"La vida es sueño" (Pedro Calderón de la Barca): Unterschied zwischen den Versionen
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"La vida es sueño" (Pedro Calderón de la Barca) (Quelltext anzeigen)
Version vom 10. Juli 2024, 06:55 Uhr
, 10. Juli 2024→La vida es sueño
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===Entstehungsgeschichte=== | ===Entstehungsgeschichte=== | ||
Zur Frage der zeitlichen Entstehung von ''La vida es sueño'', das erstmals 1636 publiziert wurde, gibt es eine kontroverse Debatte (vgl. Cueto 1994). Der Nachweis der frühesten Aufführung stammt von López-Vázquez (2002), der für die Madrider Spielzeit von 1630-1631 eine Präsentation unter diesem Titel nennt. Demnach wäre die Entstehung des Dramas auf die Jahre 1629 | Zur Frage der zeitlichen Entstehung von ''La vida es sueño'', das erstmals 1636 publiziert wurde, gibt es eine kontroverse Debatte (vgl. Cueto 1994). Der Nachweis der frühesten Aufführung stammt von López-Vázquez (2002), der für die Madrider Spielzeit von 1630-1631 eine Präsentation unter diesem Titel nennt. Demnach wäre die Entstehung des Dramas auf die Jahre 1629/30 zu datieren. Diesem Zeitraum widerspricht jedoch die Tatsache, dass kein Dramentext zu dieser Erstaufführung überliefert ist und zudem das Stück einem anderen Autor zugesprochen wurde. Die Handlung der gedruckten, gesichert von Calderón stammenden Version von 1636 scheint auf astrologiekritische Werke Bezug zu nehmen, wie sie die Jesuiten Alexander de Angelis und Benedictus Pererius Anfang des 17. Jahrhundert auf Lateinisch publizierten (Ludwig 2005, 50). Sehr viel größer jedoch ist die Nähe des Dramas zu einer päpstlichen Bulle von 1631, in der Papst Urban VIII die Traum- und Sternendeutung unter Strafe stellt. Sie macht die Entstehung von Calderóns Stück ab 1631 wahrscheinlich. | ||
===Zukunftsdeutung in der spanischen Barockzeit=== | ===Zukunftsdeutung in der spanischen Barockzeit=== | ||
Die Zukunftsdeutung war auch im Barock eine weit verbreitete Praxis. Zur Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert wird geschätzt, dass es in Spanien trotz strikter Verbote mehr als 10.000 Traum- und Sternendeuter gab, mehrheitlich waren hier Frauen tätig ( | Die Zukunftsdeutung war auch im Barock eine weit verbreitete Praxis. Zur Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert wird geschätzt, dass es in Spanien trotz strikter Verbote mehr als 10.000 Traum- und Sternendeuter gab, mehrheitlich waren hier Frauen tätig (Kagan 1990, 37). Dem Aberglauben und dem Einfluss der Wahrsagerei versuchte die christliche Kirche mit großem Aufwand entgegenzuwirken. Es entstanden traumskeptische theologische Schriften wie ''Somnium Et Vigilia in Somnium Scipionis'' von Juan Luis Vives (1520), ''Tratado en el qual se repruevan todas las supersticiones y hechizerías. Muy util y necessario a todos los buenos christianos zelosos de su salvacion'' von Pedro Ciruelo (1530) und ''Primera parte de los treynta y cinco dialogos familiares de la agricultura christiana'' des Franziskaners Juan Pérez de Pineda (1589) (Gantet 2005). Die spanische Inquisition stellte 1559, 1564 und 1571 in ihren ''Indices auctorum et librorum prohibitorum'' den Besitz und Vertrieb von Traumdeutungsbüchern unter Strafe. Der Vatikan veröffentliche innerhalb einer Zeitspanne von weniger als 50 Jahren (1586 und 1631) Bullen, die „gewisse Arten der Zukunftsdeutung und des Schadenzaubers wie Nekromatie, Wahrsagerei unter Anrufung von Dämonen, maleficium, veneficium von Hexen und Zauberern sowie astrologische Partikularprognostik“ (Mahlmann-Bauer 2005, 158) als Ketzerei und Häresie deklarierten und den Straffälligen mit Exkommunikation drohten. Doch nicht einmal die gefürchtete Inquisition konnte die proliferierende Oneirologie unterbinden. Auch trug die Religion selbst dazu bei, die Bedeutung der Träume zu unterstreichen. Zum einen liefert die Heilige Schrift den Gläubigen Beweise für die Existenz von Gott gesandter Träume, zum anderen wies die Kirche auch noch in der Barockzeit unter erneuter Verbreitung von Schriften wie ''De distinctione verarum visionum a falsis'' und ''De probatione spirituum'' von Jean Gerson (Anfang 14. Jh.) ihre Priester an, gebeichtete Träume zu analysieren (Kagan 1990, 36-43). | ||
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Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240). | Die Konsequenz dieses Zusammenfalls von Leben und Traum nutzt Calderón für sein eigentliches Anliegen, das ein theologisches ist. Gerade weil es keine sichere Erkenntnis darüber gebe, ob man wache oder schlafe, gelte nur ''ein'' Gesetz. Es ist das Gesetz vom Guten Handeln, des ''obrar bien'', das der ''libre albedrío'', die menschliche Willensfreiheit, befolgen müsse. ''La vida es sueño'' ist im Kern ein gegenreformatorisches Lehrstück, das die Glaubenslehre des Molinismus, und damit die Doppelexistenz von göttlicher Gnade ''und'' menschlicher Willensfreiheit vertritt (vgl. Teuber 1988, 148). Das Erkennen der Welt als traumhaft ermöglicht einen tieferen Einblick in die christliche Lehre und lassen den Prinzen zum guten Menschen – und, wie sich am Ende zeigen wird, auch zum guten Herrscher – werden. Mit dem – an sein Publikum gerichteten – Imperativ „reprimamos esta fiera condición“ nimmt das Theaterstück Bezug auf die neoplatonische Forderung nach Kontrolle der menschlichen Affekte, wie sie zu Beginn des ''Siglo de oro'' u.a. der Kirchenlehrer Erasmus von Rotterdam formulierte (vgl. Bannasch/Butzer 2002). Und so leitet Segismundo seine Handlungsmaxime eben nicht aus einem Traum ab, sondern aus der Erkenntnis, dass alles nur Traum ist. Aufgrund seiner tieferen Einsicht in die göttlichen Gesetze des (Traum-)Lebens und die Akzeptanz der Pflicht, Gutes zu Tun, wird der Prinz seine schlechten Triebe beherrschen. Sein Wandel von „von ''passio'' zu ''ratio''“ ist es, der schließlich den rechtskonformen Fortbestand der Dynastie garantiert (Xuan 2003, 240). | ||
Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS, V. 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS, V. 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT, 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005: 40). | Als der Prinz Ende des letzten Akts den Krieg gegen den König gewinnt und Basilio niederkniet, um dem Sohn den Thron zu übergeben, scheint die frühere Deutung, Segismundo werde den König entmachten, erfüllt. Anders als von den Sternen bestimmt schien, handelt der Prinz nun aber nicht als tyrannischer, sondern als seine Affekte beherrschender und gerechter Herrscher. Er hilft seinem Vater auf, verkündet standesgemäße Hochzeiten und mahnt, der Astrologie keinen Glauben zu schenken. In seiner Schlussrede erläutert der neue Herrscher seinem Volk (und dem Theaterpublikum), das, was in den Sternen stehe – von Gott „auf blauem Papier“ verfasst –, sei wahr: „Lo que está determinado/ del cielo, y en azul tabla/ Dios con el dedo escribió […]/ tantos papeles azules […]/ nunca engañan, nunca mienten“ (VS, V. 3162-3168; „Was vom Himmel bestimmt ist, schrieb Gott mit seinem Finger auf blaue Tafel [...]; so viele blaue Seiten [...], sie täuschen nie, lügen nie“). Täuschung aber sei die menschliche Deutung dieser göttlichen Zeichen: „porque quien miente y engaña/ es quien, para usar mal dellas,/ las penetra y las alcanza.“ (VS, V. 3169–3171; „Wer da täuscht und wer betrüget,/ Das ist jener, der zum Mißbrauch/ Forschend nach den Sternen greift“ (LT, 89). Das Gesetz des guten Handelns impliziert also auch, sich nicht in der Deutung von Träumen und Sternen zu versuchen. Hier spielt erneut die Debatte um die Willensfreiheit hinein, denn mit ihr kann der Mensch, „auf Gebete und dein Verhalten gestützt, die Sterne besiegen“, wie bereits 1549 das Lehrgedicht „De utilitate astrologiae“ von Georg Cracovius besagte (dt. Übers. zit. nach Ludwig 2005: 40). | ||
Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte. | Die dramatische Handlung führt damit den Beweis, dass es nicht die göttliche Vorbestimmung ist, sondern Basilios „obrar mal“, das schlechte Handeln, welches den Konflikt mit dem Sohn überhaupt erst provozierte. Die falsche Lektüre des von Gott beschriebenen blauen Himmelpapiers führte zu der Fehlentscheidung, Segismundo in unmenschlicher Gefangenschaft und Isolation aufwachsen zu lassen, was wiederum die Rohheit des Prinzen überhaupt erst hervorbrachte. | ||
==Fazit== | ==Fazit== |