"Der gute Mensch von Sezuan" (Bertolt Brecht): Unterschied zwischen den Versionen

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''Der gute Mensch von Sezuan ''enthält insgesamt fünf kürzere szenische Traumdarstellungen, die als Zwischenspiele bezeichnet sind und die Szenen 1 und 2, 3 und 4, 6 und 7, 7 und 8 sowie 9 und 10 unterbrechen, sowie einen erzählten Traum im vierten Traumzwischenspiel. Bei der träumenden Figur handelt es sich um den Wasserverkäufer Wang, dem im Traum jene drei Götter erscheinen, denen er bereits im Vorspiel begegnet ist, als diese auf die Erde gekommen waren, um Einblicke in das Leben der Menschen zu erhalten (zum anklingenden Topos des Welttheaters vgl. Karnick 1980). Sinn und Zweck ihres Abstiegs auf die Erde ist der Beschluss, dass die Welt so bleiben kann, wie sie ist, falls sich genügend gute Menschen finden, die ein Dasein gemäß der göttlichen Bestimmungen führen. Bei ihrer Suche in Sezuan werden sie im Vorspiel von dem Wasserverkäufer Wang unterstützt, der nach mehreren Anläufen diesen guten Menschen in der Prostituierten Shen Te findet, die ihm verspricht, die Götter bei sich aufzunehmen. Ein Missverständnis lässt Wang jedoch glauben, dass Shen Te ihr Versprechen nicht gehalten hat, sodass er aus Scham und Furcht vor den Göttern am Ende des Vorspiels die Stadt verlässt.
''Der gute Mensch von Sezuan ''enthält insgesamt fünf kürzere szenische Traumdarstellungen, die als Zwischenspiele bezeichnet sind und die Szenen 1 und 2, 3 und 4, 6 und 7, 7 und 8 sowie 9 und 10 unterbrechen, sowie einen erzählten Traum im vierten Traumzwischenspiel. Bei der träumenden Figur handelt es sich um den Wasserverkäufer Wang, dem im Traum jene drei Götter erscheinen, denen er bereits im Vorspiel begegnet ist, als diese auf die Erde gekommen waren, um Einblicke in das Leben der Menschen zu erhalten (zum anklingenden Topos des Welttheaters vgl. Karnick 1980). Sinn und Zweck ihres Abstiegs auf die Erde ist der Beschluss, dass die Welt so bleiben kann, wie sie ist, falls sich genügend gute Menschen finden, die ein Dasein gemäß der göttlichen Bestimmungen führen. Bei ihrer Suche in Sezuan werden sie im Vorspiel von dem Wasserverkäufer Wang unterstützt, der nach mehreren Anläufen diesen guten Menschen in der Prostituierten Shen Te findet, die ihm verspricht, die Götter bei sich aufzunehmen. Ein Missverständnis lässt Wang jedoch glauben, dass Shen Te ihr Versprechen nicht gehalten hat, sodass er aus Scham und Furcht vor den Göttern am Ende des Vorspiels die Stadt verlässt.


Nachdem Wang sich vier Tage lang unter einer Brücke versteckt hat, ist er sich zu Beginn des ersten Zwischenspiels sicher, von den Göttern nicht gefunden werden zu können: „Alles ruhig. Seit vier Tagen verberge ich mich jetzt schon. Sie können mich nicht finden, da ich die Augen offen halte. Ich bin absichtlich entlang ihrer Wegrichtung geflohen. Am zweiten Tage haben sie die Brücke passiert, ich hörte ihre Schritte über mir. Jetzt müssen sie schon weit weg sein, ich bin vor ihnen sicher. ''Er hat sich zurückgelegt und schläft ein. Musik. Die Böschung wird durchsichtig und es erscheinen die Götter''“ (GMS 194). Die Regieanweisung markiert den Übergang vom Wachen zum Träumen und den Traumbeginn, wobei insbesondere die Musik, die ein charakteristisches Merkmal aller fünf Traumzwischenspiele ist, eine Differenz zu den Nicht-Traumszenen schafft. Als traummarkierend kann außerdem das Durchsichtig-Werden der Umgebung betrachtet werden, das sich auch bei weiteren Träumen in Brechts Stücken finden lässt - etwa in ''Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui ''(1957), wenn der Geist des toten Ernesto Roma Ui im Traum erscheint, oder bei Simones Wachtraum in ''Die Gesichte der Simone Machard ''(1956)''. Das Durchsichtig-Werden mag daher auch das im Traum stattfindende Ineinandergreifen von eigentlich inkompatiblen Räumen und Zuständen, wie Leben und Tod, Wachen und Träumen, kennzeichnen. In ''Der gute Mensch von Sezuan ''sind es die Welt der Menschen und die Welt der Götter sowie - da die Götter in die Wang entgegengesetzte Richtung weitergezogen sind - zwei voneinander getrennte geographische Orte, die im Traum zusammenkommen.
Nachdem Wang sich vier Tage lang unter einer Brücke versteckt hat, ist er sich zu Beginn des ersten Zwischenspiels sicher, von den Göttern nicht gefunden werden zu können: „Alles ruhig. Seit vier Tagen verberge ich mich jetzt schon. Sie können mich nicht finden, da ich die Augen offen halte. Ich bin absichtlich entlang ihrer Wegrichtung geflohen. Am zweiten Tage haben sie die Brücke passiert, ich hörte ihre Schritte über mir. Jetzt müssen sie schon weit weg sein, ich bin vor ihnen sicher. ''Er hat sich zurückgelegt und schläft ein. Musik. Die Böschung wird durchsichtig und es erscheinen die Götter''“ (GMS 194). Die Regieanweisung markiert den Übergang vom Wachen zum Träumen und den Traumbeginn, wobei insbesondere die Musik, die ein charakteristisches Merkmal aller fünf Traumzwischenspiele ist, eine Differenz zu den Nicht-Traumszenen schafft. Als traummarkierend kann außerdem das Durchsichtig-Werden der Umgebung betrachtet werden, das sich auch bei weiteren Träumen in Brechts Stücken finden lässt - etwa in ''Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui ''(1957), wenn der Geist des toten Ernesto Roma Ui im Traum erscheint, oder bei Simones Wachtraum in ''Die Gesichte der Simone Machard ''(1956)''. ''Das Durchsichtig-Werden mag daher auch das im Traum stattfindende Ineinandergreifen von eigentlich inkompatiblen Räumen und Zuständen, wie Leben und Tod, Wachen und Träumen, kennzeichnen. In ''Der gute Mensch von Sezuan'' sind es die Welt der Menschen und die Welt der Götter sowie - da die Götter in die Wang entgegengesetzte Richtung weitergezogen sind - zwei voneinander getrennte geographische Orte, die im Traum zusammenkommen.


In seinem ersten Traum erhält Wang von den Göttern den Auftrag, nach Sezuan zurückzukehren, wo er nach Shen Te sehen soll, die von den Göttern als Dank für ihre Güte das Geld für den Kauf eines kleinen Ladens bekommen hat. Über Shen Tes Wirken und ihre guten Taten soll Wang den Göttern regelmäßig berichten, während diese nach weiteren guten Menschen suchen wollen. Bericht erstattet Wang in den nächsten vier Traumzwischenspielen. Verglichen mit allen übrigen Szenen muten die Traumzwischenspiele, abgesehen vom Einsatz der Musik, nicht sonderlich traumhaft an. Sie zeichnen sich aus durch hohe Redeanteile Wangs auf der einen und Nichtstun der Götter auf der anderen Seite. Wiederholt verkündet Wang in seinen Träumen, dass Shen Te viel Gutes tue und wohltätig sei; immer wieder weist er die Götter aber auch auf die Probleme und Schwierigkeiten hin, die sich für Shen Ten aufgrund ihrer Güte und Großherzigkeit ergeben: So hat sie viel höhere Ausgaben, als sie in ihrem Laden einnimmt, kann einen Handwerker nicht bezahlen, muss sich sogar Geld leihen und mehrmals in ihren ‚bösen‘ (von ihr erfundenen) Vetter Shui Ta zu Hilfe rufen. Wangs innerhalb der Träume mehrfach geäußerter Bitte, die Götter mögen eingreifen und Shen Te behilflich sein, können oder wollen diese jedoch nicht nachkommen.
In seinem ersten Traum erhält Wang von den Göttern den Auftrag, nach Sezuan zurückzukehren, wo er nach Shen Te sehen soll, die von den Göttern als Dank für ihre Güte das Geld für den Kauf eines kleinen Ladens bekommen hat. Über Shen Tes Wirken und ihre guten Taten soll Wang den Göttern regelmäßig berichten, während diese nach weiteren guten Menschen suchen wollen. Bericht erstattet Wang in den nächsten vier Traumzwischenspielen. Verglichen mit allen übrigen Szenen muten die Traumzwischenspiele, abgesehen vom Einsatz der Musik, nicht sonderlich traumhaft an. Sie zeichnen sich aus durch hohe Redeanteile Wangs auf der einen und Nichtstun der Götter auf der anderen Seite. Wiederholt verkündet Wang in seinen Träumen, dass Shen Te viel Gutes tue und wohltätig sei; immer wieder weist er die Götter aber auch auf die Probleme und Schwierigkeiten hin, die sich für Shen Ten aufgrund ihrer Güte und Großherzigkeit ergeben: So hat sie viel höhere Ausgaben, als sie in ihrem Laden einnimmt, kann einen Handwerker nicht bezahlen, muss sich sogar Geld leihen und mehrmals in ihren ‚bösen‘ (von ihr erfundenen) Vetter Shui Ta zu Hilfe rufen. Wangs innerhalb der Träume mehrfach geäußerter Bitte, die Götter mögen eingreifen und Shen Te behilflich sein, können oder wollen diese jedoch nicht nachkommen.
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Mehr als über den Träumenden, Wang, der in seinen Träumen vor allem als eine Art Berichterstatter fungiert, und mehr auch als über die Haupthandlung in Sezuan, über welche Wang berichtet, werden in den Träumen Aussagen über die Götter getroffen, die abgesehen vom Vorspiel und der letzten Szene nur in den Träumen Wangs auftreten. Die Traumzwischenspiele geben Einblicke in die parallel und im Hintergrund zur Haupthandlung in Sezuan ablaufende Erdenwanderung der Götter und deren (vergebliche) Suche nach weiteren guten Menschen. Gleichzeitig sind Wangs Träume der Ort, an dem die Götter von den Geschehnissen in Sezuan erfahren, sodass die Träume in dieser Hinsicht eine vermittelnde Funktion zwischen den beiden Handlungssträngen übernehmen (Knopf 2001, 425). Ihre Vermittlungsfunktion ist dabei ausschließlich für die Götter auf der Traumebene relevant, die dort zwar Informationen über Shen Te und die Sezuanhandlung beziehen, selbst jedoch unfähig sind, zu handeln, sodass die Vermittlungsfunktion der Träume in die andere Richtung gewissermaßen ins Leere verläuft.
Mehr als über den Träumenden, Wang, der in seinen Träumen vor allem als eine Art Berichterstatter fungiert, und mehr auch als über die Haupthandlung in Sezuan, über welche Wang berichtet, werden in den Träumen Aussagen über die Götter getroffen, die abgesehen vom Vorspiel und der letzten Szene nur in den Träumen Wangs auftreten. Die Traumzwischenspiele geben Einblicke in die parallel und im Hintergrund zur Haupthandlung in Sezuan ablaufende Erdenwanderung der Götter und deren (vergebliche) Suche nach weiteren guten Menschen. Gleichzeitig sind Wangs Träume der Ort, an dem die Götter von den Geschehnissen in Sezuan erfahren, sodass die Träume in dieser Hinsicht eine vermittelnde Funktion zwischen den beiden Handlungssträngen übernehmen (Knopf 2001, 425). Ihre Vermittlungsfunktion ist dabei ausschließlich für die Götter auf der Traumebene relevant, die dort zwar Informationen über Shen Te und die Sezuanhandlung beziehen, selbst jedoch unfähig sind, zu handeln, sodass die Vermittlungsfunktion der Träume in die andere Richtung gewissermaßen ins Leere verläuft.


Eine Funktion der Traumzwischenspiele ist es daher, ein Bild der drei Götterfiguren zu zeichnen, deren Nutz- und Funktionslosigkeit sowie deren Inkonsequenz ihrem eigenen Beschluss gegenüber in Wangs Träumen deutlich zu Tage tritt. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn sie auf Wangs nachdrückliche Bitte, Shen Te zu unterstützen, konsequent auf ihre Handlungsunfähigkeit verweisen: „Wir sind nur Betrachtende. – Wir glauben fest, daß unserer guter Mensch sich zurechtfinden wird auf der dunklen Erde. – Seine Kraft wird wachsen mit der Bürde. Warte nur ab, Wasserverkäufer, und du wirst erleben, alles nimmt ein gutes… ''Die Gestalten der Götter sind immer blasser, ihre Stimmen immer leiser geworden. Nun entschwinden sie, und die Stimmen hören auf.'“ (GMS 242). Die Einsicht, dass ein gutes Leben auf der Erde womöglich doch nicht zu führen ist, deutet sich hier bereits an, wenn die Götter aus dem Traum entschwinden, ohne ihren Satz beendet zu haben. Noch deutlicher transportiert dies ihr drastisch verändertes äußeres Erscheinungsbild im fünften und letzten Traum: ''Sie haben sich verändert. Unverkennbar sind die Anzeichen langer Wanderung, tiefer Erschöpfung und mannigfaltiger böser Erlebnisse. Einem ist der Hut vom Kopf geschlagen, einer hat ein Bein in einer Fuchsfalle gelassen und alle drei gehen barfuß''“ (GMS 268). Ihr kurz darauf gezogenes Resümee, dass ihre Suche gescheitert ist und die Welt unbewohnbar zu sein scheint, hat jedoch keine Folgen. Da sie angesichts ihrer erfolglosen Suche als Götter eigentlich abtreten müssten, setzten sie am Ende ihren eigenen Beschluss so weit wie möglich herab: „Einer genügt. Haben wir nicht gesagt, daß alles noch gut werden kann, wenn nur einer sich findet, der diese Welt aushält, nur einer?!“ (GMS 269).
Eine Funktion der Traumzwischenspiele ist es daher, ein Bild der drei Götterfiguren zu zeichnen, deren Nutz- und Funktionslosigkeit sowie deren Inkonsequenz ihrem eigenen Beschluss gegenüber in Wangs Träumen deutlich zu Tage tritt. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn sie auf Wangs nachdrückliche Bitte, Shen Te zu unterstützen, konsequent auf ihre Handlungsunfähigkeit verweisen: „Wir sind nur Betrachtende. – Wir glauben fest, daß unserer guter Mensch sich zurechtfinden wird auf der dunklen Erde. – Seine Kraft wird wachsen mit der Bürde. Warte nur ab, Wasserverkäufer, und du wirst erleben, alles nimmt ein gutes… ''Die Gestalten der Götter sind immer blasser, ihre Stimmen immer leiser geworden. Nun entschwinden sie, und die Stimmen hören auf.“ (GMS 242). ''Die Einsicht, dass ein gutes Leben auf der Erde womöglich doch nicht zu führen ist, deutet sich hier bereits an, wenn die Götter aus dem Traum entschwinden, ohne ihren Satz beendet zu haben. Noch deutlicher transportiert dies ihr drastisch verändertes äußeres Erscheinungsbild im fünften und letzten Traum:'' „Sie haben sich verändert. Unverkennbar sind die Anzeichen langer Wanderung, tiefer Erschöpfung und mannigfaltiger böser Erlebnisse. Einem ist der Hut vom Kopf geschlagen, einer hat ein Bein in einer Fuchsfalle gelassen und alle drei gehen barfuß'''“ (GMS 268). Ihr kurz darauf gezogenes Resümee, dass ihre Suche gescheitert ist und die Welt unbewohnbar zu sein scheint, hat jedoch keine Folgen. Da sie angesichts ihrer erfolglosen Suche als Götter eigentlich abtreten müssten, setzten sie am Ende ihren eigenen Beschluss so weit wie möglich herab: „Einer genügt. Haben wir nicht gesagt, daß alles noch gut werden kann, wenn nur einer sich findet, der diese Welt aushält, nur einer?!“ (GMS 269).


Dieser falschen Schlussfolgerung der Götter steht ein sich ebenfalls im Traum vollziehender Erkenntnisgewinn Wangs diametral gegenüber. Angesichts des von ihm beobachteten Unglücks Shen Tes und der Nutzlosigkeit der Götter wird Wang vom anfänglichen Befürworter des mit Shen Te verbundenen Konzepts der Güte zu dessen Kritiker (Thomsen/Müller/Kindt 2006, 273). Um seiner Forderung, die Götter sollten Shen Te unter die Arme greifen, Nachdruck zu verleihen, berichtet er diesen im vierten Traumzwischenspiel von einem Traum, in dem er sah, wie Shen Te schwankend und gebückt unter einer für ihn unsichtbaren Last – „dem Ballen der Vorschriften“ (GMS 253), die ihr von den Göttern zum Führen eines guten Lebens auferlegt wurden – beinahe zusammenbricht. Mit Jan Knopf enthält diese Traumerzählung die „stückimmanente Poetik“ (Knopf 2001, 428). Zugleich erscheint der Traum hier wie ein Umweg: Wang berichtet nicht von etwas, das er tatsächlich gesehen hat, sondern spricht vielmehr gleichnishaft von etwas, das er im Traum sah, wodurch Shen Tes ausweglose Situation auf eine andere Ebene gehoben und verstärkt wird. Im Unterschied zu allen übrigen Träumen, berichtet Wang im vierten Traumzwischenspiel ausschließlich von dem im Traum Gesehenen und leitet daraus seine Argumentation ab. Zu genau der Einsicht, zu der die Götter in den Traumzwischenspielen letztlich doch nicht gelangen (wollen) – nämlich dass ihre Gebote zu streng und angesichts der auf der Welt herrschenden Lebensbedingungen nicht zu erfüllen sind – kommt Wang nun gerade aufgrund seines Traums von Shen Tes unsichtbarer Last. Er schlägt vor, die Vorschriften herabzusetzen und zu erleichtern: Wohlwollen für Liebe, Billigkeit für Gerechtigkeit, Schicklichkeit für Ehre. Wangs im Traum formulierte „Alternative zu Shen Tes erfolglosem Gütekonzept“ (Thomsen/Müller/Kindt 2006, 274) wird von den Göttern jedoch als nicht praktikabel abgelehnt wird und existiert somit nur auf der Traumebene.
Dieser falschen Schlussfolgerung der Götter steht ein sich ebenfalls im Traum vollziehender Erkenntnisgewinn Wangs diametral gegenüber. Angesichts des von ihm beobachteten Unglücks Shen Tes und der Nutzlosigkeit der Götter wird Wang vom anfänglichen Befürworter des mit Shen Te verbundenen Konzepts der Güte zu dessen Kritiker (Thomsen/Müller/Kindt 2006, 273). Um seiner Forderung, die Götter sollten Shen Te unter die Arme greifen, Nachdruck zu verleihen, berichtet er diesen im vierten Traumzwischenspiel von einem Traum, in dem er sah, wie Shen Te schwankend und gebückt unter einer für ihn unsichtbaren Last – „dem Ballen der Vorschriften“ (GMS 253), die ihr von den Göttern zum Führen eines guten Lebens auferlegt wurden – beinahe zusammenbricht. Mit Jan Knopf enthält diese Traumerzählung die „stückimmanente Poetik“ (Knopf 2001, 428). Zugleich erscheint der Traum hier wie ein Umweg: Wang berichtet nicht von etwas, das er tatsächlich gesehen hat, sondern spricht vielmehr gleichnishaft von etwas, das er im Traum sah, wodurch Shen Tes ausweglose Situation auf eine andere Ebene gehoben und verstärkt wird. Im Unterschied zu allen übrigen Träumen, berichtet Wang im vierten Traumzwischenspiel ausschließlich von dem im Traum Gesehenen und leitet daraus seine Argumentation ab. Zu genau der Einsicht, zu der die Götter in den Traumzwischenspielen letztlich doch nicht gelangen (wollen) – nämlich dass ihre Gebote zu streng und angesichts der auf der Welt herrschenden Lebensbedingungen nicht zu erfüllen sind – kommt Wang nun gerade aufgrund seines Traums von Shen Tes unsichtbarer Last. Er schlägt vor, die Vorschriften herabzusetzen und zu erleichtern: Wohlwollen für Liebe, Billigkeit für Gerechtigkeit, Schicklichkeit für Ehre. Wangs im Traum formulierte „Alternative zu Shen Tes erfolglosem Gütekonzept“ (Thomsen/Müller/Kindt 2006, 274) wird von den Göttern jedoch als nicht praktikabel abgelehnt wird und existiert somit nur auf der Traumebene.
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