"Helmbrecht" (Wernher der Gärtner): Unterschied zwischen den Versionen

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==Traum und Traumdeutung im ''Helmbrecht''==
==Traum und Traumdeutung im ''Helmbrecht''==
Die vier Träume im ''Helmbrecht'' werden von einer einzigen Figur, dem Vater, geträumt. Jedoch wird nur deren Inhalt nachträglich durch den Träumenden im Dialog mit seinem Sohn wiedergegeben; das Träumen ist kein Teil der Erzählung. Thematisch sind die Träume eng miteinander verbunden, da sie die Konsequenzen für Helmbrechts Taten als Raubritter prophezeien; in einer sich steigernden Form berichtet der Vater seinem Sohn von ihnen und versucht, ihn zu warnen. Da Helmbrecht jedoch diesen Vorausdeutungen abweisend gegenübersteht, kehrt er seiner Familie den Rückenu. Am Ende erfüllen sich die Träume in der Reihenfolge, in der der Vater sie geträumt hat.  
Die vier Träume im ''Helmbrecht'' werden von einer einzigen Figur, dem Vater, geträumt. Jedoch wird nur deren Inhalt nachträglich durch den Träumenden im Dialog mit seinem Sohn wiedergegeben; das Träumen selbst ist kein Teil der Erzählung. Thematisch sind die Träume eng miteinander verbunden, da sie die Konsequenzen für Helmbrechts Taten als Raubritter prophezeien; in einer sich steigernden Form berichtet sie der Vater seinem Sohn und versucht, ihn zu warnen. Da Helmbrecht jedoch diesen Vorausdeutungen abweisend gegenübersteht, kehrt er seiner Familie den Rücken. Am Ende erfüllen sich die Träume in eben der Reihenfolge, in der der Vater sie geträumt hat.  


===Prognostische Träume: Vier Vorausdeutungen auf Helmbrechts Strafen===
===Prognostische Träume: Vier Vorausdeutungen auf Helmbrechts Strafen===
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Die Blendung kann hier in doppelter Bedeutung verstanden werden: So bezieht sich dies primär auf das spätere Erblinden Helmbrechts, aber ebenso auf das „Nicht-Sehen-Können des ihm prophezeiten Schicksals“ (Seelbach 1987, 99), das sich auch in seiner abweisenden Reaktion auf die Träume spiegelt. Der Traum erhält von dem Vater eine explizite Deutung durch die Erwähnung eines bereits in Erfüllung gegangenen Traums, der gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit beteuert. Der zweite Traum offenbart, dass Helmbrecht ein Fuß abgetrennt werden wird, da der Vater im Traum sieht, wie ein Beinstumpf aus der Kleidung des Sohnes ragt und auf einem Stock aufliegt, während sein anderer Fuß auf der Erde geht:
Die Blendung kann hier in doppelter Bedeutung verstanden werden: Primär bezieht sie sich auf das spätere Erblinden Helmbrechts, aber ebenso auf das „Nicht-Sehen-Können des ihm prophezeiten Schicksals“ (Seelbach 1987, 99), das sich auch in seiner abweisenden Reaktion auf die Träume spiegelt. Der Traum erhält von dem Vater eine explizite Deutung durch die Erwähnung eines bereits in Erfüllung gegangenen Traums, der gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit beteuert.  
 
Der zweite Traum offenbart, dass Helmbrecht ein Fuß abgetrennt werden wird, da der Vater im Traum sieht, wie ein Beinstumpf aus der Kleidung des Sohnes ragt und auf einem Stock aufliegt, während sein anderer Fuß auf der Erde geht:
 
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:<span style="color: #7b879e;">einez als ein ahsendrum.“ <span style="color: #7b879e;">(H 592–597)
:<span style="color: #7b879e;">einez als ein ahsendrum.“ <span style="color: #7b879e;">(H 592–597)
:<span style="color: #7b879e;">(Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.)
:<span style="color: #7b879e;">(Mir träumte noch mehr; mit einem Fuß gingst du auf der Erde, aber mit dem anderen Knie standest du hoch auf einer Stelze. Da ragte dir aus dem Rock eines wie ein Stumpf.)
|}Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochmut, der aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende führen wird (Seelbach 1987, 100):
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Der dritte Traum behandelt das Abschlagen einer Hand, was über die Metapher des gestutzten Flügels dargeboten wird. Gleichzeitig steht der Ausdruck des hohen Fliegens für Helmbrechts Hochmut, der aufgrund des gestutzten Flügels zu einem tiefen Fall und abrupten Ende führen wird (Seelbach 1987, 100):
 
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:<span style="color: #7b879e;">dô wart dîn vliegen vermiten.“ <span style="color: #7b879e;">(H 605–608)
:<span style="color: #7b879e;">dô wart dîn vliegen vermiten.“ <span style="color: #7b879e;">(H 605–608)
:<span style="color: #7b879e;">(Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.)
:<span style="color: #7b879e;">(Du warst dabei, hoch über Wald und Gebüsch zu fliegen. Doch ein Flügel wurde dir zerschnitten, und damit war es mit deinem Flug vorbei.)
|}Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H 617–619), denn:
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Diese drei Träume werden als rechtliche Bestrafungen des Richters und des Schergen für Helmbrechts Verbrechen als Raubritter in Erfüllung gehen (H 1690–1702). Bevor der Vater den vierten Traum erzählt, betont er, dass alle anderen Träume nicht mit diesem zu vergleichen seien (H 617–619), denn:


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Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks „owê“ ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, „nu hüete der hûben, Helmbreht!“ (H 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da „siteche und galander, sparwære und turteltûben“ (H 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich.  
Dieser letzte Traum ist eine Vorausdeutung auf die Rache der Bauern, die Helmbrecht für seine Verbrechen an ihnen und ihren Familien an einem Baum erhängen werden. Das Todesmotiv wird verstärkt durch die wiederholte Erwähnung von Rabe und Krähe, die Helmbrechts Haar, ein markantes Symbol seines Hochmuts, zerstören. Rabe und Krähe können als Toten- und Unglücksvögel interpretiert werden (Seelbach 1987, 17–21, 100 f.). Die anaphorische Reihung des Ausdrucks „owê“ ist ein typischer Marker für eine Klage und rückt diesen Traum in das Licht einer Totenklage (Seelbach 1987, 100). Am Ende der Erzählung werden die Bauern Helmbrechts Haube und Haar zerrissen haben und ihn ironisch ermahnen, „nu hüete der hûben, Helmbreht!“ (H 1879, „Nun gibt acht auf deine Haube, Helmbrecht!“). Die zu Beginn ausführlich beschriebene geschichtstragende Haube (H 26–106)<ref>Die Geschichten, die auf dem Hut abgebildet sind, stellen Erzählungen in der Erzählung dar und können als wertende Elemente sowie als weitere Prolepsen verstanden werden. Denn sie zeigen historische Handlungen, die aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ein negatives oder positives Exempel bilden, so z.B. das Exempel des vermessenen Paris als Warnung oder das des treuen Eneas als Ermahnung (Seelbach 1987, 27 f.).</ref> und das betont lange, lockige Haar des Protagonisten (H 9–15), die mehrfach vom Erzähler als nicht standesgemäß deklariert werden, fungieren als objektbezogene Rahmung der Handlung; sie sind sichtbare Symbole seiner Hochfahrt und seines tiefen Falls. Von Beginn an hebt der Erzähler so Helmbrechts materiellen Aufstiegsdrang hervor; schnell zeichnet sich ab, dass er mit dem höfischen Leben „nichts anderes verbindet als dasjenige des Raubritters und Strauchdiebes“ (Honemann 2001, 35, 39), denn mehrfach äußert er, dass er rauben, plündern und Menschen Gewalt antun will (H 361–388, 370–374, 379, 384, 408–423; Honemann 2001, 38). Das Bild der auf die Haube gestickten Vögel, die am Schluss auf dem Boden verteilt liegen, hebt den Eindruck hervor, dass dies die Ursache seines Scheiterns ist, da „siteche und galander, sparwære und turteltûben“ (H 1888 f., Sittiche und Lerchen, Sperber und Turteltauben) antithetisch zu den Raben und Krähen des vierten Traumes gelesen werden können (Seelbach 1987, 21). Die Träume unterstützen diese rahmende Funktion maßgeblich.  


Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, „ob die troume drî an iu sint bewæret?“ (H 1786 f.; ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, „ê der vierde troum ergê“ (H 1790; bevor der vierte Traum in Erfüllung geht). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor:  
Die Erfüllung der ersten drei Träume wird im letzten Dialog zwischen Vater und Sohn erwähnt, in dem der Meier ihm die rhetorische Frage stellt, „ob die troume drî an iu sint bewæret?“ (H 1786 f.; ob sich die drei Träume nicht an Euch erfüllt haben). Da Helmbrecht, sowohl blind als auch ohne Hand und Fuß vor ihm stehend, offensichtlich die angekündigten Strafen erhalten hat, erwartet der Vater keine Antwort, sondern prophezeit ihm erneut auf der Basis seines Traumwissens ein schlimmes Ende. Er schickt ihn fort, „ê der vierde troum ergê“ (H 1790; bevor der vierte Traum in Erfüllung geht). Mit dieser Erinnerung besteht kein Zweifel, dass auch der letzte Traum, der die Ankündigung des Todes enthält, eintreten wird. Nach Helmbrechts Tod hebt ein abschließender Erzählerkommentar aufgrund seiner finalen Position die prognostische Funktion der Träume explizit hervor:  
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===Die Funktionen der Träume===
===Die Funktionen der Träume===
Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers Helmbrecht mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im Helmbrecht alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.).<ref>Macrobius (4./5. Jahrhundert) unterteilt Träume in prognostische und agnostische, wodurch ein fünfteiliges Modell entsteht. Die Klasse der agnostischen, unbedeutsamen Gesichte umfasst ''insomnia'' (Träume mit psychosomatischer Ursache, hervorgerufen durch körperliche Reize oder Wünsche / Sorgen) und ''visus'' bzw. ''phantasmata'' („nebelhaft undeutliche Erscheinungen, Trugbilder zwischen Tag und Traum“). Die Klasse der prognostischen, bedeutsamen Gesichte beinhaltet die bereits genannten ''oracula'' (Ankündigungen bzw. Anweisungen durch heilige oder autoritative Instanz), ''visiones'' („exakte Vorwegnahmen des zukünftigen Geschehens“) und ''somnia'' (Symbolträume, die einer Interpretation bedürfen) (Haubrichs 1979, 245; Macrobius, 2019, III, 2 f.).</ref> Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen.<ref>Im Mittelalter warnte z.B. Papst Gregor der Große vor der Einflussnahme des Bösen durch Träume, da nur Heilige Empfänger göttlicher Botschaften sein könnten und nur diese fähig wären, zwischen einer göttlichen oder teuflisch-dämonischen Herkunft zu unterscheiden (Wittmer-Butsch 1990, 106 f.). Stark rezipiert wurden im Mittelalter auch die Schriften des Aristoteles über Schlaf und Traum, in denen ausschließlich Körper und Seele als Entstehungsorte der Träume deklariert werden (Weber 2008, 30–32).</ref> „Im Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und tragen aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik eine proleptische Funktion auf der narrativen Ebene. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts ''superbia''; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256).  
Die Träume haben eine essenzielle Bedeutung für den Handlungsverlauf und fungieren als Kernmotive der Erzählung. Angelehnt an die antike Auffassung, Träume könnten Vorausdeutungen auf zukünftige Ereignisse geben, spielt auch Wernhers ''Helmbrecht'' mit den Träumen als Stilmittel (Wittmer-Butsch 1990; Weber 2008; Haubrichs 1979; Haag 2003). Indem im ''Helmbrecht'' alle Vorausdeutungen wahr werden, verwendet Wernher sie in Übereinstimmung mit Macrobius’ dreiteiliger Klassifikation der „prognostischen, divinatorisch relevanten Gesichte“ (Haubrichs 1979, 246) in ''oracula'', ''visiones'' und ''somnia'' (Haubrichs 1979, 245 f.).<ref>Macrobius (4./5. Jahrhundert) unterteilt Träume in prognostische und agnostische, wodurch ein fünfteiliges Modell entsteht. Die Klasse der agnostischen, unbedeutsamen Gesichte umfasst ''insomnia'' (Träume mit psychosomatischer Ursache, hervorgerufen durch körperliche Reize oder Wünsche/Sorgen) und ''visus'' bzw. ''phantasmata'' („nebelhaft undeutliche Erscheinungen, Trugbilder zwischen Tag und Traum“). Die Klasse der prognostischen, bedeutsamen Gesichte beinhaltet die bereits genannten ''oracula'' (Ankündigungen bzw. Anweisungen durch heilige oder autoritative Instanz), ''visiones'' („exakte Vorwegnahmen des zukünftigen Geschehens“, also theorematische Träume) und ''somnia'' (Symbolträume, die einer Interpretation bedürfen) (Haubrichs 1979, 245; Macrobius, 2019, III, 2 f.).</ref> Der Text steht einer vom frühen bis späten Mittelalter parallel verbreiteten Skepsis gegenüber prognostischen Träumen entgegen.<ref>So warnte z.B. Papst Gregor der Große vor der Einflussnahme des Bösen durch Träume, da nur Heilige Empfänger göttlicher Botschaften sein könnten und nur diese fähig wären, zwischen einer göttlichen oder teuflisch-dämonischen Herkunft zu unterscheiden (Wittmer-Butsch 1990, 106 f.). Stark rezipiert wurden im Mittelalter auch die Schriften des Aristoteles über Schlaf und Traum, in denen ausschließlich Körper und Seele als Entstehungsorte der Träume deklariert werden (Weber 2008, 30–32).</ref> „Im Licht der antiken und christlichen Auffassungen“ (Seelbach 1987, 99) fungieren die Traumnarrative als prognostische Warnungen innerhalb der Erzählung und haben aufgrund ihrer voraussagenden Charakteristik auf der narrativen Ebene eine proleptische Funktion. Erzählerische Spannung wird aufgebaut, indem die Folgen des Raubrittertums für Helmbrecht zwar durch die Träume angekündigt werden, aber unklar bleibt, ob, wann und durch welche Instanzen sich die Träume erfüllen werden. Durch die detaillierte anfängliche Beschreibung der ritterlichen Statussymbole, die im Kontrast zu den wertenden, negativen Erzählerkommentaren stehen, werden sie zu sichtbaren Zeichen von Helmbrechts ''superbia''; mit den anschließenden prognostischen Warnträumen wird so eine „Spannung zwischen der Ausgangssituation und den Folgen“ (Sowinski 1968, 226) geschaffen (Menke 1993, 24, 61 f.). Unterstützend bringt der Erzähler mehrmals proleptische Kommentare im Einklang mit den Warnträumen ein (H 680–683), wodurch sie „zu einem Motor der erzählerischen Spannung“ werden (Haubrichs 1979, 256).  
Des Weiteren erhöhen die Träume die didaktische Relevanz<ref>Der Begriff der didaktischen Relevanz findet sich bei Bernhard Sowinski zu anderen Szenenanalysen des Helmbrecht (Sowinski 1968, 230 f.).</ref>, da der Text durch die vierfache Warnung aufzeigt, dass Helmbrecht seine Strafen hätte abwenden können, wenn er seinem Vater und dessen Träumen vertraut hätte. So erhalten die Träume einen Belehrungscharakter. Dies wird verstärkt, wenn die Traumbilder als gottgesandte Warnungen aufgefasst werden, was u.a. die Bestrafung durch den Schergen andeutet, der als „Vollstrecker des göttlichen Willens“ (Menke 1993, 222) auftritt. Denn bevor der Scherge die Strafen vollzieht, kündigt der Erzähler an:
Des Weiteren erhöhen die Träume die didaktische Relevanz<ref>Der Begriff der didaktischen Relevanz findet sich bei Bernhard Sowinski zu anderen Szenenanalysen des ''Helmbrecht'' (Sowinski 1968, 230 f.).</ref>, da der Text durch die vierfache Warnung aufzeigt, dass Helmbrecht seine Strafen hätte abwenden können, wenn er seinem Vater und dessen Träumen vertraut hätte. So erhalten die Träume einen Belehrungscharakter. Dies wird verstärkt, wenn die Traumbilder als gottgesandte Warnungen aufgefasst werden, was u.a. die Bestrafung durch den Schergen andeutet, der als „Vollstrecker des göttlichen Willens“ (Menke 1993, 222) auftritt. Denn bevor der Scherge die Strafen vollzieht, kündigt der Erzähler an:


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Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten „got ist ein wunderære, / daz hœret an dem mære“ (H 1639 f., Gott tut Wunder – das kann man in dieser Geschichte sehen) und „sô got der râche wil selbe phlegen“ (H 1650; wenn Gott selbst Rache üben will) ein. Weiterhin fügt er hinzu, dass niemand für Helmbrecht fürsprechen solle, denn wer sich für solche Menschen einsetze, dem solle von Gott das eigene Leben verkürzt werden (H 1669–1672). Untermauert wird dies zusätzlich durch die sorgfältige Aufzählung der Taten, die für die jeweiligen Strafen ursächlich sind und explizit zeigen, dass er sich unrechtmäßig gegen seinen ehemaligen Stand gerichtet hat (erste Bestrafung: H 1686–1700, zweite Bestrafung: H 1825–1873). Hierdurch legitimiert der Erzähler den Ausgang der Handlung, der ab dem Zeitpunkt, an dem Helmbrecht die Träume abweist, unausweichlich ist. Er verdeutlicht, dass die Strafen auf Helmbrechts „Fehlhaltungen und falsches Handeln […] unabhängig von ständischen Konflikten“ (Sowinski 1968, 227) zurückzuführen sind und dementsprechend verurteilt werden. Der Vater versucht zuvor Helmbrecht vergeblich vor Augen zu führen, dass ein sozialer Aufstieg und dafür unabdingbare gesellschaftliche Anerkennung auf einem entsprechend adeligen Benehmen basieren würden:  
Fritz-Peter Knapp bezeichnet die Konsequenzen sogar als ein „Strafgericht Gottes“, das Helmbrecht schon im Diesseits ereilt (Knapp 2001, 11). Der Text zeichnet subsidiär das Bild der gottgewollten, gerechten Strafe: So leitet der Erzähler die Bestrafung der Raubritter mit den Worten „got ist ein wunderære,/ daz hœret an dem mære“ (H 1639 f.; Gott tut Wunder – das kann man in dieser Geschichte sehen) und „sô got der râche wil selbe phlegen“ (H 1650; wenn Gott selbst Rache üben will) ein. Weiterhin fügt er hinzu, dass niemand für Helmbrecht fürsprechen solle, denn wer sich für solche Menschen einsetze, dem solle von Gott das eigene Leben verkürzt werden (H 1669–1672). Untermauert wird dies zusätzlich durch die sorgfältige Aufzählung der Taten, die für die jeweiligen Strafen ursächlich sind und explizit zeigen, dass Helmbrecht sich unrechtmäßig gegen seinen ehemaligen Stand gerichtet hat (erste Bestrafung: H 1686–1700, zweite Bestrafung: H 1825–1873). Hierdurch legitimiert der Erzähler den Ausgang der Handlung, der ab dem Zeitpunkt, an dem Helmbrecht die Träume abweist, unausweichlich ist. Er verdeutlicht, dass die Strafen auf Helmbrechts „Fehlhaltungen und falsches Handeln […] unabhängig von ständischen Konflikten“ (Sowinski 1968, 227) zurückzuführen sind und dementsprechend verurteilt werden. Der Vater versucht zuvor vergeblich, Helmbrecht vor Augen zu führen, dass ein sozialer Aufstieg und dafür unabdingbare gesellschaftliche Anerkennung auf einem entsprechend adeligen Benehmen basieren würden:  


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:<span style="color: #7b879e;">guot zuht ist sicherlîche
:<span style="color: #7b879e;">guot zuht ist sicherlîche
:<span style="color: #7b879e;">ein krône ob aller edelkeit […].“ <span style="color: #7b879e;">(H 503–507)
:<span style="color: #7b879e;">ein krône ob aller edelkeit […].“ <span style="color: #7b879e;">(H 503–507)
:<span style="color: #7b879e;">(„Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.)
:<span style="color: #7b879e;">(Sohn, wenn du adlig sein willst, dann rate ich dir bei meiner Treu, edel zu handeln. Wirklich feine Gesittung ist das Höchste an Adligkeit.)
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Doch im Gegensatz zu seinem Vater, der das alte, tugendhafte Rittertum und den Tugendadel als wahren Adel vorstellt sowie den Verfall dieser Lebensweise beklagt (H. V. 974–983), verficht Helmbrecht eine „völlige[] Umkehrung aller Werte“ (Honemann 2001, 36; H 264–278, 303–328, 375–379, 471–479, 571–576) und die Ausübung von Gewalt (H 1007 f., 1023–1036; Honemann 2001, 31 f., 36 f.). Nach seinem rasanten Aufstieg in das als falsch markierte Raubrittertum muss Helmbrecht einen drastischen gesellschaftlichen Abstieg erfahren. Indem die Bauern, die durch Helmbrecht als Raubritter Leid erfahren haben, die endgültige Strafe – Tod durch Erhängen – vollziehen, wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben.  
Doch im Gegensatz zu seinem Vater, der das alte, tugendhafte Rittertum und den Tugendadel als wahren Adel vorstellt sowie den Verfall dieser Lebensweise beklagt (H. V. 974–983), verficht Helmbrecht eine „völlige Umkehrung aller Werte“ (Honemann 2001, 36; H 264–278, 303–328, 375–379, 471–479, 571–576) und die Ausübung von Gewalt (H 1007 f., 1023–1036; Honemann 2001, 31 f., 36 f.). Nach seinem rasanten Aufstieg in das als falsch markierte Raubrittertum muss Helmbrecht einen drastischen gesellschaftlichen Abstieg erfahren. Indem die Bauern, die durch Helmbrecht als Raubritter Leid erfahren haben, die endgültige Strafe – Tod durch Erhängen – vollziehen, wird dieser Aspekt besonders hervorgehoben.  


Aufgrund des Dialogs über die Träume werden „die Überredungsversuche des Vaters und die Unbelehrbarkeit des Sohnes sichtbar“ (Sowinski 1968, 231). Sie sind zudem Teil einer Wertethik, „die ihre Verbindlichkeit am negativen Beispiel des jungen Helmbrecht und an seinem Ende erweist.“ (Sowinski 1968, 231) Sie agieren innerhalb der literarischen Darstellung als Strukturelemente (Schmidt-Hannisa 2007, 676 f.), die aufgrund ihrer vorausdeutenden Eigenschaft zur Rezeptionslenkung beitragen. Die Träume bilden so eine Art Metaebene der Handlung, während sie zugleich einen wichtigen Teil der Handlung selbst darstellen (Barthel 2019, 46).
Aufgrund des Dialogs über die Träume werden „die Überredungsversuche des Vaters und die Unbelehrbarkeit des Sohnes sichtbar“ (Sowinski 1968, 231). Sie sind zudem Teil einer Wertethik, „die ihre Verbindlichkeit am negativen Beispiel des jungen Helmbrecht und an seinem Ende erweist“ (Sowinski 1968, 231). Sie agieren innerhalb der literarischen Darstellung als Strukturelemente (Schmidt-Hannisa 2007, 676 f.), die aufgrund ihrer vorausdeutenden Eigenschaft zur Rezeptionslenkung beitragen. Die Träume bilden so eine Art Metaebene der Handlung, während sie zugleich einen wichtigen Teil der Handlung selbst darstellen (Barthel 2019, 46).


===Narrative Verbindung von Traum und Figurendarstellung===
===Narrative Verbindung von Traum und Figurendarstellung===

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