"Marianne Dreams" (Catherine Storr): Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 52: Zeile 52:


Nachdem ihr ihre Mutter am Folgetag offenbart, dass sie mit ihr ans Meer fahren wird, um den Heilungsprozess abzuschließen, übergibt Marianne den ins Bild gezeichneten magischen Bleistift im folgenden Traum an Mark, der nun seinerseits Bedenken äußert:
Nachdem ihr ihre Mutter am Folgetag offenbart, dass sie mit ihr ans Meer fahren wird, um den Heilungsprozess abzuschließen, übergibt Marianne den ins Bild gezeichneten magischen Bleistift im folgenden Traum an Mark, der nun seinerseits Bedenken äußert:
“But if I take your pencil, perhaps you won’t be able to get back here.”
“But if I take your pencil, perhaps you won’t be able to get back here.”
“I don’t want to get back. I want to get out, like you.”
“I don’t want to get back. I want to get out, like you.”
“Yes, I know, but you’ve got to get back here so that you can get out. I mean, if you just stay away in what you call real life, you’ll never know whether you’re really not still here. Not free. See what I mean?”
“Yes, I know, but you’ve got to get back here so that you can get out. I mean, if you just stay away in what you call real life, you’ll never know whether you’re really not still here. Not free. See what I mean?”
“Yes. But in my real life I am free, and I’m going to the sea,” Marianne said. (MD 173)
“Yes. But in my real life I am free, and I’m going to the sea,” Marianne said. (MD 173)
Als Mark in Mariannes Traum schließlich mit ihrem magischen Bleistift an einem eigenen Bild arbeitet, während Marianne das Meer beobachtet, einschläft und darüber aufwacht, entsteht eine spannende Wendung, denn nun ist es eine Figur in ihrem Traum, die das Setting ihrer Träume beeinflusst bzw. zum Regisseur und zur Hauptfigur einer eigenen Traum-Serie wird. Marianne ist es in den folgenden Nächten nicht mehr möglich, zu diesem Ort zurückzukehren. Erst in der Nacht vor ihrer Abreise gelingt ihr dies, doch nun ist sie ganz alleine im Leuchtturm, wo sie ein Gemälde und einige Zeilen von Mark vorfindet. Er lässt sie wissen, dass er mit dem gezeichneten Hubschrauber fortgeflogen ist und zurückkehren wird, um sie abzuholen. Obwohl die Ungewissheit dieser Situation durchaus beängstigend wirken könnte, stimmt Marianne diese Nachricht optimistisch. Mit diesem Bild endet die Erzählung. Im Unterschied zu zahlreichen fantastischen kinderliterarischen Traumerzählungen, die mit dem Prozess des Einschlafens beginnen und mit dem Erwachen enden, um die fantastischen Elemente der Erzählung zu legitimieren, endet Storrs Erzählung nicht mit einer Heimkehr, sondern in einem Traum, mit einem angedeuteten Aufbruch in ungewisse Fremde. Durch die Ohnmacht, die Marianne aufgrund der Weitergabe des magischen Stifts in ihrem Traum erfährt, wird die Möglichkeit nahegelegt, dass ihr Heilungsverlauf nicht glückt und sie nicht mehr erwachen wird. Storr zeigt demnach keine einfache Lösung für das ambivalente Verhältnis von wachem und traumhaftem Erleben auf, sondern gibt die Frage nach der Deutung des Geschehens durch das offene Ende an die Leserschaft weiter. So erfährt der Traum hier keine Rationalisierung, sondern entspricht auch in der künstlerischen Ausgestaltung einem höchst ambivalenten Phänomen.
Als Mark in Mariannes Traum schließlich mit ihrem magischen Bleistift an einem eigenen Bild arbeitet, während Marianne das Meer beobachtet, einschläft und darüber aufwacht, entsteht eine spannende Wendung, denn nun ist es eine Figur in ihrem Traum, die das Setting ihrer Träume beeinflusst bzw. zum Regisseur und zur Hauptfigur einer eigenen Traum-Serie wird. Marianne ist es in den folgenden Nächten nicht mehr möglich, zu diesem Ort zurückzukehren. Erst in der Nacht vor ihrer Abreise gelingt ihr dies, doch nun ist sie ganz alleine im Leuchtturm, wo sie ein Gemälde und einige Zeilen von Mark vorfindet. Er lässt sie wissen, dass er mit dem gezeichneten Hubschrauber fortgeflogen ist und zurückkehren wird, um sie abzuholen. Obwohl die Ungewissheit dieser Situation durchaus beängstigend wirken könnte, stimmt Marianne diese Nachricht optimistisch. Mit diesem Bild endet die Erzählung. Im Unterschied zu zahlreichen fantastischen kinderliterarischen Traumerzählungen, die mit dem Prozess des Einschlafens beginnen und mit dem Erwachen enden, um die fantastischen Elemente der Erzählung zu legitimieren, endet Storrs Erzählung nicht mit einer Heimkehr, sondern in einem Traum, mit einem angedeuteten Aufbruch in ungewisse Fremde. Durch die Ohnmacht, die Marianne aufgrund der Weitergabe des magischen Stifts in ihrem Traum erfährt, wird die Möglichkeit nahegelegt, dass ihr Heilungsverlauf nicht glückt und sie nicht mehr erwachen wird. Storr zeigt demnach keine einfache Lösung für das ambivalente Verhältnis von wachem und traumhaftem Erleben auf, sondern gibt die Frage nach der Deutung des Geschehens durch das offene Ende an die Leserschaft weiter. So erfährt der Traum hier keine Rationalisierung, sondern entspricht auch in der künstlerischen Ausgestaltung einem höchst ambivalenten Phänomen.


Zeile 62: Zeile 64:
Auf metaphorischer Ebene lässt sich das gezeichnete Haus als Visualisierung eines Krankheitszustandes bzw. erkrankten Körpers lesen. Der Umstand, dass Marianne die Zeichnung ausgerechnet in dem Moment beginnt, als sie auf ihren Arzt wartet, der ihrem aktuellen, ungewissen Zustand bzw. Leiden ein Ende bereiten könnte, erscheint aufschlussreich, wird doch das mit ihrer Krankheit in Verbindung stehende Haus auf diese Weise als Symbol des Leidens und der unbenannten Krankheit lesbar. Gleichzeitig kann es auf den erkrankten Körper bezogen werden, der seine Funktion als verlässliche und funktionstüchtige Behausung verloren hat, sodass sich die Figur einen neuen Raum schafft, den sie nach Belieben ausstatten kann und den sie unbedingt erkunden möchte. Die Zustände des Träumens und der Erkrankung werden auch darüber miteinander verbunden, dass Marianne ein anderes erkranktes Kind in dieses Haus platziert, das sich nichts sehnlicher wünscht als diesen in seinen Augen unsicheren Ort bzw. Zustand zu verlassen.
Auf metaphorischer Ebene lässt sich das gezeichnete Haus als Visualisierung eines Krankheitszustandes bzw. erkrankten Körpers lesen. Der Umstand, dass Marianne die Zeichnung ausgerechnet in dem Moment beginnt, als sie auf ihren Arzt wartet, der ihrem aktuellen, ungewissen Zustand bzw. Leiden ein Ende bereiten könnte, erscheint aufschlussreich, wird doch das mit ihrer Krankheit in Verbindung stehende Haus auf diese Weise als Symbol des Leidens und der unbenannten Krankheit lesbar. Gleichzeitig kann es auf den erkrankten Körper bezogen werden, der seine Funktion als verlässliche und funktionstüchtige Behausung verloren hat, sodass sich die Figur einen neuen Raum schafft, den sie nach Belieben ausstatten kann und den sie unbedingt erkunden möchte. Die Zustände des Träumens und der Erkrankung werden auch darüber miteinander verbunden, dass Marianne ein anderes erkranktes Kind in dieses Haus platziert, das sich nichts sehnlicher wünscht als diesen in seinen Augen unsicheren Ort bzw. Zustand zu verlassen.
Im künstlerischen Prozess des Zeichnens werden die beiden Handlungsstränge des wachen und traumhaften Erlebens miteinander verbunden. Das essenzielle Verbindungsglied zwischen den beiden Bewusstseinsebenen ist der magische Bleistift, den Marianne in der Hand hält als sie sich wünscht, erneut von ihrem Bild zu träumen. Auch erkennt sie, dass sie sich immer dann in ihre Zeichnung hineinträumen kann, wenn sie tagsüber an dem Bild gearbeitet hat. Als sie sich über Mark ärgert und einige Tage nicht an dem Bild zeichnet, kehrt sie auch nicht zu ihrem Traum zurück, sondern erleidet einen Angsttraum, in dem sie mit ihrer körperlichen Schwäche konfrontiert wird:
Im künstlerischen Prozess des Zeichnens werden die beiden Handlungsstränge des wachen und traumhaften Erlebens miteinander verbunden. Das essenzielle Verbindungsglied zwischen den beiden Bewusstseinsebenen ist der magische Bleistift, den Marianne in der Hand hält als sie sich wünscht, erneut von ihrem Bild zu träumen. Auch erkennt sie, dass sie sich immer dann in ihre Zeichnung hineinträumen kann, wenn sie tagsüber an dem Bild gearbeitet hat. Als sie sich über Mark ärgert und einige Tage nicht an dem Bild zeichnet, kehrt sie auch nicht zu ihrem Traum zurück, sondern erleidet einen Angsttraum, in dem sie mit ihrer körperlichen Schwäche konfrontiert wird:
„She dreamed that she was lame and couldn’t walk without a crutch. It was terribly important to get somewhere in time, an appointment, a train to catch, she wasn’t sure what, but she couldn’t hurry because she had lost her crutch and though she looked everywhere for it, she couldn’t find it and the time was getting shorter and shorter. She woke out of breath and anxious,…“ (MD 68)
„She dreamed that she was lame and couldn’t walk without a crutch. It was terribly important to get somewhere in time, an appointment, a train to catch, she wasn’t sure what, but she couldn’t hurry because she had lost her crutch and though she looked everywhere for it, she couldn’t find it and the time was getting shorter and shorter. She woke out of breath and anxious,…“ (MD 68)
Während dieser Traum einem Fiebertraum entspricht, ist die um ihre Zeichnung kreisende Traum-Serie als Wunsch- und Sehnsuchts- aber auch als Fluchttraum lesbar. Das gezeichnete Haus wird unmittelbar mit ihren unartikulierten Wünschen verbunden, etwa wenn es heißt:
Während dieser Traum einem Fiebertraum entspricht, ist die um ihre Zeichnung kreisende Traum-Serie als Wunsch- und Sehnsuchts- aber auch als Fluchttraum lesbar. Das gezeichnete Haus wird unmittelbar mit ihren unartikulierten Wünschen verbunden, etwa wenn es heißt:
„She didn’t just go to sleep – she dropped thousands of feet into sleep, with the rapidity and soundless perfection of a gannet’s dive. It was completely satisfying and quite inescapable. At once she was in the house.“ (MD 70)
„She didn’t just go to sleep – she dropped thousands of feet into sleep, with the rapidity and soundless perfection of a gannet’s dive. It was completely satisfying and quite inescapable. At once she was in the house.“ (MD 70)
Das eigens geschaffene Traumsetting ist gleichermaßen befriedigend wie einengend. Sie kann ihren Träumen bzw. diesem Ort nicht entfliehen. So wird die kindliche Ohnmacht im Angesicht der Krankheit und der Adoleszenz über die Metapher des gezeichneten und den Traum verortenden Hauses literarästhetisch ausgestaltet.
Das eigens geschaffene Traumsetting ist gleichermaßen befriedigend wie einengend. Sie kann ihren Träumen bzw. diesem Ort nicht entfliehen. So wird die kindliche Ohnmacht im Angesicht der Krankheit und der Adoleszenz über die Metapher des gezeichneten und den Traum verortenden Hauses literarästhetisch ausgestaltet.


Zeile 70: Zeile 76:
Der Umstand, dass die Krankheit, an der Marianne leidet, an keiner Stelle eine Diagnose erfährt, trägt dazu bei, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Auf diese Weise bleiben die Ungewissheiten, die mit dem Zustand der Krankheit verbunden sind und die ebenso in der nächtlichen Erkundung ihrer Zeichnung zur Darstellung gelangen, über die gesamte Erzählung hinweg präsent.
Der Umstand, dass die Krankheit, an der Marianne leidet, an keiner Stelle eine Diagnose erfährt, trägt dazu bei, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Auf diese Weise bleiben die Ungewissheiten, die mit dem Zustand der Krankheit verbunden sind und die ebenso in der nächtlichen Erkundung ihrer Zeichnung zur Darstellung gelangen, über die gesamte Erzählung hinweg präsent.
Enggeführt werden die Zustände der Rekonvaleszenz und des Träumens auch mit jenem der Adoleszenz. Auch in diesem Zwischenstadium fehlt es an Orientierung, was die Figur wie folgt zum Ausdruck bringt: „It’s neither one thing nor the other, not being well and not being ill, and I hate it.“ (MD 141) In einem Vortrag zum Thema Horror und Angst in kinder- und jugendliterarischen Werken hat Storr asugeführt, dass die fantastische Literatur dazu prädestiniert sei, die paradoxen und mitunter beängstigenden Gefühle im Angesicht der Aufgabe, erwachsen zu werden, zu veranschaulichen. Durch die unmittelbare Verbindung ihrer Zeichnung zu ihren seriellen Träumen wird Marianne mit den im Wachen verdrängten und im Traum verdichteten ambivalenten Gefühlen, wie etwa Ungeduld, Missgunst und Eifersucht konfrontiert. Gleichzeitig erlebt sie eine Ermächtigung durch den magischen Bleistift, sodass sie sich in ihren Träumen, etwa im Streitgespräch mit Mark, der nicht einsieht, dass es noch eine andere, wache Realitätsebene gibt, Omnipotenzfantasien hingibt, die auf den Konstruktionscharakter des erträumten Hauses bezogen sind:
Enggeführt werden die Zustände der Rekonvaleszenz und des Träumens auch mit jenem der Adoleszenz. Auch in diesem Zwischenstadium fehlt es an Orientierung, was die Figur wie folgt zum Ausdruck bringt: „It’s neither one thing nor the other, not being well and not being ill, and I hate it.“ (MD 141) In einem Vortrag zum Thema Horror und Angst in kinder- und jugendliterarischen Werken hat Storr asugeführt, dass die fantastische Literatur dazu prädestiniert sei, die paradoxen und mitunter beängstigenden Gefühle im Angesicht der Aufgabe, erwachsen zu werden, zu veranschaulichen. Durch die unmittelbare Verbindung ihrer Zeichnung zu ihren seriellen Träumen wird Marianne mit den im Wachen verdrängten und im Traum verdichteten ambivalenten Gefühlen, wie etwa Ungeduld, Missgunst und Eifersucht konfrontiert. Gleichzeitig erlebt sie eine Ermächtigung durch den magischen Bleistift, sodass sie sich in ihren Träumen, etwa im Streitgespräch mit Mark, der nicht einsieht, dass es noch eine andere, wache Realitätsebene gibt, Omnipotenzfantasien hingibt, die auf den Konstruktionscharakter des erträumten Hauses bezogen sind:
„I will show you. First of all I’ll rub you out so I never have to see you again, and then I’ll scribble over the whole house so it’s dark all the time and you’ll never get out, and then I’ll stop dreaming about you and you’ll die! You’ll be dead if I won’t dream about you, and I won’t! There won’t be any house and there won’t be any you and then perhaps you’ll believe me.“ (MD 58)
„I will show you. First of all I’ll rub you out so I never have to see you again, and then I’ll scribble over the whole house so it’s dark all the time and you’ll never get out, and then I’ll stop dreaming about you and you’ll die! You’ll be dead if I won’t dream about you, and I won’t! There won’t be any house and there won’t be any you and then perhaps you’ll believe me.“ (MD 58)
Im hellen Licht des Tages bereut sie ihren nächtlichen Wutausbruch und sinniert über die möglichen Auswirkungen ihrer künstlerischen Aktivitäten auf Marks Leben. Eine psychoanalytische oder tiefenpsychologische Analyse des Romans erscheint daher durchaus naheliegend, ebenso wie eine vergleichende Analyse, die solche Texte berücksichtigt, auf die intertextuelle Verweise Bezug nehmen.
Im hellen Licht des Tages bereut sie ihren nächtlichen Wutausbruch und sinniert über die möglichen Auswirkungen ihrer künstlerischen Aktivitäten auf Marks Leben. Eine psychoanalytische oder tiefenpsychologische Analyse des Romans erscheint daher durchaus naheliegend, ebenso wie eine vergleichende Analyse, die solche Texte berücksichtigt, auf die intertextuelle Verweise Bezug nehmen.
Auch für raumtheoretische Analysen bietet die Erzählung ein reichhaltiges Potenzial. Insbesondere solche Theorien, die von einem anthropologischen Raumverständnis geleitet sind wie Birgit Haupts Kategorien des gestimmten Raums, Wahrnehmungs- und Erfahrungsraums, oder Ulf Abrahams Konzepts des „elementar Poetischen“ in Raumkonzepten der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur erweisen sich als fruchtbar. Abrahams Annahme, der Mensch sei „ein Orte schaffendes, Räume gestaltendes und seine Wünsche und Ängste auf sie projizierendes Wesen“ (S. Abraham 314) wird in Storrs Erzählung durch das Traumsetting ästhetisch ausgestaltet. Die Annahme, dass jede Bewegung im Raum Ausdruck einer Entwicklungsaufgabe sei, findet ebenfalls eine Bestätigung. Bemerkenswert ist jedoch der Umstand, dass die Protagonistin über nahezu die gesamte Erzähldauer hinweg im Bett liegt. Die Bewegung findet demnach lediglich im Geiste bzw. der Traumsphäre statt. Doch entspricht diese Darstellung keineswegs dem Klischee eskapistischen Traumerzählungen, das dem Gros kinderliterarischer Traumreisen (wie etwa den Alice-Texten oder Peterchens Mondfahrt) anhängt, da die träumende Protagonistin den Ort ihres seriellen Traumes zunehmend als bedrohlich und einengend erfährt. Eine durch psychologische oder philosophische Überlegungen erweiterte transdisziplinäre, Raumanalyse, etwa unter Bezugnahme auf Foucaults Überwachen und Strafen oder Funkes Ausführungen in Die Dritte Haut zur psychosozialen Bedeutung von Behausungen, die er als Abbild der seelischen Struktur wahrnimmt (s. Funke 87), scheint daher ebenso ergiebig.
Auch für raumtheoretische Analysen bietet die Erzählung ein reichhaltiges Potenzial. Insbesondere solche Theorien, die von einem anthropologischen Raumverständnis geleitet sind wie Birgit Haupts Kategorien des gestimmten Raums, Wahrnehmungs- und Erfahrungsraums, oder Ulf Abrahams Konzepts des „elementar Poetischen“ in Raumkonzepten der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur erweisen sich als fruchtbar. Abrahams Annahme, der Mensch sei „ein Orte schaffendes, Räume gestaltendes und seine Wünsche und Ängste auf sie projizierendes Wesen“ (S. Abraham 314) wird in Storrs Erzählung durch das Traumsetting ästhetisch ausgestaltet. Die Annahme, dass jede Bewegung im Raum Ausdruck einer Entwicklungsaufgabe sei, findet ebenfalls eine Bestätigung. Bemerkenswert ist jedoch der Umstand, dass die Protagonistin über nahezu die gesamte Erzähldauer hinweg im Bett liegt. Die Bewegung findet demnach lediglich im Geiste bzw. der Traumsphäre statt. Doch entspricht diese Darstellung keineswegs dem Klischee eskapistischen Traumerzählungen, das dem Gros kinderliterarischer Traumreisen (wie etwa den Alice-Texten oder Peterchens Mondfahrt) anhängt, da die träumende Protagonistin den Ort ihres seriellen Traumes zunehmend als bedrohlich und einengend erfährt. Eine durch psychologische oder philosophische Überlegungen erweiterte transdisziplinäre, Raumanalyse, etwa unter Bezugnahme auf Foucaults Überwachen und Strafen oder Funkes Ausführungen in Die Dritte Haut zur psychosozialen Bedeutung von Behausungen, die er als Abbild der seelischen Struktur wahrnimmt (s. Funke 87), scheint daher ebenso ergiebig.
Aufschlussreich sind zudem Motivgeschichtliche Analyse, die die Bedeutung der erträumten Behausung(en) fokussieren, oder die kindlich/adoleszente Wahrnehmung, die von Ambivalenzen geprägt ist, die im Verhältnis von wacher künstlerischer Aktivität und nächtlichem Träumen zur Darstellung gelangen:
Aufschlussreich sind zudem Motivgeschichtliche Analyse, die die Bedeutung der erträumten Behausung(en) fokussieren, oder die kindlich/adoleszente Wahrnehmung, die von Ambivalenzen geprägt ist, die im Verhältnis von wacher künstlerischer Aktivität und nächtlichem Träumen zur Darstellung gelangen:
„She couldn’t remember why she had been so sure then that she was dreaming. Now it seemed to her that this house, this time, this boy, were as real as anything she had ever known, and yet she knew also that there was another life, an ordinary life, which went on at the same time as this one, but in a different place, and with different people, and that she belonged to both lives and both belonged to her.” (MD 75)
„She couldn’t remember why she had been so sure then that she was dreaming. Now it seemed to her that this house, this time, this boy, were as real as anything she had ever known, and yet she knew also that there was another life, an ordinary life, which went on at the same time as this one, but in a different place, and with different people, and that she belonged to both lives and both belonged to her.” (MD 75)
Auch die Sphären von Tag und Nacht bzw. Helligkeit und Dunkelheit sind auf erstaunliche Weise ausgestaltet. Sobald Marianne den magischen Stift, den sie im Nähkästchen ihrer Großmutter gefunden hat, in die Zeichnung integriert und auch im Traum vorfindet, ist es dort nicht mehr dunkel. In sämtlichen Träumen der Traumserie, mit Ausnahme der letzten beiden Träume, herrscht Dunkelheit. In ihrem finalen Traum, mit dem die Erzählung endet, ist es sonnig und friedlich. Die Veränderung, die durch die Integration des magischen Stifts in die Traumsphäre erfolgt, macht sich demnach auch in der Gestaltung der Helligkeit bemerkbar.
Auch die Sphären von Tag und Nacht bzw. Helligkeit und Dunkelheit sind auf erstaunliche Weise ausgestaltet. Sobald Marianne den magischen Stift, den sie im Nähkästchen ihrer Großmutter gefunden hat, in die Zeichnung integriert und auch im Traum vorfindet, ist es dort nicht mehr dunkel. In sämtlichen Träumen der Traumserie, mit Ausnahme der letzten beiden Träume, herrscht Dunkelheit. In ihrem finalen Traum, mit dem die Erzählung endet, ist es sonnig und friedlich. Die Veränderung, die durch die Integration des magischen Stifts in die Traumsphäre erfolgt, macht sich demnach auch in der Gestaltung der Helligkeit bemerkbar.
Storr kreiert mit dieser jugendliterarischen Traumerzählung keinen in sich geschlossenen, kohärenten Text, sondern vermittelt durch das offene Ende einen Eindruck von den Ungewissheiten und ambivalenten Gefühlen, die das wache und traumhafte Erleben der Hauptfigur beeinflussen. Die für ihr Werk charakteristische doppelsinnige Erzählweise, die sie auch in Erzählungen für sehr junge Lesende, etwa Polly and the Giant’s Bride verwendet, eröffnet mehrere Deutungsmöglichkeiten des Geschilderten, sodass die literarästhetische Inszenierung des Traums hier keine Reduktion (etwa auf die Funktion der Legitimierung fantastischer Ereignisse) erfährt, sondern viel eher die Hybridität und Ambivalenz der Traumsphäre zur Darstellung bringt, die das Phänomen auch im wissenschaftlichen Diskurs auszeichnen.
Storr kreiert mit dieser jugendliterarischen Traumerzählung keinen in sich geschlossenen, kohärenten Text, sondern vermittelt durch das offene Ende einen Eindruck von den Ungewissheiten und ambivalenten Gefühlen, die das wache und traumhafte Erleben der Hauptfigur beeinflussen. Die für ihr Werk charakteristische doppelsinnige Erzählweise, die sie auch in Erzählungen für sehr junge Lesende, etwa Polly and the Giant’s Bride verwendet, eröffnet mehrere Deutungsmöglichkeiten des Geschilderten, sodass die literarästhetische Inszenierung des Traums hier keine Reduktion (etwa auf die Funktion der Legitimierung fantastischer Ereignisse) erfährt, sondern viel eher die Hybridität und Ambivalenz der Traumsphäre zur Darstellung bringt, die das Phänomen auch im wissenschaftlichen Diskurs auszeichnen.


36

Bearbeitungen