"Spellbound" (Alfred Hitchcock): Unterschied zwischen den Versionen

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In den frühen 1940er Jahren finden mit David O. Selznick (1902–1965) und Alfred Hitchcock (1899–1980) einer der erfolgreichsten Filmproduzenten seiner Zeit und einer der gefragtesten Regisseure jener Jahre zusammen, um einen am psychoanalytischen Traumverständnis orientierten Spielfilm in die Kinos zu bringen. Bis heute sind es vor allem die innovativen und vom spanischen Maler Salvador Dalí (1904–1989) entworfenen Traumszenen, die ''Spellbound'' (1945) in die 'Filmgeschichte des Traums' eingeschrieben haben.
In den frühen 1940er Jahren finden mit David O. Selznick (1902–1965) und Alfred Hitchcock (1899–1980) einer der erfolgreichsten Filmproduzenten seiner Zeit und einer der gefragtesten Regisseure jener Jahre zusammen, um einen am psychoanalytischen Traumverständnis orientierten Spielfilm in die Kinos zu bringen. Bis heute sind es vor allem die innovativen und vom spanischen Maler Salvador Dalí (1904–1989) entworfenen Traumszenen, die ''Spellbound'' (1945) in die 'Filmgeschichte des Traums' eingeschrieben haben.


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===Traum und Geheimnis===
===Traum und Geheimnis===
Bei Dr. Brulov (der nicht nur äußerlich an den Wiener 'Übervater' Sigmund Freud angelehnt ist) kann schließlich die Psychoanalyse – im Anschluss an die stereotype Frage nach Ballantynes Verhältnis zu Mutter und Vater – beginnen: Brulov nimmt die Rolle des "father image" (01:17:28) ein und attestiert nahezu augenblicklich einen "guilt complex" (01:18:14). Nach einem Kamerazoom auf Ballantynes Gesicht öffnet sich durch eine Überblendung gewissermaßen die 'Tür' in seinen Kopf (01:20:22), und die visuelle und gleichzeitig aus dem off kommentierte Nacherzählung des Traums beginnt.
Bei Dr. Brulov (der nicht nur äußerlich an den Wiener 'Übervater' Sigmund Freud angelehnt ist) kann schließlich die Psychoanalyse – im Anschluss an die stereotype Frage nach Ballantynes Verhältnis zu Mutter und Vater – beginnen: Brulov nimmt die Rolle des "father image" (01:17:28) ein und attestiert nahezu augenblicklich einen "guilt complex" (01:18:14). Nach einem Kamerazoom auf Ballantynes Gesicht öffnet sich durch eine Überblendung gewissermaßen die 'Tür' in seinen Kopf (01:20:22), und die visuelle und gleichzeitig aus dem off kommentierte Nacherzählung des Traums beginnt (vgl. dazu detailliert Engel 2020, 573ff.).


(1) Zunächst bewegen sich einzelne Augen vor einem schwarzem Hintergrund, bevor diese schließlich zum Hintergrundbild eines stilvollen Casinos werden; ein Mann mit einer riesigen Schere zerschneidet jedoch die bedruckten Vorhänge, während eine leicht bekleidete Frau beginnt die Männer an den Spieltischen zu küssen. Die Sequenz wird durch eine Nachfrage von Dr. Bulov nach der geheimnisvollen Frau unterbrochen und sogleich als 'Wunschtraum' gedeutet (01:21:13).
(1) Zunächst bewegen sich einzelne Augen vor einem schwarzem Hintergrund, bevor diese schließlich zum Hintergrundbild eines stilvollen Casinos werden; ein Mann mit einer riesigen Schere zerschneidet jedoch die bedruckten Vorhänge, während eine leicht bekleidete Frau beginnt die Männer an den Spieltischen zu küssen. Die Sequenz wird durch eine Nachfrage von Dr. Bulov nach der geheimnisvollen Frau unterbrochen und sogleich als 'Wunschtraum' gedeutet (01:21:13).
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(2) An einem überdimensionierten Spieltisch mit einem geheimnisvollen Schattenspiel sieht sich der Träumende aus der Point-of-View-Perspektive nun einem betrügenden Mitspieler (mit unbedruckten Karten) sowie einem gesichtslosen Croupier gegenüber, bevor die Traumerzählung ein weiteres Mal durch die Analyse unterbrochen wird.
(2) An einem überdimensionierten Spieltisch mit einem geheimnisvollen Schattenspiel sieht sich der Träumende aus der Point-of-View-Perspektive nun einem betrügenden Mitspieler (mit unbedruckten Karten) sowie einem gesichtslosen Croupier gegenüber, bevor die Traumerzählung ein weiteres Mal durch die Analyse unterbrochen wird.


[[Datei:Spellbound_12230.jpg|thumb|right|300px|Abb. 1: ''Spellbound'' (01:22:30)]]
[[Datei:Spellbound_12230.jpg|thumb|right|300px|Abb. 2: ''Spellbound'' (01:22:30)]]


(3) Erneut über eine Kamerafahrt 'in' den Kopf von Ballantyne beginnt die dritte Sequenz mit einer skurrilen, durchaus an Gemälde von Giorgio de Chirico oder eben Salvador Dalí erinnernden Umgebung (01:22:20): Ein Mann auf Skiern fällt von einem Dach, während der maskierte Hausbesitzer hinter dem Schornstein hervorkommt, ein verbogenes Wagenrad in der Hand haltend. Nun wechselt die Perspektive, und der Träumende rennt einen Abhang hinab, verfolgt vom Schatten eines Flügelpaars.
(3) Erneut über eine Kamerafahrt 'in' den Kopf von Ballantyne beginnt die dritte Sequenz mit einer skurrilen, durchaus an Gemälde von Giorgio de Chirico oder eben Salvador Dalí erinnernden Umgebung (01:22:20): Ein Mann auf Skiern fällt von einem Dach, während der maskierte Hausbesitzer hinter dem Schornstein hervorkommt, ein verbogenes Wagenrad in der Hand haltend. Nun wechselt die Perspektive, und der Träumende rennt einen Abhang hinab, verfolgt vom Schatten eines Flügelpaars.
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Hitchcock wird das über die Handlung gelegte Vokabular und Bildinventar der Psychoanalyse auch in späteren Filmen – wie etwa in ''Psycho'' (1960) oder ''Marnie'' (1964), wenn auch weniger stark als in ''Spellbound'' – zwar erneut aufgreifen (vgl. Penning 1999, 103), sich aber nur noch ein weiteres Mal in dieser Intensität mit filmischen Traumszenen beschäftigen: In ''Vertigo'' von 1958 wird die gut einminütige, farbenfrohe, fast psychedelische (Alb-)Traumsequenz vom Maler John Ferren (1905–1970) entworfen; der Surrealismus ist nun dem abstrakten Expressionismus gewichen.
Hitchcock wird das über die Handlung gelegte Vokabular und Bildinventar der Psychoanalyse auch in späteren Filmen – wie etwa in ''Psycho'' (1960) oder ''Marnie'' (1964), wenn auch weniger stark als in ''Spellbound'' – zwar erneut aufgreifen (vgl. Penning 1999, 103), sich aber nur noch ein weiteres Mal in dieser Intensität mit filmischen Traumszenen beschäftigen: In ''Vertigo'' von 1958 wird die gut einminütige, farbenfrohe, fast psychedelische (Alb-)Traumsequenz vom Maler John Ferren (1905–1970) entworfen; der Surrealismus ist nun dem abstrakten Expressionismus gewichen.


In ''Spellbound'' fungieren die Träume und die Traumdeutung – so amateurhaft und schematisch die Analyse auch durchgeführt wird (vgl. Marantz Cohen 1995, 60f.) – damit innerhalb der Filmhandlung als Katalysator für die Aufklärung des Traumas. Denn werden die drei kurzen Traumsequenzen mehrfach durch psychoanalytische Deutungen unterbrochen, macht dies einerseits den analytischen 'Entschlüsselungsprozess' als Moment der Erkenntnis (wenn auch stark vereinfacht) deutlich. Gleichzeitig jedoch entsteht so aber eine starke Diskrepanz zwischen der nüchternen Interpretation und der surrealistischen Ästhetik, schließlich werden die Träume innerhalb der Diegese ja lediglich von Ballantyne nacherzählt, im Filmbild aber für die Zuschauenden sichtbar gemacht. Und ohnehin unterstreichen die von Dalí entworfenen und von Hitchcock inszenierten Szenen vor allem die Symbolkraft der Träume, lehnen sich aber bspw. nicht filmisch an eine Wahrnehmungsästhetik des Träumens an.
In ''Spellbound'' fungieren die Träume und die Traumdeutung – so amateurhaft und schematisch die Analyse auch durchgeführt wird (vgl. Marantz Cohen 1995, 60f.) – damit innerhalb der Filmhandlung als Katalysator für die Aufklärung des Traumas. Denn werden die drei kurzen Traumsequenzen mehrfach durch psychoanalytische Deutungen unterbrochen, macht dies einerseits den analytischen 'Entschlüsselungsprozess' als Moment der Erkenntnis (wenn auch stark vereinfacht) deutlich. Gleichzeitig jedoch entsteht so aber eine starke Diskrepanz zwischen der nüchternen Interpretation und der surrealistischen Ästhetik, schließlich werden die Träume innerhalb der Diegese ja lediglich von Ballantyne nacherzählt, im Filmbild aber für die Zuschauenden sichtbar gemacht. Und ohnehin unterstreichen die von Dalí entworfenen und von Hitchcock inszenierten Szenen vor allem die Symbolkraft der Träume, lehnen sich aber bspw. nicht filmisch an eine Wahrnehmungsästhetik des Träumens an (vgl. Engel 2020, 580).


Doch auch wenn Hitchcock die Psychoanalyse "nur als visuelle[n] Fundus, keinesfalls als Abbild einer klinischen Realität" (Treppner 1988, 170) verwendet, so öffnete ''Spellbound'' dennoch der analytischen Traumdeutung in Nordamerika die Türe, und "within weeks, a new lease was given on the popularity of psychotherapy" (Spoto 1983, 288). Daher spiegelt der Film aus heutiger Perspektive wohl vor allem die Erwartungen, die noch in den 1940er Jahren an die Psychoanalyse, diese seltsame 'Heilkunde' aus Europa, gestellt wurden, wenn "psychoanalysis first became, for the Hollywood cinema, the means of solving a crime, not a means of committing one" (Freedman 1999, 83). Ob ''Spellbound'' damit eventuell als verklärender "Lehrfilm über Psychotherapie" (Zwiebel 169) oder gar als ironische Parodie der gefeierten Psychoanalyse zu verstehen ist, muss jedoch offen bleiben.
Doch auch wenn Hitchcock die Psychoanalyse "nur als visuelle[n] Fundus, keinesfalls als Abbild einer klinischen Realität" (Treppner 1988, 170) verwendet, so öffnete ''Spellbound'' dennoch der analytischen Traumdeutung in Nordamerika die Türe, und "within weeks, a new lease was given on the popularity of psychotherapy" (Spoto 1983, 288). Daher spiegelt der Film aus heutiger Perspektive wohl vor allem die Erwartungen, die noch in den 1940er Jahren an die Psychoanalyse, diese seltsame 'Heilkunde' aus Europa, gestellt wurden, wenn "psychoanalysis first became, for the Hollywood cinema, the means of solving a crime, not a means of committing one" (Freedman 1999, 83). Ob ''Spellbound'' damit eventuell als verklärender "Lehrfilm über Psychotherapie" (Zwiebel 169) oder gar als ironische Parodie der gefeierten Psychoanalyse zu verstehen ist, muss jedoch offen bleiben.
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* Duncan, Paul: Alfred Hitchcock. Architekt der Angst, 1899–1980. Köln: Taschen 2003.
* Duncan, Paul: Alfred Hitchcock. Architekt der Angst, 1899–1980. Köln: Taschen 2003.
* Engel, Manfred: Reise durch die Kultur- und Mediengeschichte des Traumes in elf Stationen. In: Patricia Oster und Janett Reinstädler (Hg.): Traumwelten. Interferenzen zwischen Text, Bild, Musik, Film und Wissenschaft. Paderborn: Fink 2017, 17–45.
* Engel, Manfred: Reise durch die Kultur- und Mediengeschichte des Traumes in elf Stationen. In: Patricia Oster und Janett Reinstädler (Hg.): Traumwelten. Interferenzen zwischen Text, Bild, Musik, Film und Wissenschaft. Paderborn: Fink 2017, 17–45.
* Engel, Manfred: Film Dreams 1945–1990 (Alfred Hitchcock, Spellbound – Hans Richter, Dreams That Money Can Buy – Ingmar Bergman, Face to Face – Akira Kurosawa, Dreams). In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.): Mediating the Dream/Les genres et médias du rêve. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020 (Cultural Dream Studies 4), 565–628.
* Freedman, Jonathan: From ''Spellbound'' to ''Vertigo'': Alfred Hitchcock and Therapeutic Culture in America. In: Ders. und Richard Millington (Hg.): Hitchcock's America. Oxford: Oxford University Press 1999, 77–98.
* Freedman, Jonathan: From ''Spellbound'' to ''Vertigo'': Alfred Hitchcock and Therapeutic Culture in America. In: Ders. und Richard Millington (Hg.): Hitchcock's America. Oxford: Oxford University Press 1999, 77–98.
* Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt: Fischer 2009.
* Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt: Fischer 2009.
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[[Kategorie:Hitchcock,_Alfred]]
[[Kategorie:Hitchcock,_Alfred]]


[[Kategorie:Dalí,Salvador]]
[[Kategorie:Dalí,_Salvador]]
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