"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen
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"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner) (Quelltext anzeigen)
Version vom 7. Oktober 2023, 09:49 Uhr
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Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks | Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks „owê“ ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, „nu hüete der hûben, Helmbreht!“ (H 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da „siteche und galander, sparwære und turteltûben“ (H 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich. | ||
Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, | Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, „ob die troume drî an iu sint bewæret?“ (H 1786 f.; ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, „ê der vierde troum ergê“ (H 1790; bevor der vierte Traum in Erfüllung geht). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">swaz geschehen sol, daz geschiht. | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">got dem vil selten übersiht, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">der tuot, des er niht tuon sol. <span style="color: #7b879e;">(H 1683–1685) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(Was geschehen muss, das geschieht auch. Niemals verzeiht Gott dem, der Unrecht tut.) | :<span style="color: #7b879e;">(Was geschehen muss, das geschieht auch. Niemals verzeiht Gott dem, der Unrecht tut.) | ||
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Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten | Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten „got ist ein wunderære, / daz hœret an dem mære“ (H 1639 f., Gott tut Wunder – das kann man in dieser Geschichte sehen) und „sô got der râche wil selbe phlegen“ (H 1650; wenn Gott selbst Rache üben will) ein. Weiterhin fügt er hinzu, dass niemand für Helmbrecht fürsprechen solle, denn wer sich für solche Menschen einsetze, dem solle von Gott das eigene Leben verkürzt werden (H 1669–1672). Untermauert wird dies zusätzlich durch die sorgfältige Aufzählung der Taten, die für die jeweiligen Strafen ursächlich sind und explizit zeigen, dass er sich unrechtmäßig gegen seinen ehemaligen Stand gerichtet hat (erste Bestrafung: H 1686–1700, zweite Bestrafung: H 1825–1873). Hierdurch legitimiert der Erzähler den Ausgang der Handlung, der ab dem Zeitpunkt, an dem Helmbrecht die Träume abweist, unausweichlich ist. Er verdeutlicht, dass die Strafen auf Helmbrechts „Fehlhaltungen und falsches Handeln […] unabhängig von ständischen Konflikten“ (Sowinski 1968, 227) zurückzuführen sind und dementsprechend verurteilt werden. Der Vater versucht zuvor Helmbrecht vergeblich vor Augen zu führen, dass ein sozialer Aufstieg und dafür unabdingbare gesellschaftliche Anerkennung auf einem entsprechend adeligen Benehmen basieren würden: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">„sun, und wilt dû edel sîn, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">daz rât ich ûf die triuwe mîn, | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">sô tuo vil edellîche: | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">guot zuht ist sicherlîche | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">ein krône ob aller edelkeit […].“ <span style="color: #7b879e;">(H 503–507) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.“) | :<span style="color: #7b879e;">(„Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.“) | ||
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Die vier Träume zeigen sowohl den Figuren als auch den Rezipierenden, welches Ende die Erzählung nehmen könnte. Die prognostische Kraft von Träumen wird in dieser Erzählung nicht angezweifelt. Schon in der antiken Traumtheorie hat man jedoch hervorgehoben, dass es notwendig war, ein geeignetes Leben zu führen, um solche Träume erfahren zu dürfen; v.a. „besondere, auserwählte Menschen haben solche Träume“ (Haubrichs 1979, 248). So dienen diese im ''Helmbrecht'' ebenfalls zur Charakterisierung der Figuren: Der Vater, dem diese Träume widerfahren, wird positiv dargestellt als derjenige, der sich angemessen verhält, ehrenhaft und gehorsam ist (H 233, 242–258; Seelbach 1987, 63). Dadurch wird den Rezipierenden vermittelt, dass der Träumende glaubwürdig sei und demzufolge auch auserwählt sein könne, um wahrhaftige Träume zu erhalten (Haubrichs 1979, 248). Die „Beziehung zwischen der moralischen Qualifikation des Träumers und Trauminhalt“ (Haubrichs 1979, 249) ist dabei entscheidend. Um dies nicht nur auf der Ebene der Figurengestaltung zu suggerieren, wird dem Vater bereits bei der Wiedergabe des ersten Traums, wie erwähnt, ein weiterer Traum zugeschrieben, von dem er selbst berichtet, dass sich dessen Vorausdeutung erfüllt habe (H 584–586). So hat der Vater nicht nur zuvor bereits einen prognostischen Traum erfahren, sondern auch inhaltlich das Motiv der Blendung geträumt, dessen reale Entsprechung das Erblinden des betroffenen Mannes war. Hierdurch wird eine unmittelbare Deutung, die sich bereits bewahrheitet hat, eingebracht und somit der Status des Vaters als eine für sogenannte ''somnia vera'' auserwählte Person hervorgehoben (Haubrichs 1979, 249). | Die vier Träume zeigen sowohl den Figuren als auch den Rezipierenden, welches Ende die Erzählung nehmen könnte. Die prognostische Kraft von Träumen wird in dieser Erzählung nicht angezweifelt. Schon in der antiken Traumtheorie hat man jedoch hervorgehoben, dass es notwendig war, ein geeignetes Leben zu führen, um solche Träume erfahren zu dürfen; v.a. „besondere, auserwählte Menschen haben solche Träume“ (Haubrichs 1979, 248). So dienen diese im ''Helmbrecht'' ebenfalls zur Charakterisierung der Figuren: Der Vater, dem diese Träume widerfahren, wird positiv dargestellt als derjenige, der sich angemessen verhält, ehrenhaft und gehorsam ist (H 233, 242–258; Seelbach 1987, 63). Dadurch wird den Rezipierenden vermittelt, dass der Träumende glaubwürdig sei und demzufolge auch auserwählt sein könne, um wahrhaftige Träume zu erhalten (Haubrichs 1979, 248). Die „Beziehung zwischen der moralischen Qualifikation des Träumers und Trauminhalt“ (Haubrichs 1979, 249) ist dabei entscheidend. Um dies nicht nur auf der Ebene der Figurengestaltung zu suggerieren, wird dem Vater bereits bei der Wiedergabe des ersten Traums, wie erwähnt, ein weiterer Traum zugeschrieben, von dem er selbst berichtet, dass sich dessen Vorausdeutung erfüllt habe (H 584–586). So hat der Vater nicht nur zuvor bereits einen prognostischen Traum erfahren, sondern auch inhaltlich das Motiv der Blendung geträumt, dessen reale Entsprechung das Erblinden des betroffenen Mannes war. Hierdurch wird eine unmittelbare Deutung, die sich bereits bewahrheitet hat, eingebracht und somit der Status des Vaters als eine für sogenannte ''somnia vera'' auserwählte Person hervorgehoben (Haubrichs 1979, 249). | ||
Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als | Im Gegensatz dazu wird Helmbrecht wiederholt negativ dargestellt als „der narre und der gouch“ (H 83; der törichte Narr), „der gotes tumbe“ (H 85; der unverständige Tor) oder „der tumbe ræze knehte“ (H 106; der dumme, aufgeblasene Bursche). Ebenso betont der Erzähler anfangs mehrfach, dass er eine solch prächtige Ausstattung nicht besitzen sollte (H 38–40, 54–56), womit er einen negativen Helden vorführt, „der sich etwas anmaßt, was ihm nicht zusteht“ (Seelbach 1987, 33). Diese stark negative Skizzierung der Figur Helmbrecht kulminiert in seinem schlechten Verhalten gegenüber seiner Familie, seiner abweisenden Reaktion auf die Warnträume des Vaters und in den Verbrechen gegenüber den sonstigen Bauern. Der Erzähler steuert die Leser*innen bzw. Hörer*innen dadurch, dass Helmbrecht als unwürdig wahrgenommen wird: So betont der Vater, dass Helmbrecht die Trauminhalte von weisen Leuten deuten lassen müsse, wenn er einen Nutzen daraus ziehen wolle. Aufgrund der relativen Eindeutigkeit der Traumbilder kann dieser Verweis zum einen eine weitere Bekräftigung ihrer Bedeutung sein (Sowinski 1968, 236); zum anderen zeigt dies, dass symbolhaltige Träume aus zeitgenössischer Sicht einen erfahrenen Deuter verlangen, um den womöglich „verborgenen Willen Gottes“ (Haubrichs 1979, 249) erkennen zu können. Dass Helmbrecht eigenständig diese Träume als eine Vorausdeutung auf Glück, Heil und große Freude interpretiert („daz ist sælde unde heil/ und aller freuden teil“ (H 601 f.; Er [der Traum] bedeutet Heil und Segen vom Himmel und irdisches Glück in Fülle), zeigt, dass er die Tragweite der Warnungen nicht begreift. Er sieht ausschließlich diese Fehldeutung, da sie zu seinem persönlichen Traum des (Raub-)Ritterseins passt. Dies bestätigt die Aussage, alle anderen Träume würden ebenfalls im Zeichen des Glücks stehen: | ||
{| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | {| cellpadding="0" cellspacing="0" border="0" style="border: 0px; background-color: #ffffff; border-left: 2px solid #7b879e; margin-bottom: 0.4em; margin-left: 0.1em; margin-right: auto; width: auto;" | ||
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: | :<span style="color: #7b879e;">„vater, al di tröume dîn | ||
: | :<span style="color: #7b879e;">sint vil gar diu sælde mîn“ <span style="color: #7b879e;">(H 611 f.) | ||
:<span style="color: #7b879e;">(„Vater, alle deine Träume bedeuten Glück für mich“) | :<span style="color: #7b879e;">(„Vater, alle deine Träume bedeuten Glück für mich“) | ||
|}Weiterhin wertet er sie als Träumereien (H 589) ab und betont, dass diese ihn nicht von seinem Vorsatz abhalten könnten. So hat Helmbrechts Reaktion auf die Träume die Verstärkung seiner negativen Figurencharakterisierung zur Folge, da er zunehmend als Narr gekennzeichnet wird. Die spätere Erfüllung der Träume bestätigt dies erneut. | |} | ||
Weiterhin wertet er sie als Träumereien (H 589) ab und betont, dass diese ihn nicht von seinem Vorsatz abhalten könnten. So hat Helmbrechts Reaktion auf die Träume die Verstärkung seiner negativen Figurencharakterisierung zur Folge, da er zunehmend als Narr gekennzeichnet wird. Die spätere Erfüllung der Träume bestätigt dies erneut. | |||
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