Änderungen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 16: Zeile 16:       −
===Traumhaft fliehen? Der Anfang der Rahmenhandlung===
+
===Rahmenhandlung===
 
Das Projekt der Flucht aus der Stadt steht im Zeichen der Spannung von Unordnung und Ordnung (Steurer 2023, 22). Vor die Schilderung der Zufallsbegegnung der zehn Personen in der Kirche Santa Maria Novella platziert Boccaccio das Proömium und eine Schilderung der Seuche in der Stadt.<ref>Das ''Decameron'' besitzt also gleich mehrere Anfangsmomente – den Beginn des Proömiums, den Auftakt zur Seuchenschilderung, den Übergang zur Rahmenerzählung, die Flucht und der jeweilige Anfang der Novellen. Boccaccio selbst interessiert sich in besonderem Maße für das Thema des Anfangs (Bruno Pagnamenta 1999, 19). </ref> Die um sich greifende Krankheit führt zu einem Prozess der Auflösung, zum einen durch den Tod eines Großteils der Bevölkerung, zum anderen durch die Abkehr von ethisch-moralischen Regeln, symbolisch zur Anschauung gebracht in der Zerstörung verwandtschaftlicher Bande: „che l’un fratello l’altro abbandonava e il zio il nepote e la sorella il fratello spesse volte la donna il suo marito; e, che maggior cosa è e quasi non credibile, li padri e li madri i figliuoli“ (D 16; „daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich schein: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen“, Dd 20). Selbst der Tod verläuft im Chaos und die Stadt wird von einem „unordentlichen Sterben“ (Wehle 1993, 224) ergriffen. Um diese Unordnung und Auflösung dreht sich das Gespräch der Mitglieder der späteren ''brigata'' in der Kirche.  
 
Das Projekt der Flucht aus der Stadt steht im Zeichen der Spannung von Unordnung und Ordnung (Steurer 2023, 22). Vor die Schilderung der Zufallsbegegnung der zehn Personen in der Kirche Santa Maria Novella platziert Boccaccio das Proömium und eine Schilderung der Seuche in der Stadt.<ref>Das ''Decameron'' besitzt also gleich mehrere Anfangsmomente – den Beginn des Proömiums, den Auftakt zur Seuchenschilderung, den Übergang zur Rahmenerzählung, die Flucht und der jeweilige Anfang der Novellen. Boccaccio selbst interessiert sich in besonderem Maße für das Thema des Anfangs (Bruno Pagnamenta 1999, 19). </ref> Die um sich greifende Krankheit führt zu einem Prozess der Auflösung, zum einen durch den Tod eines Großteils der Bevölkerung, zum anderen durch die Abkehr von ethisch-moralischen Regeln, symbolisch zur Anschauung gebracht in der Zerstörung verwandtschaftlicher Bande: „che l’un fratello l’altro abbandonava e il zio il nepote e la sorella il fratello spesse volte la donna il suo marito; e, che maggior cosa è e quasi non credibile, li padri e li madri i figliuoli“ (D 16; „daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich schein: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen“, Dd 20). Selbst der Tod verläuft im Chaos und die Stadt wird von einem „unordentlichen Sterben“ (Wehle 1993, 224) ergriffen. Um diese Unordnung und Auflösung dreht sich das Gespräch der Mitglieder der späteren ''brigata'' in der Kirche.  
   Zeile 22: Zeile 22:       −
===Träume erzählen: Die Traumnovellen des ''Decameron''===
+
===Binnenhandlung===
 
In vier der Novellen werden Träume beschrieben und gedeutet. Immer zwei davon folgen direkt aufeinander, nämlich die fünfte und sechste Geschichte des vierten Tages sowie die sechste und siebte Geschichte des neunten Tages. Im Fall des ersten Novellenpaars ist bereits durch das Erzählmotto vorgegeben, dass die berichteten Träume zur Schilderung eines unglücklichen Schicksals gehören: „la quarta, nella quale, sotto il reggimento di Filostrato, si ragiona di coloro li cui amori ebbero infelice fine“ (D 327; „der vierte, an welchem unter der Herrschaft des Filostrato von den Schicksalen derjenigen gesprochen wird, deren Liebe ein unglückliches Ende nahm“, Dd 319). Beide Male steht im Mittelpunkt des Unglücks der Tod einer Figur. Für die späteren Traumnovellen ergibt sich eine solche thematische Festlegung im Vorfeld nicht, weil am neunten Tag, anders als an den anderen Erzähltagen, die Mitglieder der ''brigata'' dazu aufgefordert sind, das Thema ihrer Erzählung frei zu wählen. Dennoch ist in IX,7 der Traum ebenfalls eng mit einer Todesgefahr verknüpft, während in IX,6 der Sonderfall eines lediglich fingierten Traums vorliegt. Alle markierten Schlafträume des ''Decameron'' weisen also einen Bezug zum Sterben auf (Canovas 1996, 558). Die Traumdeutung wird nicht allein von den Figuren und der Erzählinstanz innerhalb der Novelle vollzogen; vielmehr gewinnen Boccaccios Überlegungen zum Traum zusätzlich im Austausch der ''brigata'' über die Novellen eine Gestalt: Insbesondere an der Schnittstelle zwischen den beiden ersten Geschichten wird die Frage, wie Träume entstehen und auf welche Weise sie zu deuten sind, über das „Prinzip der Ähnlichkeit der Gegenstände“ (Emmelius 2010, 286) zum Gegenstand der geselligen Konversation.
 
In vier der Novellen werden Träume beschrieben und gedeutet. Immer zwei davon folgen direkt aufeinander, nämlich die fünfte und sechste Geschichte des vierten Tages sowie die sechste und siebte Geschichte des neunten Tages. Im Fall des ersten Novellenpaars ist bereits durch das Erzählmotto vorgegeben, dass die berichteten Träume zur Schilderung eines unglücklichen Schicksals gehören: „la quarta, nella quale, sotto il reggimento di Filostrato, si ragiona di coloro li cui amori ebbero infelice fine“ (D 327; „der vierte, an welchem unter der Herrschaft des Filostrato von den Schicksalen derjenigen gesprochen wird, deren Liebe ein unglückliches Ende nahm“, Dd 319). Beide Male steht im Mittelpunkt des Unglücks der Tod einer Figur. Für die späteren Traumnovellen ergibt sich eine solche thematische Festlegung im Vorfeld nicht, weil am neunten Tag, anders als an den anderen Erzähltagen, die Mitglieder der ''brigata'' dazu aufgefordert sind, das Thema ihrer Erzählung frei zu wählen. Dennoch ist in IX,7 der Traum ebenfalls eng mit einer Todesgefahr verknüpft, während in IX,6 der Sonderfall eines lediglich fingierten Traums vorliegt. Alle markierten Schlafträume des ''Decameron'' weisen also einen Bezug zum Sterben auf (Canovas 1996, 558). Die Traumdeutung wird nicht allein von den Figuren und der Erzählinstanz innerhalb der Novelle vollzogen; vielmehr gewinnen Boccaccios Überlegungen zum Traum zusätzlich im Austausch der ''brigata'' über die Novellen eine Gestalt: Insbesondere an der Schnittstelle zwischen den beiden ersten Geschichten wird die Frage, wie Träume entstehen und auf welche Weise sie zu deuten sind, über das „Prinzip der Ähnlichkeit der Gegenstände“ (Emmelius 2010, 286) zum Gegenstand der geselligen Konversation.
  
81

Bearbeitungen

Navigationsmenü