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In diesem letzten Traum des Textes setzt sich Christa Wolf kritisch mit der Bedeutung einer weiblichen Emanzipation auseinander und platziert Kassandra zwischen zwei Gegen-Heldinnen: Penthesilea und Polyxena. Die eine wird als radikal beschrieben » Sie kämpfte nicht nur gegen die Griechen: gegen alle Männer« (K 152). Die kühne und furchteinflößende Frau greift jeden an und herrscht über die Trojaner, wie es noch nie ein Mann zuvor getan hat. Sie stachelt ihre Frauenbewegung zur Gewalt gegen alle Männer auf, nach dem Motto »lieber kämpfend sterben, als versklavt sein« (ebd.). Die Gewalt gegen Männer wird so weit getrieben, dass die Trojaner ihre Anhängerinnen verdächtigen, sie hätten ihre Ehemänner getötet. Im Gegensatz zu Kassandra, geht Penthesilea davon aus, dass das Schlachten von Menschen oder die Gewalt eine Männersprache sei, und dass diese nur durch dieses Mittel verändert werden können (K 153). Andererseits wird Polyxena als unterwürfige und resignierte Frau dargestellt. In dieser Hochphase des Krieges wird ein Plan von Männern entworfen, um Achill den schlimmsten Feind zu töten und dabei wird Polyxena als Lockvogel benutzt ohne Rücksicht auf die gravierenden Folgen auf ihre Person zu nehmen. Sie sollte Achill im Tempel locken unter dem Vorwand ihm zu vermählen und Paris würde ihn dann an der Ferse treffen, da wo er verletzlich ist. Doch vor der Durchführung des Plans kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Kassandra und König Priamos, so dass dieser Letztere zornig und böse aus einem langen Schweigen kommt.  Kassandra rebelliert sich gegen die Benutzung einer Frau, um den Feind zu töten und will Polyxenas Recht sowie ihr eigenes Recht als Frau verteidigen. Sie wird aber von ihrem Vater der Feinbegünstigung bezichtigt. (K 164). Letztendlich stimmt sie dem Plan zu und weigert sich nicht, dem Willen ihres Vaters zu gehorchen, als dieser ihr mitteilt, dass ein Verbündeter namens Eurypilos sie zur Frau haben möchte. Es folgt das Schicksal der Polyxena, die den Verstand verliert und vor Angst verrückt wird, weil die Griechen sie im Namen ihres größten Helden Achill suchen und sie schließlich durch den Verrat Androns finden. In diesem letzten Teil der Erzählung sind insbesondere die Züge einer weiblichen Utopie erkennbar. Dementsprechend bedeutet Emanzipation weder Töten und Sterben, wie Penthesilea es aufgefasst hat, noch sich allen Formen des Missbrauchs zu unterwerfen, wie es Polyxena getan hat, sondern das Leben auszuwählen, denn »Zwischen Töten und Sterben ist ein Drittes: Leben.« (K 154).
 
In diesem letzten Traum des Textes setzt sich Christa Wolf kritisch mit der Bedeutung einer weiblichen Emanzipation auseinander und platziert Kassandra zwischen zwei Gegen-Heldinnen: Penthesilea und Polyxena. Die eine wird als radikal beschrieben » Sie kämpfte nicht nur gegen die Griechen: gegen alle Männer« (K 152). Die kühne und furchteinflößende Frau greift jeden an und herrscht über die Trojaner, wie es noch nie ein Mann zuvor getan hat. Sie stachelt ihre Frauenbewegung zur Gewalt gegen alle Männer auf, nach dem Motto »lieber kämpfend sterben, als versklavt sein« (ebd.). Die Gewalt gegen Männer wird so weit getrieben, dass die Trojaner ihre Anhängerinnen verdächtigen, sie hätten ihre Ehemänner getötet. Im Gegensatz zu Kassandra, geht Penthesilea davon aus, dass das Schlachten von Menschen oder die Gewalt eine Männersprache sei, und dass diese nur durch dieses Mittel verändert werden können (K 153). Andererseits wird Polyxena als unterwürfige und resignierte Frau dargestellt. In dieser Hochphase des Krieges wird ein Plan von Männern entworfen, um Achill den schlimmsten Feind zu töten und dabei wird Polyxena als Lockvogel benutzt ohne Rücksicht auf die gravierenden Folgen auf ihre Person zu nehmen. Sie sollte Achill im Tempel locken unter dem Vorwand ihm zu vermählen und Paris würde ihn dann an der Ferse treffen, da wo er verletzlich ist. Doch vor der Durchführung des Plans kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Kassandra und König Priamos, so dass dieser Letztere zornig und böse aus einem langen Schweigen kommt.  Kassandra rebelliert sich gegen die Benutzung einer Frau, um den Feind zu töten und will Polyxenas Recht sowie ihr eigenes Recht als Frau verteidigen. Sie wird aber von ihrem Vater der Feinbegünstigung bezichtigt. (K 164). Letztendlich stimmt sie dem Plan zu und weigert sich nicht, dem Willen ihres Vaters zu gehorchen, als dieser ihr mitteilt, dass ein Verbündeter namens Eurypilos sie zur Frau haben möchte. Es folgt das Schicksal der Polyxena, die den Verstand verliert und vor Angst verrückt wird, weil die Griechen sie im Namen ihres größten Helden Achill suchen und sie schließlich durch den Verrat Androns finden. In diesem letzten Teil der Erzählung sind insbesondere die Züge einer weiblichen Utopie erkennbar. Dementsprechend bedeutet Emanzipation weder Töten und Sterben, wie Penthesilea es aufgefasst hat, noch sich allen Formen des Missbrauchs zu unterwerfen, wie es Polyxena getan hat, sondern das Leben auszuwählen, denn »Zwischen Töten und Sterben ist ein Drittes: Leben.« (K 154).
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==='''Zusammenfassung'''===
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=='''Zusammenfassung'''==
 
Insgesamt lassen sich in der Erzählstruktur von ''Kassandra'' neun Träume herausheben. Die integrierten Träume dienen einerseits der mythologischen Prophetie oder der Vorhersage von Ereignissen, da die Götter über die Träume mit den Menschen in Kontakt treten. In diesem Fall werden einige Träume zu Deutungs- und Vorhersagezwecken in die mythologische Fabel, die der Erzählung zugrunde liegt, eingefügt. Der Traum von der Geburt von Paris, dem verfluchten Sohn des Priamos, kann beispielsweise als spannungssteigernde Prolepse interpretiert werden, deren Bewertung sich im Laufe der Handlung von einer unsicheren zu einer sicheren Vorhersage ändert.  Andererseits dienen Träume der Charakterisierung von Figuren oder der Deutung ihrer Persönlichkeit. Da Kassandras Ringen um Autonomie im Mittelpunkt der Erzählung steht, ermöglichen die Träume einen Einblick in ihre Person und offenbaren ihre persönlichen Ängste und inneren Konflikte. Die Beschreibung ihrer Träume und Krisen nimmt einen großen Raum ein, ebenso wie die Reflexionen über die Sprache und ihren Gebrauch oder Missbrauch. All dies ist mit einer zunehmenden Selbstkritik verbunden, die es Kassandra ermöglicht, offen und schonungslos über ihre Wünsche, Zweifel, Ängste, Hoffnungen und ihr eigenes Verhalten nachzudenken. Die Träume drücken auch einen Teil der unterbewussten Verarbeitung der Gegenwart sowie der Fantasien und Ängste durch die Autorin Christa Wolf aus. Angesichts des Entmythologisierungsprozesses, dem Kassandra unterzogen wird, sind die kontroversen Traumdeutungen ein Zeichen für einen entscheidenden Bruch mit Determinismus und Dogmatismus, da Träume anders interpretiert werden als in früheren Jahrhunderten, als die Menschen ihnen aufgrund ihres Glaubens eine größere Bedeutung beimaßen. Abgesehen von diesen Aspekten erweist sich die Integration von Träumen in die Erzählung als eine Arbeitstechnik von Christa Wolf, eine Ästhetik, die sie sich angeeignet hat, um ihre Art zu schreiben und zu denken zum Ausdruck zu bringen. Diese Technik entfaltet ein riesiges Netz, in dem Ereignisse und Figuren immer wieder in einem neuen Licht erscheinen, sich durch Selbstreflexion weiterentwickeln und so ihr Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart überprüfen. Wie Nicolai Rosemarie treffend hervorgehoben hat, stellen die Träume Berührungspunkte in den Assoziationswegen des Textes dar, Knotenpunkte der immanenten und umfassenden Symbolik des Werkes. In ihrer vielfältigen und fast unveränderlichen Bildwelt bieten diese Träume einen attraktiven Zugang zu Christa Wolfs Kunstwerk (Vgl. Nicolai 1989, 84).
 
Insgesamt lassen sich in der Erzählstruktur von ''Kassandra'' neun Träume herausheben. Die integrierten Träume dienen einerseits der mythologischen Prophetie oder der Vorhersage von Ereignissen, da die Götter über die Träume mit den Menschen in Kontakt treten. In diesem Fall werden einige Träume zu Deutungs- und Vorhersagezwecken in die mythologische Fabel, die der Erzählung zugrunde liegt, eingefügt. Der Traum von der Geburt von Paris, dem verfluchten Sohn des Priamos, kann beispielsweise als spannungssteigernde Prolepse interpretiert werden, deren Bewertung sich im Laufe der Handlung von einer unsicheren zu einer sicheren Vorhersage ändert.  Andererseits dienen Träume der Charakterisierung von Figuren oder der Deutung ihrer Persönlichkeit. Da Kassandras Ringen um Autonomie im Mittelpunkt der Erzählung steht, ermöglichen die Träume einen Einblick in ihre Person und offenbaren ihre persönlichen Ängste und inneren Konflikte. Die Beschreibung ihrer Träume und Krisen nimmt einen großen Raum ein, ebenso wie die Reflexionen über die Sprache und ihren Gebrauch oder Missbrauch. All dies ist mit einer zunehmenden Selbstkritik verbunden, die es Kassandra ermöglicht, offen und schonungslos über ihre Wünsche, Zweifel, Ängste, Hoffnungen und ihr eigenes Verhalten nachzudenken. Die Träume drücken auch einen Teil der unterbewussten Verarbeitung der Gegenwart sowie der Fantasien und Ängste durch die Autorin Christa Wolf aus. Angesichts des Entmythologisierungsprozesses, dem Kassandra unterzogen wird, sind die kontroversen Traumdeutungen ein Zeichen für einen entscheidenden Bruch mit Determinismus und Dogmatismus, da Träume anders interpretiert werden als in früheren Jahrhunderten, als die Menschen ihnen aufgrund ihres Glaubens eine größere Bedeutung beimaßen. Abgesehen von diesen Aspekten erweist sich die Integration von Träumen in die Erzählung als eine Arbeitstechnik von Christa Wolf, eine Ästhetik, die sie sich angeeignet hat, um ihre Art zu schreiben und zu denken zum Ausdruck zu bringen. Diese Technik entfaltet ein riesiges Netz, in dem Ereignisse und Figuren immer wieder in einem neuen Licht erscheinen, sich durch Selbstreflexion weiterentwickeln und so ihr Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart überprüfen. Wie Nicolai Rosemarie treffend hervorgehoben hat, stellen die Träume Berührungspunkte in den Assoziationswegen des Textes dar, Knotenpunkte der immanenten und umfassenden Symbolik des Werkes. In ihrer vielfältigen und fast unveränderlichen Bildwelt bieten diese Träume einen attraktiven Zugang zu Christa Wolfs Kunstwerk (Vgl. Nicolai 1989, 84).
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==='''Träume und weibliche Utopie des Romans'''===
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=='''Träume und weibliche Utopie des Romans'''==
 
Die weibliche Utopie manifestiert sich zunächst auf sprachlicher Ebene. Die Erzählform, die Christa Wolf auswählt, weist auf eine Ästhetik des Widerstands hin. In ''Kassandra'' werden Themen des feministischen Strukturalismus von Julia Kristeva und Helene Cixous wieder aufgegriffen (Vgl. Schmidjell 2003, 106). Christa Wolf kritisiert die bestehenden patriarchalen Verhältnisse und verklärt die Wirklichkeit, indem sie in eine bessere Zukunft voller Optimismus blickt. Die formale Vielfalt, von der ihre Erzählung zeugt, ist ein legitimiertes Schreibexperiment, das eine Subjektivierung des Erzählaktes bedeuten soll.<sup>3</sup> Auf der Ebene der Zeitgeschichte sind die Philosophen wie Ernst Bloch und Walter Benjamin intertextuell erwähnenswert. Am Leben in der Gemeinschaft der Skamander zeigt sich das Utopisch-Sozialistische in der Identitätssuche der Protagonistin bzw. in der Idee ihrer Selbstverwirklichung. Das Leben am Skamander erscheint als Gegenpol zur apokalyptischen Troja-Welt geleitet von einer Machtpolitik, die Nachrüstung und Menschenvernichtung befördert. Die untereinander ausgelebte Solidarität und Zärtlichkeit kontrastieren mit den in Troja vorherrschenden Angst und Furcht. Auch wenn Christa Wolf eher Ernst Bloch nahesteht, sind strukturelle Ähnlichkeiten mit Walter Benjamins Geschichtsphilosophie nicht zu übersehen. In ihrer Prosa zeigt Christa Wolf gesellschaftliche Widersprüche auf und verbindet dies mit dem Anspruch, ihre Zeitgenossen aufzuklären (Vgl. Schmiedjell 2003, 133). Dies geschieht durch die Rekonstruktion eines offenen Gedächtnisses, in dem das bislang Verdrängte und Unterdrückte zu Wort kommt. Die Kritik nimmt hier also die Form eines fiktiven Monologs an. Auf diese Weise setzt sich Christa Wolf kritisch mit der Gesellschaft auseinander, an der sie auf produktive und kritische Weise teilnimmt.
 
Die weibliche Utopie manifestiert sich zunächst auf sprachlicher Ebene. Die Erzählform, die Christa Wolf auswählt, weist auf eine Ästhetik des Widerstands hin. In ''Kassandra'' werden Themen des feministischen Strukturalismus von Julia Kristeva und Helene Cixous wieder aufgegriffen (Vgl. Schmidjell 2003, 106). Christa Wolf kritisiert die bestehenden patriarchalen Verhältnisse und verklärt die Wirklichkeit, indem sie in eine bessere Zukunft voller Optimismus blickt. Die formale Vielfalt, von der ihre Erzählung zeugt, ist ein legitimiertes Schreibexperiment, das eine Subjektivierung des Erzählaktes bedeuten soll.<sup>3</sup> Auf der Ebene der Zeitgeschichte sind die Philosophen wie Ernst Bloch und Walter Benjamin intertextuell erwähnenswert. Am Leben in der Gemeinschaft der Skamander zeigt sich das Utopisch-Sozialistische in der Identitätssuche der Protagonistin bzw. in der Idee ihrer Selbstverwirklichung. Das Leben am Skamander erscheint als Gegenpol zur apokalyptischen Troja-Welt geleitet von einer Machtpolitik, die Nachrüstung und Menschenvernichtung befördert. Die untereinander ausgelebte Solidarität und Zärtlichkeit kontrastieren mit den in Troja vorherrschenden Angst und Furcht. Auch wenn Christa Wolf eher Ernst Bloch nahesteht, sind strukturelle Ähnlichkeiten mit Walter Benjamins Geschichtsphilosophie nicht zu übersehen. In ihrer Prosa zeigt Christa Wolf gesellschaftliche Widersprüche auf und verbindet dies mit dem Anspruch, ihre Zeitgenossen aufzuklären (Vgl. Schmiedjell 2003, 133). Dies geschieht durch die Rekonstruktion eines offenen Gedächtnisses, in dem das bislang Verdrängte und Unterdrückte zu Wort kommt. Die Kritik nimmt hier also die Form eines fiktiven Monologs an. Auf diese Weise setzt sich Christa Wolf kritisch mit der Gesellschaft auseinander, an der sie auf produktive und kritische Weise teilnimmt.
  

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