"La tregua" (Primo Levi): Unterschied zwischen den Versionen

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==Kurzerläuterung==
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''La Tregua'' (dt. „Die Atempause“) ist ein 1963 erstmals veröffentlichter autobiografischer Bericht des italienischen Autors Primo Levi (geb. 31. Juli 1919 in Turin, gest. 11. April 1987 ebd.). Er schildert in 17 Kapiteln die Rückkehr des Erzählers aus dem Konzentrationslager Auschwitz in seine Heimatstadt Turin. Träume spielen in diesem Text eine entscheidende Rolle für die Vermittlung seiner Erfahrungen als Shoah-Überlebender.
''La Tregua'' (dt. Die Atempause) ist ein 1963 erstmals veröffentlichter autobiografischer Bericht des italienischen Autors Primo Levi (geb. 31. Juli 1919 in Turin, gest. 11. April 1987 ebd.). Er schildert in 17 Kapiteln die Rückkehr des Erzählers aus dem Konzentrationslager Auschwitz in seine Heimatstadt Turin. Träume spielen in diesem Text eine entscheidende Rolle für die Vermittlung seiner Erfahrungen als Shoah-Überlebender.




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==Die Träume==
==Die Träume==


Der Text Levis wird in programmatischer Weise durch Träume gerahmt. Dem eigentlichen Bericht ist ein vom Autor verfasstes Gedicht als Motto vorangestellt, das die Träume der KZ-Häftlinge, die von der Rückkehr in die Normalität handeln, mit der Allgegenwart der traumatischen Erfahrung nach dem Krieg verbindet. Das Schusskapitel „Il risveglio“ (dt. „Erwachen“, Levi 2014, 197-201) endet mit einem immer wiederkehrenden Alptraum des Erzählers, in dem sich der neu gewonnene Alltag des Träumers als trügerische Illusion entpuppt. Das siebte Kapitel „I sognatori“ („Die Träumer“, Levi 2014, 85-95) hingegen hat nicht tatsächliche (Nacht-)Träume zum Thema, sondern versammelt Geschichten aus dem Leben der ehemaligen Mitgefangenen, die sich in einem unsicheren Status zwischen Faktizität, Fantasie und Wunschtraum bewegen.
Der Text Levis wird in programmatischer Weise durch Träume gerahmt. Dem eigentlichen Bericht ist ein vom Autor verfasstes Gedicht als Motto vorangestellt, das die Träume der KZ-Häftlinge, die von der Rückkehr in die Normalität handeln, mit der Allgegenwart der traumatischen Erfahrung nach dem Krieg verbindet. Das Schusskapitel ''Il risveglio'' (dt. Erwachen, Levi 2014, 197-201) endet mit einem immer wiederkehrenden Alptraum des Erzählers, in dem sich der neu gewonnene Alltag des Träumers als trügerische Illusion entpuppt. Das siebte Kapitel ''I sognatori'' (Die Träumer, Levi 2014, 85-95) hingegen hat nicht tatsächliche (Nacht-)Träume zum Thema, sondern versammelt Geschichten aus dem Leben der ehemaligen Mitgefangenen, die sich in einem unsicheren Status zwischen Faktizität, Fantasie und Wunschtraum bewegen.




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====Situierung====
====Situierung====


Das die autobiographische Erzählung eröffnende Gedicht wurde von Primo Levi während der Rückkehr nach Turin im Juli 1945 im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Eingangsgedicht zu ''Se questo è un uomo'' verfasst. Durch den zweifachen Imperativ „Wstawać“, den Befehl zum Aufstehen im Konzentrationslager Auschwitz, konstruiert Levi zum einen den thematischen und formalen Rahmen seines Berichtes (vgl. Kapser 2016, 105). Der polnische Befehl schließt auch den am Ende des Werkes erzählten Alptraum, und damit das Buch als Ganzes ab. Zum anderen wird durch dieses Wort die entscheidende Verbindung zu ''Se questo è un uomo'', Levis Erzählung aus dem Inneren des Lagers, hergestellt. Es findet sich nämlich ebenso im Zentrum des fünften Kapitels über den Bericht vom Grauen des Lageralltags: Der Abschnitt „Le nostre notti“ („Unsere Nächte“, Levi 2005, 50-57) erzählt von den Bedingungen des Schlafes in den Lagerbaracken, den Alpträumen der KZ-Häftlinge und dem Befehl im Morgengrauen, mit dem die Lagerrealität unausweichlich ins Bewusstsein der Träumenden eindringt.
Das die autobiographische Erzählung eröffnende Gedicht wurde von Primo Levi während der Rückkehr nach Turin im Juli 1945 im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Eingangsgedicht zu ''Se questo è un uomo'' verfasst. Durch den zweifachen Imperativ „Wstawać“, den Befehl zum Aufstehen im Konzentrationslager Auschwitz, konstruiert Levi zum einen den thematischen und formalen Rahmen seines Berichtes (vgl. Kapser 2016, 105). Der polnische Befehl schließt auch den am Ende des Werkes erzählten Alptraum, und damit das Buch als Ganzes ab. Zum anderen wird durch dieses Wort die entscheidende Verbindung zu ''Se questo è un uomo'', Levis Erzählung aus dem Inneren des Lagers, hergestellt. Es findet sich nämlich ebenso im Zentrum des fünften Kapitels über den Bericht vom Grauen des Lageralltags: Der Abschnitt ''Le nostre notti'' (Unsere Nächte, Levi 2005, 50-57) erzählt von den Bedingungen des Schlafes in den Lagerbaracken, den Alpträumen der KZ-Häftlinge und dem Befehl im Morgengrauen, mit dem die Lagerrealität unausweichlich ins Bewusstsein der Träumenden eindringt.




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====Analyse und Interpretation====
====Analyse und Interpretation====


Das Gedicht besteht aus zwei parallel konstruierten, jedoch unterschiedlich langen Strophen: Die erste, längere bezieht sich auf die Träume im Lager, die zweite, kürzere auf deren Fortsetzung nach der Rückkehr. Geht man davon aus, dass beiden Strophen jeweils durch den Befehl „Wstawać“ mit einer Art Refrain beendet werden, entsteht ein zusätzlicher Vers in der Mitte, der beide Teile des Gedichts voneinander trennt und zugleich miteinander verbindet (vgl. Kasper 2016, 112). Dieser achte Vers handelt davon, dass der Befehl das Herz der Träumenden allmorgendlich in Stücke zerreißt (die Übersetzung von Barbara und Robert Picht gibt dieses Bild nur unzureichend wieder). Das kollektive Wir verweist damit auf die Lagererfahrung als Ganze, welche die individuelle Existenz unwiederbringlich in ein früheres Leben und ein späteres Über-Leben spaltet. Damit reißt der Vers gewissermaßen auch das Gedicht selbst in zwei Teile. Er schließt aber zugleich die Vergangenheit des Lagers mit der traumatischen Erinnerung in der Gegenwart kurz: In der erste Strophe fassen die Sprecher in mehreren, zu einer etymologischen Figur angeordneten Versen („sognavamo... sogni... sognati...“ / „wir träumten... Träume, die ... geträumt wurden“) die Alpträume der KZ-Häftlinge als kollektive Traumerfahrungen zusammen. Dass diese Träume im Lager unablässig wiederkehren, also unabgeschlossen sind, wird durch die verwendete Zeitform des imperfetto hervorgehoben. Wie die Träume selbst, welche Leib und Seele gleichermaßen erfassen, als „dicht“ („densi“) und „grausam“ („feroci“) charakterisiert werden, so finden sie sich auch auf der stilistischen Ebene verdichtet und syntaktisch zertrümmert: In der Aufzählung „zurückkehren, essen, erzählen“ ist kondensiert, was das fünfte Kapitel aus ''Se questo è un uomo'' in detaillierter, komplexer Weise erzählt hatte: die Lagererfahrung als Ganze, die in nächtlichen Visionen, Ängsten, Träumen und Halluzinationen ihren Ausdruck findet. Die zweite Strophe wechselt nun in die Gegenwart der Überlebenden („ora“/ das “jetzt“ fehlt in der deutschen Übersetzung). Sie wiederholt alle drei Träume aus dem Lager, indem sie sie in je einzelnen Versen in die Wachwirklichkeit überträgt: Die Sehnsucht nach Rückkehr ist erfüllt („abbiamo ritrovato la casa“), der Hunger gestillt („nostro ventre è sazio“) und das Erlebte „zu Ende erzählt“ („abbiamo finito di raccontare“). Anstatt jedoch mit dieser Situation zu schließen, nimmt das Gedicht eine Wendung, welche Gegenwart („è tempo“ / „es ist Zeit“) und bevorstehende Bedrohung („presto udremo“ / „gleich hören wir“) direkt mit der vergangenen Lagererfahrung verknüpft (Sossi 2000, 241-242). Eine solche Verknüpfung wird bereits klanglich vorbereitet: Die lautliche Nähe zwischen „sognare“, das sich auf die Träume, und „suonare“, das sich auf das Erklingen des Befehles bezieht, versetzt schon in der Mitte der ersten Strophe die nächtlichen Träume nicht nur thematisch, sondern auch phonetisch an die unmittelbare Grenze zum Erwachen. Im Schlussvers, dem abschließenden Imperativ, lassen sich die einzelnen Zeitebenen schließlich nicht mehr unterscheiden (Kasper 2016, 105 und 116). Durch das letzte Wort werden somit rückwirkend auch die positiven Erfahrungen des Heimkehrens als mögliche Träume bzw. als trügerische Einbildung präsentiert und in ihrem Realitätsstatus in Frage gestellt.Einer vergleichbaren Struktur folgt auch der Traum im Schlusskapitel des Berichtes „Il risveglio“ / „Erwachen“.
Das Gedicht besteht aus zwei parallel konstruierten, jedoch unterschiedlich langen Strophen: Die erste, längere bezieht sich auf die Träume im Lager, die zweite, kürzere auf deren Fortsetzung nach der Rückkehr. Geht man davon aus, dass beiden Strophen jeweils durch den Befehl „Wstawać“ mit einer Art Refrain beendet werden, entsteht ein zusätzlicher Vers in der Mitte, der beide Teile des Gedichts voneinander trennt und zugleich miteinander verbindet (vgl. Kasper 2016, 112). Dieser achte Vers handelt davon, dass der Befehl das Herz der Träumenden allmorgendlich in Stücke zerreißt (die Übersetzung von Barbara und Robert Picht gibt dieses Bild nur unzureichend wieder). Das kollektive Wir verweist damit auf die Lagererfahrung als Ganze, welche die individuelle Existenz unwiederbringlich in ein früheres Leben und ein späteres Über-Leben spaltet. Damit reißt der Vers gewissermaßen auch das Gedicht selbst in zwei Teile. Er schließt aber zugleich die Vergangenheit des Lagers mit der traumatischen Erinnerung in der Gegenwart kurz: In der erste Strophe fassen die Sprecher in mehreren, zu einer etymologischen Figur angeordneten Versen („sognavamo... sogni... sognati...“ / „wir träumten... Träume, die ... geträumt wurden“) die Alpträume der KZ-Häftlinge als kollektive Traumerfahrungen zusammen. Dass diese Träume im Lager unablässig wiederkehren, also unabgeschlossen sind, wird durch die verwendete Zeitform des imperfetto hervorgehoben. Wie die Träume selbst, welche Leib und Seele gleichermaßen erfassen, als „dicht“ („densi“) und „grausam“ („feroci“) charakterisiert werden, so finden sie sich auch auf der stilistischen Ebene verdichtet und syntaktisch zertrümmert: In der Aufzählung „zurückkehren, essen, erzählen“ ist kondensiert, was das fünfte Kapitel aus ''Se questo è un uomo'' in detaillierter, komplexer Weise erzählt hatte: die Lagererfahrung als Ganze, die in nächtlichen Visionen, Ängsten, Träumen und Halluzinationen ihren Ausdruck findet. Die zweite Strophe wechselt nun in die Gegenwart der Überlebenden („ora“/ das “jetzt“ fehlt in der deutschen Übersetzung). Sie wiederholt alle drei Träume aus dem Lager, indem sie sie in je einzelnen Versen in die Wachwirklichkeit überträgt: Die Sehnsucht nach Rückkehr ist erfüllt („abbiamo ritrovato la casa“), der Hunger gestillt („nostro ventre è sazio“) und das Erlebte „zu Ende erzählt“ („abbiamo finito di raccontare“). Anstatt jedoch mit dieser Situation zu schließen, nimmt das Gedicht eine Wendung, welche Gegenwart („è tempo“ / „es ist Zeit“) und bevorstehende Bedrohung („presto udremo“ / „gleich hören wir“) direkt mit der vergangenen Lagererfahrung verknüpft (Sossi 2000, 241-242). Eine solche Verknüpfung wird bereits klanglich vorbereitet: Die lautliche Nähe zwischen „sognare“, das sich auf die Träume, und „suonare“, das sich auf das Erklingen des Befehles bezieht, versetzt schon in der Mitte der ersten Strophe die nächtlichen Träume nicht nur thematisch, sondern auch phonetisch an die unmittelbare Grenze zum Erwachen. Im Schlussvers, dem abschließenden Imperativ, lassen sich die einzelnen Zeitebenen schließlich nicht mehr unterscheiden (Kasper 2016, 105 und 116). Durch das letzte Wort werden somit rückwirkend auch die positiven Erfahrungen des Heimkehrens als mögliche Träume bzw. als trügerische Einbildung präsentiert und in ihrem Realitätsstatus in Frage gestellt.Einer vergleichbaren Struktur folgt auch der Traum im Schlusskapitel des Berichtes ''Il risveglio''/ „Erwachen“.




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= Gesamtausgabe
= Gesamtausgabe


* Zitierte Ausgabe: Primo Levi : La tregua 1963, Torino : Einaudi 2014.
* Zitierte Ausgabe: Primo Levi : La tregua [1963], Torino : Einaudi 2014.


= Zitierte Ausgabe
= zitierte Ausgabe


* Primo Levi: Die Atempause, aus dem Italienischen übersetzt von Barbara und Robert Picht, München: Hanser 1988.
* Primo Levi: Die Atempause, aus dem Italienischen übersetzt von Barbara und Robert Picht, München: Hanser 1988.
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* Daniela Amsellem: „Images littéraires et figures mythiques dans l’oeuvre de Primo Levi“, in: Chroniques italiennes 31/31 (1992), S. 7-26, S. 7-11.
* Daniela Amsellem: „Images littéraires et figures mythiques dans l’oeuvre de Primo Levi“, in: Chroniques italiennes 31/31 (1992), S. 7-26, S. 7-11.


* Marco Belpoliti (Hg.): Primo Levi: conversazioni e interviste 1963 - 1987, Torino 1997.
* Marco Belpoliti (Hrsg.): Primo Levi: conversazioni e interviste 1963 - 1987, Torino 1997.


* Boulé, Anne: „’La Tregua’ ou l’infini retour“, in: La Licorne 33 (1995), S. 155-172.
* Boulé, Anne: „’La Tregua’ ou l’infini retour“, in: La Licorne 33 (1995), S. 155-172.
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* Druker, Jonathan: „Trauma and Latency in Primo Levi’s ‚The Reawakening’“, in: Risa Sodi / Millicent Marcus (Hrsg.): New Reflections on Primo Levi: Before and After Auschwitz, New York Palgrave Macmillan, S. 63-77.
* Druker, Jonathan: „Trauma and Latency in Primo Levi’s ‚The Reawakening’“, in: Risa Sodi / Millicent Marcus (Hrsg.): New Reflections on Primo Levi: Before and After Auschwitz, New York Palgrave Macmillan, S. 63-77.


* Joseph Farell (Hrsg): Primo Levi: the austere humanist,: Oxford 2004.
* Joseph Farell (Hrsg.): Primo Levi: the austere humanist, Oxford 2004.


* Robert S. C. Gordon (Hrsg.): The Cambridge Companion to Primo Levi, Cambridge 2007.
* Robert S. C. Gordon (Hrsg.): The Cambridge Companion to Primo Levi, Cambridge 2007.
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* Prosperi, Carlo: „La gioa liberatrice del raccontare: una lettura de ‚La Tragua’ di primo Levi“, in: Primo Levi: Memoria e invenzione, 1995, S. 85-101.
* Prosperi, Carlo: „La gioa liberatrice del raccontare: una lettura de ‚La Tragua’ di primo Levi“, in: Primo Levi: Memoria e invenzione, 1995, S. 85-101.


* Poli, Gabriella und Giorgio Calcagno (Hg.): Echi di una voce perduta: Incontri, interviste e conversazioni con Primo Levi, Milano 1992.
* Poli, Gabriella und Giorgio Calcagno (Hrsg.): Echi di una voce perduta: Incontri, interviste e conversazioni con Primo Levi, Milano 1992.


* Federica Sossi: „L’oblio del ricordo. La scrittura sognata di Primo Levi“, in: Nuova corrente XLVII (2000), S. 227-244.
* Federica Sossi: „L’oblio del ricordo. La scrittura sognata di Primo Levi“, in: Nuova corrente XLVII (2000), S. 227-244.
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