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''Traumgekrönt'' ist ein von Alban Berg (1885-1935) im Jahr 1907 in neuromantischem Stil („Wiener Jugendstil“, Stenzl 1991, 80) für mittelhohe Stimme und Klavierbegleitung komponiertes Lied, das Rainer Maria Rilkes (1875-1926) Gedicht (''Lieben II.'' „Das war der Tag der weißen Chrysanthemen“) aus dessen Gedichtband ''Traumgekrönt. Neue Gedichte'' von 1896 vertont. Alban Berg nahm das Stück auch in orchestrierter Form in die im Jahr 1928 veröffentlichte Liedersammlung ''Sieben frühe Lieder'' (ohne Opuszahl) auf. Die Sammlung ist seiner Ehefrau Helene Berg gewidmet und umfasst die Vertonungen von Gedichten sieben verschiedener Dichter. Das Stück ''Traumgekrönt'' kann als „das Herzstück der Sammlung“ betrachtet werden (Dopheide 1990, 244) und weist nicht nur bezüglich der vertonten Textinhalte des Rilke-Gedichts einen deutlichen Traumbezug auf, sondern setzt vor allem auch mit kompositorischen Mitteln eine entsprechende musikalische Traumästhetik um.
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''Traumgekrönt'' ist ein von Alban Berg (1885-1935) im Jahr 1907 in neuromantischem Stil („Wiener Jugendstil“; Stenzl 1991, 80) für mittelhohe Stimme und Klavierbegleitung komponiertes Lied, das Rainer Maria Rilkes (1875-1926) Gedicht ''Lieben II'' („Das war der Tag der weißen Chrysanthemen“) aus dessen Gedichtband ''Traumgekrönt. Neue Gedichte'' von 1896 vertont. Alban Berg nahm das Stück auch in orchestrierter Form in die im Jahr 1928 veröffentlichte Liedersammlung ''Sieben frühe Lieder'' (ohne Opuszahl) auf. Die Sammlung ist seiner Ehefrau Helene gewidmet und umfasst die Vertonungen von Gedichten sieben verschiedener Dichter. Das Stück ''Traumgekrönt'' kann als „das Herzstück der Sammlung“ betrachtet werden (Dopheide 1990, 244) und weist nicht nur bezüglich der vertonten Textinhalte des Rilke-Gedichts einen deutlichen Traumbezug auf, sondern setzt vor allem auch mit kompositorischen Mitteln eine entsprechende musikalische Traumästhetik um.
    
==Zu Alban Berg==
 
==Zu Alban Berg==
Alban Berg war ein österreichischer Komponist der sogenannten ''Zweiten Wiener Schule'', zu deren Hauptvertretern er neben seinem Lehrer Arnold Schönberg (1874-1951) und seinem Freund und Kollegen Anton Webern (1883-1945) gehörte (Griffiths 1993, 141). Bergs Musik ist beeinflusst von der späten Romantik, insbesondere vom Werk Gustav Mahlers, und den durch Arnold Schönberg weiterentwickelten und weiteretablierten Methoden des Komponierens mit freier Tonalität sowie der später eingesetzten sogenannten ''Zwölftontechnik''. Bei der Verwendung der Letzteren stehen im kompositorischen Werk Alban Bergs nicht nur die kompositorische Strenge und Konstruktion im Vordergrund (Adorno 2003a, 86), sondern insbesondere auch ein von Bergs Ausdruckswillen und musikalischem Ausdrucksvermögen geprägter, an die Romantik erinnernder Klang („Ein Element des Schwelgerischen, Luxurierenden“, Adorno 2003a, 88), der stets auch Elemente der tonalen Harmonik einschloss (Griffiths 1993, 150). Alban Berg hat zahlreiche Lieder komponiert, z. B. seine ''Jugendlieder'', ''Sieben frühe Lieder'', ''Vier Lieder für eine Singstimme mit Klavier'' (op. 2), ''Orchesterlieder nach Ansichtskarten von Peter Altenberg'' (op. 4), von denen einige einen Traumbezug aufweisen, wie z. B. ''Nacht'' nach einem Gedicht von Carl Hauptmann aus ''Sieben frühe Lieder'' oder ''Nun ich der Riesen stärksten überwand'' nach einem Gedicht von Alfred Mombert aus ''Vier Lieder'' (op. 2). Neben seinen Instrumentalstücken, wie z. B. der ''Klaviersonate'' (op. 1), dem ''Streichquartett'' (op. 3), ''Drei Orchesterstücke'' (op. 6), der ''lyrischen Suite'' für Streichquartett von 1925-26 oder dem Violinkonzert ''Dem Andenken eines Engels'' von 1935, komponierte er unter anderem die beiden Opern ''Wozzeck'' (op. 7, nach Georg Büchners (1813-1837) ''Woyzeck'' von 1837) und ''Lulu'' (nach Frank Wedekinds (1864-1918) ''Erdgeist'' von 1895, nicht von Berg vollendet). Mit seinem Werk, das Klang und Konstruktion gleichermaßen im Fokus hat, gilt Alban Berg als Komponist, der in erheblichem Maße zur Weiterentwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts beigetragen hat, ohne deren musikalischen Traditionen abzuschwören (Adorno 2003a, 93; Whittall 2000, 310 ff.). Gleichzeitig fällt auf, dass Bergs frühe Liedkompositionen (ohne Opuszahl) in der musikwissenschaftlichen Forschung bisher nur ein überschaubares Maß an Aufmerksamkeit zuteilwurde (vgl. neben den im Folgenden intensiver herangezogenen Analysen auch die eher knapp ausfallenden Passagen zum frühen Liedschaffen in Redlich 1957, Chadwick 1971, Carner 1975 und Witzenmann 1988), obwohl in diesen frühen Werken, die zu einem großen Teil „noch im tonalen Bereich“ liegen, „ein kompositorisches Denken sichtbar wird, das für die [Zweite] Wiener Schule insgesamt charakteristisch werden sollte“ (Dopheide 1990, 222).
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Alban Berg war ein österreichischer Komponist der sogenannten ''Zweiten Wiener Schule'', zu deren Hauptvertretern er neben seinem Lehrer Arnold Schönberg (1874-1951) und seinem Freund und Kollegen Anton Webern (1883-1945) gehörte (Griffiths 1993, 141). Seine Musik ist beeinflusst von der späten Romantik, insbesondere vom Werk Gustav Mahlers (1860-1911), und den durch Arnold Schönberg weiterentwickelten und weiteretablierten Methoden des Komponierens mit freier Tonalität sowie der später eingesetzten sogenannten ''Zwölftontechnik''. Bei deren Verwendung stehen im kompositorischen Werk Alban Bergs nicht nur die kompositorische Strenge und Konstruktion im Vordergrund (Adorno 2003a, 86), sondern insbesondere auch ein von seinem Ausdruckswillen und musikalischem Ausdrucksvermögen geprägter, an die Romantik erinnernder Klang („Ein Element des Schwelgerischen, Luxurierenden“; Adorno 2003a, 88), der stets auch Elemente der tonalen Harmonik einschloss (Griffiths 1993, 150). Alban Berg hat zahlreiche Lieder komponiert, z. B. seine ''Jugendlieder'', ''Sieben frühe Lieder'', ''Vier Lieder für eine Singstimme mit Klavier'' (op. 2), ''Orchesterlieder nach Ansichtskarten von Peter Altenberg'' (op. 4). Einige davon weisen einen Traumbezug auf, wie z.B. ''Nacht'' nach einem Gedicht von Carl Hauptmann aus ''Sieben frühe Lieder'' oder ''Nun ich der Riesen stärksten überwand'' nach einem Gedicht von Alfred Mombert aus ''Vier Lieder'' (op. 2). Neben Instrumentalstücken, wie z. B. der ''Klaviersonate'' (op. 1), dem ''Streichquartett'' (op. 3), ''Drei Orchesterstücke'' (op. 6), der ''lyrischen Suite'' für Streichquartett von 1925-26 oder dem Violinkonzert ''Dem Andenken eines Engels'' von 1935, komponierte Berg unter anderem die beiden Opern ''Wozzeck'' (op. 7, nach Georg Büchners (1813-1837) ''Woyzeck'' von 1837) und ''Lulu'' (nach Frank Wedekinds (1864-1918) ''Erdgeist'' von 1895; unvollendet). Mit seinem Werk, das Klang und Konstruktion gleichermaßen im Fokus hat, gilt Alban Berg als Komponist, der in erheblichem Maße zur Weiterentwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts beigetragen hat, ohne deren musikalischen Traditionen abzuschwören (Adorno 2003a, 93; Whittall 2000, 310 ff.). Gleichzeitig fällt auf, dass Bergs frühe Liedkompositionen (ohne Opuszahl) in der musikwissenschaftlichen Forschung bisher nur ein überschaubares Maß an Aufmerksamkeit zuteil wurde (vgl. neben den im Folgenden intensiver herangezogenen Analysen auch die eher knapp ausfallenden Passagen zum frühen Liedschaffen in Redlich 1957, Chadwick 1971, Carner 1975 und Witzenmann 1988), obwohl in diesen frühen Werken, die zu einem großen Teil „noch im tonalen Bereich“ liegen, „ein kompositorisches Denken sichtbar wird, das für die [Zweite] Wiener Schule insgesamt charakteristisch werden sollte“ (Dopheide 1990, 222).
    
==Traumrelevante analytische Betrachtungen zum Text==
 
==Traumrelevante analytische Betrachtungen zum Text==
Alban Berg legte seiner Liedkomposition ''Traumgekrönt'' ein Gedicht aus Rainer Maria Rilkes Gedichtsammlung ''Traumgekrönt. Neue Gedichte'' von 1896 von zugrunde, die insgesamt 50 Gedichte umfasst. Rilke hatte dieses Gedicht zuvor bereits in ''Wegwarten III'' – einer Folge von Heften, die Rilke selbst „kostenlos ‚an Krankenhäuser, Volks- und Handwerkervereine‘, aber auch öffentlich an Straßenpassanten“ verteilte, d. h. verschenkte – unter dem Titel Liebesnacht veröffentlicht (Dopheide 1990, 236 und dort Fußnote Nr. 48).
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Alban Berg legte seiner Liedkomposition ''Traumgekrönt'' ein Gedicht aus Rainer Maria Rilkes Gedichtsammlung ''Traumgekrönt. Neue Gedichte'' von 1896 von zugrunde, die insgesamt 50 Gedichte umfasst. Rilke hatte dieses Gedicht zuvor bereits in ''Wegwarten III'' – einer Folge von Heften, die Rilke selbst „kostenlos ‚an Krankenhäuser, Volks- und Handwerkervereine‘, aber auch öffentlich an Straßenpassanten“ verschenkte – unter dem Titel ''Liebesnacht'' veröffentlicht (Dopheide 1990, 236 und dort Fußnote Nr. 48).
    
Rilkes lyrisches Frühwerk, dem der im Folgenden adressierte Text angehört, ist bisher wenig erforscht, allerdings haben sowohl er selbst als auch Forschende nicht selten dessen grundsätzliche Qualität in Frage gestellt (Heinz 2013, 182 und 208). Die Sammlung ''Traumgekrönt'' ist innerhalb von Rilkes lyrischem Frühwerk „durch [eine] Abwendung von der Außenwelt […] und durch Hinwendung zu einer subjektiven Innenwelt gekennzeichnet“ (Heinz 2013, 193, vgl. dazu auch Freedman 2011, 85). Gleichzeitig stellt Traumgekrönt hinsichtlich Rilkes stilistischer Entwicklung eine Wegmarke auf dem Weg „vom Naturalismus über Symbolismus und Impressionismus bis zum Jugendstil“ dar (Heinz 2013, 184). Bezüglich der Inhalte und Form vollzieht sich mit der Sammlung ''Traumgekrönt'' ein deutlicher Wandel in Rilkes früher Lyrik: „Während zunächst auch viele Motive noch romantischen Ursprungs sind und im Volksliedton vorgetragen werden, ändert sich das spätestens ab ''Traumgekrönt'': Die idyllische Natur der Romantik wird nach und nach durch eine jahrhundertwendetypische stilisierte Parkwelt und eine ästhetizistische Traumwelt aktualisiert; die experimentelle Formenvielfalt der frühen Gedichtzyklen wird abgelöst von einfacheren und gleichwohl flexibleren Gedichtformen“ (Heinz 2013, 184). Der Titel der Sammlung ''Traumgekrönt'' wird bei Rilke durch das an den Beginn des Zyklus gestellte ''Königslied'' erläutert: „Es stellt den Dichter aufgrund seines seelischen Reichtums als König dar, auch wenn er äußerlich arm erscheint und nur von „Bettlern“, „Kindern“ und „Schwärmern“ […] anerkannt wird; gekrönt wird er durch die Kostbarkeit, die er selbst den Dingen in seiner Dichtung verleihen kann“ (Heinz 2013, 193). Das Dichten als ein Ausdrücken der subjektiven Innenwelt wird hier als ein Vorgang vorgestellt, der dem Träumen, ebenso ein Ausdruck der Innenwelt, ähnlich ist. Dass der Traum in Rilkes Gesamtwerk und insbesondere auch in seinem lyrischen Werk von besonderer Bedeutung ist, wurde in der Literatur bereits aus verschiedenen Perspektiven betrachtet bzw. festgestellt (vgl. z. B. Simenauer 1976 oder Simenauer 1980 für eine psychoanalytische Perspektive, oder Freedman 2011, 85-86, für eine biographische bzw. historisch orientierte Perspektive).
 
Rilkes lyrisches Frühwerk, dem der im Folgenden adressierte Text angehört, ist bisher wenig erforscht, allerdings haben sowohl er selbst als auch Forschende nicht selten dessen grundsätzliche Qualität in Frage gestellt (Heinz 2013, 182 und 208). Die Sammlung ''Traumgekrönt'' ist innerhalb von Rilkes lyrischem Frühwerk „durch [eine] Abwendung von der Außenwelt […] und durch Hinwendung zu einer subjektiven Innenwelt gekennzeichnet“ (Heinz 2013, 193, vgl. dazu auch Freedman 2011, 85). Gleichzeitig stellt Traumgekrönt hinsichtlich Rilkes stilistischer Entwicklung eine Wegmarke auf dem Weg „vom Naturalismus über Symbolismus und Impressionismus bis zum Jugendstil“ dar (Heinz 2013, 184). Bezüglich der Inhalte und Form vollzieht sich mit der Sammlung ''Traumgekrönt'' ein deutlicher Wandel in Rilkes früher Lyrik: „Während zunächst auch viele Motive noch romantischen Ursprungs sind und im Volksliedton vorgetragen werden, ändert sich das spätestens ab ''Traumgekrönt'': Die idyllische Natur der Romantik wird nach und nach durch eine jahrhundertwendetypische stilisierte Parkwelt und eine ästhetizistische Traumwelt aktualisiert; die experimentelle Formenvielfalt der frühen Gedichtzyklen wird abgelöst von einfacheren und gleichwohl flexibleren Gedichtformen“ (Heinz 2013, 184). Der Titel der Sammlung ''Traumgekrönt'' wird bei Rilke durch das an den Beginn des Zyklus gestellte ''Königslied'' erläutert: „Es stellt den Dichter aufgrund seines seelischen Reichtums als König dar, auch wenn er äußerlich arm erscheint und nur von „Bettlern“, „Kindern“ und „Schwärmern“ […] anerkannt wird; gekrönt wird er durch die Kostbarkeit, die er selbst den Dingen in seiner Dichtung verleihen kann“ (Heinz 2013, 193). Das Dichten als ein Ausdrücken der subjektiven Innenwelt wird hier als ein Vorgang vorgestellt, der dem Träumen, ebenso ein Ausdruck der Innenwelt, ähnlich ist. Dass der Traum in Rilkes Gesamtwerk und insbesondere auch in seinem lyrischen Werk von besonderer Bedeutung ist, wurde in der Literatur bereits aus verschiedenen Perspektiven betrachtet bzw. festgestellt (vgl. z. B. Simenauer 1976 oder Simenauer 1980 für eine psychoanalytische Perspektive, oder Freedman 2011, 85-86, für eine biographische bzw. historisch orientierte Perspektive).
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<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
 
<div style="text-align: right;">[[Autoren|Constantin Houy]]</div>
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==Literatur==
 
==Literatur==

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