"La vida es sueño" (Pedro Calderón de la Barca): Unterschied zwischen den Versionen

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|Wahr ist es; es gilt zu zäumen
|Wahr ist es; es gilt zu zäumen


Meines Mutes jähes Beben [...]
Meines Mutes jähes Beben []
Wo das Leben Traum nur heißt.
Wo das Leben Traum nur heißt.
Was mir selbst geschah, beweist,
Was mir selbst geschah, beweist,
Daß wir unser Sein nur träumen [...]  
Daß wir unser Sein nur träumen []  
Bis man uns dem Schlaf entreißt.
Bis man uns dem Schlaf entreißt.
[Sieht er, daß er erst erwacht,]
[Sieht er, daß er erst erwacht,]
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Und der Arme, leidbedrückt,  
Und der Arme, leidbedrückt,  
Träumt, daß seine Not nie weiche.  
Träumt, daß seine Not nie weiche.  
[...]  
[]  




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Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240).  
Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240).  


Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005, 40).   
Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel []; so viele blaue Seiten [], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005, 40).   
Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte.
Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte.


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