"Werde munter mein Gemüte" (Johann Rist): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 16. Mai 2022, 03:44 Uhr
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Der heute geläufige Titel ''Werde munter mein Gemüte'' ergibt sich durch den ersten Vers des barocken Abendliedes. Die darin enthaltene Aufforderung erstreckt sich noch weiter über die erste Strophe: „WErde munter mein Gemüte/ vnd jr Sinne geht herfür/ Daß jhr preiset Gottes Güte“. Sie erinnert an das wenig später erschienene, vermutlich prominenteste Abendlied des 17. Jahrhunderts, Paul Gerhardts (1607-1676) ''Nun ruhen alle Wälder'' (ED 1647), welches mit einem ähnlichen Aufruf beginnt: „Ihr aber/ meine sinnen/ Auf/ auf/ ihr sollt beginnen/ Was eurem Schöpffer wol gefällt.“<ref>Gerhardts Abendlied ''Nun ruhen alle Wälder'' erschien erstmals 1647 als Lied Nr. 19 in Crügers ''Praxis Pietatis Melica''.</ref> Beide Appelle an das eigene Gemüt bzw. die eigenen Sinne spiegeln die praktische Ausrichtung des Abendliedgenres wider: Abendlieder sind einerseits als Handlung zu verstehen, als „Aufruf zum Lob oder Trost oder Wendung an Gott in Bitte und Dank und Preis“, andererseits als „Heilmittel des inwendigen Menschen“ (Thomas/Ameln 1930, 5 f.). Eine heilende Wirkung soll vor allem dadurch erzielt werden, dass das Abendlied, gerade im Barockzeitalter, einen Moment des Innehaltens bedeutet: Hübert beschreibt die frühneuzeitliche Empfindung von Abend und Nacht „als Zeit der Stille zwischen Tag und Traum, in der die Seele, befreit von dem tätigen Einsatz des Menschen bei Tage, endlich 'zu Wort' kommen kann“ (Hübert 1963, 223). Die dem Abendlied folglich zufallende „Funktion eines Zwiegesprächs mit Gott“ (Scherf 2020, 6) kann in Rists ''Werde munter mein Gemüte'' anschaulich beobachtet werden. Daneben erfüllt sein Gedicht durch die Schlussstrophe auch die dem Abendliedgenre zugesprochene Gebetsfunktion ( | Der heute geläufige Titel ''Werde munter mein Gemüte'' ergibt sich durch den ersten Vers des barocken Abendliedes. Die darin enthaltene Aufforderung erstreckt sich noch weiter über die erste Strophe: „WErde munter mein Gemüte/ vnd jr Sinne geht herfür/ Daß jhr preiset Gottes Güte“. Sie erinnert an das wenig später erschienene, vermutlich prominenteste Abendlied des 17. Jahrhunderts, Paul Gerhardts (1607-1676) ''Nun ruhen alle Wälder'' (ED 1647), welches mit einem ähnlichen Aufruf beginnt: „Ihr aber/ meine sinnen/ Auf/ auf/ ihr sollt beginnen/ Was eurem Schöpffer wol gefällt.“<ref>Gerhardts Abendlied ''Nun ruhen alle Wälder'' erschien erstmals 1647 als Lied Nr. 19 in Crügers ''Praxis Pietatis Melica''.</ref> Beide Appelle an das eigene Gemüt bzw. die eigenen Sinne spiegeln die praktische Ausrichtung des Abendliedgenres wider: Abendlieder sind einerseits als Handlung zu verstehen, als „Aufruf zum Lob oder Trost oder Wendung an Gott in Bitte und Dank und Preis“, andererseits als „Heilmittel des inwendigen Menschen“ (Thomas/Ameln 1930, 5 f.). Eine heilende Wirkung soll vor allem dadurch erzielt werden, dass das Abendlied, gerade im Barockzeitalter, einen Moment des Innehaltens bedeutet: Hübert beschreibt die frühneuzeitliche Empfindung von Abend und Nacht „als Zeit der Stille zwischen Tag und Traum, in der die Seele, befreit von dem tätigen Einsatz des Menschen bei Tage, endlich 'zu Wort' kommen kann“ (Hübert 1963, 223). Die dem Abendlied folglich zufallende „Funktion eines Zwiegesprächs mit Gott“ (Scherf 2020, 6) kann in Rists ''Werde munter mein Gemüte'' anschaulich beobachtet werden. Daneben erfüllt sein Gedicht durch die Schlussstrophe auch die dem Abendliedgenre zugesprochene Gebetsfunktion (Scherf 2020, 6). | ||
==(Alb-)Träume in Abendliedern== | ==(Alb-)Träume in Abendliedern== | ||
Das Motiv des Traums, das Rist in seinem Abendlied als Verbindungsmöglichkeit zu Gott fruchtbar macht, ist im Abendliedgenre nicht unüblich. In Scherfs Abendliedersammlung beispielsweise finden sich mindestens um die 40 von insgesamt 526 Abendliedern aus fünf Jahrhunderten, in denen der Traum zur Sprache kommt ( | Das Motiv des Traums, das Rist in seinem Abendlied als Verbindungsmöglichkeit zu Gott fruchtbar macht, ist im Abendliedgenre nicht unüblich. In Scherfs Abendliedersammlung beispielsweise finden sich mindestens um die 40 von insgesamt 526 Abendliedern aus fünf Jahrhunderten, in denen der Traum zur Sprache kommt (Scherf 2020). Auffällig ist, dass etwa die Hälfte dieser Lieder (1) der Barockepoche zuzuordnen ist und (2) den Traum in einen negativen Zusammenhang stellt: So werden in der Regel nur „böse“ Träume in einer Reihe mit Gespenstern und anderen Gefahren der Nacht thematisiert, wie etwa bei Johann Franck (auch: Frank; 1618-1677): „Oeffne deiner güte fenster/ Sende deine macht herab/ Daß die schwartzen nacht=gespenster/ Daß des todes finstres grab/ Daß das übel so bey nacht/ Unsern leib zu fällen tracht’t/ Mich nicht mit dem netz ümdecke/ Noch ein böser traum mich schrecke.“ (Str. 5)<ref>Francks Abendlied beginnt mit den Versen „UNsre müden augen=lieder/ Schliessen sich itzt schläffrig zu“ und findet sich als Lied Nr. 709 in der Hildesheimer Ausgabe des ''Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s]'' von 1700.</ref> In einem vergleichbaren Abendlied soll Gott, so bittet das Ich, dabei helfen, „[d]aß kein gespenst im schlaff mich thör/ Noch böser traum mein ruh verstöhr“ (Str. 9);<ref>Vgl. Lied Nr. 710 mit dem Liedanfang „DUhast/ o Vater/ tag und nacht“ (ohne Verfasserangabe) in der Hildesheimer Ausgabe des ''Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s]'' von 1700.</ref> in einem anderen Beispiel heißt es: „Für bösen träumen mich bewahr/ Entzeuch mich aller angst=gefahr“ (Str. 4).<ref>Lied Nr. 723 mit dem Liedanfang „HJnunter ist der sonnen=schein“ (ohne Verfasserangabe) in der Hildesheimer Ausgabe des ''Neu=vermehrte[n] Geistliche[n] Gesangbuch[s]'' von 1700.</ref> Auch in der Abendlieddichtung Georg Philipp Harsdörffers (1607-1658) ist das Träumen mit negativen Implikationen verbunden; in einem seiner Lieder bittet die Sprechinstanz beispielsweise um ruhigen Schlaf „[o]hn böse Träum und Schmertz“ (Str. 7).<ref>Harsdörffers Abendlied beginnt mit den Versen „DEr Tag ist nun vergangen mit seiner Sorgenlast“ und erschien erstmals 1647 in Dilherrs ''Weg zur Seligkeit''.</ref> | ||
Rists ''Werde munter mein Gemüte'' präsentiert einen Gegenentwurf zu dieser im Abendliedgenre verbreiteten negativen Trauminszenierung: In seinem Abendlied geht es nicht um böse, sondern um göttliche, vor den Gefahren der Nacht schützende Träume. Statt dass der Traum die Ängste vor Nacht und Schlaf noch steigert, erfüllt er hier eine Verbindungs- und zugleich eine Art Wächterfunktion: Über ihn wird eine Glaubensbindung an Gott geschaffen, die selbst im Schlaf eine bestimmte Form der Wachsamkeit und dadurch einen gewissen Schutz vor den Gefahren der Nacht ermöglichen soll. Andere Abendliedbeispiele, in denen der Traum auf diese produktive Weise eingesetzt wird, finden sich etwa im Werk der bereits erwähnten Gräfin Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt.<ref>Vgl. die Abendlieder mit den Liedanfängen „GOtt Lob! der Tag ist auch mit seiner Plag verschwunden“, „IN JEsu Nahmen will ich nun zu Bette gehen“ sowie „WEr kan so frölich/ als wie ich“ in Schwarzburg-Rudolstadts Werksammlung ''Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck'' von 1714.</ref> | Rists ''Werde munter mein Gemüte'' präsentiert einen Gegenentwurf zu dieser im Abendliedgenre verbreiteten negativen Trauminszenierung: In seinem Abendlied geht es nicht um böse, sondern um göttliche, vor den Gefahren der Nacht schützende Träume. Statt dass der Traum die Ängste vor Nacht und Schlaf noch steigert, erfüllt er hier eine Verbindungs- und zugleich eine Art Wächterfunktion: Über ihn wird eine Glaubensbindung an Gott geschaffen, die selbst im Schlaf eine bestimmte Form der Wachsamkeit und dadurch einen gewissen Schutz vor den Gefahren der Nacht ermöglichen soll. Andere Abendliedbeispiele, in denen der Traum auf diese produktive Weise eingesetzt wird, finden sich etwa im Werk der bereits erwähnten Gräfin Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt.<ref>Vgl. die Abendlieder mit den Liedanfängen „GOtt Lob! der Tag ist auch mit seiner Plag verschwunden“, „IN JEsu Nahmen will ich nun zu Bette gehen“ sowie „WEr kan so frölich/ als wie ich“ in Schwarzburg-Rudolstadts Werksammlung ''Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck'' von 1714.</ref> |