"Spellbound" (Alfred Hitchcock): Unterschied zwischen den Versionen
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"Spellbound" (Alfred Hitchcock) (Quelltext anzeigen)
Version vom 20. Februar 2022, 10:42 Uhr
, 20. Februar 2022→Produktion und Rezeption
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Selznick hatte Hitchcock bereits für ''Rebecca'' (1940) – basierend auf dem Roman von Daphne du Maurier (1907–1989) war es der erste US-amerikanische Spielfilm für den britischen Regisseur – gewinnen können, der im folgenden Jahr auch mit dem Oscar für den "Besten Film" ausgezeichnet wurde. | Selznick hatte Hitchcock bereits für ''Rebecca'' (1940) – basierend auf dem Roman von Daphne du Maurier (1907–1989) war es der erste US-amerikanische Spielfilm für den britischen Regisseur – gewinnen können, der im folgenden Jahr auch mit dem Oscar für den "Besten Film" ausgezeichnet wurde. | ||
Das Drehbuch zu ''Spellbound'' geht auf den Roman ''The House of Dr. Edwardes'' der Schriftsteller John Palmer (1885–1944) und Hilary A. Saunders (1898–1951) zurück, der 1927 unter dem gemeinsamen Pseudonym "Francis Beeding" erschien | Das Drehbuch zu ''Spellbound'' geht auf den Roman ''The House of Dr. Edwardes'' der Schriftsteller John Palmer (1885–1944) und Hilary A. Saunders (1898–1951) zurück, der 1927 unter dem gemeinsamen Pseudonym "Francis Beeding" erschien und dessen Filmrechte sich Hitchcock bereits gesichert hatte. Noch in London schreibt er gemeinsam mit Angus McPhail (1903–1962) am Drehbuch für diesen 'nonwar movie' (Auiler 2001, 96) – neben ''Suspicion'' und ''Shadow of a Doubt'' eine von nur drei Hitchock-Produktionen zwischen 1940 und 1945, die nicht im Zeichen des Weltkrieges steht. In den USA setzt Hitchcock die Arbeit am Script dann mit Ben Hecht (1894–1964) fort; dabei nimmt sich die filmische Überarbeitung doch zahlreiche Freiheiten, denn Hitchcock und seine Drehbuchautoren "added a love story to the novel's mystery plot and scrapped nearly everything else except the basic concept of a madman taking over an asylum" (Billheimer 2019, 111). | ||
Das Ergebnis kündigt Hitchcock im Trailer zum Film als "a story about minds – about what happens to them when they are disturbed by real, or imaginary things" (zit. n. Auiler 2001, 558 | Das Ergebnis kündigt Hitchcock im Trailer zum Film an als "a story about minds – about what happens to them when they are disturbed by real, or imaginary things" (zit. n. Auiler 2001, 558.<ref>Das gesamte Trailer-Skript ist leicht erreichbar über: Nándor Bokor/Alain Kerzoncuf: Alfred Hitchcock’s Trailers, Part II. In: Senses of Cinema 36 (2005); https://www.sensesofcinema.com/2005/feature-articles/hitchcocks_trailers_part2/, Abschnitt III. Curiosities.</ref> Nach seiner Premiere am 31. Oktober 1945 in New York City erhielt ''Spellbound'' sechs Oscar-Nominierungen und war bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb vertreten; in den westdeutschen Kinos lief der Film erst 1952 unter dem Titel "Ich kämpfe um Dich". | ||
===Psychoanalyse=== | ===Psychoanalyse=== | ||
In den USA wurde die Freud'sche Psychoanalyse zunächst fast ausschließlich von der wohlhabenden Mittelschicht rezipiert, und so finden sich psychotherapeutische Praxen vor allem an Ost- und Westküste. Durch aus Europa emigrierte Filmschaffende wie Billy Wilder, Fritz Lang, Robert Siodmak, Otto Preminger oder Douglas Sirk wiederum hält die Psychoanalyse schließlich auch Einzug in künstlerische Kreise (vgl. Biesen 2014, 58). Der breiten Bevölkerung jedoch bleiben Freud und seine Theorien noch eher fremd, weshalb deren Darstellung im Film zunächst riskant scheint (vgl. Billheimer 2019, 110f.) – und auch die aufkommende Filmzensur lässt nur einen bedingten Spielraum in der Inszenierung psychischer Probleme oder traumatischer Ereignisse zu (vgl. "The 1930 Production Code" 2000, 303f.). | In den USA wurde die Freud'sche Psychoanalyse zunächst fast ausschließlich von der wohlhabenden Mittelschicht rezipiert, und so finden sich psychotherapeutische Praxen vor allem an Ost- und Westküste. Durch aus Europa emigrierte Filmschaffende wie Billy Wilder, Fritz Lang, Robert Siodmak, Otto Preminger oder Douglas Sirk wiederum hält die Psychoanalyse schließlich auch Einzug in künstlerische Kreise (vgl. Biesen 2014, 58). Der breiten Bevölkerung jedoch bleiben Freud und seine Theorien noch eher fremd, weshalb deren Darstellung im Film zunächst riskant scheint (vgl. Billheimer 2019, 110f.) – und auch die aufkommende Filmzensur lässt nur einen bedingten Spielraum in der Inszenierung psychischer Probleme oder traumatischer Ereignisse zu (vgl. "The 1930 Production Code" 2000, 303f.). | ||
Dies ändert sich erst mit dem Erfolg von ''[[Film und Traum (1930-1960)|Lady in the Dark]]'' (1941/44) – und Selznick (der sich selbst in Psychotherapie befindet) möchte mit einer Filmversion von ''The House of Dr. Edwardes'' nachziehen, wobei der abweichende Titel offenbar von "one of Selznick's secretaries" (Spoto 1983, 274) vorgeschlagen wurde. Der Produzent holt dafür seine eigene Psychoanalytikerin als Beraterin an das Filmset (vgl. Krohn 2010, 46): Die aus Russland in die USA emigrierte May E. Romm, M.D. ist "one of Los Angeles's top psychiatrists" (Pomerance 2004, 60), als "Queen of Couch Canyon" (Gross 2017, 208) sogar "one of Hollywood's most famous shrinks" (Rabkin 1998, 119), und wird auch als "Psychiatric Advisor" im Vorspann des Films angeführt (vgl. 00:05:04). Immer wieder musste sich Hitchcock dabei offenbar gegen die Forderungen von Selznick und Romm nach einer 'schulgerecht freudianischen' Darstellung von Psychoanalyse und Traumdeutung (vgl. Engel 2017, 41) durchsetzen, und rückblickend bemerkte der Regisseur im Gespräch mit François Truffaut: "Mon intention était plus raisonnable, je voulais seulement tourner le premier film de psychoanalyse | Dies ändert sich erst mit dem Erfolg von ''[[Film und Traum (1930-1960)|Lady in the Dark]]'' (1941/44) – und Selznick (der sich selbst in Psychotherapie befindet) möchte mit einer Filmversion von ''The House of Dr. Edwardes'' nachziehen, wobei der abweichende Titel offenbar von "one of Selznick's secretaries" (Spoto 1983, 274) vorgeschlagen wurde. Der Produzent holt dafür seine eigene Psychoanalytikerin als Beraterin an das Filmset (vgl. Krohn 2010, 46): Die aus Russland in die USA emigrierte May E. Romm, M.D. ist "one of Los Angeles's top psychiatrists" (Pomerance 2004, 60), als "Queen of Couch Canyon" (Gross 2017, 208) sogar "one of Hollywood's most famous shrinks" (Rabkin 1998, 119), und wird auch als "Psychiatric Advisor" im Vorspann des Films angeführt (vgl. 00:05:04). Immer wieder musste sich Hitchcock dabei offenbar gegen die Forderungen von Selznick und Romm nach einer 'schulgerecht freudianischen' Darstellung von Psychoanalyse und Traumdeutung (vgl. Engel 2017, 41) durchsetzen, und rückblickend bemerkte der Regisseur im Gespräch mit François Truffaut: "Mon intention était plus raisonnable, je voulais seulement tourner le premier film de psychoanalyse" (Truffaut 1983, 135). | ||
Auch wenn dieser Anspruch filmgeschichtlich kaum haltbar sein dürfte – so trug etwa bereits Georg Wilhelm Pabsts ''Geheimnisse einer Seele'' (1926) den Untertitel "Psychoanalytischer Film" (Sierek 2006, 42) und nutzte die Freud'schen Verfahren zur kriminalistischen Aufdeckung (Treppner 1988, 170) –, so vermischt Hitchcock doch Elemente des Psychothrillers (ein psychisch Kranker übernimmt unter falschem Namen die Leitung einer Klinik) und des Krimis (das darunterliegende Verbrechen wird enttarnt) thematisch und bildästhetisch mit Ansätzen der Psychoanalyse. | Auch wenn dieser Anspruch filmgeschichtlich kaum haltbar sein dürfte – so trug etwa bereits Georg Wilhelm Pabsts ''Geheimnisse einer Seele'' (1926) den Untertitel "Psychoanalytischer Film" (Sierek 2006, 42) und nutzte die Freud'schen Verfahren zur kriminalistischen Aufdeckung (Treppner 1988, 170) –, so vermischt Hitchcock doch Elemente des Psychothrillers (ein psychisch Kranker übernimmt unter falschem Namen die Leitung einer Klinik) und des Krimis (das darunterliegende Verbrechen wird enttarnt) thematisch und bildästhetisch mit Ansätzen der Psychoanalyse. | ||
===Traum=== | ===Traum=== | ||
Aus heutiger Sicht dürfte sich ''Spellbound'' wohl vor allem wegen der innovativen Traumsequenzen in die Filmgeschichte eingeschrieben haben, während der eigentliche Plot als "eine banale Liebesgeschichte in psychoanalytischer Verkleidung" logisch "viele Schwachstellen" (Jendricke 1999, 79) aufweise. Und auch von der einschlägigen Hitchcock-Forschung wird der Film um das damalige "Modethema Psychoanalyse" als "eher langweilig" (Duncan 2003, 104) abgetan und letztlich sogar als | Aus heutiger Sicht dürfte sich ''Spellbound'' wohl vor allem wegen der innovativen Traumsequenzen in die Filmgeschichte eingeschrieben haben, während der eigentliche Plot als "eine banale Liebesgeschichte in psychoanalytischer Verkleidung" logisch "viele Schwachstellen" (Jendricke 1999, 79) aufweise. Und auch von der einschlägigen Hitchcock-Forschung wird der Film um das damalige "Modethema Psychoanalyse" als "eher langweilig" (Duncan 2003, 104) abgetan und letztlich sogar bezeichnet als ein "waghalsiger und mißglückter Versuch, […] die Psychoanalyse in das Suspense-Spiel einzubinden" (Desalm 1999, 56). | ||
Doch war es offenbar Hitchcock, der Selznick sowohl überzeugen konnte, die ursprüngliche Romanhandlung zu "a thriller in which psychoanalysis solved a mystery" (Spoto 1983, 272) | Doch war es offenbar Hitchcock, der Selznick sowohl überzeugen konnte, die ursprüngliche Romanhandlung umzuschreiben zu "a thriller in which psychoanalysis solved a mystery" (Spoto 1983, 272) wie auch den surrealistischen Maler Salvador Dalí für die Traumszenen zu verpflichten, "der seine surrealistischen, durch die Psychoanalyse angeregten Bilder als 'handgemalte Traumphotographien' bezeichnet hat" (Schmidt 2011, 113). Hitchcock, der der "tradition des rêves de cinéma qui sont habituellement brumeux et confus" nun eine Inszenierung "avec des traits aigus et clairs" (Truffaut 1983, 137) entgegenstellen wollte, findet in Dalí damit einen engagierten Künstler, der erste Entwürfe in seiner 'eigenen' Zeitung, der ''Dalí News'', bespricht: Neben zahlreichen Selbstzitaten – auf seine Malerei wie auch auf den surrealistischen Film [["Un chien andalou" (Luis Buñuel)|''Un Chien Andalou'']] (1929), etwa im Zerschneiden der Augen (vgl. Engel 2017, 41) – plante er dabei offenbar, 15 Klaviere von der Studiodecke zu hängen (vgl. "The Eye" 2000, 152). Aus Kostengründen wurden Dalís Entwürfe schließlich aber lediglich in 'verkleinerten' Studioaufnahmen umgesetzt und später sogar auf nur einige wenige Minuten zusammengeschnitten (vgl. Engel 2017, 39f.). | ||
===Soundtrack=== | ===Soundtrack=== | ||
Aus anderer Sicht wegweisend war ''Spellbound'' – neben den am Ende deutlich gekürzten Traumszenen – auch für die innovative Musik des ungarischen Komponisten Miklós Rózsa (1907–1995), besonders im Einsatz des sogenannten "Aetherophons": Dabei war Rózsa zwar nicht Erfinder des Theremins – namensgebend war der russische Physiker Leon Theremin (1896–1993) –, wohl aber der erste Filmkomponist, der gut zweieinhalb Jahrzehnte nach der Entwicklung des elektronischen | Aus anderer Sicht wegweisend war ''Spellbound'' – neben den am Ende deutlich gekürzten Traumszenen – auch für die innovative Musik des ungarischen Komponisten Miklós Rózsa (1907–1995), besonders im Einsatz des sogenannten "Aetherophons": Dabei war Rózsa zwar nicht Erfinder des Theremins – namensgebend war der russische Physiker Leon Theremin (1896–1993) –, wohl aber der erste Filmkomponist, der gut zweieinhalb Jahrzehnte nach der Entwicklung des elektronischen Musikinstrumentes damit den Soundtrack für ''Spellbound'' sowie gleichzeitig für den Film ''The Lost Weekend'' (1945) von Regisseur Billy Wilder (1906–2002) komponierte. Dort wurde das Theremin ebenfalls zur musikalischen Untermalung von Alptraumszenen eingesetzt – den Oscar konnte Rózsa jedoch für den Soundtrack von ''Spellbound'' gewinnen. | ||
Die Filmmusik zeichnet sich dabei durch zwei musikalische Motive aus, die eng mit den beiden Hauptfiguren verbunden sind: "Der unstete Klang des Theremins spiegelt im vom Tritonus geprägten Paranoiamotiv die Ängste und Identitätskrisen von John Ballantyne wider", während hingegen das "romantisch schwelgende, großangelegte und streicherdominierte Liebesmotiv" (Bullerjahn 2013, 129) der Psychiaterin Constance Petersen zugeordnet ist. Drückt bereits ihr Name symbolisch eine 'kühle' Ruhe aus, ist es vor allem die mehrfach eine neue Identität annehmende männliche Figur, die im Verlauf der Filmhandlung eine Wandlung durchmacht – auch musikalisch, denn: "Mit Ballantynes Heilung verstummt das Theremin | Die Filmmusik zeichnet sich dabei durch zwei musikalische Motive aus, die eng mit den beiden Hauptfiguren verbunden sind: "Der unstete Klang des Theremins spiegelt im vom Tritonus geprägten Paranoiamotiv die Ängste und Identitätskrisen von John Ballantyne wider", während hingegen das "romantisch schwelgende, großangelegte und streicherdominierte Liebesmotiv" (Bullerjahn 2013, 129) der Psychiaterin Constance Petersen zugeordnet ist. Drückt bereits ihr Name symbolisch eine 'kühle' Ruhe aus, ist es vor allem die mehrfach eine neue Identität annehmende männliche Figur, die im Verlauf der Filmhandlung eine Wandlung durchmacht – auch musikalisch, denn: "Mit Ballantynes Heilung verstummt das Theremin" (ebd.). | ||
Tatsächlich jedoch konnte Rózsa aufgrund der Kürzungen in den filmischen Traumszenen sowie weiterer Verzögerungen im Produktionsverlauf überhaupt erst unmittelbar vor der Veröffentlichung des Films die Musik im September 1945 komponieren und dann einspielen (vgl. Platte 2018, 248). | Tatsächlich jedoch konnte Rózsa aufgrund der Kürzungen in den filmischen Traumszenen sowie weiterer Verzögerungen im Produktionsverlauf überhaupt erst unmittelbar vor der Veröffentlichung des Films die Musik im September 1945 komponieren und dann einspielen (vgl. Platte 2018, 248). | ||
Doch nach ''Spellbound'' und ''The Lost Weekend'' bekam der geheimnisvolle Klang des Theremins eine sehr einseitige Konnotation und begründete die "unglückliche Assoziation von elektronischer Musik und psychischer Krankheit, die sich im weiteren Verlauf des Films und im Hollywoodkino der folgenden Jahre fortsetzen sollte" (Bauck 1999, 150): Das Theremin wurde, wie der Komponist Rózsa in seiner Autobiographie leicht ironisch bemerkt, fortan zum "official Hollywood mouthpiece of mental disorders" (Rózsa 1989, 128). | Doch nach ''Spellbound'' und ''The Lost Weekend'' bekam der geheimnisvolle Klang des Theremins eine sehr einseitige Konnotation und begründete die "unglückliche Assoziation von elektronischer Musik und psychischer Krankheit, die sich im weiteren Verlauf des Films und im Hollywoodkino der folgenden Jahre fortsetzen sollte" (Bauck 1999, 150): Das Theremin wurde, wie der Komponist Rózsa in seiner Autobiographie leicht ironisch bemerkt, fortan zum "official Hollywood mouthpiece of mental disorders" (Rózsa 1989, 128). | ||
==Film== | ==Film== |