"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen
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"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner) (Quelltext anzeigen)
Version vom 7. Oktober 2023, 09:30 Uhr
, 7. Oktober 2023→Prognostische Träume: Vier Vorausdeutungen auf Helmbrechts Strafen
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: | :<span style="color: #7b879e;">„dû hetest zwei lieht in der hant, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">diu brunnen, daz si durch diu lant | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">lûhten mit ir schîne. | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">lieber sun der mîne, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">sust troumt mir vert von einem man, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">den sach ich hiure blinden gân.“ <span style="color: #7b879e;">(<span style="color: #7b879e;">H 581–586) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Du hattest zwei Lichter in der Hand, die brannten, so dass sie weithin leuchteten mit ihrem Schein. Mein lieber Sohn, so träumte mir vergangenes Jahr von einem Mann, den ich dieses Jahr blind umhergehen sah.) | :<span style="color: #7b879e;">(Du hattest zwei Lichter in der Hand, die brannten, so dass sie weithin leuchteten mit ihrem Schein. Mein lieber Sohn, so träumte mir vergangenes Jahr von einem Mann, den ich dieses Jahr blind umhergehen sah.) | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">„mir troumte mêre: | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">ein fuoz dir ûf der erde gie, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">dâ stüende dû mit dem andern knie | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">hôhe ûf einem stocke; | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">dô ragete dir ûz dem rocke | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">einez als ein ahsendrum.“ <span style="color: #7b879e;">(H 592–597) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.) | :<span style="color: #7b879e;">(„Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.) | ||
|}Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochmut, der aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende führen wird (Seelbach 1987, 100): | |}Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochmut, der aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende führen wird (Seelbach 1987, 100): | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">„dû soldest fliegen hôhe | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">über walt und über lôhe: | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">ein vettich wart dir versniten, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">dô wart dîn vliegen vermiten.“ <span style="color: #7b879e;">(H 605–608) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.“) | :<span style="color: #7b879e;">(„Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.“) | ||
|}Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H 617–619), denn: | |}Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H 617–619), denn: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">„dû stüende ûf einem boume; | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">von dînen füezen unz an daz gras | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">wol anderhalp klâfter was; | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">ob dînem houpte ûf einem zwî | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">saz ein rabe und ein krâ dâ bî. | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">dîn hâr was dir bestroubet: | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">dô strælte dir dîn houbet | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">zeswenhalp ein rabe dâ, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">winsterhalp schiet dirz diu krâ. | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">owê, sun, des troumes! | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">owê, sun, des boumes! | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">owê des raben, owê der krân!“ <span style="color: #7b879e;">(H 620–631) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“) | :<span style="color: #7b879e;">(Du standest auf einem Baum; von deinen Füßen bis zum Gras waren es wohl anderthalb Klafter; auf einem Zweig über deinem Kopf saß ein Rabe und neben ihm eine Krähe. Dein Haar war ganz struppig. Da kämmte dir dein Haupt auf der rechten Seite jener Rabe, und auf der Linken scheitelte es dir die Krähe. Weh, Sohn, über den Traum. Weh, Sohn, über den Baum. Weh über die Raben, weh über die Krähe.“) | ||
|}Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | |} | ||
Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks ''owê'' ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, ''„nu hüete der hûben, Helmbreht!“'' (H 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da ''siteche und galander, sparwære und turteltûben'' (H 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | |||
Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H 1790; „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, ''„ob die troume drî an iu sint bewæret?“'' (H 1786 f., „ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben“). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, ''„ê der vierde troum ergê“'' (H 1790; „bevor der vierte Traum in Erfüllung geht“). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">ich wæne, des vater troum | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">daz er sich hie bewære. | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">hie endet sich das mære. <span style="color: #7b879e;">(H 1910–1912) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.) | :<span style="color: #7b879e;">(Ich glaube, dass sich der Traum des Vaters damit erfüllte. Hier ist die Geschichte zuende.) | ||
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