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1) Die ungarische Filmemacherin Ildikó Enyedi schrieb das Drehbuch und führte Regie in diesem Film von 2017, der mit einer Traumsequenz beginnt und einer bedeutungsvollen Traumlosigkeit endet. Im Film wird eines der wichtigsten Merkmale dessen aufgehoben, was man unter einem während des Schlafs erlebten Traum versteht, nämlich das absolut individuelle Erlebnis, an dem andere nicht teilnehmen können. Stattdessen teilen zwei Personen denselben Traum. Beide, eine Frau und ein Mann, begegnen sich dabei stets in einer nicht-menschlichen Gestalt. Obwohl diese körperliche Wandelbarkeit ins Repertoire eines fantastischen Traumgeschehens gehört, erscheinen Form und Inhalt des wiederkehrenden Traums sehr realistisch. Es gibt weder irreale Settings noch unlogische Entwicklungen.
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Die ungarische Filmemacherin Ildikó Enyedi schrieb das Drehbuch und führte Regie in diesem Film von 2017, der mit einer Traumsequenz beginnt und einer bedeutungsvollen Traumlosigkeit endet. Im Film wird eines der wichtigsten Merkmale dessen aufgehoben, was man unter einem während des Schlafs erlebten Traum versteht, nämlich das absolut individuelle Erlebnis, an dem andere nicht teilnehmen können. Stattdessen teilen zwei Personen denselben Traum. Beide, eine Frau und ein Mann, begegnen sich dabei stets in einer nicht-menschlichen Gestalt. Obwohl diese körperliche Wandelbarkeit ins Repertoire eines fantastischen Traumgeschehens gehört, erscheinen Form und Inhalt des wiederkehrenden Traums sehr realistisch. Es gibt weder irreale Settings noch unlogische Entwicklungen.
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==Werkentstehung==
 
==Werkentstehung==
Das Drehbuch schrieb die Regisseurin 2005 innerhalb weniger Wochen. Bis zur filmischen Umsetzung aber vergingen zehn Jahre, weil Probleme bei der Finanzierung überwunden werden mussten (Filmclip Cineuropa, 25.9.2017). Auf dem Portal Cineuropa heißt es, dass die Dreharbeiten vom 13. April bis zum 14. Juni 2015 in Budapest und Hajdúnánás stattfanden (ebd.). Einige Drehtage, vermutlich die der Traumsequenzen, waren für den folgenden Winter geplant. Im Sommer wurde eine Woche lang in einem Schlachthof gefilmt. Was bedeutet, dass die Szenen, in denen eingepferchte Kühe, ihre Tötung und das Zerteilen ihres Fleisches gezeigt werden, authentisch und dokumentierend sind. Den Schlachthof versteht die Regisseurin als Ort der Ehrlichkeit (Peitz, Der Film „Körper und Seele“, Tagesspiegel, 20.9.2017). An anderer Stelle spricht sie vom Schlachthof als einem Ort des Alltags, der in unserer Gesellschaft dennoch versteckt wird (Katzenberger, Interview "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Die Dreharbeiten für die Traumsequenzen nahmen ebenfalls eine Woche in Anspruch. Gedreht wurden diese im Bükk-Gebirge (Dreharbeiten zu ''Testről és lélekről'', https://www.youtube.com/watch?v=kDtQcnEmaE8, 19.01.2016). Die Regisseurin berichtete, dass sie mit ihrer Crew von der Morgen- bis zur Abenddämmerung filmte, unter anderem, um das blaue Dämmerlicht nutzen zu können (''Körper und Seele'' 2017, Bonusmaterial, 00:26:39 - 00:28:43). Der Regisseurin war es wichtig, in einem echten Wald mit echten Tieren zu drehen, um eine „traumhafte Verzerrung“ zu vermeiden (Katzenberger, Interview "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Dennoch erscheinen, wie sie sagt, diese Sequenzen märchenhaft schön, weil die Natur selbst so ist (ebd.). Nach Meinung der Regisseurin gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, und beide haben eine Seele (ebd.). Dazu, dass sie Hirsche auswählte, um Wildtiere zu repräsentieren, meinte sie, diese seien quasi die Entsprechung zu den Kühen, es bestehe ein beinahe geschwisterliches Verhältnis zwischen den domestizierten Kühen und den freien Hirschen. Beides seien Tiere, mit denen die Menschen seit langer Zeit zusammenleben (Burg/ Wellinski, Interview mit Ildikó Enyedi, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017).
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Das Drehbuch schrieb die Regisseurin 2005 innerhalb weniger Wochen. Bis zur filmischen Umsetzung aber vergingen zehn Jahre, weil Probleme bei der Finanzierung überwunden werden mussten (Filmclip Cineuropa, 25.9.2017). Auf dem Portal Cineuropa heißt es, dass die Dreharbeiten vom 13. April bis zum 14. Juni 2015 in Budapest und Hajdúnánás stattfanden (ebd.). Einige Drehtage, vermutlich die der Traumsequenzen, waren für den folgenden Winter geplant. Im Sommer wurde eine Woche lang in einem Schlachthof gefilmt. Was bedeutet, dass die Szenen, in denen eingepferchte Kühe, ihre Tötung und das Zerteilen ihres Fleisches gezeigt werden, authentisch und dokumentierend sind. Den Schlachthof versteht die Regisseurin als Ort der Ehrlichkeit (Peitz, Der Film „Körper und Seele“, Tagesspiegel, 20.9.2017). An anderer Stelle spricht sie vom Schlachthof als einem Ort des Alltags, der in unserer Gesellschaft dennoch versteckt wird (Katzenberger, Interview "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Die Dreharbeiten für die Traumsequenzen nahmen ebenfalls eine Woche in Anspruch. Gedreht wurden diese im Bükk-Gebirge (Dreharbeiten zu ''Testről és lélekről'', https://www.youtube.com/watch?v=kDtQcnEmaE8, 19.01.2016). Die Regisseurin berichtete, dass sie mit ihrer Crew von der Morgen- bis zur Abenddämmerung filmte, unter anderem, um das blaue Dämmerlicht nutzen zu können (''Körper und Seele'' 2017, 00:26:39 - 00:28:43). Der Regisseurin war es wichtig, in einem echten Wald mit echten Tieren zu drehen, um eine „traumhafte Verzerrung“ zu vermeiden (Katzenberger, Interview "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Dennoch erscheinen, wie sie sagt, diese Sequenzen märchenhaft schön, weil die Natur selbst so ist (ebd.). Nach Meinung der Regisseurin gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, und beide haben eine Seele (ebd.). Dazu, dass sie Hirsche auswählte, um Wildtiere zu repräsentieren, meinte sie, diese seien quasi die Entsprechung zu den Kühen, es bestehe ein beinahe geschwisterliches Verhältnis zwischen den domestizierten Kühen und den freien Hirschen. Beides seien Tiere, mit denen die Menschen seit langer Zeit zusammenleben (Burg / Wellinski, Interview mit Ildikó Enyedi, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017).
    
==Der Traum==
 
==Der Traum==
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Abseits dieser Lesbarkeit wird nun im Film selbst begonnen, den Traum zu analysieren. Eine polizeiliche und eine psychologische Untersuchung wird angesetzt, nachdem aus dem Schlachthof sogenanntes Bullenpulver entwendet und dazu eingesetzt wurde, eine Gruppe von Menschen öffentlich sexuell zu entfesseln. Die hinzugezogene Psychologin untersucht die im Schlachthof Arbeitenden also unter dem Aspekt einer sexuell konnotierten Aktion. Neben Auskünften zum Intimleben wünscht sie ebenfalls, über Träume informiert zu werden.
 
Abseits dieser Lesbarkeit wird nun im Film selbst begonnen, den Traum zu analysieren. Eine polizeiliche und eine psychologische Untersuchung wird angesetzt, nachdem aus dem Schlachthof sogenanntes Bullenpulver entwendet und dazu eingesetzt wurde, eine Gruppe von Menschen öffentlich sexuell zu entfesseln. Die hinzugezogene Psychologin untersucht die im Schlachthof Arbeitenden also unter dem Aspekt einer sexuell konnotierten Aktion. Neben Auskünften zum Intimleben wünscht sie ebenfalls, über Träume informiert zu werden.
 
Vor ihrer anstehenden Befragung diskutieren einige Angestellte des Schlachthofs ihre Träume. Dabei gestehen sie sich die Intimität dieser Frage sowie ihre dadurch hervorgerufene Verletzlichkeit ein. Während ein junger Mann einräumt, von einem blauen Pferd geträumt zu haben, auf dem er ritt, sagt die alte, kaum attraktiv scheinende Putzfrau, sie „ficke“ in ihren Träumen. In beiden Fällen zeigen die Träume eine unerwartete Komplettierung der äußerlich wahrgenommenen Persönlichkeit an.
 
Vor ihrer anstehenden Befragung diskutieren einige Angestellte des Schlachthofs ihre Träume. Dabei gestehen sie sich die Intimität dieser Frage sowie ihre dadurch hervorgerufene Verletzlichkeit ein. Während ein junger Mann einräumt, von einem blauen Pferd geträumt zu haben, auf dem er ritt, sagt die alte, kaum attraktiv scheinende Putzfrau, sie „ficke“ in ihren Träumen. In beiden Fällen zeigen die Träume eine unerwartete Komplettierung der äußerlich wahrgenommenen Persönlichkeit an.
Als die Psychologin Maria und Endre befragt, erzählen beide in ihren getrennten Sitzungen von einem identischen Traum. Endre tut das aus der Perspektive eines Hirsches, der er gewesen sei, Maria aus der Sicht einer Hirschkuh. Es ist das erste und einzige Mal, dass das Traumerlebnis in beschreibende Sprache übersetzt wird.
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Als die Psychologin Maria und Endre befragt, erzählen beide in ihren getrennten Sitzungen von einem identischen Traum. Endre tut das aus der Perspektive eines Hirsches, der er gewesen sei, Maria aus der Sicht einer Hirschkuh. Es ist das erste Mal, dass das Traumerlebnis in beschreibende Sprache übersetzt wird.
 
Die Psychologin zielt mit ihren Fragen auf den verwandelnden, metaphorischen Charakter von Träumen für gewünschte, verborgene, unbewusste oder bewusst uneingestandene Gefühle. Außerdem folgt sie dem Auftrag, den sexuell konnotierten Diebstahl des Bullenpulvers aufzuklären. Beides kann erklären, warum sie Endre fragt, ob sich die Tiere in seinem Traum gepaart hätten.  
 
Die Psychologin zielt mit ihren Fragen auf den verwandelnden, metaphorischen Charakter von Träumen für gewünschte, verborgene, unbewusste oder bewusst uneingestandene Gefühle. Außerdem folgt sie dem Auftrag, den sexuell konnotierten Diebstahl des Bullenpulvers aufzuklären. Beides kann erklären, warum sie Endre fragt, ob sich die Tiere in seinem Traum gepaart hätten.  
 
Endre verneint und betont, dass sich nur ihre Nasen berührt hätten. Auch aus Marias Schilderung ihres Traums lässt sich vor allem der vertraute und fürsorgliche Umgang zwischen den Tieren ablesen. So bezeichnet sie den Hirsch als Gefährten und berichtet, wie er ihr ein dickes, haariges, fleischiges Blatt überlassen habe, das sich als wohlschmeckend erwies. (Die deutschen Untertitel zum ungarischen Original lauten etwas anders: Das Blatt sei saftig gewesen, auch ekelerregend und ihr war danach merkwürdig zumute, heißt es hier. Auf Ungarisch wiederum sagt Maria, das Blatt sei „húsos“ gewesen, was „fleischig“ bedeutet.)
 
Endre verneint und betont, dass sich nur ihre Nasen berührt hätten. Auch aus Marias Schilderung ihres Traums lässt sich vor allem der vertraute und fürsorgliche Umgang zwischen den Tieren ablesen. So bezeichnet sie den Hirsch als Gefährten und berichtet, wie er ihr ein dickes, haariges, fleischiges Blatt überlassen habe, das sich als wohlschmeckend erwies. (Die deutschen Untertitel zum ungarischen Original lauten etwas anders: Das Blatt sei saftig gewesen, auch ekelerregend und ihr war danach merkwürdig zumute, heißt es hier. Auf Ungarisch wiederum sagt Maria, das Blatt sei „húsos“ gewesen, was „fleischig“ bedeutet.)
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Zunächst ist es eine deutliche Allegorie für eine außergewöhnliche Liebe und die Außergewöhnlichkeit der Liebe an sich. Während Maria und Endre das gemeinsame Traumereignis mit der referentiellen realen Welt abgleichen, wird das erkannte Außerkrafttreten von Naturgesetzen zum Zeichen für außerrationales und wunderbares Wirken und damit für eine poetische Umdeutung der Welt. Das Fantastische und Wundervolle erscheint als Charakteristik von Liebe.
 
Zunächst ist es eine deutliche Allegorie für eine außergewöhnliche Liebe und die Außergewöhnlichkeit der Liebe an sich. Während Maria und Endre das gemeinsame Traumereignis mit der referentiellen realen Welt abgleichen, wird das erkannte Außerkrafttreten von Naturgesetzen zum Zeichen für außerrationales und wunderbares Wirken und damit für eine poetische Umdeutung der Welt. Das Fantastische und Wundervolle erscheint als Charakteristik von Liebe.
 
Die geteilte Traumerfahrung zeigt zudem, dass beide gleichermaßen dazu veranlagt sind, und auf der Suche nach dem Grund dafür wird deutlich, dass beide eine Besonderheit teilen: Maria und Endre sind auf äußerlich wahrnehmbare Arten versehrt. Dass Maria schonungslos ehrlich und korrekt, im sozialen Miteinander und körperlicher Nähe gehemmt ist, liegt an einer Form von Autismus. Endre wiederum hat einen gelähmten Arm, der, sobald er in der ersten Szene auftritt, sichtbar gemacht wird. Unsichtbar bleibt eine andere Versehrtheit, die er später Maria offenbart. Er berichtet, dass er mit der Liebe abgeschlossen hatte, wozu seine Erfahrungen und seine, gegenüber Maria, deutlich höhere Anzahl an Lebensjahren beitragen. Das nicht Gewöhnliche also öffnet die Fähigkeit oder erzwingt die Notwendigkeit zu ungewöhnlichem Erleben.
 
Die geteilte Traumerfahrung zeigt zudem, dass beide gleichermaßen dazu veranlagt sind, und auf der Suche nach dem Grund dafür wird deutlich, dass beide eine Besonderheit teilen: Maria und Endre sind auf äußerlich wahrnehmbare Arten versehrt. Dass Maria schonungslos ehrlich und korrekt, im sozialen Miteinander und körperlicher Nähe gehemmt ist, liegt an einer Form von Autismus. Endre wiederum hat einen gelähmten Arm, der, sobald er in der ersten Szene auftritt, sichtbar gemacht wird. Unsichtbar bleibt eine andere Versehrtheit, die er später Maria offenbart. Er berichtet, dass er mit der Liebe abgeschlossen hatte, wozu seine Erfahrungen und seine, gegenüber Maria, deutlich höhere Anzahl an Lebensjahren beitragen. Das nicht Gewöhnliche also öffnet die Fähigkeit oder erzwingt die Notwendigkeit zu ungewöhnlichem Erleben.
Bezogen auf den Filmtitel Körper und Seele, haben sich ihre Seelen auf nicht rational erklärbare Art gefunden, noch bevor sie sich körperlich gegenübertraten. Wenn man also in eine Kategorie wie eine angenommene Seelenverwandtschaft wechseln möchte, liegt auch die Vorstellung von einer Seelennahrung nahe, was Sinn ergibt, wenn man Marias und Endres Arbeitsumgebung, in der Nahrung produziert wird, einberechnet, sowie ihre häufigen Treffen in der Kantine als einem Ort, an dem der Körper ernährt werden soll, während sich die beiden zunehmend um die Nahrung ihrer gemeinsamen Seelen kümmern. Sowohl die Träume als auch die Liebe erscheinen als Nahrung der Seele.
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Bezogen auf den Filmtitel ''Körper und Seele'', haben sich ihre Seelen auf nicht rational erklärbare Art gefunden, noch bevor sie sich körperlich gegenübertraten. Wenn man also in eine Kategorie wie eine angenommene Seelenverwandtschaft wechseln möchte, liegt auch die Vorstellung von einer Seelennahrung nahe, was Sinn ergibt, wenn man Marias und Endres Arbeitsumgebung, in der Nahrung produziert wird, einberechnet, sowie ihre häufigen Treffen in der Kantine als einem Ort, an dem der Körper ernährt werden soll, während sich die beiden zunehmend um die Nahrung ihrer gemeinsamen Seelen kümmern. Sowohl die Träume als auch die Liebe erscheinen als Nahrung der Seele.
Die Tiere der Traumwelt und ihre menschlichen Pendants in der Realwelt charakterisieren sich gegenseitig. Wenn die Frau und der Mann sich einander vor allem in ihrer Traumgestalt als Tiere nähern können, so maskiert die Tiergestalt ihr Menschsein maskiert, doch zugleich wirkt ihr Tiersein maskenlos, da Tiere, vor allem Wildtiere, als authentische, unverstellte Wesen gelten. Die andere Körpererfahrung als Tier ermöglicht also andere Arten des Beisammenseins. Kontrastierend zum Wachzustand können sich Maria und Endre in einer Vertrautheit begegnen, die ihnen tagsüber in ihrer menschlichen Gestalt nicht möglich ist.
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Währenddessen charakterisieren sich die Tiere der Traumwelt und ihre menschlichen Pendants in der Realwelt gegenseitig. Wenn die Frau und der Mann sich einander vor allem in ihrer Traumgestalt als Tiere nähern können, so maskiert die Tiergestalt ihr Menschsein, doch zugleich wirkt ihr Tiersein maskenlos, da Tiere, vor allem Wildtiere, als authentische, unverstellte Wesen gelten. Die andere Körpererfahrung als Tier ermöglicht also andere Arten des Beisammenseins. Kontrastierend zum Wachzustand können sich Maria und Endre in einer Vertrautheit begegnen, die ihnen tagsüber in ihrer menschlichen Gestalt nicht möglich ist.
    
===Beschreibung der Traumsequenzen VIII und IX: Störung und Auflösung===
 
===Beschreibung der Traumsequenzen VIII und IX: Störung und Auflösung===
 
Endre und Maria gehen in ihrer Freizeit gemeinsam essen. Er schlägt danach vor, dass sie bei ihm zu Hause nebeneinander schlafen. So wären sie sich beim Träumen auch mit ihren Realkörpern nahe. Aber der Schlaf kommt nicht. Sie spielen während der restlichen Nacht Karten und lernen sich auf diese Art besser kennen. Er möchte sie am Arm streicheln, doch Maria zuckt zurück, worauf er erklärt, dass er mit der Liebe schon lange abgeschlossen hatte und sich nun lächerlich mache.
 
Endre und Maria gehen in ihrer Freizeit gemeinsam essen. Er schlägt danach vor, dass sie bei ihm zu Hause nebeneinander schlafen. So wären sie sich beim Träumen auch mit ihren Realkörpern nahe. Aber der Schlaf kommt nicht. Sie spielen während der restlichen Nacht Karten und lernen sich auf diese Art besser kennen. Er möchte sie am Arm streicheln, doch Maria zuckt zurück, worauf er erklärt, dass er mit der Liebe schon lange abgeschlossen hatte und sich nun lächerlich mache.
 
Maria beginnt daraufhin allein fremde Körper in sinnlichen Kontakten zu beobachten und den eigenen Körper zu erforschen. Während sie versucht, ihre Angst vor körperlicher Nähe zu überwinden, will sich Endre, in einer gegenläufigen Bewegung, seiner Gefühle zu Maria entledigen. Er schläft mit einer anderen Frau. Danach sitzt er gequält in einem Imbiss und ist den Tränen nahe. Unvermittelt wird von hier in die Traumwelt geschnitten, in der er als Hirsch allein durch den Schneewald läuft, sehr schnell, leicht bergauf, nach den Seiten blickend.
 
Maria beginnt daraufhin allein fremde Körper in sinnlichen Kontakten zu beobachten und den eigenen Körper zu erforschen. Während sie versucht, ihre Angst vor körperlicher Nähe zu überwinden, will sich Endre, in einer gegenläufigen Bewegung, seiner Gefühle zu Maria entledigen. Er schläft mit einer anderen Frau. Danach sitzt er gequält in einem Imbiss und ist den Tränen nahe. Unvermittelt wird von hier in die Traumwelt geschnitten, in der er als Hirsch allein durch den Schneewald läuft, sehr schnell, leicht bergauf, nach den Seiten blickend.
Beide begegnen sich wieder vor der Essensausgabe der Kantine, wo Maria, die sich inzwischen bereit fühlt, Endre anbietet, bei ihm zu schlafen. Er aber weist sie ab. Maria, die sich ihre Verletztheit nicht anmerken lässt, ordnet zu Hause ihre Sachen und versucht, sich zu töten. Während das Blut aus ihrer geöffneten Pulsader strömt, ruft Endre sie an und gesteht ihr seine Liebe. Ohne ihm zu erklären, was vorgefallen ist, verabredet sich Maria mit Endre. Sie versorgt ihre selbst beigebrachte Wunde, geht zu ihm und sie haben Sex. Am anderen Morgen stellen beide fest, dass sie im Schlaf nichts geträumt haben. Danach ist der Wald zu sehen, der Schnee, der bekannte kleine runde See, aber keine Tiere. Ein Lichtstrahl zieht sich schräg durch das Bild. Er wird heller, bis das Bild gänzlich weiß ist. Dann folgt der Abspann.
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Später begegnen sich beide wieder vor der Essensausgabe der Kantine, wo Maria, die sich inzwischen bereit fühlt, Endre anbietet, bei ihm zu schlafen. Er aber weist sie ab. Maria, die sich ihre Verletztheit nicht anmerken lässt, ordnet zu Hause ihre Sachen und versucht, sich zu töten. Während das Blut aus ihrer geöffneten Pulsader strömt, ruft Endre sie an und gesteht ihr seine Liebe. Ohne ihm zu erklären, was vorgefallen ist, verabredet sich Maria mit Endre. Sie versorgt ihre selbst beigebrachte Wunde, geht zu ihm und sie haben Sex. Am anderen Morgen stellen beide fest, dass sie im Schlaf nichts geträumt haben. Danach ist der Wald zu sehen, der Schnee, der bekannte kleine runde See, aber keine Tiere. Ein Lichtstrahl zieht sich schräg durch das Bild. Er wird heller, bis das Bild gänzlich weiß ist. Dann folgt der Abspann.
    
===Analyse zu VIII und IX===
 
===Analyse zu VIII und IX===
Die Anzahl und Länge der gezeigten oder erlebten Träume nimmt weiterhin ab. Das Publikum nimmt nicht mehr an ihren Träumen teil, das heißt, die Annäherung des Paares bleibt ihm überlassen, womit es in einen intimen, geschützten Raum eintritt, der ihm, wie anderen Liebenden, überlassen wird. Zugleich träumen sie noch, womit angezeigt ist, dass sie dieses Hilfsmittel benötigen, sich also in der Realwelt nicht so nahe gekommen sind, dass sie sich ohne die Auslagerung ihrer Wünsche und Sehnsüchte in die transformierende Traumwelt begegnen könnten. Trotz ihrer wachsenden Vertrautheit im Traum, behalten beide in ihrer realen Gestalt als Menschen das „Sie“ als distanzierende Anrede bei. Endres Traum, in dem er allein unterwegs ist, manifestiert hingegen die Störung in ihrer Beziehung.  
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Die Anzahl und Länge der gezeigten Träume nimmt weiterhin ab. Das Publikum nimmt nicht mehr an ihren Träumen teil, das heißt, die Annäherung des Paares bleibt ihm überlassen, womit es in einen intimen, geschützten Raum eintritt, der ihm überlassen wird. Zugleich träumen sie noch, womit angezeigt ist, dass sie dieses Hilfsmittel benötigen, sich also in der Realwelt nicht so nahe gekommen sind, dass sie sich ohne die Auslagerung ihrer Wünsche und Sehnsüchte in die transformierende Traumwelt begegnen könnten. Trotz ihrer wachsenden Vertrautheit im Traum, behalten beide in ihrer realen Gestalt als Menschen das „Sie“ als distanzierende Anrede bei. Endres Traum, in dem er allein unterwegs ist, manifestiert hingegen die Störung in ihrer Beziehung.  
Den Störungen folgt schließlich deren Auflösung, die sowohl in der Real- als auch in der Traumwelt geschieht. Die Traumwelt am Ende des Films ist, wie jene am Anfang, nicht direkt als Traum gekennzeichnet, sondern lässt sich als solcher nur über das bekannte Setting als ein Raum, der parallel zur Realwelt existiert, deuten. Dass der bekannte Raum, der nun zu sehen ist, von den Tieren verlassen wurde, zeigt, gemeinsam mit der morgendlichen Diskussion, dass Maria und Endre ihn nicht mehr benötigen. Der Winterwald ihres gemeinsamen Traums ist darum geleert, steht jedoch als potenzieller Raum offen: innerfilmisch für einen möglichen Wiedereintritt oder außerfilmisch für das Publikum allgemein. Während der erste Traum aus einem Schwarzfilm entsteht, geht dieser letzte in ein vollkommen weißes Bild über. Der Film führte also aus dem Dunkeln in ein alles Weitere ausblendendes Licht, symbolisch daher vom  Unklaren und zum Erhellten und Überstrahlten. Die erzählerische Funktion des Traums, die darin bestand, zwei Menschen zueinander finden zu lassen, ihre jeweiligen Beeinträchtigungen zu überwinden und diese Liebe (wie verallgemeinerbar jede Liebe) in einen Status des Wunderbaren zu versetzen, ist vollzogen.     
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Den Störungen folgt schließlich deren Auflösung, die sowohl in der Real- als auch in der Traumwelt geschieht. Die Traumwelt am Ende des Films ist, wie jene am Anfang, nicht direkt als Traum gekennzeichnet, sondern lässt sich als solcher nur über das bekannte Setting als ein Raum, der parallel zur Realwelt existiert, deuten. Dass der bekannte Raum, der nun zu sehen ist, von den Tieren verlassen wurde, zeigt, gemeinsam mit der morgendlichen Diskussion, dass Maria und Endre ihn nicht mehr benötigen. Der Winterwald ihres gemeinsamen Traums ist darum geleert, steht jedoch als potenzieller Raum offen: innerfilmisch für einen möglichen Wiedereintritt oder außerfilmisch für das Publikum allgemein. Während der erste Traum aus einem Schwarzfilm entsteht, geht dieser letzte in ein vollkommen weißes Bild über. Der Film führte also aus dem Dunkeln in ein alles Weitere ausblendendes Licht, symbolisch daher vom  Unklaren zum Erhellten und Überstrahlten. Die erzählerische Funktion des Traums, die darin bestand, zwei Menschen zueinander finden zu lassen, ihre jeweiligen Beeinträchtigungen zu überwinden und diese Liebe (wie verallgemeinerbar jede Liebe) in einen Status des Wunderbaren zu versetzen, ist vollzogen.     
    
==Traumdarstellungen im Werk der Regisseurin==
 
==Traumdarstellungen im Werk der Regisseurin==
Die Regisseurin wurde 1955 in Budapest geboren. In ihrem ersten Spielfilm ''Mein 20. Jahrhundert'' (''Az én XX. századom'') widmete sie sich zwei Menschen – es sind Schwestern – die getrennt werden. Ihr fünfter Spielfilm Körper und Seele wird häufig als umgekehrter Plot beschrieben, nämlich als Film über zwei einander entfernte Menschen, die zusammenfinden. 1989 gewann sie die Caméra d'Or in Cannes für ''Mein 20. Jahrhundert''. Ihre nächsten Filme ''Der Freischütz – The Magic Hunter'' (''Bűvös vadász'') von 1994, ''Winterliebe – Tamas and Juli'' (''Tamás és Juli'') von 1997 und ''Simon the Magician'' (''Simon mágus'') von 1999 liefen in Wettbewerben in Venedig oder Locarno, wurden aber nicht prämiert. Nach zwei Kurzfilmen wandte sie sich dem Fernsehen zu und war von 2012 bis 2014 Regisseurin von Terápia, der ungarischen Version der HBO Serie In Treatment (Lemercier, Cineuropa, 23.06.2015). Mit Körper und Seele schloss sie an den Erfolg des ersten Filmes an. Sie gewann den Goldenen Bären der Berlinale 2017. Im selben Jahr ging der Europäische Filmpreis für die Beste Darstellerin an Alexandra Borbély, welche die weibliche Hauptrolle spielte. Bei der Oscarverleihung 2018 war Körper und Seele für den Besten fremdsprachigen Film nominiert.
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Die Regisseurin wurde 1955 in Budapest geboren. In ihrem ersten Spielfilm ''Mein 20. Jahrhundert'' (''Az én XX. századom'') widmete sie sich zwei Menschen – es sind Schwestern – die getrennt werden. Ihr fünfter Spielfilm ''Körper und Seele'' wird häufig als umgekehrter Plot beschrieben, nämlich als Film über zwei einander entfernte Menschen, die zusammenfinden. 1989 gewann sie die Caméra d'Or in Cannes für ''Mein 20. Jahrhundert''. Ihre nächsten Filme ''Der Freischütz – The Magic Hunter'' (''Bűvös vadász'') von 1994, ''Winterliebe – Tamas and Juli'' (''Tamás és Juli'') von 1997 und ''Simon the Magician'' (''Simon mágus'') von 1999 liefen in Wettbewerben in Venedig oder Locarno, wurden aber nicht prämiert. Nach zwei Kurzfilmen wandte sie sich dem Fernsehen zu und war von 2012 bis 2014 Regisseurin von ''Terápia'', der ungarischen Version der HBO Serie In Treatment (Lemercier, Cineuropa, 23.06.2015). Mit ''Körper und Seele'' schloss sie an den Erfolg des ersten Filmes an. Sie gewann den Goldenen Bären der Berlinale 2017. Im selben Jahr ging der Europäische Filmpreis für die Beste Darstellerin an Alexandra Borbély, welche die weibliche Hauptrolle spielte. Bei der Oscarverleihung 2018 war ''Körper und Seele'' für den Besten fremdsprachigen Film nominiert.
In Fabien Lemerciers Text für Cineuropa, der Ende Juni 2015 veröffentlicht wurde, also kurz nach Ende des größten Teils der Dreharbeiten, befinden sich Fragen zur Bedeutung des gemeinsamen Traumes. Warum die Fragen innerhalb des Textes in Anführungszeichen gesetzt wurden, ist nicht zu ersehen, möglicherweise aber sind Gedanken der Regisseurin wiedergegeben. Das scheint insofern denkbar, da diese Fragen um das dramaturgische Setting kreisen, das mit dem Mittel des gemeinsamen Traums erzeugt wird. Gefragt wird: "What would happen if you met someone who dreamt the same as you or, to be more precise, had been meeting you in the same world every night for years? Would you be pleased? Or would you feel that you had been in some way robbed? And what if this specific individual didn’t exactly appeal to you? What if you actually hated that person?" (Lemercier, Cineuropa, 23.06.2015) In einem anderen Interview erklärte die Regisseurin und Autorin des Films, warum sie den gemeinsamen Traum als dramaturgisches Element gewählt habe, er also nicht Ausgangspunkt der Erzählung war: Sie wollte sich Menschen widmen, deren Gefühle verborgen sind. Wenn beide feststellen, dass sie gemeinsam träumen, sind sie gezwungen darauf zu reagieren. Dadurch wiederum werden ihre Gefühle offensichtlich: ihre Angst, Verzweiflung, Lebensfreude und Leidenschaft (Meinecke, Traumdeutung, ntv.de, 20.9.2017). In einem allgemeineren Sinn meinte Enyedi, dass Träume das seien, was alle Menschen „surreal and magic“ mache (Marotta, ''On Body and Soul'', indiewire.com, 09.02.2018). Dieser Gedanke über die verzaubernde Kraft der Träume findet sich variiert in einer anderen Aussage der Regisseurin, in der sie Träume als Vorstellungskraft versteht, durch die Realität verändert wird. Als Beispiel nannte sie eine Tasse, die gestaltet wurde, weil jemand sie sich so vorstellte und dadurch die materielle Umwelt veränderte, von der wir umgeben sind (Meinecke, Traumdeutung, ntv.de, 20.9.2017). In Interviews äußerte sich die Regisseurin wiederholt über die Rolle der Religion (Peitz, Der Film „Körper und Seele“. Tagesspiegel, 20.9.2017), um Krisen zu bestehen und bewusst zu durcherleben. Sie meinte, dass durch religiöse Rituale die einzelnen Menschen mit einer größeren Gruppe bzw. „dem großen Ganzen“ verbunden würden (Katzenberger, "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Zur Idee der Seelenverwandtschaft, die sich durch den gemeinsamen Traum zeigen könnte, äußerte sie sich (Idris, Ein traumhaftes Paar, arte-Magazin, Februar 2020), wie auch zur Idee eines kollektiven Bewusstseins, für den nicht nur bestimmte Personen miteinander verbunden sind, sondern alle Menschen, ohne dafür aktiv etwas tun zu müssen (Burg/ Wellinski, Interview mit Ildikó Enyedi, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017).
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In Fabien Lemerciers Text für Cineuropa, der Ende Juni 2015 veröffentlicht wurde, also kurz nach Ende des größten Teils der Dreharbeiten, befinden sich Fragen zur Bedeutung des gemeinsamen Traumes. Warum die Fragen innerhalb des Textes in Anführungszeichen gesetzt wurden, ist nicht zu ersehen, möglicherweise aber sind Gedanken der Regisseurin wiedergegeben. Das scheint insofern denkbar, da diese Fragen um das dramaturgische Setting kreisen, das mit dem Mittel des gemeinsamen Traums erzeugt wird. Gefragt wird: "What would happen if you met someone who dreamt the same as you or, to be more precise, had been meeting you in the same world every night for years? Would you be pleased? Or would you feel that you had been in some way robbed? And what if this specific individual didn’t exactly appeal to you? What if you actually hated that person?" (Lemercier, Cineuropa, 23.06.2015) In einem anderen Interview erklärte die Regisseurin und Autorin des Films, warum sie den gemeinsamen Traum als dramaturgisches Element gewählt habe, er also nicht Ausgangspunkt der Erzählung war: Sie wollte sich Menschen widmen, deren Gefühle verborgen sind. Wenn beide feststellen, dass sie gemeinsam träumen, sind sie gezwungen darauf zu reagieren. Dadurch wiederum werden ihre Gefühle offensichtlich: ihre Angst, Verzweiflung, Lebensfreude und Leidenschaft (Meinecke, Traumdeutung, ntv.de, 20.9.2017). In einem allgemeineren Sinn meinte Enyedi, dass Träume das seien, was alle Menschen „surreal and magic“ mache (Marotta, ''On Body and Soul'', indiewire.com, 09.02.2018). Dieser Gedanke über die verzaubernde Kraft der Träume findet sich variiert in einer anderen Aussage der Regisseurin, in der sie Träume als Vorstellungskraft versteht, durch die Realität verändert wird. Als Beispiel nannte sie eine Tasse, die gestaltet wurde, weil jemand sie sich so vorstellte und dadurch die materielle Umwelt veränderte, von der wir umgeben sind (Meinecke, Traumdeutung, ntv.de, 20.9.2017). In Interviews äußerte sich die Regisseurin wiederholt über die Rolle der Religion (Peitz, Der Film „Körper und Seele“. Tagesspiegel, 20.9.2017), um Krisen zu bestehen und bewusst zu durcherleben. Sie meinte, dass durch religiöse Rituale die einzelnen Menschen mit einer größeren Gruppe bzw. „dem großen Ganzen“ verbunden würden (Katzenberger, "Bitte, hab' keine Angst", Süddeutsche Zeitung, 23.9.2017). Zur Idee der Seelenverwandtschaft, die sich durch den gemeinsamen Traum zeigen könnte, äußerte sie sich (Idris, Ein traumhaftes Paar, arte-Magazin, Februar 2020), wie auch zur Idee eines kollektiven Bewusstseins, für den nicht nur bestimmte Personen miteinander verbunden sind, sondern alle Menschen, ohne dafür aktiv etwas tun zu müssen (Burg / Wellinski, Interview mit Ildikó Enyedi, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017).
Diese gedankliche Nähe zum Überpersönlichen und Spirituellen, im Sinn einer poetischen, die Realität transzendierenden Weltsicht und Welterwartung, scheint ein Ausgangspunkt dafür, dass der Film auch innerhalb religiöser Kontexte vorgeführt und diskutiert wird. Zum Beispiel befindet sich Körper und Seele im Verleih des Katholischen Filmwerks in Deutschland, von dem ergänzend ein didaktisches Arbeitsheft zum Film publiziert wurde (Weber 2018). Währenddessen wurde vor allem die Ansiedlung des Filmgeschehens in einem Schlachthof mitunter als metaphorische Kritik am politischen System Ungarns oder Europas verstanden. Dies lehnt die Regisseurin ab (Peitz, Der Film „Körper und Seele“. Tagesspiegel, 20.9.2017).
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Diese gedankliche Nähe zum Überpersönlichen und Spirituellen, im Sinn einer poetischen, die Realität transzendierenden Weltsicht und Welterwartung, scheint ein Ausgangspunkt dafür, dass der Film auch innerhalb religiöser Kontexte vorgeführt und diskutiert wird. Zum Beispiel befindet sich ''Körper und Seele'' im Verleih des Katholischen Filmwerks in Deutschland, von dem ergänzend ein didaktisches Arbeitsheft zum Film publiziert wurde (Weber 2018). Währenddessen wurde vor allem die Ansiedlung des Filmgeschehens in einem Schlachthof mitunter als metaphorische Kritik am politischen System Ungarns oder Europas verstanden. Dies lehnt die Regisseurin ab (Peitz, Der Film „Körper und Seele“. Tagesspiegel, 20.9.2017).
 
In verschiedenen Texten zum Film als auch in Selbstaussagen der Regisseurin fallen wiederholt die beschreibenden Worte „poetisch“, „realistisch“, „melancholisch“, „humorvoll“, „magisch“. Während die Worte „melancholisch“ und „humorvoll“ eher eine Grundstimmung und ein bewusst eingesetztes Gegengewicht bezeichnen, können die verbleibenden drei Adjektive für eine filmhistorische Einordnung interessant sein. Die realistische Wiedergabe sozialer Kontexte ist ohne Weiteres erkennbar, sowohl in der Darstellung der einzelnen Figuren, ihrem Agieren in einem sozialen Gefüge als auch in der dokumentierend aufgenommenen Umgebung des Schlachthofs. Dass visuell, auditiv und narrativ poetische Mittel beigefügt wurden, um zu gestalten und zu überhöhen, ist ebenfalls leicht erkennbar. Allerdings ist der verbindende Begriff des „poetischen Realismus“ filmhistorisch festgelegt und bezeichnet vor allem französische Filme der 1930er bis 1940er Jahre, die zudem bestimmte erzählerische wie inhaltliche Merkmale aufweisen, welche der vorliegende Film nicht besitzt. Darum erscheint letztlich die Einordnung in die Kategorie des „magischen Realismus“ naheliegend. Dieser weit gedachte Begriff (Reeds 2006, 175–196.), der Werke verschiedener Genres wie Literatur und Malerei umfasst, wird angewandt, wenn in einer Darstellung reale und magische Wirklichkeit – und letztere ist häufig die eines Traums oder einer Halluzination – verschmolzen werden.
 
In verschiedenen Texten zum Film als auch in Selbstaussagen der Regisseurin fallen wiederholt die beschreibenden Worte „poetisch“, „realistisch“, „melancholisch“, „humorvoll“, „magisch“. Während die Worte „melancholisch“ und „humorvoll“ eher eine Grundstimmung und ein bewusst eingesetztes Gegengewicht bezeichnen, können die verbleibenden drei Adjektive für eine filmhistorische Einordnung interessant sein. Die realistische Wiedergabe sozialer Kontexte ist ohne Weiteres erkennbar, sowohl in der Darstellung der einzelnen Figuren, ihrem Agieren in einem sozialen Gefüge als auch in der dokumentierend aufgenommenen Umgebung des Schlachthofs. Dass visuell, auditiv und narrativ poetische Mittel beigefügt wurden, um zu gestalten und zu überhöhen, ist ebenfalls leicht erkennbar. Allerdings ist der verbindende Begriff des „poetischen Realismus“ filmhistorisch festgelegt und bezeichnet vor allem französische Filme der 1930er bis 1940er Jahre, die zudem bestimmte erzählerische wie inhaltliche Merkmale aufweisen, welche der vorliegende Film nicht besitzt. Darum erscheint letztlich die Einordnung in die Kategorie des „magischen Realismus“ naheliegend. Dieser weit gedachte Begriff (Reeds 2006, 175–196.), der Werke verschiedener Genres wie Literatur und Malerei umfasst, wird angewandt, wenn in einer Darstellung reale und magische Wirklichkeit – und letztere ist häufig die eines Traums oder einer Halluzination – verschmolzen werden.
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===Forschungsliteratur===
 
===Forschungsliteratur===
* Durst, Uwe: "Begrenzte und entgrenzte wunderbare Systeme: Vom Bürgerlichen zum 'Magischen' Realismus". In: Lars Schmeink/Hans-Harald Müller (Hg.), /Fremde Welten: Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert/. Berlin/Boston 2012, 57–74.
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* Durst, Uwe: "Begrenzte und entgrenzte wunderbare Systeme: Vom Bürgerlichen zum 'Magischen' Realismus". In: Lars Schmeink/Hans-Harald Müller (Hg.): ''Fremde Welten: Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert''. Berlin/Boston 2012, 57–74.
 
* Engel, Manfred: "Geburt der phantastischen Literatur aus dem Geiste des Traumes? Traum und Phantastik in der romantischen Literatur". In: ''Phantastik – Kult oder Kultur? Aspekte eines Phänomens in Kunst, Literatur und Film''. Hg. von Christine Ivanovic, Jürgen Lehmann and Markus May. Stuttgart: Metzler 2003, 153–170.
 
* Engel, Manfred: "Geburt der phantastischen Literatur aus dem Geiste des Traumes? Traum und Phantastik in der romantischen Literatur". In: ''Phantastik – Kult oder Kultur? Aspekte eines Phänomens in Kunst, Literatur und Film''. Hg. von Christine Ivanovic, Jürgen Lehmann and Markus May. Stuttgart: Metzler 2003, 153–170.
* Goumegou, Susanne: Traumtext und Traumdiskurs. Nerval, Breton, Leiris. München: Wilhelm Fink 2006.
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* Goumegou, Susanne: ''Traumtext und Traumdiskurs. Nerval, Breton, Leiris''. München: Wilhelm Fink 2006.
 
* Reeds, Kenneth: "Magical Realism: A problem of definition." In: ''Neophilologus'' 90,2 (2006), 175–196.
 
* Reeds, Kenneth: "Magical Realism: A problem of definition." In: ''Neophilologus'' 90,2 (2006), 175–196.
* Weber, Astrid: Körper und Seele. Arbeitshilfe. Katholisches Filmwerk GmbH, 2018.
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* Weber, Astrid: ''Körper und Seele. Arbeitshilfe''. Katholisches Filmwerk GmbH, 2018.
    
===Weblinks===
 
===Weblinks===
 
* Burg, Susanne / Wellinski, Patrick: Interview mit Ildikó Enyedi über „On Body and Soul“: Die kleinen, komischen Momente, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ildiko-enyedi-ueber-on-body-and-soul-die-kleinen-komischen-100.html (zuletzt gesichtet: 12.10.2022).
 
* Burg, Susanne / Wellinski, Patrick: Interview mit Ildikó Enyedi über „On Body and Soul“: Die kleinen, komischen Momente, Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2017, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ildiko-enyedi-ueber-on-body-and-soul-die-kleinen-komischen-100.html (zuletzt gesichtet: 12.10.2022).
 
* Enyedi Ildikó és Tilla a Testről és lélekről című film forgatásán, 19.01.2016, https://www.youtube.com/watch?v=kDtQcnEmaE8 (zuletzt gesichtet: 19.1.2023).
 
* Enyedi Ildikó és Tilla a Testről és lélekről című film forgatásán, 19.01.2016, https://www.youtube.com/watch?v=kDtQcnEmaE8 (zuletzt gesichtet: 19.1.2023).
* Gatto, Katherine Gyékényesi: Her Twentieth Century: The Postmodern Cinema of Ildikó Enyedi, Hungarian Studies Review. 26: 123–31. Retrieved 6 December 2019. (  https://epa.oszk.hu/00000/00010/00002/gyekenyesi.htm, zuletzt gesichtet: 16.9.2022).
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* Gatto, Katherine Gyékényesi: "Her Twentieth Century: The Postmodern Cinema of Ildikó Enyedi". In: ''Hungarian Studies Review''. 26 (2019), 123–31, https://epa.oszk.hu/00000/00010/00002/gyekenyesi.htm (zuletzt gesichtet: 16.9.2022).
 
* Idris, Jana Idris: Ein traumhaftes Paar, arte-Magazin, Februar 2020, https://www.arte-magazin.de/ein-traumhaftes-paar/ (zuletzt gesichtet 14.10.2022).
 
* Idris, Jana Idris: Ein traumhaftes Paar, arte-Magazin, Februar 2020, https://www.arte-magazin.de/ein-traumhaftes-paar/ (zuletzt gesichtet 14.10.2022).
 
* Interview mit Ildikó Enyedi, Filmclip, Cineuropa, 25.9.2017, https://cineuropa.org/en/video/339905/ (zuletzt gesichtet: 13.10.2022).
 
* Interview mit Ildikó Enyedi, Filmclip, Cineuropa, 25.9.2017, https://cineuropa.org/en/video/339905/ (zuletzt gesichtet: 13.10.2022).
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* National Film Institute Hungary (NFI), Ildikó Enyedi, https://nfi.hu/en/cast/ildiko-enyedi (zuletzt gesichtet: 16.9.2022).
 
* National Film Institute Hungary (NFI), Ildikó Enyedi, https://nfi.hu/en/cast/ildiko-enyedi (zuletzt gesichtet: 16.9.2022).
 
* Peitz, Christiane: Der Film „Körper und Seele“: Die Rettung der Menschlichkeit, Tagesspiegel, 20.9.2017, https://www.tagesspiegel.de/kultur/die-rettung-der-menschlichkeit-5503285.html (zuletzt gesichtet: 12.10.2022).
 
* Peitz, Christiane: Der Film „Körper und Seele“: Die Rettung der Menschlichkeit, Tagesspiegel, 20.9.2017, https://www.tagesspiegel.de/kultur/die-rettung-der-menschlichkeit-5503285.html (zuletzt gesichtet: 12.10.2022).
* Türschmann, Jörg: poetischer Realismus, in: Lexikon der Filmbegriffe, Universität Kiel, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:poetischerrealismus-6406 (zuletzt gesichtet: 20.10.2022).
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* Türschmann, Jörg: poetischer Realismus. In: ''Lexikon der Filmbegriffe'', Universität Kiel, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:poetischerrealismus-6406 (zuletzt gesichtet: 20.10.2022).

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