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''Wolga'' ist eine Novelle der in Russland geborenen, deutschen Autorin Lou Andreas-Saomé (1861-1937), erschienen als Teil des Erzählzyklus ''Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen'' (1901, als Buch: 1902)
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''Wolga'' ist eine Novelle der russisch-deutschen Autorin Lou Andreas-Saomé (1861-1937). Veröffentlicht wurde sie als Teil des Novellenzyklus ''Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen'' (1901, als Buch: 1902).
       
== Zur Autorin ==
 
== Zur Autorin ==
Die von Sigmund Freud als „Versteherin par excellence“ (Briefwechsel 1960, 50) und von der Reformpädagogin Ellen Key als „hervorragende Seherin in die feinen Nuancen einer Seele – besonders Frauenseele“ (Brief vom 16.04.1900, zitiert nach Wernz 1997, 31) beschriebene Philosophin, Autorin und erste Psychoanalytikerin Deutschlands, hatte zahlreiche Interessen. So studierte sie als eine der ersten weiblichen Studentinnen im Jahr 1880 in Zürich Allgemeine Religionsgeschichte, Dogmatik, Logik, Metaphysik und Philosophie (vgl.: Wiesner-Bangard/Welsch 2002, 33), war mit Nietzsche, Rilke, Freud und namhaften Frauenrechtlerinnen befreundet und publizierte wissenschaftliche und erzählende Literatur von der Kindheitserzählung, über autobiografische Romane bis hin zu gesellschaftskritischen Erwachsenenerzählungen. Lange wurde sie auf den Status der „Muse“ einflussreicher Männer reduziert. Auch ihr wissenschaftliches und literarisches Vermächtnis wurde erst spät gewürdigt.
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Die von Sigmund Freud als „Versteherin par excellence“ (Briefwechsel 1960, 50) und von der Reformpädagogin Ellen Key (1849-1926) als „hervorragende Seherin in die feinen Nuancen einer Seele – besonders Frauenseele“ (Brief vom 16.04.1900; Wernz 1997, 31) beschriebene Philosophin, Autorin und erste Psychoanalytikerin Deutschlands hatte zahlreiche Interessen. So studierte sie als eine der ersten weiblichen Studentinnen im Jahr 1880 in Zürich Allgemeine Religionsgeschichte, Dogmatik, Logik, Metaphysik und Philosophie (Wiesner-Bangard/Welsch 2002, 33), war mit Nietzsche, Rilke, Freud und namhaften Frauenrechtlerinnen befreundet und publizierte wissenschaftliche und erzählende Literatur von der Kindheitserzählung, über autobiografische Romane bis hin zu gesellschaftskritischen Erwachsenenerzählungen. Lange wurde sie auf den Status der „Muse“ einflussreicher Männer reduziert. Auch ihr wissenschaftliches und literarisches Vermächtnis wurde erst spät gewürdigt.
       
== Entstehungs- und Druckgeschichte ==
 
== Entstehungs- und Druckgeschichte ==
Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in dem eingangs zitierten, im Reisetagebuch vermerkten Gedicht, als auch in der gleichnamigen Novelle verarbeitete wie auch im Gedicht ''Wolga' verarbeitete  
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Auf ihren beiden Russlandreisen, die sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihrem damaligen Geliebten Rainer-Maria Rilke unternahm, führte sie Reisetagebücher, die sie auch mit Gedichten füllte. Insbesondre die Wolgafahrt, die sie mit Rilke auf ihrer 2. Russlandreise unternahm, hinterließ einen bleibenden Eindruck, den sie auf künstlerische Weise sowohl in ihrer Novelle wie in dem im Reisetagebuch vermerkten Gedicht ''Wolga'' verarbeitete:
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: Bist Du auch fern: ich schaue Dich doch an,
 
: Bist Du auch fern: ich schaue Dich doch an,
 
: Bist Du auch fern: mir bleibst Du doch gegeben -
 
: Bist Du auch fern: mir bleibst Du doch gegeben -
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: An Deinen ungeheuren Einsamkeiten.
 
: An Deinen ungeheuren Einsamkeiten.
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:: (Russland mit Rainer. Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke im Jahre 1900. Hg. von Pfeiffer/Michaud. Marbach 1999).</span>
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:: (Andreas-Salomé 1999).
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Veröffentlicht wurde die Erzählung in dem Novellenzyklus ''Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen'' im Jahre 1902 in der J.G. Cotta’schen Buchhandlung. Vorangegangen war eine Zeitschriftenpublikation in der von F.W. Hackländer herausgegebenen ''Deutschen Roman-Bibliothek'' (1901). Wie Britta Benert, die Herausgeberin der neuen Standard-Edition, hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (W 392 ff.). Gewidmet ist der Novellenzyklus der Cousine der Verfasserin, Emma Flörke, geb. Wilm, „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.
Publiziert wurde die Novelle im Jahr 1902 in dem Novellenzyklus ''Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen'' in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger (Stuttgart/Berlin). Schon im Jahr 1901 wurde sie in der von F. W. Hackländer herausgegebenen Deutsche Roman-Bibliothek (Jg. 29) vorabgedruckt. Wie Britta Benert hervorhebt, weicht die Zeitschriftenfassung stark von der in der Novellensammlung publizierten Version ab (vgl.: Benert 2013, 392ff). Gewidmet ist der Novellenzyklus ihrer Cousine Emma Flörke, geb. Wilm „zur Erinnerung an unsere Kindheit“.
      
== Aufbau und Thematik der Novelle ==
 
== Aufbau und Thematik der Novelle ==
Geschildert wird die Reise der 16jährigen mutterlosen Deutschrussin Ljubow (dt. „Liebe“) Wassiliewna auf der Wolga von Nižnij Novgorod nach Astrachann, dem Vater entgegen. Gespiegelt wird die Wolgareise der Autorin, die jedoch stromaufwärts und nicht wie die Figur stromabwärts verlief (vgl.: Benert 2013, 393). Auf ihrem fahrenden Mikrokosmos befindet sie sich in der Obhut des Kapitäns und seiner Schwester. Der Name des Dampfschiffs „Zcar Saltan“ rekurriert auf Puschkins gleichnamiges Märchen. Intertextuelle Verweise prägen auch weitere Partien der Novelle, insbesondere den ersten der beiden Träume Ljobows.
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Geschildert wird die Reise der 16jährigen mutterlosen Deutschrussin Ljubow (dt. „Liebe“) Wassiliewna auf der Wolga von Nižnij Novgorod nach Astrachann, dem Vater entgegen. Wichtige Motive entstammen der Wolgareise der Autorin, die jedoch stromaufwärts stromabwärts verlief (W 393). Auf dem Mikrokosmos des Schiffes befindet sich Ljubow in der Obhut des Kapitäns und seiner Schwester. Der Name des Dampfschiffs „Zcar Saltan“ rekurriert auf das gleichnamige Märchen des russischen Romantikers Alexander Puschkin (1799-1837). Intertextuelle Verweise prägen auch weitere Partien der Novelle, insbesondere den ersten der beiden Träume Ljobows.
    
Eingangs schildert die Erzählerin das Zusammenspiel von Fluss und Natur, um von diesen poetisch anmutenden Eindrücken den Blick auf die junge Reisende zu richten. Transparent werden in dieser Naturwahrnehmung eine romantisch-verklärte Weltsicht, aber auch sexuelle Sehnsüchte, die etwa an der Beschreibung der Birke, die in der Russischen Kultur sinnbildlich für junge Frauen steht (vgl.: Schäfer/Leingang 2022), deutlich werden: „Urwaldbirken, heben ihre weißlichen Stämme in leuchtender Nacktheit aus dem Bade im Strom…“ (278). Diese sinnliche Wahrnehmung wird von einem nüchternen Zitat aus einem Reiseführer, mit dem sich die Protagonistin erstmals zu Wort meldet, kontrastiert. Die Polarisierung von sinnlicher Wahrnehmung und nüchterner Verlesung von Fakten, die Stadt Nischni Nowgorod betreffend, werden sodann auf den Körper der Figur übertragen, die aus der Erzählperspektive wie folgt beschrieben wird: „Die große, schöne, weiche Gestalt verkündete: „ich bin eine ausgewachsene Person, eine Dame bin ich!“ jedoch das runde Kindergesicht widersprach lebhaft.“ (280)
 
Eingangs schildert die Erzählerin das Zusammenspiel von Fluss und Natur, um von diesen poetisch anmutenden Eindrücken den Blick auf die junge Reisende zu richten. Transparent werden in dieser Naturwahrnehmung eine romantisch-verklärte Weltsicht, aber auch sexuelle Sehnsüchte, die etwa an der Beschreibung der Birke, die in der Russischen Kultur sinnbildlich für junge Frauen steht (vgl.: Schäfer/Leingang 2022), deutlich werden: „Urwaldbirken, heben ihre weißlichen Stämme in leuchtender Nacktheit aus dem Bade im Strom…“ (278). Diese sinnliche Wahrnehmung wird von einem nüchternen Zitat aus einem Reiseführer, mit dem sich die Protagonistin erstmals zu Wort meldet, kontrastiert. Die Polarisierung von sinnlicher Wahrnehmung und nüchterner Verlesung von Fakten, die Stadt Nischni Nowgorod betreffend, werden sodann auf den Körper der Figur übertragen, die aus der Erzählperspektive wie folgt beschrieben wird: „Die große, schöne, weiche Gestalt verkündete: „ich bin eine ausgewachsene Person, eine Dame bin ich!“ jedoch das runde Kindergesicht widersprach lebhaft.“ (280)
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* Lou Andreas-Salomé: Narzißmus als Doppelrichtung und: Mein Dank an Freud. In: Lou Andreas-Salomé: Werke und Briefe. Band 4: Psychoanalyse. Mein Dank an Freud. Hg. von Brigitte Rempp. Taching am See: MedienEdition Welsch 2012.
 
* Lou Andreas-Salomé: Narzißmus als Doppelrichtung und: Mein Dank an Freud. In: Lou Andreas-Salomé: Werke und Briefe. Band 4: Psychoanalyse. Mein Dank an Freud. Hg. von Brigitte Rempp. Taching am See: MedienEdition Welsch 2012.
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* Lou Andreas-Salomé: Russland mit Rainer. Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke im Jahre 1900. Hg. von Dorothee Pfeiffer und Stéphane Michaud, Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1999.
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* Lou Andreas-Salomé: Russland mit Rainer. Tagebuch der Reise mit Rainer Maria Rilke im Jahre 1900. Hg. von Dorothee Pfeiffer und Stéphane Michaud. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1999.
    
* Sigmund Freud/Lou Andreas-Salomé: Briefwechsel. Hg. von Ernst Pfeiffer. Frankfurt/M.: Fischer 1966.
 
* Sigmund Freud/Lou Andreas-Salomé: Briefwechsel. Hg. von Ernst Pfeiffer. Frankfurt/M.: Fischer 1966.
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=== Forschungsliteratur ===
 
=== Forschungsliteratur ===
* Benert, Britta: Lou Andreas-Salomé als Dichterin. In: Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Hg. von Britta Benert in Zusammenarbeit mit dem Lou Andreas-Salomé-Archiv in Göttingen. Taching am See: MedienEdition Welsch 2013, 407-451.
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* Benert, Britta: Nachwort. In: Lou Andreas-Salomé: Im Zwischenland. Fünf Geschichten aus dem Seelenleben halbwüchsiger Mädchen. Hg. von Britta Benert in Zusammenarbeit mit dem Lou Andreas-Salomé-Archiv in Göttingen. Taching am See: MedienEdition Welsch 2013, 407-451.
    
* Bilina, Danielle: Der Raum in der Märchenwelt. Untersuchung von Raumkonzepten und Darstelungstechniken in ausgewählten Werken der Brüder Grimm und Theodor Vernalekens. Uni Wien 2007; [https://utheses.univie.ac.at/detail/41810 Online].
 
* Bilina, Danielle: Der Raum in der Märchenwelt. Untersuchung von Raumkonzepten und Darstelungstechniken in ausgewählten Werken der Brüder Grimm und Theodor Vernalekens. Uni Wien 2007; [https://utheses.univie.ac.at/detail/41810 Online].

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