Film und Traum (1900-1930): Unterschied zwischen den Versionen
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Film und Traum (1900-1930) (Quelltext anzeigen)
Version vom 10. Oktober 2019, 04:34 Uhr
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Es ist ein spannender Zufall, dass vor etwa 120 Jahren gleich zwei 'Revolutionen' nahezu gleichzeitig | Es ist ein spannender Zufall, dass vor etwa 120 Jahren gleich zwei 'Revolutionen' nahezu gleichzeitig stattfinden – eine technologische und eine psychologische: Während sich der Film durch technische Fortschritte (etwa dem Kinematographen) als neues Medium entwickelt, veröffentlicht Sigmund Freud (1856–1939) seine wegweisende ''Traumdeutung'' (vordatiert auf das Jahr 1900) und verändert damit das westliche Verständnis vom nächtlichen Träumen radikal. | ||
Denn wurden Träume im Jahrhundert zuvor noch häufig als von außen gesandte Botschaften verstanden (denke man etwa an die Figur des 'Nachtmahrs', beispielsweise in Johann Heinrich Füsslis Gemälde von 1781) und dementsprechend prophetisch gedeutet, bestimmen jetzt innerpsychische Vorgänge das diskursive Wissen über dieses mysteriöse nächtliche Phänomen. Dessen stark symbolischer Charakter wird nun als eine hochkreative Verarbeitung des Wachlebens begriffen, was erstmals in dieser Form die unbewussten Vorgänge in der Psyche hervorhebt. | Denn wurden Träume im Jahrhundert zuvor noch häufig als von außen gesandte Botschaften verstanden (denke man etwa an die Figur des 'Nachtmahrs', beispielsweise in Johann Heinrich Füsslis Gemälde von 1781) und dementsprechend prophetisch gedeutet, bestimmen jetzt innerpsychische Vorgänge das diskursive Wissen über dieses mysteriöse nächtliche Phänomen. Dessen stark symbolischer Charakter wird nun als eine hochkreative Verarbeitung des Wachlebens begriffen, was erstmals in dieser Form die unbewussten Vorgänge in der Psyche hervorhebt. | ||
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==Ein "Ersatz für die Träume"== | ==Ein "Ersatz für die Träume"== | ||
Freuds Schreibzeit in den Jahren vor 1900 ist von einer einflussreichen Medienrevolution geprägt, da | Freuds Schreibzeit in den Jahren vor 1900 ist von einer einflussreichen Medienrevolution geprägt, da 1895 relativ synchron in Paris (durch die Brüder Auguste und Louis Lumière) und Berlin (durch die Brüder Max und Emil Skladanowsky) erstmals kurze Filmvorführungen stattfinden. Zwar sind diese zunächst aufgrund der technischen Beschränkung nur wenige Sekunden lang und zumeist innerhalb eines Varieté-Programms eingebettet, doch stellen die 'bewegten Bilder' offensichtlich eine Herausforderung für das damalige Publikum dar. Denn diese neue Technik der Kinematographie (aus dem altgriechischen "kinēma" = Bewegung und "gráphein" = schreiben) erscheint besonders 'authentisch', wie die (kaum zu verifizierende) Legende um den Kurzfilm ''L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat'' (1896) der Brüder Lumière zeigt: Die nur etwa eine Minute dauernde Sequenz eines in den Bahnhof La Ciotat einfahrenden Zuges soll zu einer Panik bei den Zuschauenden geführt haben – und das trotz der schwarz-weißen Bilder und des fehlenden Tons. | ||
Im Unterschied zum Theater (als wortwörtlichem Schau-spiel) wird dem vorgeführten Film also ein starker Realismus zugesprochen, wie in ähnlicher Weise bereits der Fotografie sieben Jahrzehnte zuvor. Denn schon dieses technische Verfahren der Belichtung einer behandelten Metallplatte ("phōs" = Licht, "gráphein" = schreiben) ist als besonders 'objektive' Darstellungsweise gelobt worden (William Talbot sprach dementsprechend vom "pencil of nature"), und ohnehin lehnt sich der Film nun – als eine Aneinanderreihung von fotografischen Einzelbildern zur Illusion einer Bewegung – an diesen Vorläufer an. | Im Unterschied zum Theater (als wortwörtlichem Schau-spiel) wird dem vorgeführten Film also ein starker Realismus zugesprochen, wie in ähnlicher Weise bereits der Fotografie sieben Jahrzehnte zuvor. Denn schon dieses technische Verfahren der Belichtung einer behandelten Metallplatte ("phōs" = Licht, "gráphein" = schreiben) ist als besonders 'objektive' Darstellungsweise gelobt worden (William Talbot sprach dementsprechend vom "pencil of nature"), und ohnehin lehnt sich der Film nun – als eine Aneinanderreihung von fotografischen Einzelbildern zur Illusion einer Bewegung – an diesen Vorläufer an. | ||
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==Filme== | ==Filme== | ||
* Epstein, Jean, La Glace à trois faces (F, 1927); . | |||
* Auguste und Louis Lumière, L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat (Frankreich, 1896);. | * Auguste und Louis Lumière, L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat (Frankreich, 1896);. | ||
* Georges Méliès | * Georges Méliès, ''Le Voyage dans la Lune'' von 1902 | ||
* Porter, Edwin S., ''Life of an American Fireman'' (USA, 1903); . | * Porter, Edwin S., ''Life of an American Fireman'' (USA, 1903); . | ||
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==Forschungsliteratur== | ==Forschungsliteratur== | ||
* Brütsch, Matthias: Dream Screen? Die Film/Traum-Analogie im theoriegeschichtlichen Kontext. In: Winfried Pauleit et al. (Hg.): Das Kino träumt. Projektion, Imagination, Vision. Berlin: Bertz + Fischer 2009, 20–49. | * Brütsch, Matthias: Dream Screen? Die Film/Traum-Analogie im theoriegeschichtlichen Kontext. In: Winfried Pauleit et al. (Hg.): Das Kino träumt. Projektion, Imagination, Vision. Berlin: Bertz + Fischer 2009, 20–49. | ||
* Brütsch, Matthias: Traumbühne Kino. Der Traum als filmtheoretische Metapher und narratives Motiv. Marburg: Schüren 2011. | |||
* Koebner, Thomas: Von Träumen im Film. Visionen einer anderen Wirklichkeit. Marburg: Schüren 2018. | |||
* Kreuzer, Stefanie: Traum und Erzählen in Literatur, Film und Kunst. Paderborn: Fink 2014. | |||
* Rascaroli, Laura: Like a Dream. A Critical History of the Oneiric Metaphor in Film Theory. In: Kinema 18 (2002), 5–22. | * Rascaroli, Laura: Like a Dream. A Critical History of the Oneiric Metaphor in Film Theory. In: Kinema 18 (2002), 5–22. | ||
* Seeßlen, Georg und Fernand Jung: Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films. Band 1. Marburg: Schüren 2003. | * Seeßlen, Georg und Fernand Jung: Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films. Band 1. Marburg: Schüren 2003. |