs sehr kreativ; so können im Traum schon (fast) vergessene Erinnerungen aus der Kindheit, als unbedeutend eingeschätzte Vorgänge oder Empfindungen aus der Vergangenheit, oder im wachen Zustand nicht mehr vorhandene Vokabeln aus anderen Sprachen, sowie Erlerntes, Slogans oder Ohrwürmer in den Traum mit eingearbeitet werden – selbst wenn sich der Träumer im wachen Zustand (und ohne Psychoanalyse) daran nicht mehr erinnern kann (vgl. Hobson 2005, 10f.). | Wichtigste (innere) Reizquelle des Traumes ist aber die Erinnerung, besonders das "Tagesinteresse", also ein kürzlich geschehenes Ereignis, das nun verarbeitet wird. Generell ist der Mensch während des Schlafs sehr kreativ; so können im Traum schon (fast) vergessene Erinnerungen aus der Kindheit, als unbedeutend eingeschätzte Vorgänge oder Empfindungen aus der Vergangenheit, oder im wachen Zustand nicht mehr vorhandene Vokabeln aus anderen Sprachen, sowie Erlerntes, Slogans oder Ohrwürmer in den Traum mit eingearbeitet werden – selbst wenn sich der Träumer im wachen Zustand (und ohne Psychoanalyse) daran nicht mehr erinnern kann (vgl. Hobson 2005, 10f.). | ||
Trotz dieser umfangreichen Zugriffsmöglichkeiten bevorzugt der Traum für seine "großartige Verdichtungsarbeit" (Freud 2009, 282) besonders die Eindrücke und Erlebnisse aus den letzten Tagen. Neben Verweisen auf HCEs Familie und Taverne, der alltäglichen räumlichen und sozialen Umgebung Earwickers also, finden sich immer wieder Anspielungen auf den bereits erwähnten Vorfall in Phoenix Park. Diese sind – durch die Traumarbeit entstellt und teilweise zensiert – gerade in der "Museyroom"-Episode besonders stark vertreten, schließlich ist der Standort des "Willingdone Museyroom" ebenjene Grünanlage nördlich von Chapelizod, und schließlich geht es um ein symbolisches 'Fallen', das in der auf HCE referierenden Formulierung "How Copenhagen ended." (FW 10.22) kulminiert. | Trotz dieser umfangreichen Zugriffsmöglichkeiten bevorzugt der Traum für seine "großartige Verdichtungsarbeit" (Freud 2009, 282) besonders die Eindrücke und Erlebnisse aus den letzten Tagen. Neben Verweisen auf HCEs Familie und Taverne, der alltäglichen räumlichen und sozialen Umgebung Earwickers also, finden sich immer wieder Anspielungen auf den bereits erwähnten Vorfall in Phoenix Park. Diese sind – durch die Traumarbeit entstellt und teilweise zensiert – gerade in der "Museyroom"-Episode besonders stark vertreten, schließlich ist der Standort des "Willingdone Museyroom" ebenjene Grünanlage nördlich von Chapelizod, und schließlich geht es um ein symbolisches 'Fallen', das in der auf HCE referierenden Formulierung "How Copenhagen ended." (FW 10.22) kulminiert: Lipoleum gewinnt dieses Waterloo (vgl. Tindall 2005, 38). | ||
Eng verbunden mit der im Traum regelmäßig aufgegriffenen Beschäftigung mit dem Vorfall in Phoenix Park ist auch HCEs Stottern, das in einer Freud'schen Analyse dem Eingeständnis von Schuld gleichkommt (vgl. Myers 1992, 21f.): So stottert Earwicker immer wieder im Verlauf seines Traumes, bis hin zum Verlust der sprachlichen Kontrolle (vgl. Bishop 1993, 307), etwa als er versucht, Fragen zu beantworten (vgl. FW 16.6f.). | Eng verbunden mit der im Traum regelmäßig aufgegriffenen Beschäftigung mit dem Vorfall in Phoenix Park ist auch HCEs Stottern, das in einer Freud'schen Analyse dem Eingeständnis von Schuld gleichkommt (vgl. Myers 1992, 21f.): So stottert Earwicker immer wieder im Verlauf seines Traumes, bis hin zum Verlust der sprachlichen Kontrolle (vgl. Bishop 1993, 307), etwa als er versucht, Fragen zu beantworten (vgl. FW 16.6f.). | ||
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Diese beiden Elemente des Träumens – Verdichtung und Verschiebung – sorgen für die ausgeprägte "Polyvalenz der Worte" (Schmidt 1979, 219), die offene Mehrdeutigkeit des Textes also, aber auch für die dadurch entstehende Komik (vgl. Benstock 1965), wie sie Freud durchaus für den Traum ausmacht: "Alle Träumer sind ebenso unausstehlich witzig, und sie sind es aus Not, weil sie im Gedränge sind, ihnen der gerade Weg versperrt ist." (Freud 1999, 407) Und tatsächlich besteht ''Finnegans Wake'' als "polyglotte Enzyklopädie an Wortspielen" (Hildesheimer 1969, 11) aus unzähligen Witzen und verschiedensten Sprachspielereien: Gerade weil das ''Wake'' "sich als die unablässige proteische Zitierung der ganzen bisherigen Kultur" (Eco 2010, 402) entwickle, spricht Eco sogar von einer regelrechten "Poetik des Kalauers" (ebd., 399). | Diese beiden Elemente des Träumens – Verdichtung und Verschiebung – sorgen für die ausgeprägte "Polyvalenz der Worte" (Schmidt 1979, 219), die offene Mehrdeutigkeit des Textes also, aber auch für die dadurch entstehende Komik (vgl. Benstock 1965), wie sie Freud durchaus für den Traum ausmacht: "Alle Träumer sind ebenso unausstehlich witzig, und sie sind es aus Not, weil sie im Gedränge sind, ihnen der gerade Weg versperrt ist." (Freud 1999, 407) Und tatsächlich besteht ''Finnegans Wake'' als "polyglotte Enzyklopädie an Wortspielen" (Hildesheimer 1969, 11) aus unzähligen Witzen und verschiedensten Sprachspielereien: Gerade weil das ''Wake'' "sich als die unablässige proteische Zitierung der ganzen bisherigen Kultur" (Eco 2010, 402) entwickle, spricht Eco sogar von einer regelrechten "Poetik des Kalauers" (ebd., 399). | ||
Und auch Joyce selbst scheint beim Schreiben seinen Spaß gehabt zu haben – zumindest beschwert sich Nora Barnacle: "I go to bed and then that man sits in the next room and continues laughing about his own writing." (zitiert nach Birmingham 2014, 186) | |||
==="How charmingly exquisite!" (FW 13.06): Traumsymbole und Selbstreflexivität=== | ==="How charmingly exquisite!" (FW 13.06): Traumsymbole und Selbstreflexivität=== | ||
Über die Assoziationsketten und Wortspiele hinaus ist die "Museyroom"-Episode – angesichts eines 'Kriegsmuseums' vielleicht auch wenig überraschend – mit phallischen Traumsymbolen durchzogen: So liegt dem "Willingdone-Memorial" der über 60 Meter hohe steinerne Obelisk auf einem Sockel zugrunde, der dem Feldherrn nicht nur wegen den Erfolgen in den Befreiungskriegen und der Schlacht von Waterloo gegen Napoléon Ende der 1830er Jahre gestiftet wurde, sondern auch aufgrund dessen Zeit als britischer Premierminister (1828–1830), in der sich Wellington um die Katholikenemanzipation (auch in Irland) verdient gemacht hat (vgl. Siedenbiedel 2005, 35). | Über die Assoziationsketten und Wortspiele hinaus ist die "Museyroom"-Episode – angesichts eines 'Kriegsmuseums' vielleicht auch wenig überraschend – mit phallischen Traumsymbolen durchzogen (vgl. Tindall 2005, 37): So liegt dem "Willingdone-Memorial" der über 60 Meter hohe steinerne Obelisk auf einem Sockel zugrunde, der dem Feldherrn nicht nur wegen den Erfolgen in den Befreiungskriegen und der Schlacht von Waterloo gegen Napoléon Ende der 1830er Jahre gestiftet wurde, sondern auch aufgrund dessen Zeit als britischer Premierminister (1828–1830), in der sich Wellington um die Katholikenemanzipation (auch in Irland) verdient gemacht hat (vgl. Siedenbiedel 2005, 35). | ||
Schon dieses real existierende Bauwerk, "that overgrown leadpencil" (FW 56.12), | Schon dieses real existierende Bauwerk, "that overgrown leadpencil" (FW 56.12), lässt an einen Phallus denken, was durch die Beschreibung in der "Museyroom"-Episode nochmals unterstrichen wird; das "Willingdone mormorial" (FW 8.35) ist ein "old max montrumeny" (FW 10.3). Damit erinnert die Joyce'sche Traumsymbolik durchaus an die häufig (verkürzt) mit Freuds ''Traumdeutung'' verbundene Sexualmetaphorik, die sich bspw. durch "alle in die Länge reichenden Objekte" sowie "alle länglichen und scharfen Waffen" (Freud 2009, 348) respektive (als weiblichen Sexualsymbole) durch verschiedenste "dem Frauenleib" (ebd., 349) entsprechende Gegenstände wie Gefäße, Höhlen, oder verschlossene Zimmer ausdrückt. Somit scheinen sich auch die verschiedenen Waffen und Objekte – zum Beispiel "gunn" (FW 8.11), "fork" (FW 8.15), "key" (FW 9.35) und "tailoscrupp" (FW 10.13) – sowie das mehrfach erwähnte Pferd nicht nur in den Militaria-Diskurs dieser Episode einzureihen (vgl. Atherton 2009, 155), sondern dürften nach Freud traumsymbolisch für das männliche Geschlecht stehen, und damit erneut auf die (möglicherweise sexuelle) Verfehlung von HCE verweisen. | ||
Gerade aber jedoch auch der "enzyklopädische[] Wissensvorrat" (Erzgräber 1998, 322) aus Geschichte und Mythologie, Alltags- und Populärkultur lassen das Träumen in ''Finnegans Wake'' nicht nur als 'individuelles' Erleben erscheinen, sondern legen auch eine gewisse Nähe zum Verständnis eines "kollektiven Unbewussten" im Sinne von Jung nahe (vgl. Hart 1962, 80), schließlich bringt der Traum von HCE allgemein bekannte religiöse, historische und kulturelle Stoffe oder Symbole zu einem universellen, die Geschichte der Menschheit von ihren Anfängen bis etwa zum Ersten Weltkrieg umspannenden Traum zusammen (vgl. Bishop 1993, 196). | Gerade aber jedoch auch der "enzyklopädische[] Wissensvorrat" (Erzgräber 1998, 322) aus Geschichte und Mythologie, Alltags- und Populärkultur (vgl. Blumenbach 1996) lassen das Träumen in ''Finnegans Wake'' nicht nur als 'individuelles' Erleben erscheinen, sondern legen auch eine gewisse Nähe zum Verständnis eines "kollektiven Unbewussten" im Sinne von Jung nahe (vgl. Hart 1962, 80), schließlich bringt der Traum von HCE allgemein bekannte religiöse, historische und kulturelle Stoffe oder Symbole zu einem universellen, die Geschichte der Menschheit von ihren Anfängen bis etwa zum Ersten Weltkrieg umspannenden Traum zusammen (vgl. Bishop 1993, 196). | ||
Und so wie HCE in seinem eigenen Traum in verschiedenen Gestalten – von Finnegan bis Buddha, von Noah bis Guinness – auftritt, ist er "nicht eine Person, sondern viele" (Eco 2010, 392): HCE als Jedermann ("Here Comes / Everybody"; FW 32.18f.) kann auf Dutzende von Sprachen ebenso zurückgreifen wie auf philosophische Konzepte und ein gewaltiges Textkorpus aus mehreren Jahrtausenden globalen Schrifttums. Hinzu kommen noch die bereits angesprochenen Sprichwörter, Lieder und Balladen, Songs und Slogans aus der Alltagskultur, sowie Kinderreime und allgemeines Volksgut. So stammen die intertextuellen Bezüge aus religiösen, wissenschaftlichen und literarischen Werken verschiedenster Kulturen und Philologien (vgl. Bonheim 1967; Christiani 1965; Hart 1963; O'Hehir 1968; O'Hehir/Dillon 1977): In seinem Standardwerk ''The Books at the Wake. A Study of Literary Allusions in James Joyce's 'Finnegans Wake''' konnte James S. Atherton mehrere hundert solcher Verweise zuordnen (vgl. Atherton 2009, 233–290). Damit erscheint Earwicker tatsächlich als das "kollektive Unbewusste" schlechthin und – auf Vico und Jung zurückgehend – die Summer vieler Einzelbewusstseins, das Wissen der Menschheit im Traum abrufend (vgl. Bishop 1993, 212f.; Reichert 1989, 24f.). Gleichzeitig ist HCEs Traum niemals endend und, in Anlehnung an Vicos Geschichtsphilosophie, zirkulär aufgebaut: Earwicker wird nie aufwachen. | Und so wie HCE in seinem eigenen Traum in verschiedenen Gestalten – von Finnegan bis Buddha, von Noah bis Guinness – auftritt, ist er "nicht eine Person, sondern viele" (Eco 2010, 392): HCE als Jedermann ("Here Comes / Everybody"; FW 32.18f.) kann auf Dutzende von Sprachen ebenso zurückgreifen wie auf philosophische Konzepte und ein gewaltiges Textkorpus aus mehreren Jahrtausenden globalen Schrifttums. Hinzu kommen noch die bereits angesprochenen Sprichwörter, Lieder und Balladen, Songs und Slogans aus der Alltagskultur, sowie Kinderreime und allgemeines Volksgut. So stammen die intertextuellen Bezüge aus religiösen, wissenschaftlichen und literarischen Werken verschiedenster Kulturen und Philologien (vgl. Bonheim 1967; Christiani 1965; Hart 1963; O'Hehir 1968; O'Hehir/Dillon 1977): In seinem Standardwerk ''The Books at the Wake. A Study of Literary Allusions in James Joyce's 'Finnegans Wake''' konnte James S. Atherton mehrere hundert solcher Verweise zuordnen (vgl. Atherton 2009, 233–290). Damit erscheint Earwicker tatsächlich als das "kollektive Unbewusste" schlechthin und – auf Vico und Jung zurückgehend – die Summer vieler Einzelbewusstseins, das Wissen der Menschheit im Traum abrufend (vgl. Bishop 1993, 212f.; Reichert 1989, 24f.). Gleichzeitig ist HCEs Traum niemals endend und, in Anlehnung an Vicos Geschichtsphilosophie, zirkulär aufgebaut: Earwicker wird nie aufwachen. | ||
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* als unterbrochenes Akronym, etwa "he is ee and no affair" (FW 29.34), | * als unterbrochenes Akronym, etwa "he is ee and no affair" (FW 29.34), | ||
* als rückwärts gelesenes Akronym (ECH), etwa "elk charged him" (FW 14.18). | * als rückwärts gelesenes Akronym (ECH), etwa "elk charged him" (FW 14.18). | ||
Es überrascht daher wenig, dass ''Finnegans Wake'' zeitgenössisch auch mit der von Albert Einstein (1879–1955) formulierten Relativitätstheorie in Verbindung gebracht wurde: Das Werk, "written in the weltering language of dreams" (Birmingham 2014, 286), soll dabei "selber aus der Beobachtung entstehen, der Beobachter ist immer mitten drin, er stellt dar und stellt sich und seine Arbeit gleichzeitig mit ihr dar." (Bloch 1997, 80) | |||
Neben solchen selbstreflexiven Andeutungen auf das eigene schlafende Bewusstsein Humphrey Chimpden Earwickers finden sich im Traum auch ähnliche Verweise auf seine Frau Anna Livia Plurabelle (ALP) sowie die drei gemeinsamen Kinder, die Zwillinge Shem und Shaun und die Tochter Issy. So kann ein Brief von ALP in einem späteren Kapitel des ''Wake'' identifiziert werden (vgl. Begnal 1988, 113; Higginson 1960; Tindall 2005, 77), womit die "Fiktionalität des Werks selbst" (Siedenbiedel 2005, 15) angedeutet wird: Auf Joyces Poetik übertragen, ein Traum über das Träumen also. | Neben solchen selbstreflexiven Andeutungen auf das eigene schlafende Bewusstsein Humphrey Chimpden Earwickers finden sich im Traum auch ähnliche Verweise auf seine Frau Anna Livia Plurabelle (ALP) sowie die drei gemeinsamen Kinder, die Zwillinge Shem und Shaun und die Tochter Issy. So kann ein Brief von ALP in einem späteren Kapitel des ''Wake'' identifiziert werden (vgl. Begnal 1988, 113; Higginson 1960; Tindall 2005, 77), womit die "Fiktionalität des Werks selbst" (Siedenbiedel 2005, 15) angedeutet wird: Auf Joyces Poetik übertragen, ein Traum über das Träumen also. | ||
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Jonas Nesselhauf]]</div> | |||
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==="Übersetzungen"=== | ==="Übersetzungen"=== | ||
* Joyce, James: Geschichten von Shaun und Shem. Herausgegeben und übersetzt von Friedhelm Rathjen. Berlin: Suhrkamp 2012. | |||
* Joyce, James, Wolfgang Hildesheimer und Hans Wollschläger: Anna Livia Plurabelle. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970. | * Joyce, James, Wolfgang Hildesheimer und Hans Wollschläger: Anna Livia Plurabelle. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970. | ||
* | * Reichert, Klaus und Fritz Senn: Finnegans Wake: Gesammelte Annäherungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989. | ||
* Stündel, Dieter H.: Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkess fun Schämes Scheuss. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1993. | * Stündel, Dieter H.: Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkess fun Schämes Scheuss. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1993. | ||
* Weninger, Robert: The Mookse and the Gripes. Ein Kommentar zu James Joyces 'Finnegans Wake'. München: Edition Text und Kritik 1984. | |||
===Forschungsliteratur=== | ===Forschungsliteratur=== | ||
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* Begnal, Michael H. und Grace Eckley: Narrator and Character in 'Finnegans Wake'. Lewisburg, PA: Bucknell University Press 1975. | * Begnal, Michael H. und Grace Eckley: Narrator and Character in 'Finnegans Wake'. Lewisburg, PA: Bucknell University Press 1975. | ||
* Benstock, Bernard: Joyce-again's Wake. An Analysis of 'Finnegans Wake'. Seattle, WA: University of Washington Press 1965. | * Benstock, Bernard: Joyce-again's Wake. An Analysis of 'Finnegans Wake'. Seattle, WA: University of Washington Press 1965. | ||
* Birmingham, Kevin: The Most Dangerous Book. The Battle for James Joyce's 'Ulysses'. New York: Penguin 2014. | |||
* Bishop, John: Joyce's Book of the Dark. 'Finnegans Wake'. Madison, WI: University of Wisconsin Press 1993. | * Bishop, John: Joyce's Book of the Dark. 'Finnegans Wake'. Madison, WI: University of Wisconsin Press 1993. | ||
* Bloch, Hermann: James Joyce und die Gegenwart. Rede zu Joyces 50. Geburtstag. In: Ders.: Geist und Zeitgeist. Essays zur Kultur der Moderne. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 66–93. | |||
* Blumenbach, Ulrich: Irish Views on British Wars. Joyce's Museyroom Memorial. Metaphors of Memory and Recollection. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 44.1 (1996), S. 44–50. | |||
* Bonheim, Helmut: A Lexicon of the German in 'Finnegans Wake'. Berkeley, CA: University of California Press 1967. | * Bonheim, Helmut: A Lexicon of the German in 'Finnegans Wake'. Berkeley, CA: University of California Press 1967. | ||
* Bosinelli, Rosa Maria: "I use his cycles as a trellis." Joyce's Treatment of Vico in 'Finnegans Wake'. In: Donald Phillip Verene (Hrsg.): Vico and Joyce. Albany, NY: State University of New York Press 1987, S. 123–131. | * Bosinelli, Rosa Maria: "I use his cycles as a trellis." Joyce's Treatment of Vico in 'Finnegans Wake'. In: Donald Phillip Verene (Hrsg.): Vico and Joyce. Albany, NY: State University of New York Press 1987, S. 123–131. | ||
* Butler, Christopher: Joyce the Modernist. In: Derek Attridge (Hrsg.): The Cambridge Companion to James Joyce. Cambridge: Cambridge University Press 2006, S. 67–86. | * Butler, Christopher: Joyce the Modernist. In: Derek Attridge (Hrsg.): The Cambridge Companion to James Joyce. Cambridge: Cambridge University Press 2006, S. 67–86. | ||
* Campbell, Joseph: A Skeleton Key to 'Finnegans Wake': Unlocking James Joyce's Masterwork. Novato, CA: New World Library 2005. | * Campbell, Joseph und Henry Morton Robinson: A Skeleton Key to 'Finnegans Wake': Unlocking James Joyce's Masterwork. Novato, CA: New World Library 2005. | ||
* Christiani, Dounia Bunis: Scandinavian Elements of 'Finnegans Wake'. Evanston, IL: Northwestern University Press 1965. | * Christiani, Dounia Bunis: Scandinavian Elements of 'Finnegans Wake'. Evanston, IL: Northwestern University Press 1965. | ||
* Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010. | * Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010. | ||
* Ellmann, Richard: James Joyce. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009. | * Ellmann, Richard: James Joyce. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009. | ||
* Engel, Manfred: Jeder Träumer ein Shakespeare? Zum poetogenen Potential des Traumes. In: Rüdiger Zymner und Ders. (Hrsg.): Anthropologie der Literatur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder. Paderborn: Mentis 2004, S. 102–117. | * Engel, Manfred: Jeder Träumer ein Shakespeare? Zum poetogenen Potential des Traumes. In: Rüdiger Zymner und Ders. (Hrsg.): Anthropologie der Literatur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder. Paderborn: Mentis 2004, S. 102–117. | ||
* Engel, Manfred: Dream Theories in Modernist Literature. Proust’s 'Recherche', Joyce’s 'Ulysses', and Kafka's 'The Castle'. In: Bernard Dieterle und Ders. (Hrsg.): Theorizing the Dream. Savoir et théories du rêve. Würzburg: Königshausen & Neumann 2018, S. 341–391. | |||
* Erzgräber, Willi: James Joyce. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spiegel experimenteller Erzählkunst. Tübingen: Narr 1998. | * Erzgräber, Willi: James Joyce. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spiegel experimenteller Erzählkunst. Tübingen: Narr 1998. | ||
* Fáj, Attila: Vico's Basic Law of History in 'Finnegans Wake'. In: Donald Phillip Verene (Hrsg.): Vico and Joyce. Albany, NY: State University of New York Press 1987, S. 20–31. | * Fáj, Attila: Vico's Basic Law of History in 'Finnegans Wake'. In: Donald Phillip Verene (Hrsg.): Vico and Joyce. Albany, NY: State University of New York Press 1987, S. 20–31. | ||
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* Freud, Sigmund: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Frankfurt: Fischer 2008. | * Freud, Sigmund: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Frankfurt: Fischer 2008. | ||
* Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt: Fischer 2009. | * Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt: Fischer 2009. | ||
* Füger, Wilhelm: James Joyce. Epoche, Werk, Wirkung. München: Beck 1994. | |||
* Gilbert, Stuart: James Joyces 'Ulysses'. London: Faber and Faber 1930. | * Gilbert, Stuart: James Joyces 'Ulysses'. London: Faber and Faber 1930. | ||
* Gillespie, Gerald: Oneiric Joyce. Dreaming the Mystery in 'Finnegans Wake' (1939). In: Bernard Dieterle und Manfred Engel (Hrsg.): Historizing the Dream. Le rêve du point de vue historique. Würzburg: Königshausen & Neumann 2019, S. 251–266. | |||
* Glasheen, Adaline: A Census of 'Finnegans Wake'. An Index of Characters and their Roles. Evanston, IL: Northwestern University Press 1956. | |||
* Glasheen, Adaline: A Second Census of 'Finnegans Wake'. An Index of Characters and their Roles. Evanston, IL: Northwestern University Press 1963. | |||
* Glasheen, Adaline: Third Census of 'Finnegans Wake'. An Index of Characters and their Roles. Berkeley, CA: University of California Press 1977. | * Glasheen, Adaline: Third Census of 'Finnegans Wake'. An Index of Characters and their Roles. Berkeley, CA: University of California Press 1977. | ||
* Hart, Clive: Structure and Motif in 'Finnegans Wake'. London: Faber 1962. | * Hart, Clive: Structure and Motif in 'Finnegans Wake'. London: Faber 1962. | ||
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* Hildesheimer, Wolfgang: Übersetzung und Interpretation einer Passage aus 'Finnegans Wake' von James Joyce. In: Ders.: Interpretationen. James Joyce. Georg Büchner. Zwei Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt: Suhrkamp 1969, S. 5–29. | * Hildesheimer, Wolfgang: Übersetzung und Interpretation einer Passage aus 'Finnegans Wake' von James Joyce. In: Ders.: Interpretationen. James Joyce. Georg Büchner. Zwei Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt: Suhrkamp 1969, S. 5–29. | ||
* Hobson, J. Allan: Dreaming. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press 2005. | * Hobson, J. Allan: Dreaming. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press 2005. | ||
* Kitcher, Philip: Joyce's Kaleidoscope. An Invitation to 'Finnegans Wake'. Oxford: Oxford University Press 2007. | |||
* Lernout, Geert: The Beginning: Chapter I.1. In: Luca Crispi und Sam Slote (Hrsg.): How Joyce Wrote 'Finnegans Wake'. A Chapter-By-Chapter Genetic Guide. Madison, WC: University of Wisconsin Press 2007, S. 49–65. | |||
* Lodge, David: The Modes of Modern Writing. Metaphor, Metonymy, and the Topology of Modern Literature. London: Edward Arnold 1977. | |||
* McHugh, Roland: Annotations to 'Finnegans Wake'. Baltimore, MD: John Hopkins University Press 2006. | * McHugh, Roland: Annotations to 'Finnegans Wake'. Baltimore, MD: John Hopkins University Press 2006. | ||
* McLuhan, Eric: The Role of Thunder in Finnegans Wake. Toronto: University of Toronto Press 1997. | * McLuhan, Eric: The Role of Thunder in Finnegans Wake. Toronto: University of Toronto Press 1997. | ||
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* Reichert, Klaus: Vielfacher Schriftsinn. Zu 'Finnegans Wake'. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989. | * Reichert, Klaus: Vielfacher Schriftsinn. Zu 'Finnegans Wake'. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989. | ||
* Schmidt, Arno: Berechnungen: Sylvie & Bruno. In: Ders.: Aus julianischen Tagen. Frankfurt: Fischer 1979, S. 209–233. | * Schmidt, Arno: Berechnungen: Sylvie & Bruno. In: Ders.: Aus julianischen Tagen. Frankfurt: Fischer 1979, S. 209–233. | ||
* Senn, Fritz: Finnegan neckt. In: Ders.: Nichts gegen Joyce. Joyce versus Nothing. Aufsätze 1959–1983. Herausgegeben von Franz Cavigelli. Zürich: Haffmanns 1983, S. 177–183. | |||
* Siedenbiedel, Catrin: Metafiktionalität in 'Finnegans Wake'. Das Weibliche als Prinzip selbstreflexiven Erzählens bei James Joyce. Würzburg: Königshausen und Neumann 2005. | * Siedenbiedel, Catrin: Metafiktionalität in 'Finnegans Wake'. Das Weibliche als Prinzip selbstreflexiven Erzählens bei James Joyce. Würzburg: Königshausen und Neumann 2005. | ||
* Smith, Zadie: Changing My Mind. Occasional Essays. London: Penguin 2009. | * Smith, Zadie: Changing My Mind. Occasional Essays. London: Penguin 2009. | ||
* Tindall, William York: A Reader's Guide to 'Finnegans Wake'. Syarcuse University Press 2005. | * Tindall, William York: A Reader's Guide to 'Finnegans Wake'. Syarcuse University Press 2005. | ||
* Wales, Katie: The Language of James Joyce. London: Macmillan; 1992. | * Wales, Katie: The Language of James Joyce. London: Macmillan; 1992. | ||
* | * Wilson, Edmund: The Dream of H.C. Earwicker. In: The New Republic (1939), S. 270–274. | ||