"Le rêve" (1904; Odilon Redon): Unterschied zwischen den Versionen
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(Die Seite wurde neu angelegt: „thumb|right|200x262px|Odilon Redon, Der Traum, 1904; Öl auf Leinwand, 56 x 43 cm; Privatsammlung, Genf. ''Der Traum'' (französi…“) |
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==Das Werk== | ==Das Werk== | ||
===Bildbeschreibung=== | ===Bildbeschreibung=== | ||
''Der Traum'' zeichnet sich durch eine hohe formale und inhaltliche Indeterminiertheit aus. Während die untere Hälfte des hochformatigen Bildes von dunklen Schatten dominiert wird, hellen sich die Farbflächen in der oberen Partie durch zartes Blau und Türkistöne auf. Wolkenähnliche Gebilde durchziehen den oberen Teil des Gemäldes und rahmen dabei gleichsam das Bildzentrum, in welchem ein schemenhafter, an eine menschliche Figur erinnernder Umriss zu erkennen ist. Wie eine Aureole umgibt das Wolkengebilde diese Erscheinung, wobei sich die Farbstruktur in der linken Bildhälfte durch pastos aufgetragenes kräftiges Blau und helles Gelb vom Bildträger absetzt und eine kontrastreiche Form annimmt. Diese dreht sich – einer Wirbelsäule gleich – s-förmig nach unten und mündet in einem Strahlenkreis aus leuchtendem Rot, unter dem sich ein schlangenähnliches Gebilde windet. Auch die menschlich anmutende Vision im Bildmittelpunkt, die auf einem mit ocker- und orangefarbenen Strichen angedeuteten felsigen Untergrund zu stehen scheint, nimmt in der linken Bildhälfte deutlichere Konturen an und geht dabei eine wundersame Metamorphose mit der biomorphen Struktur ein. Es hat den Anschein, als markiere die Gestalt den Übergang von einer haptisch erfahrbaren, empirischen Welt zu einer nur schwach wahrnehmbaren transzendenten Wirklichkeitsebene. | ''Der Traum'' zeichnet sich durch eine hohe formale und inhaltliche Indeterminiertheit aus. Während die untere Hälfte des hochformatigen Bildes von dunklen Schatten dominiert wird, hellen sich die Farbflächen in der oberen Partie durch zartes Blau und Türkistöne auf. Wolkenähnliche Gebilde durchziehen den oberen Teil des Gemäldes und rahmen dabei gleichsam das Bildzentrum, in welchem ein schemenhafter, an eine menschliche Figur erinnernder Umriss zu erkennen ist. Wie eine Aureole umgibt das Wolkengebilde diese Erscheinung, wobei sich die Farbstruktur in der linken Bildhälfte durch pastos aufgetragenes kräftiges Blau und helles Gelb vom Bildträger absetzt und eine kontrastreiche Form annimmt. Diese dreht sich – einer Wirbelsäule gleich – s-förmig nach unten und mündet in einem Strahlenkreis aus leuchtendem Rot, unter dem sich ein schlangenähnliches Gebilde windet. Auch die menschlich anmutende Vision im Bildmittelpunkt, die auf einem mit ocker- und orangefarbenen Strichen angedeuteten felsigen Untergrund zu stehen scheint, nimmt in der linken Bildhälfte deutlichere Konturen an und geht dabei eine wundersame Metamorphose mit der biomorphen Struktur ein. Es hat den Anschein, als markiere die Gestalt den Übergang von einer haptisch erfahrbaren, empirischen Welt zu einer nur schwach wahrnehmbaren transzendenten Wirklichkeitsebene. | ||
In seiner Tonalität steht das Ölbild den zahlreichen Pastellen des Künstlers nahe. Redon versuchte sich seit den 1890er Jahren in dieser Technik und erzielte dank der farbenfrohen, dekorativ-leichten Ästhetik des Pastells beim bürgerlichen Sammlerpublikum größere Erfolge, als mit seinen vor allem in Künstler- und Literatenkreisen geschätzten ''Noirs'' (vgl. Sale 2011, 48). Neben pastos aufgetragenen Farbflächen, die deutlich den Pinselduktus erkennen lassen, überziehen zarte Lasuren die Oberfläche des Bildes, lösen Konturen auf und sorgen für die irreale Wirkung des Bildraums, der nur schwer in einen Vorder- und Hintergrund zu teilen ist und auch die Tiefenverhältnisse unbestimmt lässt. | In seiner Tonalität steht das Ölbild den zahlreichen Pastellen des Künstlers nahe. Redon versuchte sich seit den 1890er Jahren in dieser Technik und erzielte dank der farbenfrohen, dekorativ-leichten Ästhetik des Pastells beim bürgerlichen Sammlerpublikum größere Erfolge, als mit seinen vor allem in Künstler- und Literatenkreisen geschätzten ''Noirs'' (vgl. Sale 2011, 48). Neben pastos aufgetragenen Farbflächen, die deutlich den Pinselduktus erkennen lassen, überziehen zarte Lasuren die Oberfläche des Bildes, lösen Konturen auf und sorgen für die irreale Wirkung des Bildraums, der nur schwer in einen Vorder- und Hintergrund zu teilen ist und auch die Tiefenverhältnisse unbestimmt lässt. | ||
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Redon schöpfte für das Gemälde ''Der Traum'' aus seinem eigenen ikonografischen Repertoire und setzte die formalen und technischen Experimente fort, die er bereits vor der Jahrhundertwende begonnen hatte und in denen er sich mit der Darstellbarkeit von Imaginiertem und damit einhergehend mit den Grenzen von Abstraktion und Figuration beschäftigt hatte.<ref>Zu Redon als Wegbereiter einer indeterminierten, nicht mimetischen Kunst im späten 19. Jahrhundert siehe Dario Gamboni, Potential Images. Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art. London: Reaktion Books 2002, 68-77.</ref> Diese freie motivische und stilistische Kombination, die sich von der reinen Naturnachahmung abgewandt hat und sich vor allem auf die Entwicklung der Formensprache des Künstlers beruft, verdankt sich nicht zuletzt dem gewählten Bildthema. Die Bezeichnung der Darstellung als Traum legitimiert zum einen den hohen Abstraktionsgrad des Gemäldes – im Traum ist schließlich alles denkbar und die Gesetze künstlerisch-akademischer Bildfindung sind hier ohne Bedeutung –, zum anderen bietet der Titel dem Leser einen Anhaltspunkt zur Entschlüsselung des mit Begriffen aus der Wachwelt nicht fassbaren Bildes. Doch kam es Redon auf eben jene nicht eindeutige Definierbarkeit des Gesehenen an sowie auf das Changieren zwischen verschiedensten Assoziationen und Wirkungen, die sich dem Betrachter des Bildes darbieten: Diese an einen Begriff Leonardo da Vincis angelehnte „art suggestif“ fand zwar in der Natur eine wesentliche Inspirationsquelle, berief sich jedoch darauf aufbauend vor allem auf die subjektive Erfahrung und Imagination des Künstlers (vgl. Redon 1989, 26-28). | Redon schöpfte für das Gemälde ''Der Traum'' aus seinem eigenen ikonografischen Repertoire und setzte die formalen und technischen Experimente fort, die er bereits vor der Jahrhundertwende begonnen hatte und in denen er sich mit der Darstellbarkeit von Imaginiertem und damit einhergehend mit den Grenzen von Abstraktion und Figuration beschäftigt hatte.<ref>Zu Redon als Wegbereiter einer indeterminierten, nicht mimetischen Kunst im späten 19. Jahrhundert siehe Dario Gamboni, Potential Images. Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art. London: Reaktion Books 2002, 68-77.</ref> Diese freie motivische und stilistische Kombination, die sich von der reinen Naturnachahmung abgewandt hat und sich vor allem auf die Entwicklung der Formensprache des Künstlers beruft, verdankt sich nicht zuletzt dem gewählten Bildthema. Die Bezeichnung der Darstellung als Traum legitimiert zum einen den hohen Abstraktionsgrad des Gemäldes – im Traum ist schließlich alles denkbar und die Gesetze künstlerisch-akademischer Bildfindung sind hier ohne Bedeutung –, zum anderen bietet der Titel dem Leser einen Anhaltspunkt zur Entschlüsselung des mit Begriffen aus der Wachwelt nicht fassbaren Bildes. Doch kam es Redon auf eben jene nicht eindeutige Definierbarkeit des Gesehenen an sowie auf das Changieren zwischen verschiedensten Assoziationen und Wirkungen, die sich dem Betrachter des Bildes darbieten: Diese an einen Begriff Leonardo da Vincis angelehnte „art suggestif“ fand zwar in der Natur eine wesentliche Inspirationsquelle, berief sich jedoch darauf aufbauend vor allem auf die subjektive Erfahrung und Imagination des Künstlers (vgl. Redon 1989, 26-28). | ||
Zugleich verrät das Werk Entscheidendes über Redons Traumverständnis. Bereits früh betonte der Maler und Grafiker die Bedeutung der eigenen Einbildungskraft für sein Schaffen, die er über die mimetische Abbildung der äußeren Realität stellte: Der Künstler sei „libre, légitimement libre d’emprunter ses sujets à l’histoire, aux poètes, à son imagination, aux milles sources de sa fantaisie. C’est là l’artiste supérieur: il est peintre devant la nature, poète ou penseur à l’atelier“ [dt. „frei, berechtigterweise frei, seine Themen der Geschichte, der Poesie oder seiner Vorstellungswelt zu entlehnen, den tausend Quellen seiner Fantasie. Dies ist der überlegene Künstler: Er ist Maler angesichts der Natur, Dichter oder Denker in seinem Atelier“] (Redon 1987, 47). Man müsse ihm zufolge ein Träumer sein, um der Fantasie freien Lauf lassen zu können. Ein höchst ästhetisch motiviertes, der Romantik nahe stehendes Traumverständnis kommt hier zum Ausdruck, das die nächtlichen Visionen als Inspirationsquelle und Ort von Kreativität versteht und das subjektive Erleben zum Maßstab künstlerischer Produktion erhebt. | Zugleich verrät das Werk Entscheidendes über Redons Traumverständnis. Bereits früh betonte der Maler und Grafiker die Bedeutung der eigenen Einbildungskraft für sein Schaffen, die er über die mimetische Abbildung der äußeren Realität stellte: Der Künstler sei „libre, légitimement libre d’emprunter ses sujets à l’histoire, aux poètes, à son imagination, aux milles sources de sa fantaisie. C’est là l’artiste supérieur: il est peintre devant la nature, poète ou penseur à l’atelier“ [dt. „frei, berechtigterweise frei, seine Themen der Geschichte, der Poesie oder seiner Vorstellungswelt zu entlehnen, den tausend Quellen seiner Fantasie. Dies ist der überlegene Künstler: Er ist Maler angesichts der Natur, Dichter oder Denker in seinem Atelier“] (Redon 1987, 47). Man müsse ihm zufolge ein Träumer sein, um der Fantasie freien Lauf lassen zu können. Ein höchst ästhetisch motiviertes, der Romantik nahe stehendes Traumverständnis kommt hier zum Ausdruck, das die nächtlichen Visionen als Inspirationsquelle und Ort von Kreativität versteht und das subjektive Erleben zum Maßstab künstlerischer Produktion erhebt. | ||
Der Schriftsteller Charles Morice (1860-1919) beobachtete im Hinblick auf Redons Auseinandersetzung mit dem Traum: „Die Bedeutung, die man dem Wort Traum geben muss, ist weder die vulgäre und in der Prosa gebrauchte (unausweichliche Visionen im Schlaf) noch die seltene, in der Poesie gebrauchte (gewollte Visionen im Wachsein); bald ist es dies, bald ist es das, es ist das Wachsein und der Schlaf, es ist eigentlich der Traum eines Traumes: die gewollte Organisation unausweichlicher Visionen“ (Morice 1885). Im vorliegenden Gemälde greifen ebenfalls traumspezifische Gestaltungsprinzipien und Redons künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten ineinander: Der nur vage definierbare Bildraum, die zahlreiche Assoziationen auslösende biomorphe Form, die fantastische, leuchtende Farbigkeit sowie die nur schwach auszumachende Vision einer menschlichen Figur suggerieren die Herkunft des Dargestellten aus subjektiven Traum- und Vorstellungswelten. Diese Elemente werden vom Künstler aber gezielt und mit Blick auf eine harmonische und ausgewogene Gesamtkomposition zusammengebracht. | Der Schriftsteller Charles Morice (1860-1919) beobachtete im Hinblick auf Redons Auseinandersetzung mit dem Traum: „Die Bedeutung, die man dem Wort Traum geben muss, ist weder die vulgäre und in der Prosa gebrauchte (unausweichliche Visionen im Schlaf) noch die seltene, in der Poesie gebrauchte (gewollte Visionen im Wachsein); bald ist es dies, bald ist es das, es ist das Wachsein und der Schlaf, es ist eigentlich der Traum eines Traumes: die gewollte Organisation unausweichlicher Visionen“ (Morice 1885). Im vorliegenden Gemälde greifen ebenfalls traumspezifische Gestaltungsprinzipien und Redons künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten ineinander: Der nur vage definierbare Bildraum, die zahlreiche Assoziationen auslösende biomorphe Form, die fantastische, leuchtende Farbigkeit sowie die nur schwach auszumachende Vision einer menschlichen Figur suggerieren die Herkunft des Dargestellten aus subjektiven Traum- und Vorstellungswelten. Diese Elemente werden vom Künstler aber gezielt und mit Blick auf eine harmonische und ausgewogene Gesamtkomposition zusammengebracht. | ||
Zwar kann hier durchaus eine gewisse Nähe zu zeitgenössischen wissenschaftlichen Traumdiskursen hergestellt werden, die sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Subjektivität des Traums befassten (Heraeus 2007). Doch scheint dieser Bezug allenfalls indirekter Art zu sein und speist sich wohl unmittelbarer aus einem romantischen, literarisch-künstlerisch geprägten Traumverständnis: Allgemein verbreitetes Traumwissen, das den Traum bereits als Tür zur subjektiven Wirklichkeit markiert hatte, diente dem zeitgenössischen Publikum als notwendiger Schlüssel, um die Darstellung als Fantasiegebilde, das dem Geist des Künstlers entsprungen ist, deuten und begreifen zu können. Der Titel fungiert als knapper Verweis auf diese Lesart des Bildes und als letzte narrative Instanz, die trotz aller künstlerischen Freiheit und Ausdifferenzierung um die Jahrhundertwende noch notwendig war.<ref>Bilder wie ''Der Traum'' sollten aufgrund ihrer indeterminierten Formensprache eine nachhaltige Wirkung auf abstrahierende künstlerische Strömungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere die informelle Malerei der 1950er Jahre haben (vgl. Schneider 2014).</ref> Das Traummotiv ist hier somit nicht nur als künstlerische Strategie im Hinblick auf die formale Gestaltung des Bildes zu bewerten, sondern auch als publikumsorientierte und -wirksame Markierung. | Zwar kann hier durchaus eine gewisse Nähe zu zeitgenössischen wissenschaftlichen Traumdiskursen hergestellt werden, die sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Subjektivität des Traums befassten (Heraeus 2007). Doch scheint dieser Bezug allenfalls indirekter Art zu sein und speist sich wohl unmittelbarer aus einem romantischen, literarisch-künstlerisch geprägten Traumverständnis: Allgemein verbreitetes Traumwissen, das den Traum bereits als Tür zur subjektiven Wirklichkeit markiert hatte, diente dem zeitgenössischen Publikum als notwendiger Schlüssel, um die Darstellung als Fantasiegebilde, das dem Geist des Künstlers entsprungen ist, deuten und begreifen zu können. Der Titel fungiert als knapper Verweis auf diese Lesart des Bildes und als letzte narrative Instanz, die trotz aller künstlerischen Freiheit und Ausdifferenzierung um die Jahrhundertwende noch notwendig war.<ref>Bilder wie ''Der Traum'' sollten aufgrund ihrer indeterminierten Formensprache eine nachhaltige Wirkung auf abstrahierende künstlerische Strömungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere die informelle Malerei der 1950er Jahre haben (vgl. Schneider 2014).</ref> Das Traummotiv ist hier somit nicht nur als künstlerische Strategie im Hinblick auf die formale Gestaltung des Bildes zu bewerten, sondern auch als publikumsorientierte und -wirksame Markierung. | ||
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===Traumwiki-Commons=== | ===Traumwiki-Commons=== | ||
* [[Media:Redon Der Traum groß.jpg|Odilon Redon, Der Traum (1904)]] | * [[Media:Redon Der Traum groß.jpg|Odilon Redon, Der Traum (1904)]] | ||