"Frost" (Thomas Bernhard): Unterschied zwischen den Versionen

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===Traumerzählungen des Malers===
===Traumerzählungen des Malers===
====1. Traum====
====1. Traum====
Am fünften Tag am späten Nachmittag berichtet der Maler von einem Traum, den er als etwas Besonderes ankündigt: „Ein ungewöhnlicher Traum, keiner der hoffnungslosen, wie ich sie sonst immer träume“ (F 39). Zunächst stellt sich eine Veränderung der Landschaft ein, sie wechselt immer wieder schnell die Farbe entgegen „menschlichem Ermessen“ und das Ganze wird begleitet von einer „Musik, die aus allen Musikepochen zusammengesetzt war“ (F 39). Sein Traum-Ich sitzt „in dieser Landschaft, auf einer Wiese“ und nimmt, wie auch die anderen Menschen, die wechselnden Farben der Umgebung an. Aufgrund der Farben sind die Menschen in dieser „Menschenlandschaft“ nur anhand „ihrer Stimmen zu erkennen“ (F 39). Diese zuerst mit Faszination beschriebene Stimmung wandelt sich, die Harmonie des Traum-Ichs mit der Umgebung wird gestört: „Plötzlich aber geschah etwas Grauenhaftes: Mein Kopf blähte sich auf, und zwar so, daß die Landschaft sich um einige Grade verfinsterte und die Menschen in Wehlaute ausbrachen“ (F 39 f.) Der große Kopf verselbständigt sich, er rollt „von dem Hügel hinunter [...] und erdrückte viele der blauen Bäume und viele der Menschen“ (F 40). Er zerstört die Landschaft und bringt Tod: „Plötzlich bemerkte ich, daß hinter mit alles abgestorben war. Abgestorben, tot. Mein großer Kopf lag in einem toten Land“ (F 40). Der Traum endet in „Finsternis“, was von dem Maler als „fürchterlich“ (F 40) bewertet wird.
Am späten Nachmittag des fünften Tages  berichtet der Maler von einem Traum, den er als etwas Besonderes ankündigt: „Ein ungewöhnlicher Traum, keiner der hoffnungslosen, wie ich sie sonst immer träume“ (F 39). Zunächst stellt sich eine Veränderung der Landschaft ein, sie wechselt immer wieder schnell die Farbe entgegen „menschlichem Ermessen“. Das Ganze wird begleitet von einer „Musik, die aus allen Musikepochen zusammengesetzt war“ (F 39). Sein Traum-Ich sitzt „in dieser Landschaft, auf einer Wiese“ und nimmt, wie auch die anderen Menschen, die wechselnden Farben der Umgebung an. Aufgrund der Farben sind die Menschen in dieser „Menschenlandschaft“ nur anhand „ihrer Stimmen zu erkennen“ (F 39). Diese zuerst mit Faszination beschriebene Stimmung wandelt sich, die Harmonie des Traum-Ichs mit der Umgebung wird gestört: „Plötzlich aber geschah etwas Grauenhaftes: Mein Kopf blähte sich auf, und zwar so, daß die Landschaft sich um einige Grade verfinsterte und die Menschen in Wehlaute ausbrachen“ (F 39 f.) Der große Kopf verselbständigt sich, er rollt „von dem Hügel hinunter [...] und erdrückte viele der blauen Bäume und viele der Menschen“ (F 40). Er zerstört die Landschaft und bringt Tod: „Plötzlich bemerkte ich, daß hinter mit alles abgestorben war. Abgestorben, tot. Mein großer Kopf lag in einem toten Land“ (F 40). Der Traum endet in „Finsternis“, was vom Maler als „fürchterlich“ (F 40) bewertet wird.


Auffällig ist, dass der Traum von einer zunächst harmonisch wirkenden Einheit des Traum-Ichs mit der Welt ausgeht. Die Farben wechseln zwar, aber das Ich und die Menschen sind dabei an die Landschaft angepasst. Auch die Musik und die Stimmen der Menschen werden als Einheit empfunden. Als Störfaktor tritt der Kopf auf, der sich verselbständigt und die Welt zerstört. Bozzi deutet diesen Prozess als „Verselbständigung der Teile gegenüber dem Ganzen,die im Zusammenhang mit einer „Verwirrung, Unordnung und Aufregung“ des Körpers (Bozzi 2002, 133 f.) stehe und eine Auflösung des Ichs einleite. Zwar ist die Zersetzung und Auslöschung der Existenz ein zentrales Thema des Romans, doch der Traum beschreibt diesen Auflösungsprozess genauer: Er geht vom Kopf aus, der für das Denken steht, das hier jedoch in Kopflosigkeit mündet. Interessant ist, dass die Traumerzählung durch eine Feststellung des Malers eingeleitet wird: „Die Phantasie ist der Tod des Menschen“ (F 39). Der Kopf ist sowohl Sitz des Denkens als auch der Phantasie, die in der Passage vor der Traumerzählung thematisiert wird. Dort äußert sich der Maler, dass „die Phantasie [...] ein Ausdruck von Unordnung“ sei: „Ich bin mir sicher, daß Phantasie eine Krankheit ist“ (F 38). Der Traum greift diese Überlegung auf, denn die harmonische Phantasiewelt, die ja eine Kopfgeburt des Malers darstellt, wird durch eben den sie hervorbringenden Kopf zerstört. Der Traum symbolisiert also eine Verselbständigung der Phantasie und der Geisteskräfte, durch die die Kluft zwischen Ich und Landschaft sowie zwischen Ich und anderen Menschen vergrößert wird.
Auffällig ist, dass der Traum von einer zunächst harmonisch wirkenden Einheit des Traum-Ichs mit der Welt ausgeht. Die Farben wechseln zwar, aber das Ich und die Menschen sind dabei an die Landschaft angepasst. Auch die Musik und die Stimmen der Menschen werden als Einheit empfunden. Als Störfaktor tritt der Kopf auf, der sich verselbständigt und die Welt zerstört. Bozzi deutet diesen Prozess als „Verselbständigung der Teile gegenüber dem Ganzen“, die im Zusammenhang mit einer „Verwirrung, Unordnung und Aufregung“ des Körpers stehe und eine Auflösung des Ichs einleite (Bozzi 2002, 133 f.). Zwar ist die Zersetzung und Auslöschung der Existenz ein zentrales Thema des Romans, doch der Traum beschreibt diesen Auflösungsprozess genauer: Er geht vom Kopf aus, der für das Denken steht, das hier jedoch in Kopflosigkeit mündet. Interessant ist, dass die Traumerzählung durch eine Feststellung des Malers eingeleitet wird: „Die Phantasie ist der Tod des Menschen“ (F 39). Der Kopf ist sowohl Sitz des Denkens als auch der Phantasie, die in der Passage vor der Traumerzählung thematisiert wird. Dort äußert sich der Maler, dass „die Phantasie [...] ein Ausdruck von Unordnung“ sei: „Ich bin mir sicher, daß Phantasie eine Krankheit ist“ (F 38). Der Traum greift diese Überlegung auf, denn die harmonische Phantasiewelt, die ja eine Kopfgeburt des Malers darstellt, wird durch eben den sie hervorbringenden Kopf zerstört. Der Traum symbolisiert also eine Verselbständigung der Phantasie und der Geisteskräfte, durch die die Kluft zwischen Ich und Landschaft sowie zwischen Ich und anderen Menschen vergrößert wird.


====2. Traum====
====2. Traum====
Dieser erste Traum etabliert Motive, die sich in den späteren Träumen des Malers wiederfinden. So berichtet er am sechzehnten Tag von einem Traum, der laut eigener Aussage mit seinen bisherigen Träumen „nicht das geringste gemeinsam hatte“ (F 187). Er beschreibt, dass der Traum wie alle seine Träume mit einer Farbe beginnt – eine Gemeinsamkeit mit der ersten Traumerzählung. Allerdings entwickelt sich die Farbe „in das Zwischenverhältnis aller Farben zu allen Farben“ und dann „bis in die Dunkelheit der Farben hinein.“ Zunächst ist der Traum noch „tonlos“, doch „dann plötzlich, sich steigernd, zu einem Geräusch werdend“ und „plötzlich war dieser Traum [...] nur mehr Geräusch.Dieses wird von dem Träumenden als unangenehm und bedrohlich wahrgenommen, es entwickelt sich „zu einem unheimlich geltungsbedürftigen Infernalischen“ (F 187) und wird als „ein ungeheurer Lärm“ (F 188) bezeichnet. Der Lärm erzeugt einen unendlichen Raum und in diesem „taumelten“ oder „schwebten“ zwei oder drei Polizisten „in dem schamlosen, erdachten, alles umfassenden Schnürboden der Unendlichkeit“ (F 188). Trotz des vergleichsweise hohen Grads der Abstraktion sind die Farben und die Musik durchaus Konstanten, die bereits im ersten Traum des Malers präsent waren. Auch die Verzerrung der räumlichen Dimensionen ins Unendliche sowie das Kippen einer optischen oder akustischen Wahrnehmung ins Bedrohliche sind wiederkehrende Elemente. In der abstrakten Traumwelt wird kraft der Phantasie die eigentliche Ordnung ausgehebelt und das Traum-Ich schreckt vor der unendlichen Macht des Erdachten zurück.
Dieser erste Traum etabliert Motive, die sich in den späteren Träumen des Malers wiederfinden. So berichtet er am sechzehnten Tag von einem Traum, der laut eigener Aussage mit seinen bisherigen Träumen „nicht das geringste gemeinsam hatte“ (F 187). Er beschreibt, dass der Traum wie alle seine Träume mit einer Farbe beginnt – eine Gemeinsamkeit mit der ersten Traumerzählung. Allerdings entwickelt sich die Farbe „in das Zwischenverhältnis aller Farben zu allen Farben“ und dann „bis in die Dunkelheit der Farben hinein.“ Zunächst ist der Traum noch „tonlos“, doch „dann plötzlich, sich steigernd, zu einem Geräusch werdend“ und „plötzlich war dieser Traum [...] nur mehr Geräusch“ (F 187). Dieses wird von dem Träumenden als unangenehm und bedrohlich wahrgenommen, es entwickelt sich „zu einem unheimlich geltungsbedürftigen Infernalischen“ (F 187) und wird als „ein ungeheurer Lärm“ (F 188) bezeichnet. Dieser erzeugt einen unendlichen Raum und in diesem „taumelten“ oder „schwebten“ zwei oder drei Polizisten „in dem schamlosen, erdachten, alles umfassenden Schnürboden der Unendlichkeit“ (F 188). Trotz des vergleichsweise hohen Grades der Abstraktion sind die Farben und die Musik durchaus Konstanten, die bereits im ersten Traum des Malers präsent waren. Auch die Verzerrung der räumlichen Dimensionen ins Unendliche sowie das Kippen einer optischen oder akustischen Wahrnehmung ins Bedrohliche sind wiederkehrende Elemente. In der abstrakten Traumwelt wird kraft der Phantasie die eigentliche Ordnung ausgehebelt - und das Traum-Ich schreckt vor der unendlichen Macht des Erdachten zurück.


====3. Traum====
====3. Traum====
Während im ersten Traum das Motiv des anwachsenden Kopfes noch als Element der Groteske wahrgenommen werden kann, gewinnt es im weiteren Verlauf des Romans an Bedrohlichkeit. So beschreibt der Maler am sechsundzwanzigsten Tag, wie er nachts auf seinem Zimmerboden liegt und sich Kälte in ihm ausbreitet: „Da wurde mein Kopf wieder so groß, blähte sich auf: alles wickelte sich in einer Art Halbschlaf ab: der große Kopf atmete und erdrückte fast meine Brust“ (F 301). Während im ersten Traum noch die Menschen und die Landschaft von dem Kopf getötet werden und das Traum-Ich allein in Finsternis zurückbleibt, wendet sich nun der eigene Kopf gegen das Ich. Er erdrückt das Ich, sodass es nicht mehr atmen kann. Dazu kommt, dass sich dieser Vorgang im Halbschlaf abspielt, er wird nicht mehr eindeutig als Traum markiert und überschreitet die Grenze zwischen Traumwelt und Wachzustand. Das Bedrohungspotenzial nimmt daher zu, das Ich ist dabei von „Schmerzen“ und insbesondere „Kopfschmerzen“ (F 302) geplagt. Auch schon an früherer Stelle erklärt der Maler die Ausmaße seiner Kopfschmerzen mit dem Bild eines anschwellenden Kopfes: „Jetzt habe ich das Gefühl, dieser Kopf hat nirgends mehr Platz, nicht einmal in der Landschaft. Nur Schmerzen. Nur Finsternis“ (F 48) Das Motiv wird also vom Wachzustand in den Traum überführt und dort weiterentwickelt.
Während im ersten Traum das Motiv des anwachsenden Kopfes noch als Element der Groteske wahrgenommen werden kann, gewinnt es im weiteren Verlauf des Romans an Bedrohlichkeit. So beschreibt der Maler am sechsundzwanzigsten Tag, wie er nachts auf seinem Zimmerboden liegt und sich Kälte in ihm ausbreitet: „Da wurde mein Kopf wieder so groß, blähte sich auf: alles wickelte sich in einer Art Halbschlaf ab: der große Kopf atmete und erdrückte fast meine Brust“ (F 301). Während im ersten Traum noch die Menschen und die Landschaft von dem Kopf getötet werden und das Traum-Ich allein in Finsternis zurückbleibt, wendet sich nun der eigene Kopf gegen das Ich. Er erdrückt das Ich, sodass es nicht mehr atmen kann. Dazu kommt, dass sich dieser Vorgang im Halbschlaf abspielt, er wird nicht mehr eindeutig als Traum markiert und überschreitet die Grenze zwischen Traumwelt und Wachzustand. Das Bedrohungspotenzial nimmt daher zu, das Ich ist dabei von „Schmerzen“ und insbesondere „Kopfschmerzen“ (F 302) geplagt. Auch schon an früherer Stelle erklärt der Maler die Ausmaße seiner Kopfschmerzen mit dem Bild eines anschwellenden Kopfes: „Jetzt habe ich das Gefühl, dieser Kopf hat nirgends mehr Platz, nicht einmal in der Landschaft. Nur Schmerzen. Nur Finsternis“ (F 48), Das Motiv wird also vom Wachzustand in den Traum überführt und dort weiterentwickelt.


====4. Traum====
====4. Traum====
Wenige Absätze später berichtet der Maler erneut von einem Traum mit anwachsendem Kopf, der alle Menschen erdrückt: „Plötzlich hatte mein Kopf die Leute, die im Gastzimmer waren, auch die Leute am Extratisch, alle, den Wasenmeister, den Gendarm, den Ingenieur, alle, die Wirtin und ihre Töchter auch, an die Wand gedrückt. Im Traum, wissen Sie“ (F 305). Während der erste Traum in einer abstrakten Landschaft mit nicht weiter benannten Menschen stattfindet, ist er nun an einen bekannten Raum und konkrete Personen der unmittelbaren Umgebung geknüpft. Dass es sich um eine Traumerzählung handelt, wird erst durch den Nachsatz deutlich, denn die Erzählung reiht sich ein in seine Berichte von Schmerz, körperlicher Dissoziation und den vermeintlich auslösenden Faktoren. Wie im zuvor beschriebenen Halbschlaf werden die Grenzen der Wahrnehmung verwischt. Der Kopf „erdrückte alles“, hat aber „nicht die Kraft, das Gasthaus zu sprengen“ und bleibt mit dem Traum-Ich verbunden: „Über mein Gesicht rann der Saft der Menschen, die mein Kopf schlagartig ausgelöscht hat, zerquetscht hat. Gegenstände und Menschen zu einem Brei“ (F 305). Sein Körper wird „fürchterlich eingezwängt“ und hat „keine Möglichkeit mehr, zu atmen“ (F 306). Wie in der Halbschlaf-Erzählung ist erneut das Motiv der Atemlosigkeit zentral, das in Bernhards Werk häufig mit Krankheit und Tod, in den autobiographischen Texten aber auch mit (literarischer) Subjektwerdung verbunden wird.
Wenige Absätze später berichtet der Maler erneut von einem Traum mit anwachsendem Kopf, der alle Menschen erdrückt: „Plötzlich hatte mein Kopf die Leute, die im Gastzimmer waren, auch die Leute am Extratisch, alle, den Wasenmeister, den Gendarm, den Ingenieur, alle, die Wirtin und ihre Töchter auch, an die Wand gedrückt. Im Traum, wissen Sie“ (F 305). Während der erste Traum in einer abstrakten Landschaft mit nicht weiter benannten Menschen stattfindet, ist er nun an einen bekannten Raum und konkrete Personen der unmittelbaren Umgebung geknüpft. Dass es sich um eine Traumerzählung handelt, wird erst durch den Nachsatz deutlich, denn die Erzählung reiht sich ein in seine Berichte von Schmerz, körperlicher Dissoziation und den vermeintlich auslösenden Faktoren. Wie im zuvor beschriebenen Halbschlaf werden die Grenzen der Wahrnehmung verwischt. Der Kopf „erdrückte alles“, hat aber „nicht die Kraft, das Gasthaus zu sprengen“, und bleibt mit dem Traum-Ich verbunden: „Über mein Gesicht rann der Saft der Menschen, die mein Kopf schlagartig ausgelöscht hat, zerquetscht hat. Gegenstände und Menschen zu einem Brei“ (F 305). Sein Körper wird „fürchterlich eingezwängt“ und hat „keine Möglichkeit mehr, zu atmen“ (F 306). Wie in der Halbschlaf-Erzählung ist erneut das Motiv der Atemlosigkeit zentral, das in Bernhards Werk häufig mit Krankheit und Tod, in den autobiographischen Texten aber auch mit (literarischer) Subjektwerdung verbunden wird.


Neben der eigenen Bedrohung empfindet das Traum-Ich eine starke Trauer um die getöteten Menschen: „Da weinte ich, weil ich alle getötet hatte“ (F 306). Der Traum endet allerdings nicht mit dem Tod, sondern der ursprüngliche Zustand wird wieder hergestellt: „So wurde ich wahnsinnig. Da schrumpfte der Kopf plötzlich auf seine ursprüngliche Größe zusammen. [...] Alle saßen auf ihren Plätzen und tranken und aßen und bestellten und zahlten. [...] Ich wachte erschöpft auf und sah, daß ich meine Wolldecke verloren hatte“ (F 306). Indem das Traum-Ich durch die Trauer um die Mitmenschen seinen Widerstand aufgibt und sich dem Wahnsinn überlässt, kehrt die Ordnung zurück. Die Bedrohung der Umgebung durch seinen anwachsenden Kopf kann nicht nur beendet werden, auch die bereits verursachte Zerstörung wird wieder rückgängig gemacht. Bozzi deutet diese Traumerzählung als einen Alptraum, der den „Körper als Überschuss“ inszeniere: „Der Bernhardsche Traumtext thematisiert in diesem Sinne die Last des Leibes, den Sturz in die amorphe Tiefe und die hassenswerte und furchtgebietende Macht der Auflösung“ (Bozzi 2002, 136). Allerdings ist es in dieser Traumerzählung eben nicht die „Flut des Unter- und Unbewussten,in der das „strukturierende Bewusstsein versinkt“ (ebd., 136). Der Text führt vielmehr die psychoanalytische Deutung ''ad absurdum'', da gerade das Wahnsinnigwerden dem alptraumhaften Geschehen Einhalt gebietet. Dieser Schritt in den Wahnsinn, der in den vorangehenden Passagen als Konsequenz der nicht auszuhaltenden (Kopf-)Schmerzen der Existenz hergeleitet wird, erscheint im Traum als Erlösung. Eine solche Verknüpfung lässt sich auch hinsichtlich der Selbstmordgedanken des Malers feststellen, die ebenfalls mit Traummotivik illustriert werden. So äußert er sich über die Option des Erfrierens, es „führe in einem Traum, aus dem man nicht mehr herauskomme“ (F 51), Die Auflösung oder Aufgabe der eigenen Existenz in Wahnsinn oder Tod wird als möglicher Ausweg empfunden und im Traum durchaus positiv konnotiert.  
Neben der eigenen Bedrohung empfindet das Traum-Ich eine starke Trauer um die getöteten Menschen: „Da weinte ich, weil ich alle getötet hatte“ (F 306). Der Traum endet allerdings nicht mit dem Tod, sondern der ursprüngliche Zustand wird wieder hergestellt: „So wurde ich wahnsinnig. Da schrumpfte der Kopf plötzlich auf seine ursprüngliche Größe zusammen. [...] Alle saßen auf ihren Plätzen und tranken und aßen und bestellten und zahlten. [...] Ich wachte erschöpft auf und sah, daß ich meine Wolldecke verloren hatte“ (F 306). Indem das Traum-Ich durch die Trauer um die Mitmenschen seinen Widerstand aufgibt und sich dem Wahnsinn überlässt, kehrt die Ordnung zurück. Die Bedrohung der Umgebung durch seinen anwachsenden Kopf kann nicht nur beendet werden, auch die bereits verursachte Zerstörung wird wieder rückgängig gemacht. Bozzi deutet diese Traumerzählung als einen Alptraum, der den „Körper als Überschuss“ inszeniere: „Der Bernhardsche Traumtext thematisiert in diesem Sinne die Last des Leibes, den Sturz in die amorphe Tiefe und die hassenswerte und furchtgebietende Macht der Auflösung“ (Bozzi 2002, 136). Allerdings ist es in dieser Traumerzählung eben nicht die „Flut des Unter- und Unbewussten“, in der das „strukturierende Bewusstsein versinkt“ (ebd., 136). Der Text führt vielmehr die psychoanalytische Deutung ad absurdum, da gerade das Wahnsinnigwerden dem alptraumhaften Geschehen Einhalt gebietet. Dieser Schritt in den Wahnsinn, der in den vorangehenden Passagen als Konsequenz der nicht auszuhaltenden (Kopf-)Schmerzen der Existenz hergeleitet wird, erscheint im Traum als Erlösung. Eine solche Verknüpfung lässt sich auch hinsichtlich der Selbstmordgedanken des Malers feststellen, die ebenfalls mit Traummotivik illustriert werden. So äußert er sich über die Option des Erfrierens, es „führe in einem Traum, aus dem man nicht mehr herauskomme“ (F 51). Die Auflösung oder Aufgabe der eigenen Existenz in Wahnsinn oder Tod wird als möglicher Ausweg empfunden und im Traum durchaus positiv konnotiert.  


Ein typisch Berhardsches Erzählverfahren ist es, „Figuren durch von ihnen bevorzugte Autoren bzw. literarische oder philosophische Werke zu charakterisieren“ (Gößling 2018, 41). Diese Technik der intertextuellen Verknüpfung wird in ''Frost'' mit den Träumen des Malers verbunden. Nach dem ersten Traum beschreibt der Student: „Der Maler zog seinen Pascal aus der linken Rocktasche und steckte ihn in seine rechte Rocktasche“ (F 40). Nach dem bedrohlichen Traum im Halbschlaf ist dem Maler die Lektüre unmöglich geworden: „Auch meinen Pascal kann ich nicht mehr lesen“ (F 302). Und nach dem Traum, der in einer Wiederherstellung der Normalität endet, findet der Maler zu einer schlaflosen Ruhe: „Jedenfalls hatte ich keinen Traum mehr. Vielleicht, weil ich still auf meinem Bett sitzen blieb und in meinem Pascal blätterte. Vielleicht“ (F 307). Diese Verweise auf Blaise Pascal () sind auf dessen ''Penseés'' bezogen, die neben stilistischen Übereinstimmungen auch Sinnwidersprüche und Paradoxa als Reaktionen auf die Zerrissenheit der menschlichen Existenz mit Bernhards Protagonisten gemeinsam haben (Klug, 46f). Zentral für die Charakterisierung des Malers ist eine Technik, die Klug ausgehend von Bernhards Theaterstücken als „Dramatisierung von Gedanken Pascals über die Unruhe des Daseins“ (ebd., 47) bezeichnet. Ebenso wie auch der Maler gehört Pascal zu den „Einzelgängern und Außenseitern der Philosophiegeschichte“ und philosophiert „nicht beruflich, sondern aus Berufung“ (ebd., 36 f.).  
Ein typisch Berhardsches Erzählverfahren ist es, „Figuren durch von ihnen bevorzugte Autoren bzw. literarische oder philosophische Werke zu charakterisieren“ (Gößling 2018, 41). Diese Technik der intertextuellen Verknüpfung wird in ''Frost'' mit den Träumen des Malers verbunden. Nach dem ersten Traum schreibt der Student: „Der Maler zog seinen Pascal aus der linken Rocktasche und steckte ihn in seine rechte Rocktasche“ (F 40). Nach dem bedrohlichen Traum im Halbschlaf ist dem Maler die Lektüre unmöglich geworden: „Auch meinen Pascal kann ich nicht mehr lesen“ (F 302). Und nach dem Traum, der in einer Wiederherstellung der Normalität endet, findet der Maler zu einer schlaflosen Ruhe: „Jedenfalls hatte ich keinen Traum mehr. Vielleicht, weil ich still auf meinem Bett sitzen blieb und in meinem Pascal blätterte. Vielleicht“ (F 307). Diese Verweise auf den französischen Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) sind auf dessen ''Penseés'' (1669) bezogen, die neben stilistischen Übereinstimmungen auch Sinnwidersprüche und Paradoxa als Reaktionen auf die Zerrissenheit der menschlichen Existenz mit Bernhards Protagonisten gemeinsam haben (Klug 1991, 46 f.). Zentral für die Charakterisierung des Malers ist eine Technik, die Klug ausgehend von Bernhards Theaterstücken als „Dramatisierung von Gedanken Pascals über die Unruhe des Daseins“ bezeichnet (ebd., 47). Ebenso wie auch der Maler gehört Pascal zu den „Einzelgängern und Außenseitern der Philosophiegeschichte“ und philosophiert „nicht beruflich, sondern aus Berufung“ (ebd., 36 f.).  


Strauchs Rückgriff auf Pascal unmittelbar nach den verstörenden Träumen wirkt wie ein Versuch, nach den Träumen wieder Halt in der Philosophie zu finden – mit dem Wissen, dass auch diese voller Widersprüche und Unsicherheiten ist. So findet sich der Verweis auf Pascal ebenso in Verbindung mit seinen Selbstmordgedanken, denn am vierundzwanzigsten Tag berichtet der Student, dass der Maler immer wieder „das Wort Selbstmord“ verwende und die Alltäglichkeit des Daseins beklage, die er auf seine Träume bezieht: „Selbst meine Träume sind alltäglich. Und ich, ich hätte auf andere als auf alltägliche Träume Anspruch“ (F 286). Im Anschluss kommentiert er den Umgang mit Pascal, da der Maler „mit seinem Pascal alles zu beweisen versucht und weiß, daß nichts zu beweisen ist“ (F 287). Ebenso wie die Träume die Verselbständigung der Geisteskräfte zeigen und die Entwicklung in Richtung Wahnsinn und Ich-Auflösung illustrieren, zeigt auch der Verweis auf Pascal die Unruhe des Daseins und die Unmöglichkeit, dem Prozess durch philosophisches Denken Einhalt zu gebieten.
Strauchs Rückgriff auf Pascal unmittelbar nach den verstörenden Träumen wirkt wie ein Versuch, wieder Halt in der Philosophie zu finden – mit dem Wissen, dass auch diese voller Widersprüche und Unsicherheiten ist. So findet sich der Verweis auf Pascal ebenso in Verbindung mit seinen Selbstmordgedanken, denn am vierundzwanzigsten Tag berichtet der Student, dass der Maler immer wieder „das Wort Selbstmord“ verwende und die Alltäglichkeit des Daseins beklage, die er auf seine Träume bezieht: „Selbst meine Träume sind alltäglich. Und ich, ich hätte auf andere als auf alltägliche Träume Anspruch“ (F 286). Im Anschluss kommentiert er den Umgang mit Pascal folgendermaßen: Der Maler versucht, „mit seinem Pascal alles zu beweisen [...] und weiß, daß nichts zu beweisen ist“ (F 287). Ebenso wie die Träume die Verselbständigung der Geisteskräfte zeigen und die Entwicklung in Richtung Wahnsinn und Ich-Auflösung illustrieren, zeigt auch der Verweis auf Pascal die Unruhe des Daseins und die Unmöglichkeit, dem Prozess durch philosophisches Denken Einhalt zu gebieten.


===Träume des Studenten===
===Träume des Studenten===
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===Primärliteratur===
===Primärliteratur===
* Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Insel 1963.
* Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Insel 1963.
* Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972 (Suhrkamp Taschenbuch 47); zitiert als F.
* Bernhard, Thomas: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972 (Suhrkamp Taschenbuch 47).
* Bernhard, Thomas: Werke in 22 Bänden. Hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Band 1: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003.
* Bernhard, Thomas: Werke in 22 Bänden. Hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Band 1: Frost. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003; zitiert als F.


===Forschungsliteratur===
===Forschungsliteratur===

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