"Kinder – Träume – Zukunft" (Erhard Großmann): Unterschied zwischen den Versionen
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"Kinder – Träume – Zukunft" (Erhard Großmann) (Quelltext anzeigen)
Version vom 21. Mai 2024, 10:09 Uhr
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Der Kosmonaut in ''Kinder – Träume – Zukunft'' weist aber kein eindeutiges Konterfei Juri Gagarins auf, weshalb in den Publikationen lediglich von einem Kosmonauten gesprochen wird (Maleschka, 195; Oswald, 594; Prehn). Dennoch kann der Kosmonaut angesichts der Motivgeschichte und abhängig vom Entstehungszeitpunkt sowie von der künstlerischen Umsetzung in der Bildenden Kunst in der DDR Technikbegeisterung (Hofer, 206), Kontrollierbarkeit von Natur und Technik (Schaber, 251), die Erfüllung von ehemals unmöglich erscheinenden, gesetzten Zielen (Oswald, 594; Prehn), aktuellen Zukunftsmöglichkeiten (Prehn) sowie den sozialistischen ,Traum‘ vom neuen Menschen symbolisieren (Hofer, 206, Schaber, 251 f.).<ref> Für weiterführende Informationen zur Ideengeschichte des Neuen Menschen (Küenzlen, 4–9).</ref> Im Kerngedanken kann der neue Mensch dabei durch seine Handlungen Fortschritte und eine stetig bessere Gesellschaft erreichen, wobei letzteres durch den Kommunismus bereits realisiert wurde (Hofer, 206). Oder wie der Evangelische Theologe und Sozialethiker Gottfried Küenzlen (*1945) zu Beginn seiner Übersichtsschau über die Ideengeschichte vom Christentum bis in die Kritik der Moderne pointiert: „Der ,Alte Adam‘ soll vom Neuen Menschen überwunden werden“ (Küenzlen, 4). In diesem Sinne ist die Setzung vom Paar im Paradies und vom Kosmonauten an den beiden gegenüberliegenden Bildrändern kohärent, zeigt sie doch, dass stetige Weiterentwicklungen zum Ausbau des sozialistischen Paradieses angestrebt werden und positiv zu bewerten sind. Da das historische Ereignis 1961 stattfand, zeigt das Wandbild ferner die Realisierung bzw. den Erfüllungsmoment einer ehemaligen ,Vision‘ auf – und dass auch andere sich bewahrheiten werden. Kosmonaut und Ikarus sind ferner in der Darstellung nicht zufällig dicht zueinander gesetzt, da sie in einem inneren Sinnzusammenhang zueinanderstehen. | Der Kosmonaut in ''Kinder – Träume – Zukunft'' weist aber kein eindeutiges Konterfei Juri Gagarins auf, weshalb in den Publikationen lediglich von einem Kosmonauten gesprochen wird (Maleschka, 195; Oswald, 594; Prehn). Dennoch kann der Kosmonaut angesichts der Motivgeschichte und abhängig vom Entstehungszeitpunkt sowie von der künstlerischen Umsetzung in der Bildenden Kunst in der DDR Technikbegeisterung (Hofer, 206), Kontrollierbarkeit von Natur und Technik (Schaber, 251), die Erfüllung von ehemals unmöglich erscheinenden, gesetzten Zielen (Oswald, 594; Prehn), aktuellen Zukunftsmöglichkeiten (Prehn) sowie den sozialistischen ,Traum‘ vom neuen Menschen symbolisieren (Hofer, 206, Schaber, 251 f.).<ref> Für weiterführende Informationen zur Ideengeschichte des Neuen Menschen (Küenzlen, 4–9).</ref> Im Kerngedanken kann der neue Mensch dabei durch seine Handlungen Fortschritte und eine stetig bessere Gesellschaft erreichen, wobei letzteres durch den Kommunismus bereits realisiert wurde (Hofer, 206). Oder wie der Evangelische Theologe und Sozialethiker Gottfried Küenzlen (*1945) zu Beginn seiner Übersichtsschau über die Ideengeschichte vom Christentum bis in die Kritik der Moderne pointiert: „Der ,Alte Adam‘ soll vom Neuen Menschen überwunden werden“ (Küenzlen, 4). In diesem Sinne ist die Setzung vom Paar im Paradies und vom Kosmonauten an den beiden gegenüberliegenden Bildrändern kohärent, zeigt sie doch, dass stetige Weiterentwicklungen zum Ausbau des sozialistischen Paradieses angestrebt werden und positiv zu bewerten sind. Da das historische Ereignis 1961 stattfand, zeigt das Wandbild ferner die Realisierung bzw. den Erfüllungsmoment einer ehemaligen ,Vision‘ auf – und dass auch andere sich bewahrheiten werden. Kosmonaut und Ikarus sind ferner in der Darstellung nicht zufällig dicht zueinander gesetzt, da sie in einem inneren Sinnzusammenhang zueinanderstehen. | ||
===Ikarus=== | |||
Darstellungen von Ikarus waren ebenso wie der Kosmonaut in der Bildenden Kunst in der DDR eng verknüpft mit der Raumfahrtgeschichte (Schaber). Es handelt sich zudem um ein weit verbreitetes Motiv, das abhängig von der Inszenierung ambige und paradoxe Deutungsperspektiven aufweisen kann (Arlt, 77–84; Schaber, 253–285). Ausführungen des Publizisten, Schriftstellers sowie Kunstwissenschaftlers und -kritikers Peter Arlt (*1943) zu Folge trat Ikarus ab etwa 1955 in der Kunst in der DDR auf, gewann über die Jahre hin an Bedeutung, erreichte zunehmend einen höheren Verbreitungsgrad und fand seinen Höhepunkt 1980 (Arlt, 76). Arlt stellt hierbei zwischen Mitte der 1960er Jahren und 1977 ein Auftauchen kritischer Versionen in der Bildenden Kunst fest (ebd., 78). Bei positiver Konnotation drückt Ikarus beispielsweise einen ungehinderten Glauben an technischen Fortschritt und Zukunftsoptimismus aus (Schaber, 253–285). In der negativen Variante (z.B. durch eine stürzende Figur) kann es Bedenken bzw. Kritik daran äußern, ob eine Verbesserung gesellschaftlicher und materieller Faktoren durch den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt möglich ist. Oder es wird genutzt, um mit Ikarus lediglich die (bestehenden) Widersprüche in der Gesellschaft aufzuzeigen. Mit dem Aufgreifen der Ikarus-Motivik und seiner Verbindung mit der Raumfahrt in der Bildenden Kunst wurde zudem das historische Ereignis von 1961 in einen mythologischen Kontext verlagert (Schaber, 287). Mit Ikarus und dem Kosmonauten liegt also eine Doppelung eines ähnlichen Sinninhaltes vor. | |||
Anhand der fünf Kompositionsentwürfe in der ''Bildende Kunst'' ist zu erkennen, dass Ikarus erst ab dem dritten Blatt auftaucht – und als eindeutig abstürzende Figur gezeigt wird (Oswald, 594.). Die Ikarus-Motivik bei ''Kinder – Träume – Zukunft'' ist folglich ambig angelegt worden. Im vollendeten Wandbild weist er trotz seiner aufgerichteten Position nur einen Flügel auf, wodurch sein bevorstehender Absturz künstlerisch impliziert ist und der Fortschrittglaube, der Technikglaube sowie der optimistische Blick in die Zukunft gerade im Zusammenspiel mit dem Kosmonauten eine kritische Hinterfragung erfahren. Oswald betont bei der Motiventwicklung von Ikarus aber dessen Kampfeswillen, der in der Skizze zum Ausdruck käme: | |||
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | |||
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: <span style="color: #7b879e;">Diese Figur veränderte sich immer mehr vom Stürzenden, Sterbenden zum zwar fallen Müssenden, aber bis zum Ende mit Siegeszuversicht und der festen Hoffnung auf die Nachwelt Kämpfenden. Die Haltung des Kopfes und die geballte Faust deuten darauf hin. (Oswald, 594).</span> | |||
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Weitere mögliche Deutungsperspektiven benennt sie allerdings nicht. Im Moment des Umgreifens der Flügel-Halterung durch Ikarus mit seiner linken Hand ist die Faust-Symbolik im Wandbild erhalten geblieben. Darin kann eine politische Bedeutungsebene gesehen werden, da die Faust ein Symbol der kommunistischen Arbeiterbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts war (Korff/Drost, 117.). Aus dieser Perspektive ist es durchaus ein kämpferischer, starker Ikarus, der den Betrachtenden begegnet. Möglicherweise kommt entgegen der kritischen Note und der aufgezeigten Ambivalenzen, die sich in Großmanns Darstellung von Ikarus verbergen, auch folgende Lesart in Frage: Trotz eines drohenden Misserfolgs müssen für den weiteren Fortschritt und Erfüllung weiterer ,Träume/Visionen‘ auch Risiken eingegangen werden (Schaber, 284).<ref>Schaber stellt nach ihrer Analyse der kritischen Ikarus-Variationen der Künstler Bernhard Heisig (*1925–2011) und Wolfgang Mattheuer (*1927–2004) diese gemeinsame Deutungsperspektive fest (Schaber, 268–284). Es lässt sich beim Werk von Großmann als weitere mögliche Deutungsperspektive nicht ausschließen.</ref> Obwohl mit dem Kosmonauten und Ikarus keine neuen Zukunftsvisionen im Bild tatsächlich generiert werden, wird mit den geschichtlichen und mythologischen Rückgriffen die Möglichkeit des Erreichens von zukunftsbezogenen Zielen aufgezeigt. Bei Zukunftsträumen ist es dabei typisch, dass sich das Neue der Zukunft erst durch Tradiertes offenbart bzw. es benötigt jene Rückgriffe, um zu definieren, was überhaupt Zukunft ist. Dieser Aspekt findet sich auch im Wandbild wieder. |