"Spellbound" (Alfred Hitchcock)

Aus Lexikon Traumkultur
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In den frühen 1940er Jahren finden sich mit David O. Selznick (1902–1965) und Alfred Hitchcock (1899–1980) einer der erfolgreichsten Filmproduzenten seiner Zeit und einer der gefragtesten Regisseure jener Jahre zusammen, um einen am psychoanalytischen Traumverständnis orientierten Spielfilm in die Kinos zu bringen. Bis heute sind es vor allem die innovativen und vom spanischen Maler Salvador Dalí (1904–1989) entworfenen Traumszenen, die Spellbound (1945) in die 'Filmgeschichte des Traums' eingeschrieben haben.


Filmdaten
Deutscher Titel Ich kämpfe um Dich
Originaltitel Spellbound
Produktionsland USA
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 1945
Länge ca. 111 Minuten
Stab
Regie Alfred Hitchcock
Drehbuch Angus MacPhail, Ben Hecht
Produktion David O. Selznick
Kamera George Barnes
Schnitt William H. Ziegler
Musik Miklós Rózsa
Besetzung
* Ingrid Bergman: Dr. Constance Petersen
* Gregory Peck: John Ballantyne / "Dr. Anthony Edwardes" / "John Brown"
* Leo G. Carroll: Dr. Murchison
* Michael Chekhov: Dr. Alexander Brulov


Produktion und Rezeption

Selznick hatte Hitchcock bereits für Rebecca (1940) – basierend auf dem Roman von Daphne du Maurier (1907–1989) war es der erste US-amerikanische Spielfilm für den britischen Regisseur – gewinnen können, der im folgenden Jahr auch mit dem Oscar für den "Besten Film" ausgezeichnet wurde.

Das Drehbuch zu Spellbound geht auf den Roman The House of Dr. Edwardes der Schriftsteller John Palmer (1885–1944) und Hilary A. Saunders (1898–1951) zurück, der 1927 unter dem gemeinsamen Pseudonym "Francis Beeding" erschien und dessen Filmrechte sich Hitchcock bereits gesichert hatte. Noch in London schreibt er gemeinsam mit Angus McPhail (1903–1962) am Drehbuch für diesen 'nonwar movie' (Auiler 2001, 96) – neben Suspicion und Shadow of a Doubt eine von nur drei Hitchock-Produktionen zwischen 1940 und 1945, die nicht im Zeichen des Weltkrieges steht. In den USA setzt Hitchcock die Arbeit am Script dann mit Ben Hecht (1894–1964) fort; dabei nimmt sich die filmische Überarbeitung doch zahlreiche Freiheiten, denn Hitchcock und seine Drehbuchautoren "added a love story to the novel's mystery plot and scrapped nearly everything else except the basic concept of a madman taking over an asylum" (Billheimer 2019, 111).

Das Ergebnis kündigt Hitchcock im Entwurf für einen (vermutlich nie gedrehten) Trailer zum Film an als: "a story about minds – about what happens to them when they are disturbed by real, or imaginary things" (zit. n. Auiler 2001, 558.[1] Nach seiner Premiere am 31. Oktober 1945 in New York City erhielt Spellbound sechs Oscar-Nominierungen und war bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb vertreten; in den westdeutschen Kinos lief der Film erst 1952 unter dem Titel "Ich kämpfe um Dich".

Psychoanalyse

In den USA wurde die Freud'sche Psychoanalyse zunächst fast ausschließlich von der wohlhabenden Mittelschicht rezipiert, und so finden sich psychotherapeutische Praxen vor allem an Ost- und Westküste. Durch aus Europa emigrierte Filmschaffende wie Billy Wilder, Fritz Lang, Robert Siodmak, Otto Preminger oder Douglas Sirk wiederum hält die Psychoanalyse schließlich auch Einzug in künstlerische Kreise (vgl. Biesen 2014, 58). Der breiten Bevölkerung jedoch bleiben Freud und seine Theorien noch eher fremd, weshalb deren Darstellung im Film zunächst riskant scheint (vgl. Billheimer 2019, 110f.) – und auch die aufkommende Filmzensur lässt nur einen bedingten Spielraum in der Inszenierung psychischer Probleme oder traumatischer Ereignisse zu (vgl. "The 1930 Production Code" 2000, 303f.).

Dies ändert sich erst mit dem Erfolg von Lady in the Dark (1941/44) – und Selznick (der sich selbst in Psychotherapie befindet) möchte mit einer Filmversion von The House of Dr. Edwardes nachziehen, wobei der abweichende Titel offenbar von "one of Selznick's secretaries" (Spoto 1983, 274) vorgeschlagen wurde. Der Produzent holt dafür seine eigene Psychoanalytikerin als Beraterin an das Filmset (vgl. Krohn 2010, 46): Die aus Russland in die USA emigrierte May E. Romm, M.D. ist "one of Los Angeles's top psychiatrists" (Pomerance 2004, 60), als "Queen of Couch Canyon" (Gross 2017, 208) sogar "one of Hollywood's most famous shrinks" (Rabkin 1998, 119), und wird auch als "Psychiatric Advisor" im Vorspann des Films angeführt (vgl. 00:05:04). Immer wieder musste sich Hitchcock dabei offenbar gegen die Forderungen von Selznick und Romm nach einer 'schulgerecht freudianischen' Darstellung von Psychoanalyse und Traumdeutung (vgl. Engel 2017, 41) durchsetzen, und rückblickend bemerkte der Regisseur im Gespräch mit François Truffaut: "Mon intention était plus raisonnable, je voulais seulement tourner le premier film de psychoanalyse" (Truffaut 1983, 135).

Auch wenn dieser Anspruch filmgeschichtlich kaum haltbar sein dürfte – so trug etwa bereits Georg Wilhelm Pabsts Geheimnisse einer Seele (1926) den Untertitel "Psychoanalytischer Film" (Sierek 2006, 42) und nutzte die Freud'schen Verfahren zur kriminalistischen Aufdeckung (Treppner 1988, 170) –, so vermischt Hitchcock doch Elemente des Psychothrillers (ein psychisch Kranker übernimmt unter falschem Namen die Leitung einer Klinik) und des Krimis (das darunterliegende Verbrechen wird enttarnt) thematisch und bildästhetisch mit Ansätzen der Psychoanalyse.

Traum

Aus heutiger Sicht dürfte sich Spellbound wohl vor allem wegen der innovativen Traumsequenzen in die Filmgeschichte eingeschrieben haben, während der eigentliche Plot als "eine banale Liebesgeschichte in psychoanalytischer Verkleidung" logisch "viele Schwachstellen" (Jendricke 1999, 79) aufweise. Und auch von der einschlägigen Hitchcock-Forschung wird der Film um das damalige "Modethema Psychoanalyse" als "eher langweilig" (Duncan 2003, 104) abgetan und letztlich sogar bezeichnet als ein "waghalsiger und mißglückter Versuch, […] die Psychoanalyse in das Suspense-Spiel einzubinden" (Desalm 1999, 56).

Doch war es offenbar Hitchcock, der Selznick sowohl überzeugen konnte, die ursprüngliche Romanhandlung umzuschreiben zu "a thriller in which psychoanalysis solved a mystery" (Spoto 1983, 272) wie auch den surrealistischen Maler Salvador Dalí für die Traumszenen zu verpflichten, "der seine surrealistischen, durch die Psychoanalyse angeregten Bilder als 'handgemalte Traumphotographien' bezeichnet hat" (Schmidt 2011, 113). Hitchcock, der der "tradition des rêves de cinéma qui sont habituellement brumeux et confus" nun eine Inszenierung "avec des traits aigus et clairs" (Truffaut 1983, 137) entgegenstellen wollte, findet in Dalí damit einen engagierten Künstler, der erste Entwürfe in seiner 'eigenen' Zeitung, der Dalí News, bespricht: Neben zahlreichen Selbstzitaten – auf seine Malerei wie auch auf den surrealistischen Film Un Chien Andalou (1929), etwa im Zerschneiden der Augen (vgl. Engel 2017, 41) – plante er dabei offenbar, 15 Klaviere von der Studiodecke zu hängen (vgl. "The Eye" 2000, 152). Aus Kostengründen wurden Dalís Entwürfe schließlich aber lediglich in 'verkleinerten' Studioaufnahmen umgesetzt und später sogar auf nur einige wenige Minuten zusammengeschnitten (vgl. Engel 2017, 39f.).

Soundtrack

Aus anderer Sicht wegweisend war Spellbound – neben den am Ende deutlich gekürzten Traumszenen – auch für die innovative Musik des ungarischen Komponisten Miklós Rózsa (1907–1995), besonders im Einsatz des sogenannten "Aetherophons": Dabei war Rózsa zwar nicht Erfinder des Theremins – namensgebend war der russische Physiker Leon Theremin (1896–1993) –, wohl aber der erste Filmkomponist, der gut zweieinhalb Jahrzehnte nach der Entwicklung des elektronischen Musikinstrumentes damit den Soundtrack für Spellbound sowie gleichzeitig für den Film The Lost Weekend (1945) von Regisseur Billy Wilder (1906–2002) komponierte. Dort wurde das Theremin ebenfalls zur musikalischen Untermalung von Alptraumszenen eingesetzt – den Oscar konnte Rózsa jedoch für den Soundtrack von Spellbound gewinnen.

Die Filmmusik zeichnet sich dabei durch zwei musikalische Motive aus, die eng mit den beiden Hauptfiguren verbunden sind: "Der unstete Klang des Theremins spiegelt im vom Tritonus geprägten Paranoiamotiv die Ängste und Identitätskrisen von John Ballantyne wider", während hingegen das "romantisch schwelgende, großangelegte und streicherdominierte Liebesmotiv" (Bullerjahn 2013, 129) der Psychiaterin Constance Petersen zugeordnet ist. Drückt bereits ihr Name symbolisch eine 'kühle' Ruhe aus, ist es vor allem die mehrfach eine neue Identität annehmende männliche Figur, die im Verlauf der Filmhandlung eine Wandlung durchmacht – auch musikalisch, denn: "Mit Ballantynes Heilung verstummt das Theremin" (ebd.).

Tatsächlich jedoch konnte Rózsa aufgrund der Kürzungen in den filmischen Traumszenen sowie weiterer Verzögerungen im Produktionsverlauf überhaupt erst unmittelbar vor der Veröffentlichung des Films die Musik im September 1945 komponieren und dann einspielen (vgl. Platte 2018, 248).

Doch nach Spellbound und The Lost Weekend bekam der geheimnisvolle Klang des Theremins eine sehr einseitige Konnotation und begründete die "unglückliche Assoziation von elektronischer Musik und psychischer Krankheit, die sich im weiteren Verlauf des Films und im Hollywoodkino der folgenden Jahre fortsetzen sollte" (Bauck 1999, 150): Das Theremin wurde, wie der Komponist Rózsa in seiner Autobiographie leicht ironisch bemerkt, fortan zum "official Hollywood mouthpiece of mental disorders" (Rózsa 1989, 128).

Film

Ouverture

Dem Film vorangestellt ist – nach einer etwa mehr als eineinhalbminütigen Sequenz des musikalischen Grundthemas sowie den Title Cards – ein Zitat aus William Shakespeares Julius Caesar (1599):

"The Fault … is not in our stars, but in ourselves …" (00:03:17)

In der Tragödie von Cassius geäußert – "The fault, dear Brutus, is not in our stars / But in ourselves, that we are underlings" (I.2, 139f.) –, verweist das Zitat dabei auf die (antike) Vorstellung, das Schicksal des Menschen sei etwa durch den Verlauf der Sterne vorgeprägt (vgl. dazu die Anmerkung bei Shakespeare 2006, 172), dreht dieses Paradigma nun aber im Sinne der neuzeitlichen Psychologie und Psychoanalyse um.

Daraufhin folgen drei langsam durch das Bild laufende Textblöcke mit zusätzlichen Informationen für das Publikum, offenbar auf persönlichen Wunsch von Selznick hinzugefügt (vgl. Freedman 1999, 80):

"Our story deals with psychoanalysis, the method by which modern science treats the emotional problems of the sane. / The analyst seeks only to induce the patient to talk about his hidden problems, to open the unlocked doors of his mind. / Once the complexes that have been disturbing the patient are uncovered and interpreted, the illness and confusion disappear … and the devils of unreason are driven from the human soul."

Erst im Anschluss an diese 'wissenschaftlichen' Erklärungen setzt die eigentliche Filmhandlung – mit einer hochsymbolischen Überblendung durch die Eingangstür von Green Manors – nach gut vier Minuten ein.

Handlung

Die Filmhandlung ist in nahezu 'typischer' Hitchcock-Manier an das klassische Suspense-Schema angelehnt und durch zahlreiche Wendungen und Zufälle so diffus wie ein (Alp-)Traum selbst: Nachdem der bisherige Klinikleiter Dr. Murchison nach einem Nervenzusammenbruch abgelöst werden soll, übernimmt der junge Dr. Anthony Edwardes die Leitung einer Heilanstalt im beschaulichen Vermont. Doch als sich Edwardes und die kühl-distanzierte Psychologin Dr. Constance Petersen näher kommen, werden einige seltsame Verhaltensweisen von Edwardes auffällig – etwa als er durch die Linien und Nahtstreifen auf ihrem weißen Morgenmantel aus der Fassung gerät (00:27:33). Die Ärzte von Green Manors haben einen schrecklichen Verdacht: Bei dem neuen Kollegen muss es sich um einen Doppelgänger handeln, der allem Anschein nach den tatsächlichen Dr. Edwardes ermordet hat.

Der vermeintliche Hochstapler setzt sich nach New York ab, Petersen folgt ihm. Gemeinsam suchen sie Petersons Mentor, den Psychoanalytiker Dr. Brulov, in Rochester auf (01:00:12). Dieser untersucht John Brown (so inzwischen sein Deckname) und analysiert eine Traumsequenz; danach scheint das Trauma mit einem verhängnisvollen Ereignis während eines Skiurlaubs zusammenzuhänge. Sofort reisen Petersen und Brown weiter nach Gabriel Valley. In einer Art 'Schocktherapie' soll das traumatische Ereignis möglichst authentisch wiedererlebt werden – und tatsächlich kann sich John Brown nun an seine Vergangenheit erinnern (01:33:05): Unter seinem wirklichen Namen John Ballantyne hatte er als Kind einen Unfall verursacht, bei dem sein Bruder ums Leben kam.

Allerdings ist ein Happy Ending weiterhin nicht in Sicht: Die Polizei nimmt Ballantyne wegen des Mordes an Dr. Edwardes fest, dessen Leiche mit Schusswunden inzwischen gefunden wurde. Verzweifelt kehrt Dr. Constance Petersen nach Green Manors zurück, das inzwischen wieder unter der Leitung von Dr. Murchison steht. Hier nimmt die Filmhandlung eine erneute Wendung: Durch eine Freud'sche Fehlleistung enttarnt sich Murchison als der tatsächliche Mörder von Edwardes, und Petersen kann durch eine erneute psychoanalytische Deutung von Ballantynes Traum die Ereignisse – und vor allem das Symbol des Rades als die Tatwaffe – rekonstruieren (01:46:55).

Murchison erschießt sich in der Klinik; der entlastete Ballantyne kann aus dem Gefängnis freikommen, und einer gemeinsamen Zukunft mit Constance Petersen steht nun nichts mehr im Wege.


Psychoanalyse und Traumdeutung

Spellbound wurde schon bald ein Kassenerfolg, und beeinflusste offenbar nach seinem Erscheinen die Bekanntheit der Freud'schen Psychoanalyse in den USA, ja ebnete "the full integration of psychoanalysis into American cultural life" (Freedman 1999, 80) den Weg – obwohl der Film nicht nur aus heutiger Sicht ein "recht holzschnittartige[s] Bild der Möglichkeiten psychoanalytischer Behandlung" (Jendricke 1999, 79) zeichnet.

Vom Öffnen der Türen

Dabei findet sich auch innerhalb von Spellbound die programmatische Metapher der sich öffnenden Türen – und das nicht nur mit der Überblendung zu Beginn des Films, sondern beispielsweise auch in einer anderen zentralen Szene: Als sich John Ballantyne und Constance Petersen in der nächtlichen Bibliothek näher kommen (wie auch in der finalen Enthüllung zwischen Petersen und Murchison gespiegelt strahlt der Lichtschein unter der Türe in den dunklen Flur), wird die Kussszene durch das Öffnen mehrerer Türen hintereinander dargestellt (00:27:07).

Abb. 1: Spellbound (00:27:21)

Durchaus mehrdeutig zu verstehen, mag diese symbolische Verschiebung einerseits auf die Reglementierungen der Filmzensur zurückgehen, schließlich lässt der "Production Code" der frühen 1930er Jahre weder "lustful kissing" ("The 1930 Production Code" 2000, 304) noch über mehrere Sekunden andauernde Küsse zu. Wenn Hitchcock diese Einschränkungen später in Notorious (1946) in einer minutenlangen Szene durch zahlreiche Unterbrechungen umgeht, oder die orgasmische Leidenschaft in To Catch a Thief (1955) durch das Feuerwerk im Hintergrund sowie in North by Northwest (1959) durch die auf den Kuss folgende Einfahrt des Zuges in einen Tunnel verschlüsselt, kommt dem Öffnen der Türen hier (wie auch in der Overture angedeutet) im Kontext der Psychoanalyse allerdings noch eine weitere Bedeutung zu.

Dort ist das 'Öffnen der Türe' zwar auch als Traumsymbol sexuell konnotiert (vgl. Freud 2009, 355ff.), doch wird die analytische Traumdeutung selbst immer wieder metaphorisch mit dem hinter den Türen Verborgenen und dem Geheimnisvollen des Unbewussten in Verbindung gebracht (vgl. Friebe 2005, 104 ff.).

Und auch Hitchcock selbst verwendet "the locked doors of the mind" (zit. n. Auiler 2001, 558) als Metapher im Trailer zu seinem eigenen Film, und habe ohnehin, so erinnert sich der Drehbuchautor Hecht, während der Dreharbeiten 'vor Alpträumen nur so gestrahlt' ("was beaming amid his nightmares"; zit. n. Spoto 1983, 273).

Traum und Geheimnis

Bei Dr. Brulov (der nicht nur äußerlich an den Wiener 'Übervater' Sigmund Freud angelehnt ist) kann schließlich die Psychoanalyse – im Anschluss an die stereotype Frage nach Ballantynes Verhältnis zu Mutter und Vater – beginnen: Brulov nimmt die Rolle des "father image" (01:17:28) ein und attestiert nahezu augenblicklich einen "guilt complex" (01:18:14). Nach einem Kamerazoom auf Ballantynes Gesicht öffnet sich durch eine Überblendung gewissermaßen die 'Tür' in seinen Kopf (01:20:22), und die visuelle und gleichzeitig aus dem off von Ballantyne kommentierte Nacherzählung des Traums beginnt (vgl. dazu detailliert Engel 2020, 573 ff.).

(1) Zunächst bewegen sich einzelne Augen vor einem schwarzem Hintergrund, bevor diese schließlich zum Hintergrundbild eines stilvollen Casinos werden; ein Mann mit einer riesigen Schere zerschneidet jedoch die bedruckten Vorhänge, während eine leicht bekleidete Frau beginnt die Männer an den Spieltischen zu küssen. Die Sequenz wird durch eine Nachfrage von Dr. Bulov nach der geheimnisvollen Frau unterbrochen und sogleich als 'Wunschtraum' gedeutet (01:21:13).

(2) An einem überdimensionierten Spieltisch mit einem geheimnisvollen Schattenspiel sieht sich der Träumende aus der Point-of-View-Perspektive nun einem betrügenden Mitspieler (mit unbedruckten Karten) sowie einem gesichtslosen Croupier gegenüber, bevor die Traumerzählung ein weiteres Mal durch die Analyse unterbrochen wird.

Abb. 2: Spellbound (01:22:30)

(3) Erneut über eine Kamerafahrt 'in' den Kopf von Ballantyne beginnt die dritte Sequenz mit einer skurrilen, durchaus an Gemälde von Giorgio de Chirico oder eben Salvador Dalí erinnernden Umgebung (01:22:20): Ein Mann auf Skiern fällt von einem Dach, während der maskierte Hausbesitzer hinter dem Schornstein hervorkommt, ein verbogenes Wagenrad in der Hand haltend. Nun wechselt die Perspektive, und der Träumende rennt einen Abhang hinab, verfolgt vom Schatten eines Flügelpaars.

Die Traumsequenz endet, und ein sichtlich erschöpfter Ballantyne kann sich an den Ausgang der geträumten Jagd nicht weiter erinnern.

Skifahren als Schocktherapie

Der Trigger zum traumatischen Ereignis wird mehrfach im Film – etwa über die Streifen auf der Kleidung, an anderer Stelle aber auch durch den Rasierschaum und das weiße Waschbecken (01:06:40) – angedeutet und in der Traumanalyse schließlich durch die detektivische Lösung der analytischen Ärztin Constance Petersen als Skipiste in Gabriel Valley enträtselt (01:24:45).

Dabei werden die einzelnen Symbole eins-zu-eins 'übersetzt' (etwa "Gabriel Valley" aufgrund des Flügelpaars), Figuren und Raum im Zusammenhang des Schuldkomplexes in einer bedenklichen Vereinfachung der Freud'schen Psychoanalyse ausgedeutet (vgl. Woolfolk 2011, 133). Entsprechend simpel ist auch die Lösung des persönlichen wie kriminalistischen Falls, denn Dr. Petersen empfiehlt ein möglichst authentisches 'Nachstellen' des traumatischen Erlebnisses: "Der katastrophale Identitätsverlust ist nur aufzuheben durch das Wiedererlangen von Erinnerung, die Auseinandersetzung mit Schuld und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben" (Gerlach 2013, 214).

Die Schlüsselszene des Films ereignet sich daher nach der Traumszene, wenn auf die "talking cure" der freien Assoziation die (Schock-)Therapie, auf den verschlüsselten Traum nun gewissermaßen der 'Türöffner' folgt (vgl. Marantz Cohen 1995, 56): Ballantyne befindet sich unter der Aufsicht von Dr. Petersen auf der Skipiste in Gabriel Valley, geradewegs auf eine gefährliche Tiefe zufahrend – die rasante Abfahrt wird bis zum Extremen ausgereizt, das Abbremsen vor dem mehrdeutigen (räumlichen und psychischen) Abgrund herausgezögert. Nur so kann Ballantyne das tief im Unbewussten liegende Trauma – seine Verantwortung am Tod des Bruders – in 'Reinform' erinnern: "Zentral geht es um unbewusst gewordene Schuldgefühle, in denen er sich nun eingemauert sieht, denen er nicht entrinnen konnte, die in einem entscheidenden Moment sogar einen Identitätswechsel veranlasst haben" (Gerlach 2013, 214).

Wenn somit der männliche Schuldkomplex durch die weibliche Detektivin/Therapeutin/Geliebte aufgedeckt wird – Spellbound wird auch nicht zufällig als "female gothic noir film" (Biesen 2014, 46) verstanden –, dreht dies einerseits das stereotype Bild vom männlichen Therapeuten, das 'Rätsel Frau' lösend, auf eine interessante Weise um. Andererseits wirkt diese Verschiebung (auch aufgrund des durch eine persönliche (Liebes-)Beziehung motivierten Behandlungsprozesses) wiederum kaum emanzipiert, wird Ballantynes Heilung doch mit der problematischen Vermutung gedeutet, dass "Frauen gerade dann, wenn sie lieben, die besten Therapeut[inn]en sind" (Schmidt 2011, 112 f.).

Traum und Wahrheit

Hitchcock wird das über die Handlung gelegte Vokabular und Bildinventar der Psychoanalyse auch in späteren Filmen – wie etwa in Psycho (1960) oder Marnie (1964), wenn auch weniger stark als in Spellbound – erneut aufgreifen (vgl. Penning 1999, 103), sich aber nur noch ein weiteres Mal in dieser Intensität mit filmischen Traumszenen beschäftigen: In Vertigo von 1958 wird die gut einminütige, farbenfrohe, fast psychedelische (Alp-)Traumsequenz vom Maler John Ferren (1905–1970) entworfen; der Surrealismus ist nun dem abstrakten Expressionismus gewichen.

In Spellbound fungieren die Träume und die Traumdeutung – so amateurhaft und schematisch die Analyse auch durchgeführt wird (vgl. Marantz Cohen 1995, 60 f.) – damit innerhalb der Filmhandlung als Katalysator für die Aufklärung des Traumas. Dass die drei kurzen Traumsequenzen mehrfach durch psychoanalytische Deutungen unterbrochen werden, macht einerseits den analytischen 'Entschlüsselungsprozess' als Moment der Erkenntnis (wenn auch stark vereinfacht) deutlich. Gleichzeitig entsteht so aber eine starke Diskrepanz zwischen der nüchternen Interpretation und der surrealistischen Ästhetik, schließlich werden die Träume innerhalb der Diegese ja lediglich von Ballantyne nacherzählt, im Filmbild aber für die Zuschauenden sichtbar gemacht. Und ohnehin unterstreichen die von Dalí entworfenen und von Hitchcock inszenierten Szenen vor allem die Symbolkraft der Träume, lehnen sich aber bspw. nicht filmisch an eine Wahrnehmungsästhetik des Träumens an (vgl. Engel 2020, 580).

Doch auch wenn Hitchcock die Psychoanalyse "nur als visuelle[n] Fundus, keinesfalls als Abbild einer klinischen Realität" (Treppner 1988, 170) verwendet, so öffnete Spellbound dennoch der analytischen Traumdeutung in Nordamerika die Türe, und "within weeks, a new lease was given on the popularity of psychotherapy" (Spoto 1983, 288). Daher spiegelt der Film aus heutiger Perspektive wohl vor allem die Erwartungen, die noch in den 1940er Jahren an die Psychoanalyse, diese seltsame 'Heilkunde' aus Europa, gestellt wurden, wenn "psychoanalysis first became, for the Hollywood cinema, the means of solving a crime, not a means of committing one" (Freedman 1999, 83). Ob Spellbound damit eventuell als verklärender "Lehrfilm über Psychotherapie" (Zwiebel 169) oder gar als ironische Parodie der gefeierten Psychoanalyse zu verstehen ist, muss jedoch offen bleiben.

Jonas Nesselhauf

Literatur

Film

  • Spellbound. Regie: Alfred Hitchcock. Drehbuch: Angus MacPhail und Ben Hecht nach einem Roman von "Francis Beeding". Kamera: George Barnes. USA 1945.

Quellen

  • Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt: Fischer 2009.
  • Shakespeare, William: Julius Caesar. Edited by David Daniell. London: Arden 2006.
  • Truffaut, François: Hitchcock/Truffaut. Edition definitive. Paris: Ramsay 1983.

Forschungsliteratur

  • Auiler, Dan: Hitchcock's Notebooks. An Authorized and Illustrated Look Inside the Creative Mind of Alfred Hitchcock. New York: Haper 2001.
  • Bauck, Markus: Klingende Bilder – Hitchcocks Soundtracks. In: Lars-Olav Beier und Georg Seeßlen (Hg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz 1999, 145–162.
  • Biesen, Sheri Chinen: Brainy Broads. Images of Women's Intellect in Film Noir. In: Laura Mattoon D'Amore (Hg.): Smart Chicks on Screen. Representing Women's Intellect in Film and Television. Lanham, MD: Rowman & Littlefield 2014, 43–58.
  • Bigwood, James: Solving a "Spellbound" Puzzle. In: American Cinematographer 1991, 34-40.
  • Billheimer, John: Hitchcock and the Censors. Lexington: Kentucky UP 2019.
  • Bullerjahn, Claudia: Eklektizismus, Geschäftssinn und Mut zu Experimenten. Wie Alfred Hitchcock die Filmmusikentwicklung beeinflusste. In: Henry Keazor (Hg.): Hitchcock und die Künste. Marburg: Schüren 2013, 117–142.
  • Desalm, Brigitte: Überwachen und Strafen – Einiges über die Blicke bei Hitchcock. In: Lars-Olav Beier/Georg Seeßlen (Hg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz 1999, 39–56.
  • Duncan, Paul: Alfred Hitchcock. Architekt der Angst, 1899–1980. Köln: Taschen 2003.
  • Engel, Manfred: Reise durch die Kultur- und Mediengeschichte des Traumes in elf Stationen. In: Patricia Oster/Janett Reinstädler (Hg.): Traumwelten. Interferenzen zwischen Text, Bild, Musik, Film und Wissenschaft. Paderborn: Fink 2017, 17–45.
  • Engel, Manfred: Film Dreams 1945–1990 (Alfred Hitchcock, Spellbound – Hans Richter, Dreams That Money Can Buy – Ingmar Bergman, Face to Face – Akira Kurosawa, Dreams). In: Bernard Dieterle/Manfred Engel (Hg.): Mediating the Dream/Les genres et médias du rêve. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020 (Cultural Dream Studies 4), 565–628.
  • Freedman, Jonathan: From Spellbound to Vertigo. Alfred Hitchcock and Therapeutic Culture in America. In: Ders./Richard Millington (Hg.): Hitchcock's America. Oxford: Oxford UP 1999, 77–98.
  • Friebe, Cord: Theorie des Unbewußten. Eine Deutung der Metapsychologie Freuds aus transzendentalphilosophischer Perspektive. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005.
  • Gerlach, Alf: Lust an der Angst. Ein psychoanalytischer Kommentar zur innerpsychischen Wirkung von Hitchcocks Spellbound. In: Henry Keazor (Hg.): Hitchcock und die Künste. Marburg: Schüren 2013, 203–215.
  • Gross, Rainer: Verliebte Ärztin spielt Traumdetektiv… (Spellbound, USA 1945). In: Martin Poltrum/Bernd Rieken (Hg.): Seelenkenner Psychoschurken. Psychotherapeuten und Psychiater in Film und Serie. Heidelberg: Springer 2017, 205–225.
  • Jendricke, Bernhard: Alfred Hitchcock. Reinbek: Rowohlt 1999.
  • Krohn, Bill: Masters of Cinema: Alfred Hitchcock. Paris: Cahiers du Cinema 2010.
  • Marantz Cohen, Paula: Alfred Hitchcock. The Legacy of Victorianism. Lexington: Kentucky UP 1995.
  • Penning, Lars: Schuld und Söhne – Anmerkungen zu Hitchcocks Melodramen. In: Lars-Olav Beier/Georg Seeßlen (Hg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz 1999, 93–106.
  • Platte, Nathan: Making Music in Selznick's Hollywood. Oxford: Oxford UP 2018.
  • Pomerance, Murray: An Eye for Hitchcock. New Brunswick: Rutgers UP 2004.
  • Rabkin, Leslie Y.: The Celluloid Couch. An Annotated International Filmography of the Mental Health Professional in the Movies and Television, from the Beginning to 1990. Lanham: Scarecrow Press 1998.
  • Rall, Veronika: Spellbound (1944). In: Lars-Olav Beier/Georg Seeßlen (Hg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz 1999, 325–328.
  • Rózsa, Miklós: Double Life. The Autobiography of Miklós Rózsa. New York: Wynwood 1989.
  • Schmidt, Johann N.: Schlangengrube. Repräsentationen des Wahnsinns im amerikanischen Spielfilm. In: Susanne Rohr/Lars Schmeink (Hg.): Wahnsinn in der Kunst. Kulturelle Imaginationen vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert. Trier: WVT 2011, 105–122.
  • Sierek, Karl: Assoziieren, verketten, montieren. Montage als verbindendes Moment zwischen Psychoanalyse und Film. In: Kristina Jaspers/Wolf Unterberger (Hg.): Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, 38–45.
  • Spoto, Donald: The Life of Alfred Hitchcock. The Dark Side of Genius. London: Collins 1983.
  • "The 1930 Production Code." In: John Lewis: Hollywood vs. Hard Core. How the Struggle over Censorship Saved the Modern Film Industry. New York: New York UP 2000, 302–307.
  • "The Eye." In: Dawn Ades (Hg.): Dalí's Optical Illusions. New Haven: Yale UP 2000, 152–154.
  • Treppner, Peter: 'Irre' im Film. Ein Vergleich von medialer, schauspielerischer und klinischer Ausdrucksform. In: Thomas Koebner (Hg.): Schauspielkunst im Film. Erstes Symposium (1977). St. Augustin: Gardez! 1988, 165–173.
  • Woolfolk, Alan: Depth Psychology on the Surface. Hitchcock's Spellbound. In: R. Barton Palmer/David Boyd (Hg.): Hitchcock at the Source. The Auteur as Adapter. Albany: State Univ. of New York Press 2011, 129–137.
  • Zwiebel, Ralf: Ist psychoanalytisches Denken interkontextuell? Film-psychoanalytische Überlegungen zu Hitchcocks Spellbound. In: Ders./Annegret Mahler-Bungers (Hg.): Projektion und Wirklichkeit. Die unbewusste Botschaft des Films. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 149–175.

Weblink


Anmerkungen

  1. Das gesamte Trailer-Skript ist leicht erreichbar über: Nándor Bokor/Alain Kerzoncuf: Alfred Hitchcock’s Trailers, Part II. In: Senses of Cinema 36 (2005); online: Abschnitt III. Curiosities.


Zitiervorschlag für diesen Artikel:

Nesselhauf, Jonas: "Spellbound" (Alfred Hitchcock). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2021; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php/%22Spellbound%22_(Alfred_Hitchcock).