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Talano begreift diesen Traum als Warnung, erzählt ihn Margeritha und bittet sie, das Haus nicht zu verlassen oder wenigstens nicht in den Wald zu gehen. Sie geht allerdings genau dorthin, weil sie ihren Mann verdächtigt, eine Liebhaberin zu treffen. Im Wald wird der Trauminhalt zur Realität der Wachwelt: „E mentre in questa guisa stava senza alcun sospetto di lupo, e ecco vicino a lei uscir d’una macchia folta un lupo grande e terribile“ (D 782; „Während sie auf diese Weise, ohne an einen Wolf auch nur zu denken, lauerte, brach dicht neben ihr aus dem Dickicht ein großer, entsetzlicher Wolf hervor“, Dd 766). Exakt wie im Traum vorhergesehen wird Margherita angegriffen, trägt von der Verletzung für den Rest ihres Lebens Narben davon und bereut, dem „vero sogno“ (D 783; „dem wahrhaftigen Traum“, Dd 767) keinen Glauben geschenkt zu haben.  
 
Talano begreift diesen Traum als Warnung, erzählt ihn Margeritha und bittet sie, das Haus nicht zu verlassen oder wenigstens nicht in den Wald zu gehen. Sie geht allerdings genau dorthin, weil sie ihren Mann verdächtigt, eine Liebhaberin zu treffen. Im Wald wird der Trauminhalt zur Realität der Wachwelt: „E mentre in questa guisa stava senza alcun sospetto di lupo, e ecco vicino a lei uscir d’una macchia folta un lupo grande e terribile“ (D 782; „Während sie auf diese Weise, ohne an einen Wolf auch nur zu denken, lauerte, brach dicht neben ihr aus dem Dickicht ein großer, entsetzlicher Wolf hervor“, Dd 766). Exakt wie im Traum vorhergesehen wird Margherita angegriffen, trägt von der Verletzung für den Rest ihres Lebens Narben davon und bereut, dem „vero sogno“ (D 783; „dem wahrhaftigen Traum“, Dd 767) keinen Glauben geschenkt zu haben.  
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In seinem furchterregenden Erscheinen ist der Wolf Bestandteil eines von Monstern und Ungeheuern bevölkerten Universum der Tierträume, ähnlich wie das zwar nicht explizit als Tier bezeichnete, aber doch animalische schwarze Etwas in Andreuolas Traum und der schwarze Hund im Paralleltraum Gabriottos. Auch die Struktur der Erzählung ähnelt der Novelle mit der Traumdoppelung: Es wird ein Unglück vorausgesehen; eine der Figuren glaubt nicht an den Wahrheitsgehalt des Traums; an einem abgelegenen Schauplatz erfüllt sich die Prophezeiung (Balestrero 2009, 56). Während aber bei Andreuola und Gabriotto das Eindringen monströser Figuren in die Träume eine Gefahr ankündigt, die sich in anderer Form – Gabriotto fällt tot zu Boden – realisiert, sagt Talanos Traum ganz konkret die Zukunft voraus. Der Wolf hat keine allegorische Funktion und stattdessen ist das Geträumte identisch mit den späteren Ereignissen in der Wachwelt. Margherita hätte zudem das Unglück verhindern können, wenn sie nicht in den Wald gegangen wäre; Andreuola und Gabriotto werden in ihren Träumen nicht vor einem bestimmten Ort gewarnt. Die vier Novellen des ''Decameron'' veranschaulichen damit auch unterschiedliche Zugriffe auf Traumdeutung und -erzählung im 14. Jahrhundert. Die Geschichte des Bettentauschs in IX,6 führt das Potential des fingierten Traums als Handlungsstrategie vor. Die drei anderen Novellen hingegen illustrieren Subtypen des Weissagungstraums (Balestrero 2009, 44): In IV,5 wird im Traum ein bereits vergangenes Ereignis enthüllt, in IV,6 fungiert der Traum als Zukunftsprojektion für ein bevorstehendes, sicher eintretendes Unglück und in IX,7 enthält der Traum die Vorhersage einer zukünftigen Gefahr, die noch vermieden werden könnte. Der Traum selbst befindet sich „halfway between the present and future from a medieval perspective, or between the conscious and subconscious mind in modern terms“ (Bonetti 2009, 613). Er gehört in der Zeitstruktur der Novellen weder zu Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft, sondern steht außerhalb der Zeitwahrnehmung des Wacherlebens – als ,andere‘ Welt, die durch Vorhersagen und Warnungen Einfluss auf die nicht-onirische Welt zu nehmen vermag.
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In seinem furchterregenden Erscheinen ist der Wolf Bestandteil eines von Monstern und Ungeheuern bevölkerten Universum der Tierträume, ähnlich wie das zwar nicht explizit als Tier bezeichnete, aber doch animalische schwarze Etwas in Andreuolas Traum und der schwarze Hund im Paralleltraum Gabriottos. Auch die Struktur der Erzählung ähnelt der Novelle mit der Traumdoppelung: Es wird ein Unglück vorausgesehen; eine der Figuren glaubt nicht an den Wahrheitsgehalt des Traums; an einem abgelegenen Schauplatz erfüllt sich die Prophezeiung (Balestrero 2009, 56). Während aber bei Andreuola und Gabriotto das Eindringen monströser Figuren in die Träume eine Gefahr ankündigt, die sich in anderer Form – Gabriotto fällt tot zu Boden – realisiert, sagt Talanos Traum ganz konkret die Zukunft voraus. Der Wolf hat keine allegorische Funktion und stattdessen ist das Geträumte identisch mit den späteren Ereignissen in der Wachwelt. Margherita hätte zudem das Unglück verhindern können, wenn sie nicht in den Wald gegangen wäre. Andreuola und ihr Geliebter werden in ihren Träumen nicht vor einem bestimmten Ort gewarnt; der Tod Gabriottos ist nicht mehr vermeidbar.  
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Die vier Novellen des ''Decameron'' veranschaulichen unterschiedliche Zugriffe auf Traumdeutung und -erzählung im 14. Jahrhundert. Die Geschichte des Bettentauschs in IX,6 führt das Potential des fingierten Traums als Handlungsstrategie vor. Die drei anderen Novellen hingegen illustrieren Subtypen des Weissagungstraums (Balestrero 2009, 44): In IV,5 wird im Traum ein bereits vergangenes Ereignis enthüllt, in IV,6 fungiert der Traum als Zukunftsprojektion für ein bevorstehendes, sicher eintretendes Unglück und in IX,7 enthält der Traum die Vorhersage einer zukünftigen Gefahr, die noch vermieden werden könnte. Der Traum selbst befindet sich „halfway between the present and future from a medieval perspective, or between the conscious and subconscious mind in modern terms“ (Bonetti 2009, 613). Er gehört in der Zeitstruktur der Novellen weder zu Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft, sondern steht außerhalb der Zeitwahrnehmung des Wacherlebens – als ,andere‘ Welt, die durch Vorhersagen und Warnungen Einfluss auf die nicht-onirische Welt zu nehmen vermag.
     
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