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Der Roman ist in seinem formalen Aufbau somit eine Gegenthese zum "Gesetz der schrumpfenden Glieder" des Korans. Dass sich dieses Anschreiben gegen den Koran auch auf inhaltlicher Ebene wiederfinden lässt, soll nicht Teil dieses Artikels sein, lässt sich aber im gesamten Text belegen.<ref>Nicht nur übersetzt Jäcki den Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe ins Deutsche und montiert einige der übersetzten Suren in den Romantext. Der Koran als Symbol für den aufkommenden religiösen Konservatismus Marokkos macht das Anschreiben gegen den Koran damit auch zu einem Anschreiben und Protest gegen die soziopolitischen Veränderungen Marokkos; vgl. zu den Koran-Übersetzungen: Fichte 1989b, 14, 46, 207 und zum Koran als Symbol für soziopolitische Veränderungen: Fichte 1989b, 66, 217-218. Mit den im Romantext verstreuten Koranübersetzungen setzt sich Böhme 1992 intensiver auseinander. </ref>
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Der Roman ist in seinem formalen Aufbau somit eine Gegenthese zum "Gesetz der schrumpfenden Glieder" des Korans. Dass sich dieses Anschreiben gegen den Koran auch auf inhaltlicher Ebene wiederfinden lässt, soll nicht Teil dieses Artikels sein, lässt sich aber im gesamten Text belegen.<ref>Nicht nur übersetzt Jäcki den Koran aus der französischen Pléiade-Ausgabe ins Deutsche und montiert einige der übersetzten Suren in den Romantext. Der Koran als Symbol für den aufkommenden religiösen Konservatismus Marokkos macht das Anschreiben gegen den Koran damit auch zu einem Anschreiben und Protest gegen die soziopolitischen Veränderungen Marokkos; vgl. zu den Koran-Übersetzungen: Fichte 1989b, 14, 46, 207 und zum Koran als Symbol für soziopolitische Veränderungen: Fichte 1989b, 66, 217-218. Mit den im Romantext verstreuten Koranübersetzungen setzt sich Böhme 1992 intensiver auseinander.</ref>
    
Für Teichert kann ''Der Platz der Gehenkten'' stattdessen als "Höhepunkt jener kompositorischer Prinzipien" (Teichert 1987, 277) gesehen werden, die Fichte in früheren Werken bereits entwickelt und ausprobiert hat. Dass es sich bei diesen Formprinzipien um musikalische und kompositorische Prinzipien handeln könnte, legt Teichert in seinen weiteren Ausführungen zwar nahe, führt aber nicht weiter aus, was er damit meint. Dass ''Der Platz der Gehenkten'' eine ganz eindeutige Form aufweist, ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Die Form des Romans orientiert sich jedoch weniger an den von Teichert nur vage angedeuteten kompositorischen Prinzipien, sondern stärker an der Suren-Struktur des Korans, als dessen formale Antithese sich der Roman versteht.
 
Für Teichert kann ''Der Platz der Gehenkten'' stattdessen als "Höhepunkt jener kompositorischer Prinzipien" (Teichert 1987, 277) gesehen werden, die Fichte in früheren Werken bereits entwickelt und ausprobiert hat. Dass es sich bei diesen Formprinzipien um musikalische und kompositorische Prinzipien handeln könnte, legt Teichert in seinen weiteren Ausführungen zwar nahe, führt aber nicht weiter aus, was er damit meint. Dass ''Der Platz der Gehenkten'' eine ganz eindeutige Form aufweist, ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Die Form des Romans orientiert sich jedoch weniger an den von Teichert nur vage angedeuteten kompositorischen Prinzipien, sondern stärker an der Suren-Struktur des Korans, als dessen formale Antithese sich der Roman versteht.
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: Niemand wird all die Verweisungen, die Fäden, das Geflecht, die Netze der Pfeile und Adern, der Anspielungen in Fichtes Gesamtwerk jemals beschreiben können (ich verwende hier vorsätzlich den Begriff von Fichtes Dementi der ›Verwendbarkeit‹ des Schreiens der Fischer in Cezimbra). Wie geht man also dann interpretierend mit diesen Texten um? (Weinberg, in: Amann 2021, 137)
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: Niemand wird all die Verweisungen, die Fäden, das Geflecht, die Netze der Pfeile und Adern, der Anspielungen in Fichtes Gesamtwerk jemals beschreiben können (ich verwende hier vorsätzlich den Begriff von Fichtes Dementi der ›Verwendbarkeit‹ des Schreiens der Fischer in Cezimbra). Wie geht man also dann interpretierend mit diesen Texten um? (Weinberg 2021, 137)
 
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Wenn diese These plausibel befunden wird (und das wird sie hier), wie also im Rahmen eines Wikipedia-Artikels mit dem Umstand umgehen, dass Fichtes Roman *Der Platz der Gehenkten* als Teil des roman fleuve der Geschichte der Empfindlichkeit immer schon das Verständnis und die Lektüre jedes weiteren Texts voraussetzt? Die pragmatische und hermeneutisch redliche Lösung kann dabei nur sein, transparent zu kommunizieren, inwieweit sich die Interpretation selbst beschneiden muss, um weiterhin verständlich und lesbar zu bleiben.
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Wenn diese These plausibel befunden wird (und das wird sie hier), wie also im Rahmen eines Wikipedia-Artikels mit dem Umstand umgehen, dass Fichtes Roman ''Der Platz der Gehenkten'' als Teil des ''roman fleuve'' der ''Geschichte der Empfindlichkeit'' immer schon das Verständnis und die Lektüre jedes weiteren Texts voraussetzt? Die pragmatische und hermeneutisch redliche Lösung kann dabei nur sein, transparent zu kommunizieren, inwieweit sich die Interpretation selbst beschneiden muss, um weiterhin verständlich und lesbar zu bleiben.
    
Es ist daher aber vielleicht nicht verwunderlich, dass es kaum eine Monografie zu spezifischen Werken Hubert Fichtes gibt. Vollkommen abwesend sind zudem literaturwissenschaftliche Analysen, welche die Fichte'schen Texte auf den Traum und spezifische Traumästhetiken hin befragen.
 
Es ist daher aber vielleicht nicht verwunderlich, dass es kaum eine Monografie zu spezifischen Werken Hubert Fichtes gibt. Vollkommen abwesend sind zudem literaturwissenschaftliche Analysen, welche die Fichte'schen Texte auf den Traum und spezifische Traumästhetiken hin befragen.
Die hier verwendete Sekundärliteratur beschäftigt sich daher nicht ausschließlich mit dem *Platz der Gehenkten*, sondern bespricht den Text immer im Kontext des gesamten Werks Hubert Fichtes.
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Die hier verwendete Sekundärliteratur beschäftigt sich daher nicht ausschließlich mit dem ''Platz der Gehenkten'', sondern bespricht den Text immer im Kontext des gesamten Werks Hubert Fichtes.
    
So beschäftigt sich das neunte Kapitel der Dissertation Torsten Teicherts (1987) zwar mit Der Platz der Gehenkten. Da die Dissertation jedoch zwei Jahre vor der Veröffentlichung des Romans erschienen ist, basiert seine Analyse nicht auf der Druckausgabe, die als Grundlage für diesen Artikel herangezogen wird, sondern auf dem Typoskript des Romans, das er als Freund Hubert Fichtes bereits vor der Veröffentlichung einsehen konnte. Das stellt vor einige Probleme: einerseits kann Teichert zwar aus dem Text zitieren, tut dies aber der Sache geschuldet ohne Quellen- und Seitenangaben. Gibt sich sein Text mitunter thetisch ohne angeschnittene Gedankengänge weiter zu verfolgen, so ist sich Teichert dennoch sicher, dass das Wagnis über einen noch nicht veröffentlichten Text zu reden "vielleicht schon allein deshalb zum jetzigen Zeitpunkt legitim [ist], weil eine jede Interpretation auch Lust machen sollte aufs Lesen des Besprochenen. (Teichert 1987, 276)."
 
So beschäftigt sich das neunte Kapitel der Dissertation Torsten Teicherts (1987) zwar mit Der Platz der Gehenkten. Da die Dissertation jedoch zwei Jahre vor der Veröffentlichung des Romans erschienen ist, basiert seine Analyse nicht auf der Druckausgabe, die als Grundlage für diesen Artikel herangezogen wird, sondern auf dem Typoskript des Romans, das er als Freund Hubert Fichtes bereits vor der Veröffentlichung einsehen konnte. Das stellt vor einige Probleme: einerseits kann Teichert zwar aus dem Text zitieren, tut dies aber der Sache geschuldet ohne Quellen- und Seitenangaben. Gibt sich sein Text mitunter thetisch ohne angeschnittene Gedankengänge weiter zu verfolgen, so ist sich Teichert dennoch sicher, dass das Wagnis über einen noch nicht veröffentlichten Text zu reden "vielleicht schon allein deshalb zum jetzigen Zeitpunkt legitim [ist], weil eine jede Interpretation auch Lust machen sollte aufs Lesen des Besprochenen. (Teichert 1987, 276)."
Teicherts Interpretation versteht Fichtes ethnopoetisches Schreiben jedoch analog zur Form des Haiku und damit nicht als sinnvolle Beschreibung eines Sachverhalts, sondern als dezidiert anti-deskriptive Momentaufnahme. Teicherts Haiku-Verständnis basiert dabei jedoch auf Barthes Interpretation, die ihrerseits nicht unproblematisch ist. <ref> Wenngleich interessant, kann hier en detail nicht darauf eingegangen werden. Zu einer historischen Analyse der Textform Haiku und wie diese mit dem haikai verknüpft ist, vgl. Shirane 1998, der ausgehend von Bashō für die Sinnhaftigkeit und den hohen Formcharakter des Haiku argumentiert.</ref>
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Teicherts Interpretation versteht Fichtes ethnopoetisches Schreiben jedoch analog zur Form des Haiku und damit nicht als sinnvolle Beschreibung eines Sachverhalts, sondern als dezidiert anti-deskriptive Momentaufnahme. Teicherts Haiku-Verständnis basiert dabei jedoch auf Barthes Interpretation, die ihrerseits nicht unproblematisch ist.<ref> Wenngleich interessant, kann hier en detail nicht darauf eingegangen werden. Zu einer historischen Analyse der Textform Haiku und wie diese mit dem haikai verknüpft ist, vgl. Shirane 1998, der ausgehend von Bashō für die Sinnhaftigkeit und den hohen Formcharakter des Haiku argumentiert.</ref>
    
Hans-Jürgen Heinrichs Studie (1991) andererseits erweckt aufgrund ihres Titels, der ein direktes Zitat aus Fichtes Roman darstellt ("Die Djemma el-Fna geht durch mich hindurch"), im ersten Moment den Eindruck, dass es sich dabei hauptsächlich um die Lektüre des *Platz der Gehenkten* handelt. Allerdings widmet er sich dem Roman tatsächlich nur in einem Kapitel am Ende des Buchs, das größtenteils einen anderen Roman Fichtes, nämlich *Forschungsbericht*, bespricht (der Vollständigkeit halber soll Heinrichs Buch hier trotzdem erwähnt werden).
 
Hans-Jürgen Heinrichs Studie (1991) andererseits erweckt aufgrund ihres Titels, der ein direktes Zitat aus Fichtes Roman darstellt ("Die Djemma el-Fna geht durch mich hindurch"), im ersten Moment den Eindruck, dass es sich dabei hauptsächlich um die Lektüre des *Platz der Gehenkten* handelt. Allerdings widmet er sich dem Roman tatsächlich nur in einem Kapitel am Ende des Buchs, das größtenteils einen anderen Roman Fichtes, nämlich *Forschungsbericht*, bespricht (der Vollständigkeit halber soll Heinrichs Buch hier trotzdem erwähnt werden).
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* Fichte, Hubert. 1989. Der Platz der Gehenkten. Herausgegeben von Gisela Lindemann und Leonore Mau. Bd. VI. Die Geschichte der Empfindlichkeit. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag. (Zitate sind dieser Ausgabe entnommen).
 
* Fichte, Hubert. 1989. Der Platz der Gehenkten. Herausgegeben von Gisela Lindemann und Leonore Mau. Bd. VI. Die Geschichte der Empfindlichkeit. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag. (Zitate sind dieser Ausgabe entnommen).
 
* Fichte, Hubert 2006 Der Platz der Gehenkten. Herausgegeben von Gisela Lindemann und Leonore Mau. Bd. VI. Die Geschichte der Empfindlichkeit. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag
 
* Fichte, Hubert 2006 Der Platz der Gehenkten. Herausgegeben von Gisela Lindemann und Leonore Mau. Bd. VI. Die Geschichte der Empfindlichkeit. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag
=== Forschungsliteratur ===
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=== Sekundärliteratur ===
 
* Assmann, Aleida. 2018. Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 1. Auflage. C.H. Beck Paperback 6331. München: C.H. Beck.
 
* Assmann, Aleida. 2018. Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 1. Auflage. C.H. Beck Paperback 6331. München: C.H. Beck.
 
* Bandel, Jan-Frederik, Hrsg. 2006. Tage des Lesens: Hubert Fichtes Geschichte der Empfindlichkeit. Bd. Bd. 42. Rimbaud-Taschenbuch. Aachen: Rimbaud.
 
* Bandel, Jan-Frederik, Hrsg. 2006. Tage des Lesens: Hubert Fichtes Geschichte der Empfindlichkeit. Bd. Bd. 42. Rimbaud-Taschenbuch. Aachen: Rimbaud.
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== Anmerkungen ==
 
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<references />
 
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Zitiervorschlag für diesen Artikel:
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Kerber, Alexander: "Der Platz der Gehenkten" (Alexander Kerber). In: Lexikon Traumkultur. Ein Wiki des Graduiertenkollegs "Europäische Traumkulturen", 2023; http://traumkulturen.uni-saarland.de/Lexikon-Traumkultur/index.php?title=%22Der_Platz_der_Gehenkten%22_(Hubert_Fichte)
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