"Träume" (Meret Oppenheim): Unterschied zwischen den Versionen
Zur Navigation springen
Zur Suche springen
"Träume" (Meret Oppenheim) (Quelltext anzeigen)
Version vom 18. April 2022, 08:20 Uhr
, 18. April 2022keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
''Träume. Aufzeichnungen 1928-1985'' sind eine Sammlung von persönlich ausgewählten Traumaufzeichnungen aus sämtlichen Lebensphasen der in Berlin-Charlottenburg geborenen schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim (1913-1985). Meret Oppenheim notierte ihre Träume, weil sie diesen sowohl im Allgemeinen aber auch in Bezug auf ihre Kunst und Dichtung eine besondere Bedeutung beimaß (Schulz 2006, 51). Gemäß Christiane Meyer-Thoss, Herausgeberin von ''Träume. Aufzeichnungen 1928-1985'' und Vertraute bzw. Freundin Meret Oppenheims, sind die Traumaufzeichnungen nicht „als Bildspeicher“, sondern vielmehr als „das dokumentarische Material, das Storyboard zum Film der Bilder, zu dem von Meret Oppenheim realisierten Bilderkosmos“ zu verstehen (Meyer-Thoss, T 87). Die Sammlung ermöglicht einen tiefreichenden Einblick in Meret Oppenheims Träume, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen und auch einige von ihr selbst verfasste Deutungen der Trauminhalte anbieten. Diese Deutungen referieren dabei zuweilen auf grundlegende Ideen der Lehren von Carl Gustav Jung, durch die Meret Oppenheim auch dazu inspiriert war, ihre eigenen Träume zu notieren (vgl. Baur 2021, 211), und die ihre eigene Traumauffassung prägten. Meret Oppenheim | ''Träume. Aufzeichnungen 1928-1985'' sind eine Sammlung von persönlich ausgewählten Traumaufzeichnungen aus sämtlichen Lebensphasen der in Berlin-Charlottenburg geborenen schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim (1913-1985). Meret Oppenheim notierte ihre Träume, weil sie diesen sowohl im Allgemeinen aber auch in Bezug auf ihre Kunst und Dichtung eine besondere Bedeutung beimaß (Schulz 2006, 51). Gemäß Christiane Meyer-Thoss, Herausgeberin von ''Träume. Aufzeichnungen 1928-1985'' und Vertraute bzw. Freundin Meret Oppenheims, sind die Traumaufzeichnungen nicht „als Bildspeicher“, sondern vielmehr als „das dokumentarische Material, das Storyboard zum Film der Bilder, zu dem von Meret Oppenheim realisierten Bilderkosmos“ zu verstehen (Meyer-Thoss, T 87). Die Sammlung ermöglicht einen tiefreichenden Einblick in Meret Oppenheims Träume, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen und auch einige von ihr selbst verfasste Deutungen der Trauminhalte anbieten. Diese Deutungen referieren dabei zuweilen auf grundlegende Ideen der Lehren von Carl Gustav Jung, durch die Meret Oppenheim auch dazu inspiriert war, ihre eigenen Träume zu notieren (vgl. Baur 2021, 211), und die ihre eigene Traumauffassung prägten. Meret Oppenheim interpretierte bzw. benutzte ihre eigenen Träum häufig „‘zur Lösung grundlegender Lebensfragen‘. Sie dienen ihr während aller Lebensphasen als eine Art persönliche Orientierungshilfe.“ (Schulz 2006, 54). | ||
==Zu Meret Oppenheim== | ==Zu Meret Oppenheim== | ||
Meret Oppenheim war eine am 6. Oktober 1913 in Deutschland (Berlin-Charlottenburg) geborene, schweizerische Künstlerin und Lyrikerin (gestorben am 15. November 1985 in Basel). Bekannt und berühmt wurde Meret Oppenheim insbesondere als Künstlerin, die dem Künstlerkreis der Pariser Surrealisten um André Breton, Marcel Duchamp, Max Ernst, Man Ray, | Meret Oppenheim war eine am 6. Oktober 1913 in Deutschland (Berlin-Charlottenburg) geborene, schweizerische Künstlerin und Lyrikerin (gestorben am 15. November 1985 in Basel). Bekannt und berühmt wurde Meret Oppenheim insbesondere als Künstlerin, die dem Künstlerkreis der Pariser Surrealisten um André Breton, Marcel Duchamp, Max Ernst, Man Ray, Alberto Giacometti, Joan Mirò etc. ab ca. 1932 nach Einführung und Vermittlung durch den Schweizer Künstlers Hans Arp angehörte (Meyer-Thoss 2013b, 72). Während Meret Oppenheim durch die Pariser Bekanntschaften und Freundschaften zwar künstlerisch und persönlich geprägt wurde und sie für ihr frühes Œuvre zahlreiche wichtige Impulse bekam, fühlte sie sich der Gruppe der Surrealisten nie vollständig zugehörig. Allerdings setzte sie Zeit ihres Lebens, trotz ihrer frühen, „vom Surrealismus vereinnahmten“ und hinsichtlich der Publikumsrezeption erfolgreichen Werke, wie z. B. die sogenannte „Pelztasse“ von 1936 – André Breton erfand für das Werk den Namen „Dejeuner en fourrure“ („Frühstück im Pelz“) – beharrlich ihre Eigenständigkeit als Künstlerin durch (vgl. Helfenstein 1993, 68-78). Neben den zahlreichen Malereien und Zeichnungen schuf Meret Oppenheim in ihrem auch von einigen längeren Schaffenskrisen geprägten Leben (vgl. Curiger 1989, 42ff., vgl. ebenso T 28-30), das sie überwiegend an verschiedenen Orten in der Schweiz verbringt (Rückkehr von Paris nach Basel im Jahr 1937, später Bern und Carona im Tessin etc.), ein umfangreiches Œuvre, das u. a. Skulpturen, Brunnen (z. B. am Waisenhausplatz in Bern) und Kunstobjekte in verschiedensten Materialien (vgl. Baur 2021, 150-167), Fotografien, aber auch Designobjekte wie Möbel, Schmuck und Kleidung (vgl. Baur 2021, 130-147) sowie Performancekunst und Gedichte (vgl. Baur 2021, 90-107) umfasst. Diese Werke sind nicht selten vom Traum inspiriert, besonders vom „Sehnsuchtspotential des Fragmentarischen“, vom „Atem des größeren, zeitenthobenen Zusammenhangs“ geprägt (Meyer-Thoss, T 87), weshalb Meret Oppenheim seit dem Jahr 1928 ihre eigenen Träume notierte. | ||
==Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim== | ==Zur Sammlung der Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim== | ||
Meret Oppenheim sammelte seit dem Jahr 1928 ihre Traumaufzeichnungen und übergab ihre „Sammelmappe“ mit den chronologisch sortierten Aufzeichnungen im Jahr 1984 der Herausgeberin des Bandes ''Träume. Aufzeichnungen'' Christiane Meyer-Thoss. Zeitlich nach der Übergabe notierte und von Meret Oppenheim zur Publikation ausgewählte Träume schickte sie nachträglich per Post an Meyer-Thoss (Meyer-Thoss, T 86). In der editorischen Notiz (vgl. hierzu und im folgenden Meyer-Thoss, T 117) merkt die Herausgeberin an, dass Meret Oppenheim, wie anhand des „einheitlichen Schriftbild[es]“ zu folgern sei, „wahrscheinlich bis Ende der fünfziger Jahre, wichtige Träume innerhalb eines kurzen Zeitraumes nacheinander abgeschrieben [.], also übernommen [hat] aus älteren Notizheften“. In diesem Zusammenhang „fügte Meret Oppenheim auch zusätzliche Erklärungen und Kommentare ein“, die im gesamten Band ihre eigene Sicht und teilweise auch persönliche Deutungsversuche des Geträumten darlegen. Das gesamte Textmaterial wurde von Meret Oppenheim in den „siebziger Jahren“ sowie „ein letztes Mal dann im Dezember 1984 in Frankfurt“ – sehr wahrscheinlich bei einem Besuch bei Meyer-Thoss – „durchgesehen, kommentiert, ergänzt, verbessert“. Die im Rahmen der Korrekturen vorgenommenen Änderungen stehen in den Texten in eckigen Klammern. Die Sammlung ''Träume'' gibt abgesehen von wenigen Auslassungen, die z. B. „sehr persönliche Daten betreffen“, Oppenheims Aufzeichnungen „nahezu vollständig“ und „in der von ihr bestimmten chronologischen Reihenfolge“ wieder. | Meret Oppenheim sammelte seit dem Jahr 1928 ihre Traumaufzeichnungen und übergab ihre „Sammelmappe“ mit den chronologisch sortierten Aufzeichnungen im Jahr 1984 der Herausgeberin des Bandes ''Träume. Aufzeichnungen'' Christiane Meyer-Thoss. Zeitlich nach der Übergabe notierte und von Meret Oppenheim später noch zur Publikation ausgewählte Träume schickte sie nachträglich per Post an Meyer-Thoss (Meyer-Thoss, T 86). In der editorischen Notiz (vgl. hierzu und im folgenden Meyer-Thoss, T 117) merkt die Herausgeberin an, dass Meret Oppenheim, wie anhand des „einheitlichen Schriftbild[es]“ zu folgern sei, „wahrscheinlich bis Ende der fünfziger Jahre, wichtige Träume innerhalb eines kurzen Zeitraumes nacheinander abgeschrieben [.], also übernommen [hat] aus älteren Notizheften“. In diesem Zusammenhang „fügte Meret Oppenheim auch zusätzliche Erklärungen und Kommentare ein“, die im gesamten Band ihre eigene Sicht und teilweise auch persönliche Deutungsversuche des Geträumten darlegen. Das gesamte Textmaterial wurde von Meret Oppenheim in den „siebziger Jahren“ sowie „ein letztes Mal dann im Dezember 1984 in Frankfurt“ – sehr wahrscheinlich bei einem Besuch bei Meyer-Thoss – „durchgesehen, kommentiert, ergänzt, verbessert“. Die im Rahmen der Korrekturen vorgenommenen Änderungen stehen in den Texten in eckigen Klammern. Die Sammlung ''Träume'' gibt abgesehen von wenigen Auslassungen, die z. B. „sehr persönliche Daten betreffen“, Oppenheims Aufzeichnungen „nahezu vollständig“ und „in der von ihr bestimmten chronologischen Reihenfolge“ wieder. | ||
==Meret Oppenheims Aufzeichnungen im Band „Träume“== | ==Meret Oppenheims Aufzeichnungen im Band „Träume“== | ||
Die folgende Übersicht präsentiert die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims im Band ''Träume''. In | Die folgende Übersicht präsentiert die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims im Band ''Träume''. In folgende Liste aufgenommen wurden ausschließlich ihre Traumaufzeichnungen, nicht aber die von Meret Oppenheim verfassten Darstellungen zu den herrschenden Lebensumständen, die sie zuweilen zwischen den Traumaufzeichnungen ergänzte, um den Kontext zu erläutern, in dem die Traumaufzeichnungen stehen bzw. vor dessen Hintergrund diese zu deuten wären. Zuweilen sind im Band ''Träume'' Abbildungen enthalten, die den handschriftlichen Text oder grafische Skizzen und Zeichnungen von Trauminhalten wiedergeben, z. B. zum Traum mit dem Höllenhund („1928-30?“, Nr. 3 der folgenden Liste, T 10), zum Friedhofstraum mit Schlange und Apfel von 1929 (Nr. 6, T 13), zum Traum mit dem Rettungsinstrument für Ertrinkende vom 6. August 1933 (Nr. 10, T 16), zu den Träumen am 10. und 11. August 1936 bzgl. der Einrichtung des eigenen Häuschens, bzgl. der „kleinen Maschine zum Sätzeschreiben für Schriftsteller“ und bzgl. des Bildes von Salvador Dalì, das sich wie ein Film bewegt, (Nr. 21-23, T 23) sowie zu weiteren Themen (siehe dazu T 34, T 36, T 47, T 51, T 57, T 59, T 63, T 67 und T 69). Wie bereits erwähnt, werden die Traumaufzeichnungen Meret Oppenheims zuweilen von Erläuterungen zu den herrschenden Lebensumständen unterbrochen, die eine persönliche Einordnung der Traumaufzeichnungen in einen Kontext darstellen, z. B. „Zwischen 1936 und 1953 habe ich, soviel ich aus meinen Notizen sehe, keinen einzigen Traum aufgeschrieben. […]“ (T 28-30) oder „Im Nov. 1954 hatte ich ein „inneres Erlebnis“ […]“ (T 31-33). Folgende Übersicht greift, wie oben bereits angedeutet, ausschließlich die Traumaufzeichnungen, nicht aber diese Erläuterungen auf. Die Übersicht folgt in Orthografie und Interpunktion der Darstellung im herausgegebenen Band und es wurden keine Textkorrekturen vorgenommen. Ergänzungen werden im vorliegenden Beitrag lediglich an fünf Stellen vorgenommen, z. B. um Abkürzungen zu erläutern, und diese in geschweifte Klammern, d. h. {}, gesetzt. Diese Art der Markierung ist notwendig, weil Meret Oppenheim in ihren Texten sowohl runde Klammern, d. h. (), als auch eckige Klammern, d. h. [], für spätere Ergänzungen bei der präfinalen und finalen Überarbeitung bereits verwendet hat. | ||
Zeile 23: | Zeile 23: | ||
| 1 | | 1 | ||
| Eine Vision od. Wachtraum ca. 1928 (Königsfeld im Schwarzwald). … | | Eine Vision od. Wachtraum ca. 1928 (Königsfeld im Schwarzwald). … | ||
| „Vor mir steigt aus der Tiefe eine Säule die sich oben im Nebel oder in den Wolken verliert. Von unten auf steigt dichter Dunst, der sich in Spiralen um die Säule dreht. …“ | | „Vor mir steigt aus der Tiefe eine Säule die sich oben im Nebel oder in den Wolken verliert. Von unten auf steigt dichter Dunst, der sich in Spiralen um die Säule dreht. …“ | ||
| T 9 | | T 9 | ||
|- | |- | ||
Zeile 38: | Zeile 38: | ||
| 4 | | 4 | ||
| 1928 | | 1928 | ||
| „Eine Treppe an einer hohen Backsteinmauer, an der immer wieder Stufen fehlen. Ich sollte diese Treppe mit kleinen Kindern hinuntergehn. …“ | | „Eine Treppe an einer hohen Backsteinmauer, an der immer wieder Stufen fehlen. Ich sollte diese Treppe mit kleinen Kindern hinuntergehn. …“ | ||
| T 11 | | T 11 | ||
|- | |- | ||
Zeile 58: | Zeile 58: | ||
| 8 | | 8 | ||
| 7. Okt. 1932 | | 7. Okt. 1932 | ||
| „Habe recht peinlich geträumt. Zuerst ging ich durch einen Wald, der plötzlich ganz sumpfig wurde. … Dann träumte ich, ich solle wegen irgend einer geringfügigen Sache gehenkt werden. Man sagte, ich habe ein Salzfass gestohlen. …“ | | „Habe recht peinlich geträumt. Zuerst ging ich durch einen Wald, der plötzlich ganz sumpfig wurde. … Dann träumte ich, ich solle wegen irgend einer geringfügigen Sache gehenkt werden. Man sagte, ich habe ein Salzfass gestohlen. …“ | ||
| T 12-14 | | T 12-14 | ||
|- | |- | ||
Zeile 68: | Zeile 68: | ||
| 10 | | 10 | ||
| Traum vom 6. August 1933 (Zeichnung) | | Traum vom 6. August 1933 (Zeichnung) | ||
| „Rettungsinstrument für Ertrinkende. (Je nach Bedingungen wird vom Ertrunkenen die eine oder andere Hand aus dem Wasser gestreckt.)“ | | „Rettungsinstrument für Ertrinkende. (Je nach Bedingungen wird vom Ertrunkenen die eine oder andere Hand aus dem Wasser gestreckt.)“ | ||
| T 15 | | T 15 | ||
|- | |- | ||
Zeile 78: | Zeile 78: | ||
| 12 | | 12 | ||
| (ca. 35?) | | (ca. 35?) | ||
| „Ich fahre in einem Automobil das ganz aus Knochen gemacht ist. Es ist ein altes Modell, die Bremse ist aussen und besteht aus einem Oberschenkelknochen.“ | | „Ich fahre in einem Automobil das ganz aus Knochen gemacht ist. Es ist ein altes Modell, die Bremse ist aussen und besteht aus einem Oberschenkelknochen.“ | ||
| T 17 | | T 17 | ||
|- | |- | ||
| 13 | | 13 | ||
| Sept. 1935, in Barcelona geträumt | | Sept. 1935, in Barcelona geträumt | ||
| „Ich bin mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht. Den Wänden entlang geht ein griechisches Relief, ähnlich Parthenon. …“ | | „Ich bin mit einem Mann im Bett, das am Ende eines grossen Saales steht. Den Wänden entlang geht ein griechisches Relief, ähnlich Parthenon. …“ | ||
| T 17-19 | | T 17-19 | ||
|- | |- | ||
| 14 | | 14 | ||
| 15. Dez. 1935 | | 15. Dez. 1935 | ||
| „Ein sehr trauriges, graues Tal. Steinige Abhänge. Unten Zementstrassen, am Hang angelegt, wie die Treibhäuser einer Gärtnerei. …“ | | „Ein sehr trauriges, graues Tal. Steinige Abhänge. Unten Zementstrassen, am Hang angelegt, wie die Treibhäuser einer Gärtnerei. …“ | ||
| T 19 | | T 19 | ||
|- | |- | ||
Zeile 98: | Zeile 98: | ||
| 16 | | 16 | ||
| (ca. 35?) | | (ca. 35?) | ||
| „Ich bin im Zuschauerraum eines kleinen Theaters, allein. Es ist dunkel, nur die Bühne ist beleuchtet. …“ | | „Ich bin im Zuschauerraum eines kleinen Theaters, allein. Es ist dunkel, nur die Bühne ist beleuchtet. …“ | ||
| T 20 | | T 20 | ||
|- | |- | ||
| 17 | | 17 | ||
| 1. Januar 1936 | | 1. Januar 1936 | ||
| „Wohne auf der Dach-Terrasse eines sehr hohen neuen Hauses. Rundherum Gitter. Ich sage zu mir selbst: Warum sagen wohl alle Leute ich wohne so gefährlich, wo doch ringsum Gitter sind? …“ | | „Wohne auf der Dach-Terrasse eines sehr hohen neuen Hauses. Rundherum Gitter. Ich sage zu mir selbst: Warum sagen wohl alle Leute ich wohne so gefährlich, wo doch ringsum Gitter sind? …“ | ||
| T 20 | | T 20 | ||
|- | |- | ||
Zeile 113: | Zeile 113: | ||
| 19 | | 19 | ||
| Wann ich diesen Traum hatte weiss ich nicht mehr. Ich schätze zwischen 1935 und 1937. | | Wann ich diesen Traum hatte weiss ich nicht mehr. Ich schätze zwischen 1935 und 1937. | ||
| „Ich bin in einem Menschenschlachthaus. Überall liegen und hängen abgehäutete blutige Körper, wie in einer grossen Metzgerei. …“ | | „Ich bin in einem Menschenschlachthaus. Überall liegen und hängen abgehäutete blutige Körper, wie in einer grossen Metzgerei. …“ | ||
| T 20-21 | | T 20-21 | ||
|- | |- | ||
Zeile 123: | Zeile 123: | ||
| 21 | | 21 | ||
| 10. August 1936 | | 10. August 1936 | ||
| „Ich richte mir ein Häuschen ein. Sehr einfach. Ein kleines Mädchen verkauft mir einen Korb mit Kapuzinern.“ | | „Ich richte mir ein Häuschen ein. Sehr einfach. Ein kleines Mädchen verkauft mir einen Korb mit Kapuzinern.“ | ||
| T 21 | | T 21 | ||
|- | |- | ||
Zeile 158: | Zeile 158: | ||
| 28 | | 28 | ||
| zwischen 1942 u. 1950 (etwa) | | zwischen 1942 u. 1950 (etwa) | ||
| „Ich versuche, meine (gestorbene) Grossmutter zu überreden, mit mir in die „Kunsthalle“ (Restaurant in Basel wo ich meine Kollegen manchmal traf) zu kommen. Sie sträubt sich, weil sie ja tot sei. …“ | | „Ich versuche, meine (gestorbene) Grossmutter zu überreden, mit mir in die „Kunsthalle“ (Restaurant in Basel wo ich meine Kollegen manchmal traf) zu kommen. Sie sträubt sich, weil sie ja tot sei. …“ | ||
| T 25 | | T 25 | ||
|- | |- | ||
Zeile 168: | Zeile 168: | ||
| 30 | | 30 | ||
| 1949 | | 1949 | ||
| „Bin in einem gotischen Dom. Stehe vor einer hohen geschnitzten Holzstatue eines Heiligen [ohne Farben und ganz wurmzerfressen]. …“ | | „Bin in einem gotischen Dom. Stehe vor einer hohen geschnitzten Holzstatue eines Heiligen [ohne Farben und ganz wurmzerfressen]. …“ | ||
| T 26-28 | | T 26-28 | ||
|- | |- | ||
Zeile 178: | Zeile 178: | ||
| 32 | | 32 | ||
| Juli 53 | | Juli 53 | ||
| „In der Wüste. Drei bis fünf berittene kriegerisch aussehende Beduinen. Es sind aber Frauen. …“ | | „In der Wüste. Drei bis fünf berittene kriegerisch aussehende Beduinen. Es sind aber Frauen. …“ | ||
| T 31 | | T 31 | ||
|- | |- | ||
| 33 | | 33 | ||
| Nov.[?] 1953 | | Nov.[?] 1953 | ||
| „Ich gehe auf dem Meer (zugleich sehe ich mich selbst von hinten), nahe an einem mit Bäumen bewachsenen Ufer. Alles ist sonnig, über und unter dem durchsichtigen Wasser sind kleine grüne Inselchen, auch der Grund des Meeres ist sonnenerhellt. …“ | | „Ich gehe auf dem Meer (zugleich sehe ich mich selbst von hinten), nahe an einem mit Bäumen bewachsenen Ufer. Alles ist sonnig, über und unter dem durchsichtigen Wasser sind kleine grüne Inselchen, auch der Grund des Meeres ist sonnenerhellt. …“ | ||
| T 33 | | T 33 | ||
|- | |- | ||
| 34 | | 34 | ||
| Dez. 1954 | | Dez. 1954 | ||
| „André Breton sitzt in einer Art Loge, oder Thron. Seine Sekretärin (in Wirklichkeit hat er keine) verabschiedet sich von ihm indem sie „Kotau“ macht. …“ | | „André Breton sitzt in einer Art Loge, oder Thron. Seine Sekretärin (in Wirklichkeit hat er keine) verabschiedet sich von ihm indem sie „Kotau“ macht. …“ | ||
| T 33 | | T 33 | ||
|- | |- | ||
| 35 | | 35 | ||
| Dez. 1954 | | Dez. 1954 | ||
| „Ich sitze an langem Tisch mit meinen Pariser Freunden, von denen aber niemand deutlich ist ausser Breton und Péret. Der Tisch steht in einer weiten Landschaft, auf einer erhöhten Ebene, man sieht in der Ferne am Horizont Bergketten. …“ | | „Ich sitze an langem Tisch mit meinen Pariser Freunden, von denen aber niemand deutlich ist ausser Breton und Péret. Der Tisch steht in einer weiten Landschaft, auf einer erhöhten Ebene, man sieht in der Ferne am Horizont Bergketten. …“ | ||
| T 35-36 | | T 35-36 | ||
|- | |- | ||
Zeile 208: | Zeile 208: | ||
| 38 | | 38 | ||
| II. 1955 Engelberg | | II. 1955 Engelberg | ||
| „Ich träume, ich liege in einem Glassarg, wie Schneewittchen. In der Hand einen roten (Reichs-) Apfel, aus Seife, wie man ihn in den Parfümerien kaufen kann. …“ | | „Ich träume, ich liege in einem Glassarg, wie Schneewittchen. In der Hand einen roten (Reichs-) Apfel, aus Seife, wie man ihn in den Parfümerien kaufen kann. …“ | ||
| T 38-40 | | T 38-40 | ||
|- | |- | ||
| 39 | | 39 | ||
| 1955 | | 1955 | ||
| „Man besieht ein Bild wie eine Reliefschnitzerei (supraporta) von Marcel Duchamp. Es ist ein grosser Karton auf dem sind abgebildet: In der Mitte ein Wappen mit einem Rosenstrauss (Rrose Selavy), rechts und links gehalten von zwei Füchsen (Duchamp war rothaarig). …“ | | „Man besieht ein Bild wie eine Reliefschnitzerei (supraporta) von Marcel Duchamp. Es ist ein grosser Karton auf dem sind abgebildet: In der Mitte ein Wappen mit einem Rosenstrauss (Rrose Selavy), rechts und links gehalten von zwei Füchsen (Duchamp war rothaarig). …“ | ||
| T 40 | | T 40 | ||
|- | |- | ||
Zeile 223: | Zeile 223: | ||
| 41 | | 41 | ||
| 20. XII. 56 | | 20. XII. 56 | ||
| „In einem Geschäft probiere ich hohe, bis unter die Wade reichende Stiefeletten an. Sie sind über und über mit hellgrünen Pailletten bestickt. …“ | | „In einem Geschäft probiere ich hohe, bis unter die Wade reichende Stiefeletten an. Sie sind über und über mit hellgrünen Pailletten bestickt. …“ | ||
| T 41 | | T 41 | ||
|- | |- | ||
| 42 | | 42 | ||
| 21. XII. 56 (aufgeklebter Zeitungsausriss v. IV. 1974) | | 21. XII. 56 (aufgeklebter Zeitungsausriss v. IV. 1974) | ||
| „Bin in einer Bäckerei, ein riesiger Backofen, überall Gestelle mit Brötchen und Brot und eine wundervolle Wärme und Geruch. Auf einer der Etagèren liegt ein Kind (undeutlich – ein Mädchen? Es ist bekleidet). …“ | | „Bin in einer Bäckerei, ein riesiger Backofen, überall Gestelle mit Brötchen und Brot und eine wundervolle Wärme und Geruch. Auf einer der Etagèren liegt ein Kind (undeutlich – ein Mädchen? Es ist bekleidet). …“ | ||
| T 42 | | T 42 | ||
|- | |- | ||
| 43 | | 43 | ||
| 16. IV. 57 | | 16. IV. 57 | ||
| „Komme durch eine Tür in einen grossen ebenerdigen Raum. Man bedeutet mir ruhig zu sein. Ich sehe dass ich zu einem Spiel oder einer Zeremonie gekommen bin. …“ | | „Komme durch eine Tür in einen grossen ebenerdigen Raum. Man bedeutet mir ruhig zu sein. Ich sehe dass ich zu einem Spiel oder einer Zeremonie gekommen bin. …“ | ||
| T 42-43 | | T 42-43 | ||
|- | |- | ||
Zeile 263: | Zeile 263: | ||
| 49 | | 49 | ||
| 19. IV. 60 | | 19. IV. 60 | ||
| „Träumte von einer grossen, modernen Lokomotive. Sie stand riesig und glänzend auf einer Wiese am Waldrand. …“ | | „Träumte von einer grossen, modernen Lokomotive. Sie stand riesig und glänzend auf einer Wiese am Waldrand. …“ | ||
| T 49 | | T 49 | ||
|- | |- | ||
| 50 | | 50 | ||
| 5. VII. 60 | | 5. VII. 60 | ||
| „Ich ging bergan, war schon fast oben, eine kleine Stapfel {allemanisch für „Stufe“} kam jetzt, es lag Schnee. Ich sagte mir, das kann ja gut werden, jetzt auch noch Schnee. …“ | | „Ich ging bergan, war schon fast oben, eine kleine Stapfel {allemanisch für „Stufe“} kam jetzt, es lag Schnee. Ich sagte mir, das kann ja gut werden, jetzt auch noch Schnee. …“ | ||
| T 49 | | T 49 | ||
|- | |- | ||
Zeile 278: | Zeile 278: | ||
| 52 | | 52 | ||
| 15. I. 61 | | 15. I. 61 | ||
| „Ich träumte, dass ich ein Märchen geträumt habe. Ich sagte mir im Traum, es sei ja zwar gleich wie alle andern Märchen, aber ich wolle es doch aufschreiben. …“ | | „Ich träumte, dass ich ein Märchen geträumt habe. Ich sagte mir im Traum, es sei ja zwar gleich wie alle andern Märchen, aber ich wolle es doch aufschreiben. …“ | ||
| T 50-51 | | T 50-51 | ||
|- | |- | ||
| 53 | | 53 | ||
| ca. 20. Januar 64 | | ca. 20. Januar 64 | ||
| „Bin in diesen (mir in Wirklichkeit unbekannten) Räumen. Gehe an die rechte Glastüre, öffne sie, sehe dass das Meer, in hellgrünen Wellen „schon“ die Terrasse umspült. …“ | | „Bin in diesen (mir in Wirklichkeit unbekannten) Räumen. Gehe an die rechte Glastüre, öffne sie, sehe dass das Meer, in hellgrünen Wellen „schon“ die Terrasse umspült. …“ | ||
| T 52 | | T 52 | ||
|- | |- | ||
Zeile 298: | Zeile 298: | ||
| 56 | | 56 | ||
| 12. II. 64 | | 12. II. 64 | ||
| „Bin in eine Art Markthalle eingefahren. Gehe neben meinem weissen Pferd, das einen kleinen Wagen zieht. …“ | | „Bin in eine Art Markthalle eingefahren. Gehe neben meinem weissen Pferd, das einen kleinen Wagen zieht. …“ | ||
| T 55-56 | | T 55-56 | ||
|- | |- | ||
| 57 | | 57 | ||
| 25. I. 1965 | | 25. I. 1965 | ||
| „Marquis de Cuevas „Die Blume Lilie“ von Novalis, Giacometti-Ballettdekor u. Kostüme mit Lendenschürzen (ein anderes Thema). …“ | | „Marquis de Cuevas „Die Blume Lilie“ von Novalis, Giacometti-Ballettdekor u. Kostüme mit Lendenschürzen (ein anderes Thema). …“ | ||
| T 56 | | T 56 | ||
|- | |- | ||
| 58 | | 58 | ||
| II. 65 | | II. 65 | ||
| „Bin im Haus von Freunden. Man schickt mich, um zu sehen ob noch etwas im Garten ist das man versorgen muss (weil es regnen könnte, oder Nacht wird). …“ | | „Bin im Haus von Freunden. Man schickt mich, um zu sehen ob noch etwas im Garten ist das man versorgen muss (weil es regnen könnte, oder Nacht wird). …“ | ||
| T 56-58 | | T 56-58 | ||
|- | |- | ||
Zeile 433: | Zeile 433: | ||
| 83 | | 83 | ||
| Der Garten der Lüste, I. Traum, 6. März 84, Carona | | Der Garten der Lüste, I. Traum, 6. März 84, Carona | ||
| „Ein Park. Ich liege seitlich im Gras. Mit zugewandt, an meinem Rücken, in mir, ein Homosexueller. …“ | | „Ein Park. Ich liege seitlich im Gras. Mit zugewandt, an meinem Rücken, in mir, ein Homosexueller. …“ | ||
| T 75 | | T 75 | ||
|- | |- | ||
Zeile 470: | Zeile 470: | ||
==Themen, Motive und Interpretationen zu Meret Oppenheims Träumen== | ==Themen, Motive und Interpretationen zu Meret Oppenheims Träumen== | ||
Das inhaltliche Spektrum der von Meret Oppenheim aufgezeichneten Träume ist breit. Allerdings weist die präsentierte Sammlung zahlreiche wiederkehrende Traummotive auf, die in manchmal kurzen Traumsituationen, zuweilen aber auch in längeren Traumerzählungen beschrieben werden, in denen sich innerhalb des Traumes der Ort, an dem der Traum stattfindet, deutlich verändern kann, aber auch beteiligte Personen oder auch Gegenstände vielfältige Verwandlungen oder Metamorphosen erleben können. Meret Oppenheim präsentiert hier unter anderem (Auswahl, einige Träume lassen sich auch mehreren | Das inhaltliche Spektrum der von Meret Oppenheim aufgezeichneten Träume ist breit. Allerdings weist die präsentierte Sammlung zahlreiche wiederkehrende Traummotive auf, die in manchmal kurzen Traumsituationen, zuweilen aber auch in längeren Traumerzählungen beschrieben werden, in denen sich innerhalb des Traumes der Ort, an dem der Traum stattfindet, deutlich verändern kann, aber auch beteiligte Personen oder auch Gegenstände vielfältige Verwandlungen oder Metamorphosen erleben können. Meret Oppenheim präsentiert hier unter anderem folgende Arten von Träumen (Auswahl, einige Träume lassen sich auch mehreren Kategorien zuordnen): | ||
* Träume von Tieren, z. B. Nr. 31 (Einfangen eines weißen Hasen in einer Schneelandschaft), Nr. 44 (Vögel, ein Adler, ein Löwe), Nr. 50 (Mäuslein und ein „metallisch glänzendes“ Schweinchen), Nr. 52 (Vogelmärchen), Nr. 60 (freundlicher Rabe und „freudiger Hund“), Nr. 63 (Gitterkäfige mit einem Kaninchen), Nr. 66 („Was müssen die Tiere von uns denken!“), Nr. 71 (große Fische, ein Wal, eine Eidechse, ein grüner Gecko, ein grünes Insekt), Nr. 76 (große Fische und Aale lebendig „wie in einer Art Gelee eingelagert“), Nr. 81 (ein Freund bringt ein Zimmer voller Vögel), Nr. 86 (Treffen mit einem Wildschwein im Wald), Nr. 87 (altes Gebäude oder Ruine, eine graue Mamba, eine alte Frau verwandelt sich in eine Schlange, Katzen), Nr. 88 (Vögel, wildes Geflügel, Elefanten, Rhinozerosse, Nilpferde, Lämmchen, Regenwürmer), | * Träume von Tieren, z. B. Nr. 31 (Einfangen eines weißen Hasen in einer Schneelandschaft), Nr. 44 (Vögel, ein Adler, ein Löwe), Nr. 50 (Mäuslein und ein „metallisch glänzendes“ Schweinchen), Nr. 52 (Vogelmärchen), Nr. 60 (freundlicher Rabe und „freudiger Hund“), Nr. 63 (Gitterkäfige mit einem Kaninchen), Nr. 66 („Was müssen die Tiere von uns denken!“), Nr. 71 (große Fische, ein Wal, eine Eidechse, ein grüner Gecko, ein grünes Insekt), Nr. 76 (große Fische und Aale lebendig „wie in einer Art Gelee eingelagert“), Nr. 81 (ein Freund bringt ein Zimmer voller Vögel), Nr. 86 (Treffen mit einem Wildschwein im Wald), Nr. 87 (altes Gebäude oder Ruine, eine graue Mamba, eine alte Frau verwandelt sich in eine Schlange, Katzen), Nr. 88 (Vögel, wildes Geflügel, Elefanten, Rhinozerosse, Nilpferde, Lämmchen, Regenwürmer), | ||
Zeile 524: | Zeile 524: | ||
* und andere. | * und andere. | ||
Meret Oppenheim verstand ihre Träume als Äußerungen ihres eigenen Unbewussten, die auf ihre persönliche und künstlerische Entwicklung sowie auf die Entwicklung ihres künstlerischen Werkes Einfluss nehmen können, und maß ihnen deshalb eine erhebliche Bedeutung bei (Schulz 2006, 51). Sie notierte ihre eigenen Träume auch deshalb, weil sie aufgrund von „Diskussionen im Elternhaus über die Lehren Carl Gustav Jungs“ – Meret Oppenheims Vater, der Arzt Erich Alfons Oppenheim, stand mit C. G. Jung in Kontakt (Curiger 1989, 9; Meyer-Thoss, T 87-88) – ein Interesse am Themengebiet der Psychologie und der Bedeutung des Traums als „Regulativ der Psyche“ entwickelt hatte (Schulz 2006, 53). In den aufgezeichneten Trauminhalten, aber auch in Meret Oppenheims eigenen Deutungen sowie Trauminterpretationen finden sich immer wieder Hinweise auf C. G. Jungs Ideen zum „kollektiven Unbewussten“, zu den sog. „Archetypen“ – den von Jung beschriebenen „universelle“ Grundstrukturen in den Vorstellungen und Handlungen von Menschen –, zum Konzept von Anima und Animus – der „psychologischen Zweigeschlechtlichkeit“ – oder zur „universellen“ Bedeutung von Symbolen (vgl. u. a. Jung 2001). Auf diesen Ideen begründete Meret Oppenheim auch ihr Selbstverständnis als Künstlerin, wenn sie nicht nur die von ihr erinnerten Trauminhalte als „weit über die eigene Person hinausgehend“ betrachtete, sondern auch davon ausging, dass die Beschäftigung mit Träumen eine gesellschaftliche Dimension bzw. Bedeutung habe. Außerdem stellte sie diesbezüglich fest: „Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft“ (Schulz 2006, 54). Weiterhin hat Meret Oppenheims Beschäftigung mit C. G. Jungs Symbolforschung auf die verwendete Ikonografie ihres künstlerischen Werkes Einfluss genommen und sie verwendet in ihren Werken bestimmte Motive und Gestalten, wie z. B. | Meret Oppenheim verstand ihre Träume als Äußerungen ihres eigenen Unbewussten, die auf ihre persönliche und künstlerische Entwicklung sowie auf die Entwicklung ihres künstlerischen Werkes Einfluss nehmen können, und maß ihnen deshalb eine erhebliche Bedeutung bei (Schulz 2006, 51). Sie notierte ihre eigenen Träume auch deshalb, weil sie aufgrund von „Diskussionen im Elternhaus über die Lehren Carl Gustav Jungs“ – Meret Oppenheims Vater, der Arzt Erich Alfons Oppenheim, stand mit C. G. Jung in Kontakt (Curiger 1989, 9; Meyer-Thoss, T 87-88) – ein Interesse am Themengebiet der Psychologie und der Bedeutung des Traums als „Regulativ der Psyche“ entwickelt hatte (Schulz 2006, 53). In den aufgezeichneten Trauminhalten, aber auch in Meret Oppenheims eigenen Deutungen sowie Trauminterpretationen finden sich immer wieder Hinweise auf C. G. Jungs Ideen zum „kollektiven Unbewussten“, zu den sog. „Archetypen“ – den von Jung beschriebenen „universelle“ Grundstrukturen in den Vorstellungen und Handlungen von Menschen –, zum Konzept von Anima und Animus – der „psychologischen Zweigeschlechtlichkeit“ – oder zur „universellen“ Bedeutung von Symbolen (vgl. u. a. Jung 2001). Auf diesen Ideen begründete Meret Oppenheim auch ihr Selbstverständnis als Künstlerin, wenn sie nicht nur die von ihr erinnerten Trauminhalte als „weit über die eigene Person hinausgehend“ betrachtete, sondern auch davon ausging, dass die Beschäftigung mit Träumen eine gesellschaftliche Dimension bzw. Bedeutung habe. Außerdem stellte sie diesbezüglich fest: „Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft“ (Schulz 2006, 54). Weiterhin hat Meret Oppenheims Beschäftigung mit C. G. Jungs Symbolforschung auf die verwendete Ikonografie ihres künstlerischen Werkes Einfluss genommen und sie verwendet in ihren Werken bestimmte Motive und Gestalten, wie z. B. Schlangen, Spiralen, das Auge etc., welche auch häufig in ihren Traumaufzeichnungen vorkommen und Leitmotive der ewigen Wiederkehr und des niemals endenden Naturkreislaufs darstellen (Schulz 2006, 59). | ||
Eine | Eine der Traumaufzeichnungen, die von Meret Oppenheim als Anima-Animus-Traum im Sinne C. G. Jungs ausgelegt wurden, ist z. B. die oben unter der Nr. 73 angeführte: | ||
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | {| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | ||
|- | |- | ||
Zeile 540: | Zeile 540: | ||
|} | |} | ||
Ein weiteres Beispiel für einen Traum, den Meret Oppenheim im Sinne eines Anima-Animus-Traums | Ein weiteres Beispiel für einen Traum, den Meret Oppenheim im Sinne eines Anima-Animus-Traums deutete, ist der Traum Nr. 13 (T 17-19), welchen sie bereits im Jahr 1935 in Barcelona träumte und notierte: | ||
{| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | {| style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left:0.1em; margin-right: auto; width: auto;" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0" | ||
|- | |- | ||
Zeile 554: | Zeile 554: | ||
|} | |} | ||
Wie die vorangegangenen Beispiele aufzeigen, bietet Meret Oppenheim zu ihren Traumaufzeichnungen | Wie die vorangegangenen Beispiele aufzeigen, bietet Meret Oppenheim zu ihren Traumaufzeichnungen manchmal Deutungsmöglichkeiten an, die auf zentrale Konzepte in C. G. Jungs Lehre und auch dort adressierte Symbole zurückgreifen. Meret Oppenheim hat sich lebenslang mit C. G. Jungs Ideen beschäftigt und diese haben ihre persönliche Perspektive auf ihre eigenen Träum geprägt, auch noch Jahrzehnte nach dem Notieren der Träume. Es ist davon auszugehen, dass eine solch intensiver Beschäftigung mit Träumen und möglichen Deutungen nicht nur die Traumauffassung im Wachleben von Personen prägen, sondern sich auch auf das Träumen selbst auswirken können. Um mit den Ideen Sigmund Freuds zu sprechen, die dieser in ''Die Traumdeutung'' formulierte, setzen sich Träume auch aus Erlebnissen im Wachleben zusammen (Freud 2014, 27) und die im Wachleben verinnerlichten und im Rahmen von Traumauslegungen angewandten Traumtheorieinhalte können so selbst zum „Traummaterial“ werden, was als ein sich selbst verstärkender Mechanismus betrachtet werden kann. | ||
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim nicht nur einen interessanten Einblick in das Denken und das Seelenleben dieser außergewöhnlichen Künstlerin und Persönlichkeit eröffnen, sie stellen | Abschließend lässt sich festhalten, dass die Traumaufzeichnungen von Meret Oppenheim nicht nur einen interessanten Einblick in das Denken und das Seelenleben dieser außergewöhnlichen Künstlerin und Persönlichkeit eröffnen, sie stellen darüber hinaus neben ihrem Wert für die kunsthistorische Forschung eine wahre Fundgrube spannender Perspektiven auf den Traum an sich für die kulturwissenschaftlich orientierte Traumforschung dar. | ||