"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen
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"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner) (Quelltext anzeigen)
Version vom 28. September 2023, 13:22 Uhr
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:<span style="color: #7b879e;">''bitet, daz im got genædec wese''</span> | :<span style="color: #7b879e;">''bitet, daz im got genædec wese''</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">''und dem tihtære,''</span> | :<span style="color: #7b879e;">''und dem tihtære,''</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">''der heizet Wernher der Gartenære.'' (H V.1931''–''1934)</span> | :<span style="color: #7b879e;">''der heizet Wernher der Gartenære.'' (H V. 1931''–''1934)</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Wer auch immer euch diese Geschichte vorliest, betet darum, dass Gott ihm gnädig sei und auch dem Dichter, der heißt Wernher der Gärtner. )<ref>Der Text wird nach der neuesten Fassung von Karl-Heinz Göttert (2015) zitiert (im Fließtext mit der Sigle H und der entsprechenden Versangabe). Alle Übersetzungen sind jedoch aus der älteren Fassung von Helmut Brackert, Windfried Frey und Dieter Seitz übernommen (1972), da sich die ältere Übersetzung näher am Text orientiert.</ref>.</span> | :<span style="color: #7b879e;">(Wer auch immer euch diese Geschichte vorliest, betet darum, dass Gott ihm gnädig sei und auch dem Dichter, der heißt Wernher der Gärtner. )<ref>Der Text wird nach der neuesten Fassung von Karl-Heinz Göttert (2015) zitiert (im Fließtext mit der Sigle H und der entsprechenden Versangabe). Alle Übersetzungen sind jedoch aus der älteren Fassung von Helmut Brackert, Windfried Frey und Dieter Seitz übernommen (1972), da sich die ältere Übersetzung näher am Text orientiert.</ref>.</span> | ||
|}Zu seiner Person gibt es mehrere Interpretationen: So wird der Beiname „der Gärtner“ als Herkunftsname gedeutet (Garten/Garda), wobei er dort für längere Zeit ansässig gewesen oder sogar geboren sein könnte (Nolte 2012, Fränkel 1897). Weiterhin könnte der Beiname als Künstlername verstanden werden, wie ihn viele fahrende Dichter zu dieser Zeit trugen (Nolte 2012). Dass Wernher als fahrender Dichter bzw. Berufsdichter aufgefasst wird, der seine Dichtungen an Adelshöfen vortrug, liegt u.a. an „Form und Ausdruck seines dichterischen Schaffens“ (Fränkel 1897) sowie an einer Bemerkung des Erzählers: | |}Zu seiner Person gibt es mehrere Interpretationen: So wird der Beiname „der Gärtner“ als Herkunftsname gedeutet (Garten/Garda), wobei er dort für längere Zeit ansässig gewesen oder sogar geboren sein könnte (Nolte 2012, Fränkel 1897). Weiterhin könnte der Beiname als Künstlername verstanden werden, wie ihn viele fahrende Dichter zu dieser Zeit trugen (Nolte 2012). Dass Wernher als fahrender Dichter bzw. Berufsdichter aufgefasst wird, der seine Dichtungen an Adelshöfen vortrug, liegt u.a. an „Form und Ausdruck seines dichterischen Schaffens“ (Fränkel 1897) sowie an einer Bemerkung des Erzählers: | ||
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:''<span style="color: #7b879e;">swie vil ich var enwadele,</span>'' | :''<span style="color: #7b879e;">swie vil ich var enwadele,</span>'' | ||
:<span style="color: #7b879e;">''sô bin ich an deheiner stete,''</span> | :<span style="color: #7b879e;">''sô bin ich an deheiner stete,''</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">''dâ man mir tuo, als man im tete.'' (H V.848''–''850)</span> | :<span style="color: #7b879e;">''dâ man mir tuo, als man im tete.'' (H V. 848''–''850)</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Wieweit ich auch herumkomme, ich komme nirgendwo hin, wo man mich behandelt, wie man ihn behandelt.)</span> | :<span style="color: #7b879e;">(Wieweit ich auch herumkomme, ich komme nirgendwo hin, wo man mich behandelt, wie man ihn behandelt.)</span> | ||
|}Auch eine Zuordnung zu den Wandermönchen ist nicht ausgeschlossen (Nolte 2012; Fränkel 1897). | |}Auch eine Zuordnung zu den Wandermönchen ist nicht ausgeschlossen (Nolte 2012; Fränkel 1897). | ||
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===Prognostische Träume: Vier Vorausdeutungen auf Helmbrechts Strafen=== | ===Prognostische Träume: Vier Vorausdeutungen auf Helmbrechts Strafen=== | ||
Die vier Träume können hinsichtlich Art und Schwere der Strafen unterschieden werden, die Helmbrecht ereilen werden. Der erste Traum handelt von Helmbrechts Blendung: | Die vier Träume können hinsichtlich Art und Schwere der Strafen unterschieden werden, die Helmbrecht ereilen werden. Der erste Traum handelt von Helmbrechts Blendung: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | |||
''„dû hetest zwei lieht in der hant, '' | |- | ||
diu brunnen, daz si durch diu lant | || | ||
lûhten mit ir schîne. | :''<span style="color: #7b879e;">„dû hetest zwei lieht in der hant,</span>'' | ||
lieber sun der mîne, | :''<span style="color: #7b879e;">diu brunnen, daz si durch diu lant</span>'' | ||
sust troumt mir vert von einem man, | :''<span style="color: #7b879e;">lûhten mit ir schîne.</span>'' | ||
den sach ich hiure blinden gân.“'' (H V. | :''<span style="color: #7b879e;">lieber sun der mîne,</span>'' | ||
(Du hattest zwei Lichter in der Hand, die brannten, so dass sie weithin leuchteten mit ihrem Schein. Mein lieber Sohn, so träumte mir vergangenes Jahr von einem Mann, den ich dieses Jahr blind umhergehen sah.) | :''<span style="color: #7b879e;">sust troumt mir vert von einem man,</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">den sach ich hiure blinden gân.“</span>'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 581''–''586)</span> | |||
Die Blendung kann hier in doppelter Bedeutung verstanden werden: So bezieht sich dies primär auf das spätere Erblinden Helmbrechts, aber ebenso auf das „Nicht-Sehen-Können des ihm prophezeiten Schicksals“ (Seelbach 1987, 99), das sich auch in seiner abweisenden Reaktion auf die Träume spiegelt. Der Traum erhält von dem Vater eine explizite Deutung durch die Erwähnung eines bereits in Erfüllung gegangenen Traums, der gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit beteuert. Der zweite Traum offenbart, dass Helmbrecht ein Fuß abgetrennt werden wird, da der Vater im Traum sieht, wie ein Beinstumpf aus der Kleidung des Sohnes ragt und auf einem Stock aufliegt, während sein anderer Fuß auf der Erde geht: | :<span style="color: #7b879e;">(Du hattest zwei Lichter in der Hand, die brannten, so dass sie weithin leuchteten mit ihrem Schein. Mein lieber Sohn, so träumte mir vergangenes Jahr von einem Mann, den ich dieses Jahr blind umhergehen sah.)</span> | ||
|}Die Blendung kann hier in doppelter Bedeutung verstanden werden: So bezieht sich dies primär auf das spätere Erblinden Helmbrechts, aber ebenso auf das „Nicht-Sehen-Können des ihm prophezeiten Schicksals“ (Seelbach 1987, 99), das sich auch in seiner abweisenden Reaktion auf die Träume spiegelt. Der Traum erhält von dem Vater eine explizite Deutung durch die Erwähnung eines bereits in Erfüllung gegangenen Traums, der gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit beteuert. Der zweite Traum offenbart, dass Helmbrecht ein Fuß abgetrennt werden wird, da der Vater im Traum sieht, wie ein Beinstumpf aus der Kleidung des Sohnes ragt und auf einem Stock aufliegt, während sein anderer Fuß auf der Erde geht: | |||
''„mir troumte mêre: | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
ein fuoz dir ûf der erde gie, | |- | ||
dâ stüende dû mit dem andern knie | || | ||
hôhe ûf einem stocke; | :''<span style="color: #7b879e;">„mir troumte mêre:</span>'' | ||
dô ragete dir ûz dem rocke | :''<span style="color: #7b879e;">ein fuoz dir ûf der erde gie,</span>'' | ||
einez als ein ahsendrum.“'' (H V. | :''<span style="color: #7b879e;">dâ stüende dû mit dem andern knie hôhe ûf einem stocke;</span>'' | ||
(„Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.) | :''<span style="color: #7b879e;">dô ragete dir ûz dem rocke</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">einez als ein ahsendrum.“</span>'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 592''–''597)</span> | |||
Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochfahrt, die aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende kommen wird (Seelbach 1987, 100): | :<span style="color: #7b879e;">(„Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.)</span> | ||
|}Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochfahrt, die aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende kommen wird (Seelbach 1987, 100): | |||
''„dû soldest fliegen hôhe'' | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
über walt und über lôhe: | |- | ||
ein vettich wart dir versniten, | || | ||
dô wart dîn vliegen vermiten.“'' (H V. | :''<span style="color: #7b879e;">„dû soldest fliegen hôhe</span>'' | ||
(„Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.“) | :''<span style="color: #7b879e;">über walt und über lôhe:</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">ein vettich wart dir versniten,</span>'' | |||
Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H V. 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H V. 617–619), denn: | :''<span style="color: #7b879e;">dô wart dîn vliegen vermiten.“</span>'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 605''–''608)</span> | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.“)</span> | |||
''„dû stüende ûf einem boume; '' | |}Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H V. 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H V. 617–619), denn: | ||
von dînen füezen unz an daz gras | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
wol anderhalp klâfter was; | |- | ||
ob dînem houpte ûf einem zwî | || | ||
saz ein rabe und ein krâ dâ bî. | :''<span style="color: #7b879e;">„dû stüende ûf einem boume;</span>'' | ||
dîn hâr was dir bestroubet: | :''<span style="color: #7b879e;">von dînen füezen unz an daz gras</span>'' | ||
dô strælte dir dîn houbet | :''<span style="color: #7b879e;">wol anderhalp klâfter was;</span>'' | ||
zeswenhalp ein rabe dâ, | :''<span style="color: #7b879e;">ob dînem houpte ûf einem zwî</span>'' | ||
winsterhalp schiet dirz diu krâ. | :''<span style="color: #7b879e;">saz ein rabe und ein krâ dâ bî.</span>'' | ||
owê, sun, des troumes! | :''<span style="color: #7b879e;">dîn hâr was dir bestroubet:</span>'' | ||
owê, sun, des boumes! | :''<span style="color: #7b879e;">dô strælte dir dîn houbet</span>'' | ||
owê des raben, owê der krân!“'' (H V. | :''<span style="color: #7b879e;">zeswenhalp ein rabe dâ,</span>'' | ||
(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“) | :''<span style="color: #7b879e;">winsterhalp schiet dirz diu krâ.</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">owê, sun, des troumes!</span>'' | |||
Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H V. 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H V. 26–106) <ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H V. 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H V. 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H V. 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | :''<span style="color: #7b879e;">owê, sun, des boumes!</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">owê des raben, owê der krân!“</span>'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 620''–''631)</span> | |||
:<span style="color: #7b879e;">(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“)</span> | |||
|}Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H V. 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H V. 26–106) <ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H V. 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H V. 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H V. 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | |||
Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H V. 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H V. 1790, „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H V. 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H V. 1790, „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | ||
''ich wæne, des vater troum'' | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
daz er sich hie bewære. | |- | ||
hie endet sich das mære.'' (H V. | || | ||
(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.) | :''<span style="color: #7b879e;">ich wæne, des vater troum</span>'' | ||
:''<span style="color: #7b879e;">daz er sich hie bewære.</span>'' | |||
:''<span style="color: #7b879e;">hie endet sich das mære.</span>'' <span style="color: #7b879e;">(H V. 1910''–''1912)</span> | |||
:<span style="color: #7b879e;">(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.)</span> | |||
|} | |||
===Die Funktionen der Träume=== | ===Die Funktionen der Träume=== | ||
Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers Helmbrecht mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im Helmbrecht alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.). Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen. „[I]m Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und tragen aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik eine proleptische Funktion auf der narrativen Ebene. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts superbia; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H V. 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256). | Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers Helmbrecht mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im Helmbrecht alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.). Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen. „[I]m Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und tragen aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik eine proleptische Funktion auf der narrativen Ebene. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts superbia; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H V. 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256). |